Sonntag, 11. Februar 2018

Die Generation der neuen Empfindsamkeit und ihre Eltern

Zumindest in Italien ist es ein Gwirx.

Vielleicht ist in meinem Herkunftsland alles gleich geblieben. Wir wollten alles, als wir jung waren. Alles, außer unsere Eltern in irgendwas zu involvieren.

Hier ist alles ein Mischmasch. Zu beobachten begonnen habe ich dies, anlässlich der großen Liebe des Fußballers zur Mutter seiner Freundin, eine tolle Person, mehr eine Freundin der Tochter, als eine Mutter.
Schon muss ich innerlich stöhnen. Eine Mutter als Freundin? Wie ungustiös. Alles, nur nicht das. Fotos von ihm, der Freundin und der Mutter werden gemacht und aufgehängt. Ich versuche, möglichst abwesend zu bleiben. Irgendwann ist es unvermeidlich. Das Verhältnis zwischen mir und der Mutter der Freundin meines Sohns bleibt kalt. Wie könnte es auch anders sein, schließlich bin ich, im Gegensatz zu ihr, seine Mutter und alles andere als seine Freundin.

Später wird er sich von der Freundin trennen, weil er mit der Mutter nicht zurecht kommt und der Freundin vorwirft, immer mit der Mutter zusammenzustecken.

Der nächste Fall ist mein großer Sohn, der nach einem extremen Auf und Ab, eine Zeit lang im selben Haus wie die Eltern seiner Freundin lebt. Große Konflikte, absolute Präsenz der Eltern. In seinen Erzählungen geht es jetzt mehr um die Eltern, als um sie.

Meine Eltern haben meine Freunde oft gar nicht gekannt. Der einzige Fall, in dem sie das taten, war mir eine Lehre. Mein Freund aß für sein Leben gerne Firn-Bonbons und noch Jahre nachdem wir uns getrennt hatten, standen die Firn-Bonbons in einer Schüssel bei meinen Eltern herum und sahen mich vorwurfsvoll wir meine Mutter an.

Der aktuelle Fall ist der des Kindes. Mein jüngster Sohn verkündet, er hätte jetzt eine Freundin. Eine wunderschöne junge Frau, die außer schön zu sein, offenbar zurückhaltend ist, was er erwähnenswert findet. Die Gelegenheit, zusammenzukommen, hat, so erzählt er, die Mutter des Mädchens gegeben. Sie nennt ihn auch "Schwiegersöhnchen".

So wie ihn die Freundin des Fußballers "mein Lieblings-Schwager" genannt hat.

Könnte ich Comix zeichnen, würde ich mich unter eine Bettdecke zeichnen, in der ich eine kleine Bombe nach der anderen anfertige. Ich habe nichts gegen die Freundinnen und Exfreundinnen meiner Söhne. A priori. Mir gehen ihre Mütter auf die Nerven.

Später wird alles auf der großen Bühne von Facebook dargestellt. Zuerst die Liebe, dann die Trennung. 5000 Freunde sind dabei. Die Mütter haben als Status ihres Whatsapp-Accounts Sprüche wie: "Ich bleibe immer an deiner Seite." Arme Töchter.

Meine Schwiegermutter (die immerhin nie versucht hat, irgendjemandes Freundin zu sein) sagt zu meinen Söhnen, dass sie noch viele Freundinnen haben werden. Aber meine Söhne wollen nur sie, die eine, die erste oder zweite, jedenfalls die große Liebe. Dann trennen sie sich und schreiben sich gefühlt 3 Nachrichten pro Minute.

Oder sie trennen sich für immer, das heißt, dass die Tochter der Mutter, die immer an ihrer Seite stehen wird, meinen Söhnen, den Brüdern des Trennungsfalls, schreibt, sie wird ihre Nummern löschen, denn sie wolle nicht mehr erinnert werden. Ist ja gut. Auch in meiner Jugend hat man Nummern ausgestrichen, Seiten aus Telefonbüchern gefetzt, ohne es irgendjemand anzukündigen. Die Vorstellung, ich stehe in einer Telefonzelle und sage zu den Geschwistern meines Exfreundes: "Ich streiche deine Nummer aus meinem Telefonbuch", erscheint mir sehr lustig.

Klar, auch vor 30 Jahren fand nicht jede Trennung ohne anschließende allgemeine Verhandlung statt. Aber die Mütter waren keine Freundinnen. Sie mischten sich ein, aber wir ließen es nicht zu. Sie dachten von einem 16-Jährigen nicht, es sei ihr kleiner oder großer Schwiegersohn.

Ich merke zusehends, dass ich etwas, was vergangen ist, positiver sehe, als die Gegenwart. Ich habe eine nostalgische Haltung, wie man sie den republikanischen Amerikanern gegenwärtig nachsagt. Ich beklage den Mangel an Privatheit, die mangelnde Robustheit in Gefühlsdingen in der Generation meiner Söhne. Die Abwesenheit eines ureigenen Lebensprojekts abseits einer bestimmten Person.

Ich glaube, dass die Freundinnen meiner Söhne, aktuell, ehemals und zukünftig, unter meiner Nonchalance leiden. Es ist ein ehrliches Desinteresse. Ich will es lieber nicht wissen. Wenn ich erfahre, welchen Blödsinn sie verzapfen - und davon ist mir einiger zu Ohren gekommen - möchte ich nicht sagen, wie dumm ich sie finde. Ich möchte nicht mit meinen Söhnen streiten müssen. Ich weiß, dass sie von mir nicht hören wollen, dass ich die Aussagen ihrer Freundinnen nicht tolerieren kann. Also will ich sie einfach nicht hören.

Die Beziehungen meiner Söhne sind, wie sie sich bis jetzt gezeigt haben, keine aufregenden, inspirierenden Begegnungen, die mit Kraft für die Zukunft aufladen, sondern mit Eifersucht und Besitzgedanken erfüllte, fieberhafte Zustände, die sich in tage- und nächtelangem Schreiben von Nachrichten entladen.
Vielleicht darf es nicht verwundern, dass meine Söhne dankbare Gefühle für die häkelnden und Lasagne-kochenden Mütter der Freundinnen hegen, welche stets um eine Schlichtung in jedem Konflikt bemüht sind.

Was ich neuerdings auch verstehe, ist, warum die Leute an Gott glauben. Es erlaubt ihnen, zu beten. Ich möchte das auch, ich möchte stundenlang beten. So intensiv, wie meine Söhne Nachrichten schreiben. Ich möchte den lieben Gott darum bitten, ihnen ein Buch zu geben. Nein, die Bücher habe ich ihnen ohnehin schon gegeben. Ich möchte den lieben Gott bitten, dass sie die Bücher lesen. Dann würden sie erkennen, dass sie nicht alleine sind. Dass viele Männer und Frauen vor ihnen gelebt haben. Dass sie aufgeschrieben haben, wie sie ihre Probleme überlebt und mitunter sogar gemeistert haben. Dass man beim Lesen eines Buchs als geringst mögliche positive Auswirkung einfach von seinem quälenden Nichtwissen abgelenkt wird.

Ich möchte vor meinem Bett knien und die Hände falten und bitten: "Lieber Gott, gib meinen Kindern Verstand und schicke ihnen, wenn es leicht geht, bitte, eine Freundin, die ihnen Mut und Selbstvertrauen gibt, die ihnen Freiheit läßt und die keine Freundin zur Mutter hat, oder zumindest eine erwachsene Frau als Mutter, die sich um ihr eigenes Leben kümmert und sich nicht in das ihrer Tochter einmischt." Oder weniger fordernd, etwas zu leisten, was mir als Mutter offenbar nicht gelungen ist: "Schick ihnen eine Freundin, die mutig ist, Selbstvertrauen hat und die nicht meint, dass man einen anderen Menschen besitzen muss, um glücklich zu sein. Mach bitte außerdem, dass auf Facebook nicht mehr öffentliche Liebeserklärungen geteilt werden, die später zurückgenommen werden müssen, sondern spannende Fortsetzungsromane, möglichst in der wilden und unberührten Natur, danke."