Tommy ist Bertas Sohn. Berta war ein
Schäferhund mit abgeschnittenem Schwanz, der böse die Zähne
fletschen konnte und eines mehr als ein Jahr zurückliegenden Tages sehr mager
und offensichtlich verstoßen oder geflohen auf unserer Terrasse
vorstellig wurde und sich nach kurzer Bedenkzeit bei uns niederließ.
Mittlerweile hat sie uns verlassen um in die wahrhaft ewigen
Jagdgründe einzugehen. Berta hatte eine Vorliebe für Igel, die sie
in ihre Hundehütte brachte, ohne dass wir je gesehen haben, wie sie das
machte. Ich trug diese Igel, zumindest glaube ich, dass es nicht
immer ein und derselbe war, auf einer Mistschaufel zu den Hennen,
legte sie dort ins Gestrüpp, kauerte mich eine Zeitlang zu ihnen, um
zu beobachten, was sie taten. Sie atmeten. Am nächsten Tag waren sie
dann immer weg.
Tommy ist ein schwarzer Hund mit weißer
Brust und hat eine Freundin namens Zora, ebenfalls schwarz und aus
einer Rasse stammend. Zugegebenermaßen finde ich, dass Zora dümmer
als Tommy dreinschaut. Beide schauen sie naiv. Beide werden sie von
den Nachbarn beschuldigt, sämtliches frisch gepflanzte Gemüse
ausgegraben zu haben und sich an Kaninchen zu vergehen. Ich habe das
nie gesehen und war bis vor kurzem bereit, meine Hand für Tommys
Unschuld ins Feuer zu legen.
Bis das Huhn auf der Terrasse lag. Das
Huhn war schwarz und möglicherweise eine Henne. Zuerst habe ich nur
etwas schwarzes gesehen und hatte ein unangenehmes Gefühl. Während
ich noch mit dem Kind über die Fläche einer Raute sprach, die einem
Viertel eines äquivalenten Quadrats entspricht, ging ich auf die
Terrasse und stellte fest, dass das Schwarze eben ein Vogel ohne Kopf
war. Das Kind und ich haben uns erschrocken angesehen. Dann gingen
wir zum Hühnerhof, in Hausschuhen und zählten unsere Hühner, was
nicht schwer ist, wir haben nur zwei schwarze Hennen und beide kamen
fröhlich auf uns zugestolpert.
Das Massaker betraf also irgendwelche
Nachbarn, was fast noch unangenehmer war. Vor ein paar Jahren, als
unser Hund Benny allerlei Unfug anstellte, was ihm schlußendlich
möglicherweise das Leben gekostet hat, habe ich auch ein Huhn
gefunden. Ich habe es damals in einen Plastiksack gesteckt und bin
eine riesige Runde gegangen und alle Nachbarn behaupteten, dass ihnen
dieses Huhn nicht gehöre. Mittlerweile glaube ich fast, sie haben es
aus irgendwelchen Gründen des Ehrenkodex nicht zugegeben. Jedenfalls
wusste ich schon, dass ich den Besitzer der schwarzen kleinen Henne
gar nicht erst zu suchen brauchte. Ich wollte die Henne gerne mit
einer Schaufel einfach in den Weingarten schmeißen. Ich mache das
oft mit unliebsamen Dingen wie Hunde- oder Katzenscheiße. Aber schon
die Igel musste ich weiter wegbringen, ins eingezäunten
Hennengehege, weil Berta sie sonst wiedergebracht hätte. Also
widerstand ich der Versuchung der einfachen Lösung, aus Angst, Timmy
könne den Vogel wieder und wieder bringen und jedes Mal wäre ein
Stück weniger dran. Was hätte mein abwesender Mann gemacht? Ich
ließ die Schaufel stehen und griff zum Telefon. MM gab mir
Anweisungen, das Tier unter dem Birnbaum zu vergraben. In meiner
Aufregung wusste ich gar nicht, von welchem Birnbaum er sprach, aber
ich konnte mir eine Idee machen und ging auf jeden Fall unter einen Obstbaum und begann, zu graben. Es hat monatelang nicht
geregnet und ich hatte das Gefühl, Zement aufzugraben. Ich dachte,
ich werde es nie schaffen, ein entsprechend großes Loch zu graben,
da half mir auch die Kenntnis der Formeln für Flächen nicht.
Und auch wenn ich die Kubikzentimeter berechnen hätte können, wäre mir nicht leichter gewesen. Zentimeter für Zentimeter, Gramm für Gramm hob ich die trockene
Erde ab. Ich musste an meine Kindheit denken, als ich im Weingarten
meines Vaters Löcher grub, um Dinge zu verstecken, die ich später,
in meiner Eigenschaft als Detektivin wieder finden würde. Ich musste
an Patricia Highsmiths Kriminalromane denken und wie unfähig ich
war, eine Leiche verschwinden zu lassen, auch wenn es sich nur um
einen Tierkadaver handelte. Ich musste denken, dass in einer
zivilisierten Gesellschaft andere Methoden existieren, sich eines
Tierkörpers zu entledigen, aber da ich in einem Teil Europas wohne,
in dem derzeit der Müll seit drei Wochen nicht abgeholt
wird, fühle ich mich durchaus berechtigt, die Henne unter die Erde
zu bringen.
Mittlerweile schwitze ich schon
ziemlich, aber das Loch ist doch ein bisschen größer geworden. Noch
ein bisschen Anstrengung und Stöhnen und dann nehme ich die Henne
wieder auf die Schaufel und lasse sie in die Aushebung plumpsen. Ich
lege mit der Schaufel die Klauen zusammen. Zum Glück hat das Tier
keinen Kopf mehr und wirkt dadurch abstrakter. Es verschwindet nicht
ganz im Loch und als ich es mit Erde bedecke, bleibt ein kleiner
Hügel. Ich lege trockenes Gras darauf.
100 m weiter unten ist einer der
Nachbarn mit seinen Schafen unterwegs, ich höre ihn mit ihnen
sprechen. Ich denke, dass das beste Verbrechen unter den Augen aller
vollzogen wird. Eben Patricia Highsmith.
Am nächsten Tag gehe ich durch den
Obstgarten und stelle fest, dass mein Hühnergrab unberührt und nur
noch an der Grasbedeckung für mich zu erkennen ist. Ich bin fast
stolz auf mich. Ich will ja immer die sein, die im Holzfällerhemd
das Holz fällt und vor allem mit der Grasschneidemaschine Gras
schneidet. Aber ich habe kein Holzfällerhemd und MM hat mir
verboten, die Kettensäge zu benutzen.
Am übernächsten Tag liegt wieder
etwas auf der Terrasse. Was ist das? Es sieht aus wie ein Stofftier.
Ein sehr teures Stofftier. Oh nein, zum Glück ist keiner der Jungs
zu Hause. Tommy ist an der Leine. Diesmal ist er wirklich
unschuldig. Dieses Kaninchen hat Zora gebracht, die am Morgen
hier mit Tommy gespielt hat, bevor ich ihn angeleint habe. Es ist ein
graues Kaninchen, wieder ohne Kopf. Es sieht sehr weich aus und hat
entzückende Läufe. Diesmal muss ich niemanden mehr um Rat fragen.
Einen Moment bin ich versucht, zur Nachbarin zu gehen und ihr zu
sagen, dass es Zora war, denn Tommy kann sich nicht alleine ab- und
wieder anleinen. Aber ich nehme davon Abstand. Eigentlich weil ich
Angst habe, was sie mir dann für Schauergeschichten über umgewühlte
Salatbeete und in der Gegend herumkollernde Kürbisse erzählen
könnte.
Ich hebe das Kaninchen auf die Schaufel
und gehe zum Birnbaum hinunter. Heute bin ich schon ein bisschen
flotter, dafür muss die Grube tiefer sein. Das Kaninchen ist
erstaunlich beweglich und faltet sich in seinem Loch zusammen. Die
Erde ist immer noch trocken und ich lege zum Abschluss einige Steine
auf das Grab, um anderen Hunden eine Exhumierung schwerer zu machen.
Und so macht jeder, was er machen muss.
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