Freitag, 5. Dezember 2014

Männer



Hinter unterem Haus stand einst ein Feigenbaum. Er trug einen Teil zu der romantischen Atmosphäre bei, die uns derart gefiel, dass wir dieses Haus kauften. Neben einem Apfelbaum fiel dieser Feigenbaum der Säge zum Opfer. An seiner Stelle wurde ein Parkplatz für unser Auto geschaffen. Hinter dem ehemaligen Feigenbaum wurden riesige Eisenkörbe mit großen Steinen in die Erde gepfropft, auf dass auch LKWs an unser Haus herankönnen und es wurde eine bereits bestehende Mauer erhöht. Damit eben das Auto gut parken kann. Der Feigenbaum zog ohnehin nur Wespen und andere gefährliche Insekten an, wurde mir erklärt.

Der Nachbar zog auch seinen Nutzen aus unseren grobschlächtigen Veränderungen und baute den winzigen Trampelpfad, der hinter unserem Haus zu seinem Haus führte in eine ungepflasterte Straße aus, über die er nicht nur Zugang zur kleinen öffentlichen Straße hat, sondern auf der auch seine Söhne, Schwiegersöhne und Enkel mit Kindermotorrädern, normalen Motorrädern und Motocross-Maschinen fahren.

Vier Jahre stand nun also unser kleines rotes Auto unter einem großen Eichenbaum am oberen Rand dieser immer unverputzt gebliebenen Mauer geparkt, wenn es zu Hause war. Zwischen Mauer und Haus spielten die Jungs Fußball, manchmal mit den Jungs vom Nachbarn. Der linke Nachbar und seine Frau pendeln zwischen ihrem Haus und dem Anwesen des rechten Nachbarn hin und her, denn sie bestellen dessen Garten. Links und rechts sind in diesem Fall von unserem Haus aus gesehene Richtungen und keine politischen Haltungen. Unter dem großen Eichenbaum wird das rote Auto, zumindest im Herbst, von einer klebrigen Schicht überzogen.

Eines Tages im Frühling kam der Nachbar und sagte zu MM, dass er glaube, diese Mauer müsse verbessert werden, denn sie habe sich ausgebeult und man möge ein Unglück vermeiden, schließlich spielen ja Kinder im Schatten dieser Mauer. Das wunderte mich gar nicht, denn aus dieser Mauer hatte ich schon Wasser kommen sehen, aber wie konnte ich annehmen, dass dies nicht ordnungsgemäß war, schließlich wurde diese Mauer nicht vor hundert Jahren hinter dem vor hundert Jahren erbauten Haus gebaut, sondern vor fünf Jahren, als das hundertjährige Haus renoviert wurde. Und zwar von legal bezahlten Fachkräften. Eine Schlange wohnte auch in der Mauer, aber das sagte ich niemandem, denn ich weiß, dass sich die meisten Leute, darunter auch unsere Nachbarin, vor Schlangen fürchten. Außerdem wohnte die Schlange, wenn ich genau sein möchte, nicht in der Mauer, sondern hinter der Mauer.

Nach einigen Wochen Ungläubigkeit sah auch MM ein, dass die Erde über der Mauer eine Art Wasserbecken gebildet hatte, die das Wasser auffing und durchsickern ließ, statt es abzuleiten. Dadurch hatte sich die Erde ausgebreitet und gegen die Mauer gedrückt. So habe ich es mir zumindest vorgestellt. Und wer war schuld? Der Obermaurer. Der Obermaurer, den ich einst so kompetent und liebenswert gefunden hatte, ist für mich mittlerweile an allem schuld, was nicht funktioniert, schmutzig ist oder nach wenigen Jahren ausgetauscht werden muss. Das verbindet ihn mit meinem Ehemann. Und tatsächlich verteidigte dieser den Obermaurer. Also hatten sie gemeinsam eine inkompetente Entscheidung getroffen und eine rachitische Mauer gebaut, die dazu bestimmt war, nach fünf Jahren abgerissen zu werden, auf dass kein Unglück geschehe.

Ich möchte keinesfalls viele Worte zum Mauerabriss und zum Maueraufbau verschwenden. Nur so viel: Es hat lange gedauert. Es war teuer. Es sieht hässlich aus.

Jetzt sind alle zufrieden. MM, der Nachbar, der (für uns neue) Maurer. Sogar meine großen Söhne wurden eingebunden und konnten sich mit stundenweiser Hilfe Geld verdienen.

Ich habe die Vision, dass alle Häuser und Bauten auf unserem Hügel durch ein Erdbeben oder eine andere apokalyptische Naturkatastrophe zusammenbrechen und ins Meer gespült werden, während diese neue Mauer stehen bleiben wird. Man wird sie auf Satellitenbildern ausnehmen können und ich überlege mir, ob ich eine Nachricht für die Generationen oder Lebensformen, die nach uns kommen werden, in dieser Mauer hinterlassen soll.

Und das rote Auto parkt jetzt nicht mehr auf durstiger Erde, sondern auf ästhetisch wertvoll regelmäßig klein gehacktem Schutt, was ein bisschen wie Kieselsteine wirkt. Ich spreche nicht über die Mauer, ich mache das, was man mir sagt. Ich parke hier, ich parke dort, ich parke ein bisschen weiter links, ein bisschen weiter rechts, ein bisschen weiter hinten, ein bisschen weiter vorne, je nach dem Stadium des Mauerbaus. Ich schaue aus dem Schlafzimmerfenster und sehe die graue Mauer. Dafür hätte ich nicht aufs Land ziehen müssen. Ich überlege, welche bis jetzt unbekannten Geldquellen ich anzapfen kann, damit diese Mauer auch verputzt wird, denn ich weiß, dass das Kind dann gerne etwas daraufmalen wollen wird. Ein Regenbogen ist sicher das Minimum.

Das große Glück über diese und mit dieser Mauer versetzt MM in derartige Ekstase, dass er auch das große blaue Auto unter der Eiche parkt. Beim Abendessen doziert er über die zeitlichen Vorteile, die dieses Parken mit sich bringt, denn man stürzt sich die kleine Straße hinab und ist hinter dem Haus und muss nicht die lange gewundene Straße hinter sich bringen, um vor dem Haus anzukommen. Dass man die beiden Autos dann umparken muss, damit das richtige Auto am nächsten Morgen in Poleposition steht, und dass das große blaue Auto schwer zu wenden ist, wird nicht eingerechnet. Da auch ich meine Steckenpferde habe, die immer gewinnen, auch wenn nach rationaler Betrachtung der Lage ihr Vorteil nicht so groß ist, sage ich nichts.

Eines Morgens, als alle vier männlichen Mitbewohner hinter das Haus stapfen, um mit dem blauen Auto zur Schule und Arbeit zu fahren, fahren sie nicht. Als ich das Schlafzimmerfenster öffne und seufzend auf die graue Mauer starren will, sehe ich die drei älteren männlichen Wesen ums Auto herumschleichen und das Kind betreten im Auto sitzen. Ich sehe es sofort: das Auto wurde in den Sand gesetzt. Der Eintonner befindet sich zu nahe an der Mauer und das Hinterrad ist im Schutt versunken. Instinktiv ziehe ich mich zurück und denke an Traktoren, die das Auto herausziehen und an Entschuldigungen in Mitteilungsheften. Ich kann MM nicht einmal zum Autobus bringen, denn das kleine rote Auto steht vor dem blauen und wenn sich dieses nicht bewegt, bleibt auch das rote Auto stehen.

Der Fußballspieler, der sich vor einer Minute noch in Zeitlupe, beschwert von Hormonen, aus dem Haus geschleppt hat, kommt elastisch gelaufen und verlangt eine Schaufel. Ich verlasse das Haus aus Sicherheitsgründen nicht, denn ich würde meinen Mann sehr beleidigen, wenn nicht sogar tätlich angreifen. Der Fußballspieler teilt mir außer Atem mit, dass das Kind Steine weggetreten hätte, worauf das Auto nun feststecke. Das Kind! Soviele Steine konnte das Kind doch gar nicht in drei Minuten wegtreten. Ich nähere mich nicht wieder dem Schlafzimmerfenster, sondern finde mir, ganz gegen meinen normalen Rhythmus eine Beschäftigung in der Küche. Nach zwanzig Minuten gehe ich ins Schlafzimmer, sicher, dass alle längst weg sind. Da schaufeln die noch immer, die Reifen drehen durch, der Motor heult auf, Rufe des großen Sohns: Mehr links, mehr rechts, geradeaus, basta, stopp. Das Kind steht abseits und beginnt nun zu klatschen und zu springen. Offenbar haben sie es geschafft. Ich höre noch mehrmals das Wort „Zement“.

Als sie weg sind, frage ich mich, ob, wenn ich mein Auto dort eingegraben hätte, meine Kinder dann so hilfsbereit gewesen wären und in ihren langwierig ausgesuchten Klamotten Steine umgeschichtet hätten und dabei unternehmungslustiger als normal geworden wären.

Nach ein paar Stunden ruft MM an und sagt, er hätte am Morgen ein kleines Problem mit dem Auto gehabt. In Wirklichkeit sind alle zu spät in die Schule gekommen und MM musste mit dem Auto zur Arbeit fahren, weil der Bus schon lange weg war.
Auch die Jungs sagen, es wäre am Morgen nicht ganz einfach gewesen, wegzufahren. Und man merkt, dass sie glücklich sind, weil sie vor der Schule schon ein bisschen Abenteuer und Schweiß hatten. Das Kind sagt nichts, was darauf hindeutet, dass es vielleicht wirklich schuld an dem Desaster war. Oder weil es noch nicht so eine breite Brust hat, auf die es sich dann klopfen will.

Ich sage auch nichts. Daher schreibe ich es hier: „ICH hätte das Auto dort NIE geparkt.“





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