Mittwoch, 19. November 2014

Hühnerbegräbnis


In der Genealogie der Hunde, die wir bis jetzt als unsere bezeichnet haben, ist Tommy derzeit der einzige Hund, der uns Gesellschaft leistet.
Tommy ist Bertas Sohn. Berta war ein Schäferhund mit abgeschnittenem Schwanz, der böse die Zähne fletschen konnte und eines mehr als ein Jahr zurückliegenden Tages sehr mager und offensichtlich verstoßen oder geflohen auf unserer Terrasse vorstellig wurde und sich nach kurzer Bedenkzeit bei uns niederließ. Mittlerweile hat sie uns verlassen um in die wahrhaft ewigen Jagdgründe einzugehen. Berta hatte eine Vorliebe für Igel, die sie in ihre Hundehütte brachte, ohne dass wir je gesehen haben, wie sie das machte. Ich trug diese Igel, zumindest glaube ich, dass es nicht immer ein und derselbe war, auf einer Mistschaufel zu den Hennen, legte sie dort ins Gestrüpp, kauerte mich eine Zeitlang zu ihnen, um zu beobachten, was sie taten. Sie atmeten. Am nächsten Tag waren sie dann immer weg.

Tommy ist ein schwarzer Hund mit weißer Brust und hat eine Freundin namens Zora, ebenfalls schwarz und aus einer Rasse stammend. Zugegebenermaßen finde ich, dass Zora dümmer als Tommy dreinschaut. Beide schauen sie naiv. Beide werden sie von den Nachbarn beschuldigt, sämtliches frisch gepflanzte Gemüse ausgegraben zu haben und sich an Kaninchen zu vergehen. Ich habe das nie gesehen und war bis vor kurzem bereit, meine Hand für Tommys Unschuld ins Feuer zu legen.
Bis das Huhn auf der Terrasse lag. Das Huhn war schwarz und möglicherweise eine Henne. Zuerst habe ich nur etwas schwarzes gesehen und hatte ein unangenehmes Gefühl. Während ich noch mit dem Kind über die Fläche einer Raute sprach, die einem Viertel eines äquivalenten Quadrats entspricht, ging ich auf die Terrasse und stellte fest, dass das Schwarze eben ein Vogel ohne Kopf war. Das Kind und ich haben uns erschrocken angesehen. Dann gingen wir zum Hühnerhof, in Hausschuhen und zählten unsere Hühner, was nicht schwer ist, wir haben nur zwei schwarze Hennen und beide kamen fröhlich auf uns zugestolpert.

Das Massaker betraf also irgendwelche Nachbarn, was fast noch unangenehmer war. Vor ein paar Jahren, als unser Hund Benny allerlei Unfug anstellte, was ihm schlußendlich möglicherweise das Leben gekostet hat, habe ich auch ein Huhn gefunden. Ich habe es damals in einen Plastiksack gesteckt und bin eine riesige Runde gegangen und alle Nachbarn behaupteten, dass ihnen dieses Huhn nicht gehöre. Mittlerweile glaube ich fast, sie haben es aus irgendwelchen Gründen des Ehrenkodex nicht zugegeben. Jedenfalls wusste ich schon, dass ich den Besitzer der schwarzen kleinen Henne gar nicht erst zu suchen brauchte. Ich wollte die Henne gerne mit einer Schaufel einfach in den Weingarten schmeißen. Ich mache das oft mit unliebsamen Dingen wie Hunde- oder Katzenscheiße. Aber schon die Igel musste ich weiter wegbringen, ins eingezäunten Hennengehege, weil Berta sie sonst wiedergebracht hätte. Also widerstand ich der Versuchung der einfachen Lösung, aus Angst, Timmy könne den Vogel wieder und wieder bringen und jedes Mal wäre ein Stück weniger dran. Was hätte mein abwesender Mann gemacht? Ich ließ die Schaufel stehen und griff zum Telefon. MM gab mir Anweisungen, das Tier unter dem Birnbaum zu vergraben. In meiner Aufregung wusste ich gar nicht, von welchem Birnbaum er sprach, aber ich konnte mir eine Idee machen und ging auf jeden Fall unter einen Obstbaum und begann, zu graben. Es hat monatelang nicht geregnet und ich hatte das Gefühl, Zement aufzugraben. Ich dachte, ich werde es nie schaffen, ein entsprechend großes Loch zu graben, da half mir auch die Kenntnis der Formeln für Flächen nicht. Und auch wenn ich die Kubikzentimeter berechnen hätte können, wäre mir nicht leichter gewesen. Zentimeter für Zentimeter, Gramm für Gramm hob ich die trockene Erde ab. Ich musste an meine Kindheit denken, als ich im Weingarten meines Vaters Löcher grub, um Dinge zu verstecken, die ich später, in meiner Eigenschaft als Detektivin wieder finden würde. Ich musste an Patricia Highsmiths Kriminalromane denken und wie unfähig ich war, eine Leiche verschwinden zu lassen, auch wenn es sich nur um einen Tierkadaver handelte. Ich musste denken, dass in einer zivilisierten Gesellschaft andere Methoden existieren, sich eines Tierkörpers zu entledigen, aber da ich in einem Teil Europas wohne, in dem derzeit der Müll seit drei Wochen nicht abgeholt wird, fühle ich mich durchaus berechtigt, die Henne unter die Erde zu bringen.

Mittlerweile schwitze ich schon ziemlich, aber das Loch ist doch ein bisschen größer geworden. Noch ein bisschen Anstrengung und Stöhnen und dann nehme ich die Henne wieder auf die Schaufel und lasse sie in die Aushebung plumpsen. Ich lege mit der Schaufel die Klauen zusammen. Zum Glück hat das Tier keinen Kopf mehr und wirkt dadurch abstrakter. Es verschwindet nicht ganz im Loch und als ich es mit Erde bedecke, bleibt ein kleiner Hügel. Ich lege trockenes Gras darauf.

100 m weiter unten ist einer der Nachbarn mit seinen Schafen unterwegs, ich höre ihn mit ihnen sprechen. Ich denke, dass das beste Verbrechen unter den Augen aller vollzogen wird. Eben Patricia Highsmith.

Am nächsten Tag gehe ich durch den Obstgarten und stelle fest, dass mein Hühnergrab unberührt und nur noch an der Grasbedeckung für mich zu erkennen ist. Ich bin fast stolz auf mich. Ich will ja immer die sein, die im Holzfällerhemd das Holz fällt und vor allem mit der Grasschneidemaschine Gras schneidet. Aber ich habe kein Holzfällerhemd und MM hat mir verboten, die Kettensäge zu benutzen.

Am übernächsten Tag liegt wieder etwas auf der Terrasse. Was ist das? Es sieht aus wie ein Stofftier. Ein sehr teures Stofftier. Oh nein, zum Glück ist keiner der Jungs zu Hause. Tommy ist an der Leine. Diesmal ist er wirklich unschuldig. Dieses Kaninchen hat Zora gebracht, die am Morgen hier mit Tommy gespielt hat, bevor ich ihn angeleint habe. Es ist ein graues Kaninchen, wieder ohne Kopf. Es sieht sehr weich aus und hat entzückende Läufe. Diesmal muss ich niemanden mehr um Rat fragen. Einen Moment bin ich versucht, zur Nachbarin zu gehen und ihr zu sagen, dass es Zora war, denn Tommy kann sich nicht alleine ab- und wieder anleinen. Aber ich nehme davon Abstand. Eigentlich weil ich Angst habe, was sie mir dann für Schauergeschichten über umgewühlte Salatbeete und in der Gegend herumkollernde Kürbisse erzählen könnte.

Ich hebe das Kaninchen auf die Schaufel und gehe zum Birnbaum hinunter. Heute bin ich schon ein bisschen flotter, dafür muss die Grube tiefer sein. Das Kaninchen ist erstaunlich beweglich und faltet sich in seinem Loch zusammen. Die Erde ist immer noch trocken und ich lege zum Abschluss einige Steine auf das Grab, um anderen Hunden eine Exhumierung schwerer zu machen.

Und so macht jeder, was er machen muss.