Montag, 29. April 2013

Out of the blue and into the black

Die Datti muss in die große Stadt fliegen, wo sie erschöpft ankommt. Ihr Koffer kommt nicht an. In der alten Wohnung sind zum Glück Zahnbürsten, alle von den Kindern, aber ist ja egal. Nur der Pyjama vom Kind passt nicht mal mehr dem Kind, wie soll der mir passen? Auf der Autobahn, der italienischen, auf dem Weg zum Flughafen, überhole ich einen kleinen Lastwagen, er transportiert Artischocken. Ich möchte mich an jeder einzelnen Artischocke festklammern und ja nicht dieses Land verlassen. In meinem Kühlschrank vergammeln immer noch 5 Artischocken, aber diese, diese hier, die würde ich jetzt gleich verarbeiten. Wenn man mich fragt, wie es mir gefällt in Italien, nach so vielen Jahren, antworte ich neuerdings: Immer weniger. Aber sobald ich mich aus Italien fortbewege, scheint mir sogar Enrico Letta, der neu erkorene Ministerpräsident, ein Grund zu bleiben. Im Flughafenbus haut mich der Biergeruch der Menschen, die den Pass desselben Landes wie ich haben, fast um und ich frage mich, wieso sie alle barfuss in ihren Sandalen stecken, obwohl doch erst Ende April ist. Ich finde sie peinlich, aber ich weiß, es gibt auch die schönen und guten und weil ich ja endlich einmal alleine bin, schaue ich auf Facebook nach, was sie machen.

Wenn ich in Italien bin, habe ich eine ganz genaue Vorstellung vom Frühling in der großen Stadt und von der Sehnsucht, die man hier verspüren kann und von der Gewissheit eines Neubeginns und vom Geruch der großen alten Bäume. Man muss es nur schaffen, auch wirklich neu zu beginnen. Wenn ich dann hier bin,  habe ich eine ganz genaue Vorstellung von dem, was ich eben verlassen habe, die wachsenden Weichseln, der Hund, der mich durch den täglichen Spaziergang hetzt, während ich David Copperfield auf dem Eierphone häre, vom Gras, das der große Sohn geschnitten hat mit dem Grasschneidegerät, das ich in der vergleichweise kleinen Stadt reparieren habe lassen und in der ein solches Verkehrstohuwabohu herrscht, dass MM sagt: diese Stadt versteht, aus dem Nichts ein Chaos zu machen.

In Deutschland muss ich einen Zwischenaufenthalt einlegen und auch wenn es ungerecht ist, denn es ist nur ein beliebiger tödlich langweiliger Flughafen: ich möchte sofort zurück, möchte mich mit meinem ganzen Körper auf die Halbinsel werfen, möchte sogar der ungeliebten Mathematiklehrerin zurufen: Ich finde Sie originell, Maestra! Ich finde ich finde ich finde ich finde mich wie Thomas Bernhard, der sich überall ein wenig unwohl gefühlt hat, aber im Unterschied zu ihm fühle ich mich auf dem Weg von einem zum anderen besonders unwohl. Und ich muss sagen, dass mein Leben von den fahrenden Gemüsehändlern bestimmt wurde. Nichts kann mein Herz ähnlich entflammen wie ein kleines Fahrzeug, aus dem heraus Saubohnen und Zwiebeln verkauft werden. In den ersten Monaten meines Aufenthalts in Italien bin ich mit MM, der damals ein geheimer Liebhaber und kein Ehemann und Vater war, nach Palermo gefahren und da hat diese Sucht nach den Gemüselambrettas begonnen. Einige Zeit später war ich in Reggio Calabria und habe angesichts der Artischocken in den kleinen Lastwägen beschlossen, für immer in Italien und noch dazu im versifften Süden zu bleiben. Das Begehren ist immer geordneter geworden und ich besuche selbst den wöchentlichen Gemüsemarkt in unserem Ort selten, aber MM baut mit Sorgfalt Gemüse auf unseren 5000 Quadratmetern Erde an, was ich kaum zu würdigen weiß, wenn ich wie ein Mahnmal des Fleißes an meinem Arbeitstisch vor meinem Computer sitze und schreibe.

Kaum aber bin ich in der großen Stadt begehre ich sinnlos. Keine Artischocken, keine Saubohnen, sondern das alte wilde Leben, das ohnehin keiner mehr führt und das ich auf keine Weise wiederbekommen kann.

Ich habe einen Roman von Lily Brett gelesen mit dem sprechenden Titel: Lola Bensky. Am Ende ist Lola, die ehemalige Rock-Journalistin froh, dass Mick Jagger lebt und gut drauf ist, denn Janis Joplin, Jimi Hendrix, Jim Morrison und viele andere sind bereits verstorben. This is it: Seien wir froh, dass wir am Leben sind. Mit Artischocken und Saubohnen oder mit gatschigen Schuhen und Kinderspielzeug, was auch immer, möglicherweise nicht dem Mercedes, den Gott Janis Joplin hätte kaufen sollen und den er mir auch nicht kauft.

Dienstag, 9. April 2013

Relativitätstheorie

Die Lehrerin meiner großen Kinder mag eine gute Lehrerin sein, für meine Kinder und für mich ist sie gänzlich ungeeignet. Das ist mein Beitrag zu ihrer Theorie, Herr Einstein. Nichts hat nur eine Seite. Wie man weiß wird der Priester geweiht und meine Kinder mussten ein Gebet schreiben. Das hat schon einiges Kopfzerbrechen bei uns hervorgerufen und bevor irgendjemand einen Anfall bekommen musste, habe ich im Internet ein Gebet für die Arbeit gefunden, das ich meinen hilflos verwirrten Kindern als passend präsentieren konnte. Denn man wusste nicht, ob man selbst ein Gebet erfinden sollte, vielleicht ein Gedicht, wie ich eifrig mehrmals nachfragte, nein, kein Gedicht, ein Gebet, oder ob man es von irgendwo (dem Internet) abschreiben sollte. Da wir aber keine Spezialisten auf dem Gebiet der Gebete sind, musste das Internet herhalten. Aber das muss ohnehin für alles herhalten und ich frage mich mindestens 2x wöchentlich wozu diese ganzen voluminösen und teuren Schulbücher dienen, wenn wir ohnehin dauernd alles auf Wikipedia nachschauen müssen. Wir haben zusätzlich zu 300 Euro Schulbüchern noch ein Tablet kaufen müssen, damit die Kinder, nein, damit ich an meinem Computer bleiben darf, obwohl man über den Rhein und die Donau recherchieren muss. RE-CHER-CHIEREN. Inflationäres Wort, inflationäre Beschäftigung. Erster Eintrag auf Google, bitte, danke.
Na gut, und jetzt das Gebet. Aus dem Internet. Ein paar Tage später zieht der Fußballer aus seinem Rucksack ein halb zerknülltes Blatt Papier aus seinem Rucksack, das erstens aussieht, als hätte es eine Kuh in der Schnurre gehabt, um hier mal einen schweizer Ausdruck zu benutzen und zweitens eine Bordüre am Rand hat, wie das mit dem Gebet für den Don. Der Fußballer muss auch ein Gebet schreiben, die Lehrerin wäre sehr verärgert gewesen, da er sich so seiner Verantwortung entzogen habe. Nicht ein Gebet gemeinsam, wie sie mir weigemacht haben, nein, jeder eines! Nun liegt der Ärger ganz und gar bei mir. Als erstes entzündet er sich an der äußeren Form dieses Papiers. Der Fußballer behauptet, die Lehrerin hätte es ihm so gegeben. Oh nein, das hätte er nicht tun sollen. Mein Zorn schwingt elastisch zwischen einer so schlampigen Lehrerin und einem sich für so schlau haltenden Kind hin und her. Das Wort Gebet wird von mir in einen vulgären Zusammenhang gestellt, ebenso der Fußballer, der mich ärgert, weil er sich nicht gegen so infame Anschuldigungen wehrt. Oder stimmte es etwa nicht, dass sie zu zweit ein Gebet schreiben mussten. Ich äußere laut (sehr laut) meine Gedanken, sie in zwei verschiedene Klassen zu geben, innerlich brodelt sogar der Gedanke an eine andere Schule, aber ein Rest Vernunft bleibt in meinem vom Klassenbewusstsein gerüttelten Ego: bitte nicht, nur dorthin, wo der Schulbus fährt.
Im Auto, als ich die Knaben zum Fußball bringe, nachdem ich 2 x MM angerufen habe, danke, dass er mich anhört, erkläre ich den Kindern in aller Seelenruhe wie ich meine, dass der Glaube eine individuelle Sache sei und dass ich niemanden verbieten könne, ein Gebet zu verfassen, aber auch mich niemand zwingen könne, ein Gebet zu schreiben, wenn die Anrufung Gottes für mich doch nicht in Frage käme. Weit entfernt von meinem vorigen: Soll sie sich ihr geschissenes Gebet doch selber schreiben. Der Fußballer schließt die Augen. Nach zehn Minuten sagt er, ob ich eigentlich wisse, dass man grün sehe, wenn man nach längerer Zeit die Augen wider öffne. Ich sage, ich dachte, es handle sich um orange. Kann auch sein, sagt der Fußballer. Er steigt aus dem Auto und sagt: Entschuldige wegen vorhin. Und ich weiß er meint es ernst.

Am Abend schreibe ich in sein Schultagebuch: Obwohl sich unsere Familie jeder Religion gegenüber enthält, war es unser Wunsch, in Form eines Gebets unsere Glückwünsche für die Weihe zum Priester des Don, dem unsere ganze Wertschätzung gilt, auszudrücken. Meine beiden Kinder haben gemeinsam das Gebet für den Beginn einer Arbeit als passende Botschaft ausgewählt. Mit freundlichen Grüßen Dattilografa.
Ich befürchte, sie wird es einfach vergessen haben, denn morgen ist der Tag des Sports und meine Kinder werden Volleyball spielen, statt Gebete vorzutragen. Aber MM sagt, ich hätte die Dinge mit Eleganz klar gestellt. Dafür bin ich ihm dankbar. Falls sie den Subtext nicht versteht, kann ich ihn ihr bei Gelegenheit ins Gesicht schreien: Ein Gebet ist mehr als genug.

Samstag, 6. April 2013

Komm, Herr Jesus

Der Religionsprofessor meiner großen Kinder wird zum Priester geweiht. Eigentlich haben sie ja gar keinen Religionsprofessor, denn sie nehmen offiziell am Religionsunterricht nicht teil. Schon das zweite Jahr. Als Alternative habe ich beantragt, dass in der Religionsstunde Lehrpersonal mit meinen Kindern Aufgaben macht. Ich habe mir diese Alternative sehr gemütlich vorgestellt, vor allem für mich, die ich das dann nicht mehr zu Hause machen brauche. Aber es gibt dieses geschulte Personal nicht, das mit meinen Kindern lernen möchte. Also sind meine Kinder letztes Jahr in die Religionsstunde gegangen, die Lehrerin war sympathisch und hat einen guten Eindruck bei (nicht nur) meinen Kindern gemacht, da sie, wie sie erzählte, mit ihrem Sohn Wrestlingveranstaltungen besucht. Fast ging die Sympathie soweit, dass der Fußballer sich wieder in Religion einschreiben wollte, weil ihn die Lehrerin darum gebeten hatte. Zu einem Eklat kam es nicht, denn das Schuljahr ging zu Ende und das nächste Schuljahr begann und die Lehrerin war weg, dafür gab es den blutjungen Don, der jetzt Priester wird. Alles ging weiter wie vorher, ich legte meinen Kindern nahe, die Englischhausübung in der Religionsstunde zu machen, da sie doch in der Klasse bleiben. Mein volles Verständnis dafür, dass in einer Schule mit 150 Schülern für 2 nicht am Religionsunterricht teilnehmende Kinder keine Sonderregelung geschaffen wird.
Aber eines Tages, als der Fußballer krank war, hat der Don meinen großen Sohn in die Parallelklasse geschickt, denn der Don hatte kapiert, dass meine Kinder gar nicht legal im Religionsunterricht sind. Da meine Kinder es als geringeres Übel empfanden, im Religionsunterricht zu sitzen und sich Filme über Franz von Assisi anzuschauen, als in der Parallelklasse bereits die Englischprofessorin zu genießen, die sie in der nächsten Stunde ohnehin haben, pilgerte ich zum Don, um ihn zu bitten, meine Kinder zu beheimaten. Ich dachte, es werde sich um den Austausch höflicher Worte in der Dauer von 15-20 Sekunden handeln. Weit gefehlt. Der Don war ein harter Brocken, ich aber auch. Praxis sei, Kinder, die nicht am Religionsunterreicht teilnehmen, aus der Klasse zu schicken, denn offenbar sollen sie ja nicht hören, was da unterrichtet wird, sonst wären sie ja nicht ausgeschrieben. Da hat er nicht ganz unrecht, der Don, denke ich, während ich mich frage, ob er sich eigentlich schon rasieren muss oder ob das noch ein paar Jahre dauert. Ich sage, ich hätte kein Problem, wenn meine Kinder dem Religionsunterricht zuhören, aber ich wünsche nicht, dass sie eine Prüfung ablegen und ich möchte keine Note für Religion im Zeugnis sehen. Meine Stimme ist etwas gepresst, ich weiß. Aber ich habe es gut angelegt. Sowas hat er noch nie gehört, sagt er. Er ist echt verblüfft. Was ist denn dabei, eine Prüfung in Religion zu machen? Statt ihm an die Gurgel zu springen, wiederhole ich nur, dass ich das nicht will. Jetzt hat er eine gute Idee: Er findet das diskriminierend, dass er alle anderen prüft und meine Kinder nicht. Wenn mir die Kinder nicht so leid täten, wenn sie in die andere Klasse zur Englischprof müssen, hätte ich jetzt aufgegeben und zu schreien begonnen. Aber ich habe ein Ziel und ich lasse nicht locker. Die Frau Professor Klassenvorstand kommt hinzugeeilt, man sieht, dass das Gespräch nicht konfliktfrei ist. Ich ätze, dass ich ja das, was ich angkreuzt habe, nämlich die Alternative und bitte individuelle Betreuung durch Lehrer ja nicht bekomme, daher sei es am besten, die Kinder blieben einfach in ihrer Klasse. Die Frau Professor Klassenvorstand bittet den Don, im Sinne der Accoglienza, der Aufnahme (dieses Wort gebraucht man immer im Zusammenhang mit Flüchtlingen), meine Kinder nicht mehr aus der Klasse zu schicken und ihr Wille geschehe. Ich drücke dem Don die kalte kleine Hand. Er ist immer noch fassungslos.
Ein paar Wochen später, nach dem fulminanten Coming out meiner gottlosen Kinder als Sänger bei der Weihnachtsaufführung, begegne ich dem Don wieder. Da ich sehr aufgekratzt bin, begrüße ich ihn freundlich und auch er ist freundlich. Ich stelle ihm das Kind vor und sage, dass das Kind tanzt. Der Don wird regelrecht herzlich und sagt, er tanze auch so gerne, allerdings Gesellschaftstanz. Ich bin fast versucht, das Kind für nächstes Jahr, wenn es auch die Mittelschule besuchen wird, nicht aus dem Religionsunterricht auszuschreiben. Es könnte mit dem Don in der Religionsstunde tanzen. Aber das Kind will nicht in den Religionsunterricht und es ist ihm egal, wenn es dabei das einzige Kind ist.
Übrigens haben wir vor ein paar Tagen eine ehemalige Lehrerin vom Kind getroffen und nachdem wir ein wenig geplaudert haben, sagt sie: Ich hab da nur eine kleine Frage: Wieso macht er denn keine Erstkommunion? Meine Antwort auf die kleine Frage ist ebenso klein: Wir gehen nicht in die Kirche und es scheint uns nicht richtig, ihn an etwas teilnehmen zu lassen, an das wir nicht glauben. Und wenn sie jetzt noch was sagt, dann hole ich aus und das Wort "scheinheilig" wird das mindeste sein. Nein, sie sagt gar nichts mehr. Sie hätte gerne ihre kleine Frage zurückgeholt, wenn sie könnte, sagt ihr Gesichtsausdruck. Wir verabschieden uns rasch. Wir sind übrigens keine Zeugen Jehovas, hätte ich vielleicht zur Sicherheit dazusagen können.
Jetzt steigt der Don also als Priester ein und die Kinder sollen Gebete für ihn schreiben und gehen zu Veranstaltungen, die keiner von uns durchblickt, weil wir nicht eingeweiht sind. Ich denke, wenn wir ein bisschen scheinheiliger wären, wären wir vielleicht mehr eingebunden, in die Gemeinde. Und ich bin ein bisschen melancholisch deshalb. Wenn ich meine Kinder in den Katechismus schicken würde, hätten sie vielleicht auch mehr Freunde. Vielleicht hätten sie mehr Sicherheit, wenn sie einen Glauben hätten. Vielleicht wäre das Leben einfacher, wenn die Bibel uns sagen würde, wie wir leben sollen und nicht allein meine individuellen moralischen Grundsätze. Aber ich kann nicht, es tut mir so leid lieber Jesus, ich möchte das nicht, zu einer Religion gehören, die auf deinem Tod basiert, statt auf deiner Auferstehung. Dass du den Stein weggeschoben hast, war wirklich gut, wieso stehen denn in den Kirchen keine Steine herum, sondern sind Kreuze aufgehängt und an den Hälsen auch. Du kannst auch immer zu mir kommen und mein Gast sein, ich bin gar nicht so unfreundlich. Und du musst auch nicht segnen, was du uns bescheret hast.

Sonntag, 31. März 2013

Kulturelle Missverständnisse


Meine Schwiegermutter ist bekanntlich im Spital, bzw. einer Klinik und es geht ihr meiner Meinung nach extrem gut, sie geht bereits mit Krücken und uns auf die Nerven. Sicherlich leidet sie darunter, dass sie nicht bei sich daheim ist, wo sie viel kocht und Portionen für Hafenarbeiter austeilt. Also sammelt sie Reste ihres Essens, das ihr in der Klinik von sehr nettem Personal gebracht wird. Sie schickt den Kindern halbe Panini, die die Kinder nie zu Gesicht bekommen und der Hund mit Freude verspeist. Als sie letztens das Kind gefragt hat, wie ihm das Panino mit dem Kartoffelkuchen geschmeckt hat, schaute mich das Kind fragend an, so wie ich normalerweise das Kind anschaue, wenn ich die Nonna nicht verstehe und mir das Kind freundlicherweise ihren in barschem Ton gesprochenen Dialekt auf italienisch übersetzt. "Oh das! Das hat mein Mann, dein lieber Sohn bereits auf der Fahrt nach Hause gegessen." Hm, lieber einen gefrässigen Mann vorgeben als zugeben, dass ich ihre einzig verfügbaren Gaben dem Hund verfütterere. Ein Spruch aus meiner Kindheit fällt mir im Zusammenhang mit meiner Schwiegerfamilie häufig ein: "Wie man es macht, man macht es falsch." Denn wenn meine Schwiegermutter versucht, das Kind mit Lasgane zu füttern und das Kind dankend ablehnt, wird die Nonna böse und wenn das ein paar Mal passiert, schaut sie mich empört an und droht dem Kind, dass es sie nicht mehr besuchen darf. Da zuckt das Kind mit den Achseln. Was soll es denn tun, es ist ohnehin nur hier, weil ich seine Bitten, nicht mitkommen zu müssen, nicht erhört habe.

Als meine Schwiegermutter noch im richtigen Spital war, in das man sich seine Familie zum Schutz mitnehmen muss, hat die Haushälterin meiner Schwägerin eine Nacht bei meiner Schiwegermutter verbracht, um meine Schwägerin (auch Madre Teresa des Mittelstands gennnt) zu entlasten. Danach hat meine Schwiegermutter, zwar unter großen Schmerzen, aber doch, erzählt, was alles die Haushälterin (eine aus Rumänien stammende Frau) vom Essen meiner Schwiegermutter verputzt hat. Einige halbe Gerichte, die für meine Schwiegermutter zu viel waren, waren dabei, plus ein ganzer Apfel. Für Außenstsehende klang es so, als hätte diese Frau eine Nacht neben meiner Schwiegermutter verbracht, um anschließend gierig deren Mittagessen zu verschlingen. Da ich aber meine Schwiegermutter kenne, weiß ich, dass sie, wenn auch mit letzter Kraft diese Frau genötigt hat, alles zu essen, was sie selbst nicht schaffte. Und ich wage zu behaupten, dass die Haushälterin eine erzogene Frau ist, die, um meine Schwiegermutter nicht zu beleidigen, oder vielleicht auch, weil sie Angst vor ihr hatte, nichts ablehnte, sondern höflich das übriggelassene Essen verspeiste.

Aber angesichts immer größer werdender kultureller Mißverständnisse, die, wie ich meine, auch innerhalb der eigenen Ursprungskultur passieren, kann man ganz unbeschwert leben, wenn man das tut, was man meint tun zu müssen, denn falsch ist es in jedem Fall.

Dienstag, 26. März 2013

Ein Beispiel

Wie viele alte Damen lässt sich meine Schwiegermutter eine Prothese am Knie machen, natürlich im letzten möglichen Moment, denn wie viele alte Damen glaubt sie an die wundersame Heilung abgenutzter Knochen und der häufige Besuch der Kirche ist alles in allem angenehmer als die Via crucis, sich in ein Spitalsbett zu begeben. Obwohl man dort exzellent leiden kann, was meine Schwiegrmutter mit einem Rosenkranz in der Hand in diesen Tagen tut.

Aber als ob physisches Leiden in der Karwoche nicht genug Geißelung wäre, macht man meine Schwiegermutter auch noch psychologisch fertig. Nach einer Woche im normalen Spital, hat Dr. Soundso vorgesehen, sie in seiner Klinik zu beherbergen, in der Physiotherapie vorgesehen ist.

Das normale Spital in Süditalien ist ja eine Einrichtung, deren Funktionieren ich nie verstehen werde. Dort gibt es viele Krankenpfleger und dennoch ist es üblich, wenn nicht sogar (moralische) Pflicht, dass ein Familienmitglied beim Kranken Wache hält. Rund um die Uhr. Sollte dies aus irgendwelchen Gründen nicht möglich sein, wird eine Person dafür engagiert. Meine Nachbarin verdient auf diese Weise ihr Geld und eine Nacht in einem Stuhl neben einer bettlägrigen Person ist den Familien viel wert. Meine Schwägerin hat diese Aufgabe meiner Schwiegermutter gegenüber übernommen und zu ihrem Glück oder als Erfüllung ihrer frommen Gebete, war das zweite Bett neben meiner Schwiegermutter frei und so konnte sie ihre Nächte schlafend verbringen. Die Ansicht meiner Schwiegermutter, sie müsse vor Schmerzen sterben, hat die Aufgabe meiner Schwägerin sicher nicht erleichtert und daher darf ich mich nicht lustig machen, obwohl ich dazu große Lust hätte.

So, und dann sollen die Papiere für die Überweisung in die schöne Klinik von Dr. Soundso ausgefüllt werden und es beginnt, was meine Schwiegermutter als "Oioioi una giornata nera, nera e io a piangere!" bezeichnet. Ein schwarzer Tag, an dem sie geweint hat. Denn die Überweisung, die Dr. Soundso für seine Klinik braucht (auf dass er dann das Geld, das meine Schwiegermutter dort für ihre Rehabilitationskur bezahlen sollte, von der Region Italiens, in der wir leben, zurückerstattet bekommen kann, denn klarerweise zahlt meine Schwiegermutter als fast 80 jährige Dame nichts für ihre Spitalskosten, immerhin.), muss bestätigen, dass meine Schwiegermutter nun eine Knieprothese in ihrem Bein hat, die der Rüstung von Iron Man alle Ehre machen würde. Da diese Prothese wirklich existiert und wirklich in meiner Schwiegermutter steckt, was mittels eines Röntgenbilds leicht zu beweisen wäre, kann es keine schwierige Aufgabe zu sein, eine derartige Bestätigung auszustellen. Aber diese Bestätigung wird nicht ausgestellt und obwohl ich mehrere Stunden gebraucht habe, um zu verstehen, warum, kann ich es nun ganz klar weitergeben: die Region Italiens, in der wir leben, hat den Spitälern verboten, diese Bestätigungen auszustellen, denn dann können die Menschen mit frisch eingesetzten Prothesen nicht in teure Kliniken zur Physiotherapie gehen und dann muss die Region keine hohen Kosten übernehmen.

Zum Unglück meiner Schwiegermutter wurde dies den Spitälern am Tag ihrer Operation mitgeteilt und so weigerte sich der Assistent des Arztes, der sie operiert hatte, das Formular wahrheitsgetreu auszufüllen, da er eine Buße von seiten der Region erwartete. Alternative für die Patienten war keine angedacht. Sicherlich kann auch der Rechtsweg begangen werden, aber ich nehme an, dass meine Schwiegermutter in zehn Jahren mit einem steifen Bein keine Physiotherapie mehr machen will oder kann. Also hat meine Schwägerin sich über ihr "MadreTeresa" T-Shirt einen Superwoman Umhang gelegt und hat am Tag nach dem schwarzen Tag die Ärzte bestürmt. Meine Schwiegermutter vermutet zwar, dass der Arzt, der die Überweisung machen sollte, bestochen werden wollte, aber falls dem so gewesen wäre, ist es nicht passiert. Wie genau meine Schwägerin vorgegangen ist, wird sie uns sicher gerne genauer erzählen, für den Moment wissen wir nur, dass der Arzt, den sie dann nach einem Vormittag breitgeschlagen hatte, erstens der Mann einer Arbeitskollegin von ihr war, und zweitens von ihrem Mann, einem praktischen Arzt, durch Beiziehung der halben Ärzteinnung  der Provinz und darüberhinaus, in physischer oder geistiger Form, überzeugt wurde, dieses Verbrechen gegen die Anweisung der Region zu begehen. Die Buße wird meine Schwägerin zahlen, so hat sie es versprochen. Der Akt der Befreiung meiner Schwiegermutter war von vielen "Oioioiois", Flüchen und Gebeten begleitet und einigen Haaren, die meine Schwiegermutter verloren hat, als sie sich das Haar raufte, wie sie es uns in ihrem wunderbaren Bett in der friedlichen Klinik mit Blick auf alte Pinienbäume, die im Wind rauschen, demonstriert. Im letzten Moment sei sie mit dem Krankenwagen in der Klinik angekommen, wo alle zusammengelaufen wären, um zu sehen, ob sie es wirklich und leibhaftig wäre.

Und so überleben die Italiener, obwohl sie nicht aufhören, sich Regierungen wählen, die sie ausbeuten und auf die Schlachtbank führen. Sie machen sich selbst zu den Stars in ihren persönlichen Seifenopern.

Montag, 18. Februar 2013

Was ist eine Muse?

Letztens habe ich (in einem tweet wohlgemerkt) gelesen, dass eine Frau (oder ein Mann) schreibt, weil alles, was er/sie schreibt, ein Liebesbrief an die Frau/den Mann ist (also an ein Dich ist), er/sie nie zu schreiben aufhören würde. Das gibt mir zu denken. Ganz viel. Das mit dem Liebesbrief gefällt mir gut und dass dieser nicht endet, noch viel mehr. Aber in diesem Fall handelt es sich, glaub ich, um ein Paar und das finde ich doch sehr seltsam. Kann man wirklich miteinander leben und sich derart inspirierend finden, dass man permanent am ultimativen Liebesbrief herumzukritzelt? Für mich wäre das nichts.

Nein, das mit der Muse funktioniert glaub ich anders. Ich denke, dass die Muse nicht die Lebenspartnerin ist und vielleicht nicht einmal einen echten erotischen Background hat. Die Muse inspiriert, wie beim Verliebtsein, zu sagen: Schau! Schau! Inspiriert dazu, das, was einen umgibt, mit neuen Augen zu sehen und es beschreiben zu wollen. Abbilden zu wollen. Der Wunsch nach Erotik wird durch den künstlerischen Akt sublimiert. Nehm ich an, denn wirklich studiert hab ich das ja nicht. Und die Muse lässt einen etwas tun, sie verlangt nicht und sie bewertet nicht, sonst wäre sie Auftraggeberin oder Kritikerin. Sie ist keine Freundin, sie ist absichtslos. Und sie will nichts für sich selbst. Deshalb weiß man so wenig über die Musen von Frauen, denn das wären ja in den meisten Fällen Männer und wer kennt schon absichtslose Männer, die nichts für sich selbst wollen?

Wir, ja, wir, meine großen Söhne und ich, haben ein Sonett von Dante auswendig gelernt, in dem es um die engelsgleiche Beatrice geht. Und die Beatrice war ja nicht Dantes Lebens- und Bettgefährtin sondern eben das untadelige Wesen, das ihm, dem Dante, so viele Worte verlieh. Da Beatrice im Alter von 24 Jahren verstorben ist, musste sie das unschuldig Inspirierende auch nicht mit Anstrengung verteidigen.

Es geht also darum, ein Auge auf einen Menschen zu werfen, der einem die Illusion gibt, dass das, was man macht, wichtig ist. Plötzlich hört man sich selbst schreien: We want it all and we want it now! Oh wie peinlich. Aber da steht die Muse und lächelt. Sie wendet sich ab und schwebt davon. Ihr nach!
Man wirft ein Auge auf einen Menschen, der einen antreibt. Und wehe, wenn der/die Muse dann nicht herschaut. Dann wühlt man eben noch mehr im Schlamm herum.

Natürlich hat es doch mit Erotik zu tun, aber es ist noch mehr, und vor allem endet es nicht mit der Erotik, sonst könnte man eine gefinkelte Verführung ausdenken. Doch der Ansporn, den die Muse gibt, geht über das Seufzen - endlich, endlich spüren - weit hinaus: Ich will es in deinen Körper ritzen.

Reden wir also nicht von Liebesbriefen.

Besonders gut als Musen eignen sich Menschen, die weit entfernt sind. Die man nicht unterstützen muss. Man möchte aureichend wenig von ihnen wissen, denn man möchte ihnen ja alles von sich selbst ins Gesicht klatschen. Und wenig wissen, heißt viel Spielraum in der Interpretation. Und gleichzeitig möchte man sich doch verstanden fühlen. Ein bisschen leiden sollte der andere (die Muse), sonst wäre er ja nicht sensibel genug, zu lechzen, zu verstehen und nicht erschrocken zu sein, wenn man ihm das Messer ansetzt.

Während dieses Nachdenkens, während dieses Hechelns habe ich geträumt, dass ich mit dem Schriftsteller im Bett lag. Der Schriftsteller schlief und schlief. Er wachte auch nicht auf, als ein junger Mann die Bühne (also dieses Bett) betrat und mir einen mit Aceton benetzten Finger auf die Lippen legte. Sogar in diesem angestrengten Traum wusste ich, dass man mit Aceton Nagellack entfernt, und dass es nun auf meinen Lippen brennen würde. Der junge Mann sagte: Damit du dich daran gewöhnst.
Wenn der junge Mann die Muse war, dann danke, lieber nicht.
Ich fand den gar nicht attraktiv, den jungen Mann. Ich glaube, ich habe ihn letztens in einem Video auf you tube gesehen. Warum kann ich nicht von einem gut erhaltenen Neil Young träumen?
Wieso ist der Schriftsteller bei diesem Tohuwabohu nicht aufgewacht?
Und ja: Es brennt auf den Lippen.

Donnerstag, 14. Februar 2013

Atmen ist schön

und es geht ganz leicht.
Man vergisst es nur dauernd.
Genug geschlafen zu haben ist auch hilfreich. Letztens ist es mir gelungen, mich wohl zu fühlen. Obwohl die Professorin gesagt hat, meine Kinder sollen zu einer Psychologin gehen, weil sie eben keinen Satz analysieren können und weil sie an ihrem Unterricht nicht interessiert sind. Und obwohl mir der Inhalt des Urintests meines großen Sohnes, der in einer Fußballmannschaft spielen will, über die Finger gelaufen ist. Das war alles schrecklich. Sehr schrecklich. Und ich bin dagestanden (nachdem ich mir die Hände gewaschen hatte und nachdem ich einen Kaffee getrunken und ein Cornetto Crema Amarena gegessen hatte) und obwohl das alles so schrecklich war, habe ich mich wohl gefühlt. Ich nahm an, dass es daran lag, dass ich genug geschlafen hatte. Denn das ist mein Plan: 8 Stunden täglich zu schlafen. Vielleicht lag es einfach am Kaffee und am Cornetto. Oder daran, dass ich mir die Hände gewaschen hatte?
Ich werde es weiter probieren. Das mit den 8 Stunden gelingt mir nur selten. Das mit dem Kaffee und dem Cornetto noch weniger. Mir die Hände zu waschen, sollte ich im Auge behalten, für den Notfall.
Aber das mit dem Atmen ist immer wieder eine Überraschung.
Ich hab das nicht erfunden. Meine gebildete Freundin hat es mir schon oft gesagt, aber jetzt möchte ich es in die Welt hinausschreien: Atmet, Leute, atmet.

Mit der Psychologin habe ich telefoniert. Sie hat zwar nicht gerade gelacht, aber fast. Dann hat die Professorin ihre Anfrage zurückgezogen. Wenn ich mit ihr spreche, weicht sie immer sehr weit zurück. Ich weiß, dass sie einen schlechten Atem hat, vielleicht weiß sie das auch oder auch ich habe einen schlechten Atem. Das wird mich sicher nicht daran hindern, weiter zu atmen. Im Gegenteil.

Und den Urin hat der Sohn nochmal abgegeben. Diesmal hat er den Becher sehr gut zugeschraubt. War auch nicht so schwer.

Also alles zusammen: atmen, schlafen, Kaffee trinken, Hände waschen, Cornetto essen (nach Möglichkeit Crema Amarena), mit gescheiten Menschen telefonieren und Becher gut verschrauben, vor allem wenn Urin drin ist. In zweiter Linie: arbeiten, lesen, schreiben. Aber nicht auf facebook.