Sonntag, 31. März 2013

Kulturelle Missverständnisse


Meine Schwiegermutter ist bekanntlich im Spital, bzw. einer Klinik und es geht ihr meiner Meinung nach extrem gut, sie geht bereits mit Krücken und uns auf die Nerven. Sicherlich leidet sie darunter, dass sie nicht bei sich daheim ist, wo sie viel kocht und Portionen für Hafenarbeiter austeilt. Also sammelt sie Reste ihres Essens, das ihr in der Klinik von sehr nettem Personal gebracht wird. Sie schickt den Kindern halbe Panini, die die Kinder nie zu Gesicht bekommen und der Hund mit Freude verspeist. Als sie letztens das Kind gefragt hat, wie ihm das Panino mit dem Kartoffelkuchen geschmeckt hat, schaute mich das Kind fragend an, so wie ich normalerweise das Kind anschaue, wenn ich die Nonna nicht verstehe und mir das Kind freundlicherweise ihren in barschem Ton gesprochenen Dialekt auf italienisch übersetzt. "Oh das! Das hat mein Mann, dein lieber Sohn bereits auf der Fahrt nach Hause gegessen." Hm, lieber einen gefrässigen Mann vorgeben als zugeben, dass ich ihre einzig verfügbaren Gaben dem Hund verfütterere. Ein Spruch aus meiner Kindheit fällt mir im Zusammenhang mit meiner Schwiegerfamilie häufig ein: "Wie man es macht, man macht es falsch." Denn wenn meine Schwiegermutter versucht, das Kind mit Lasgane zu füttern und das Kind dankend ablehnt, wird die Nonna böse und wenn das ein paar Mal passiert, schaut sie mich empört an und droht dem Kind, dass es sie nicht mehr besuchen darf. Da zuckt das Kind mit den Achseln. Was soll es denn tun, es ist ohnehin nur hier, weil ich seine Bitten, nicht mitkommen zu müssen, nicht erhört habe.

Als meine Schwiegermutter noch im richtigen Spital war, in das man sich seine Familie zum Schutz mitnehmen muss, hat die Haushälterin meiner Schwägerin eine Nacht bei meiner Schiwegermutter verbracht, um meine Schwägerin (auch Madre Teresa des Mittelstands gennnt) zu entlasten. Danach hat meine Schwiegermutter, zwar unter großen Schmerzen, aber doch, erzählt, was alles die Haushälterin (eine aus Rumänien stammende Frau) vom Essen meiner Schwiegermutter verputzt hat. Einige halbe Gerichte, die für meine Schwiegermutter zu viel waren, waren dabei, plus ein ganzer Apfel. Für Außenstsehende klang es so, als hätte diese Frau eine Nacht neben meiner Schwiegermutter verbracht, um anschließend gierig deren Mittagessen zu verschlingen. Da ich aber meine Schwiegermutter kenne, weiß ich, dass sie, wenn auch mit letzter Kraft diese Frau genötigt hat, alles zu essen, was sie selbst nicht schaffte. Und ich wage zu behaupten, dass die Haushälterin eine erzogene Frau ist, die, um meine Schwiegermutter nicht zu beleidigen, oder vielleicht auch, weil sie Angst vor ihr hatte, nichts ablehnte, sondern höflich das übriggelassene Essen verspeiste.

Aber angesichts immer größer werdender kultureller Mißverständnisse, die, wie ich meine, auch innerhalb der eigenen Ursprungskultur passieren, kann man ganz unbeschwert leben, wenn man das tut, was man meint tun zu müssen, denn falsch ist es in jedem Fall.

Dienstag, 26. März 2013

Ein Beispiel

Wie viele alte Damen lässt sich meine Schwiegermutter eine Prothese am Knie machen, natürlich im letzten möglichen Moment, denn wie viele alte Damen glaubt sie an die wundersame Heilung abgenutzter Knochen und der häufige Besuch der Kirche ist alles in allem angenehmer als die Via crucis, sich in ein Spitalsbett zu begeben. Obwohl man dort exzellent leiden kann, was meine Schwiegrmutter mit einem Rosenkranz in der Hand in diesen Tagen tut.

Aber als ob physisches Leiden in der Karwoche nicht genug Geißelung wäre, macht man meine Schwiegermutter auch noch psychologisch fertig. Nach einer Woche im normalen Spital, hat Dr. Soundso vorgesehen, sie in seiner Klinik zu beherbergen, in der Physiotherapie vorgesehen ist.

Das normale Spital in Süditalien ist ja eine Einrichtung, deren Funktionieren ich nie verstehen werde. Dort gibt es viele Krankenpfleger und dennoch ist es üblich, wenn nicht sogar (moralische) Pflicht, dass ein Familienmitglied beim Kranken Wache hält. Rund um die Uhr. Sollte dies aus irgendwelchen Gründen nicht möglich sein, wird eine Person dafür engagiert. Meine Nachbarin verdient auf diese Weise ihr Geld und eine Nacht in einem Stuhl neben einer bettlägrigen Person ist den Familien viel wert. Meine Schwägerin hat diese Aufgabe meiner Schwiegermutter gegenüber übernommen und zu ihrem Glück oder als Erfüllung ihrer frommen Gebete, war das zweite Bett neben meiner Schwiegermutter frei und so konnte sie ihre Nächte schlafend verbringen. Die Ansicht meiner Schwiegermutter, sie müsse vor Schmerzen sterben, hat die Aufgabe meiner Schwägerin sicher nicht erleichtert und daher darf ich mich nicht lustig machen, obwohl ich dazu große Lust hätte.

So, und dann sollen die Papiere für die Überweisung in die schöne Klinik von Dr. Soundso ausgefüllt werden und es beginnt, was meine Schwiegermutter als "Oioioi una giornata nera, nera e io a piangere!" bezeichnet. Ein schwarzer Tag, an dem sie geweint hat. Denn die Überweisung, die Dr. Soundso für seine Klinik braucht (auf dass er dann das Geld, das meine Schwiegermutter dort für ihre Rehabilitationskur bezahlen sollte, von der Region Italiens, in der wir leben, zurückerstattet bekommen kann, denn klarerweise zahlt meine Schwiegermutter als fast 80 jährige Dame nichts für ihre Spitalskosten, immerhin.), muss bestätigen, dass meine Schwiegermutter nun eine Knieprothese in ihrem Bein hat, die der Rüstung von Iron Man alle Ehre machen würde. Da diese Prothese wirklich existiert und wirklich in meiner Schwiegermutter steckt, was mittels eines Röntgenbilds leicht zu beweisen wäre, kann es keine schwierige Aufgabe zu sein, eine derartige Bestätigung auszustellen. Aber diese Bestätigung wird nicht ausgestellt und obwohl ich mehrere Stunden gebraucht habe, um zu verstehen, warum, kann ich es nun ganz klar weitergeben: die Region Italiens, in der wir leben, hat den Spitälern verboten, diese Bestätigungen auszustellen, denn dann können die Menschen mit frisch eingesetzten Prothesen nicht in teure Kliniken zur Physiotherapie gehen und dann muss die Region keine hohen Kosten übernehmen.

Zum Unglück meiner Schwiegermutter wurde dies den Spitälern am Tag ihrer Operation mitgeteilt und so weigerte sich der Assistent des Arztes, der sie operiert hatte, das Formular wahrheitsgetreu auszufüllen, da er eine Buße von seiten der Region erwartete. Alternative für die Patienten war keine angedacht. Sicherlich kann auch der Rechtsweg begangen werden, aber ich nehme an, dass meine Schwiegermutter in zehn Jahren mit einem steifen Bein keine Physiotherapie mehr machen will oder kann. Also hat meine Schwägerin sich über ihr "MadreTeresa" T-Shirt einen Superwoman Umhang gelegt und hat am Tag nach dem schwarzen Tag die Ärzte bestürmt. Meine Schwiegermutter vermutet zwar, dass der Arzt, der die Überweisung machen sollte, bestochen werden wollte, aber falls dem so gewesen wäre, ist es nicht passiert. Wie genau meine Schwägerin vorgegangen ist, wird sie uns sicher gerne genauer erzählen, für den Moment wissen wir nur, dass der Arzt, den sie dann nach einem Vormittag breitgeschlagen hatte, erstens der Mann einer Arbeitskollegin von ihr war, und zweitens von ihrem Mann, einem praktischen Arzt, durch Beiziehung der halben Ärzteinnung  der Provinz und darüberhinaus, in physischer oder geistiger Form, überzeugt wurde, dieses Verbrechen gegen die Anweisung der Region zu begehen. Die Buße wird meine Schwägerin zahlen, so hat sie es versprochen. Der Akt der Befreiung meiner Schwiegermutter war von vielen "Oioioiois", Flüchen und Gebeten begleitet und einigen Haaren, die meine Schwiegermutter verloren hat, als sie sich das Haar raufte, wie sie es uns in ihrem wunderbaren Bett in der friedlichen Klinik mit Blick auf alte Pinienbäume, die im Wind rauschen, demonstriert. Im letzten Moment sei sie mit dem Krankenwagen in der Klinik angekommen, wo alle zusammengelaufen wären, um zu sehen, ob sie es wirklich und leibhaftig wäre.

Und so überleben die Italiener, obwohl sie nicht aufhören, sich Regierungen wählen, die sie ausbeuten und auf die Schlachtbank führen. Sie machen sich selbst zu den Stars in ihren persönlichen Seifenopern.