Hinter unterem Haus stand einst ein
Feigenbaum. Er trug einen Teil zu der romantischen Atmosphäre bei, die
uns derart gefiel, dass wir dieses Haus kauften. Neben einem
Apfelbaum fiel dieser Feigenbaum der Säge zum Opfer. An seiner
Stelle wurde ein Parkplatz für unser Auto geschaffen. Hinter dem
ehemaligen Feigenbaum wurden riesige Eisenkörbe mit großen Steinen
in die Erde gepfropft, auf dass auch LKWs an unser Haus herankönnen
und es wurde eine bereits bestehende Mauer erhöht. Damit eben das
Auto gut parken kann. Der Feigenbaum zog ohnehin nur Wespen und
andere gefährliche Insekten an, wurde mir erklärt.
Der Nachbar zog auch seinen Nutzen aus
unseren grobschlächtigen Veränderungen und baute den winzigen
Trampelpfad, der hinter unserem Haus zu seinem Haus führte in eine
ungepflasterte Straße aus, über die er nicht nur Zugang zur
kleinen öffentlichen Straße hat, sondern auf der auch seine Söhne,
Schwiegersöhne und Enkel mit Kindermotorrädern, normalen
Motorrädern und Motocross-Maschinen fahren.
Vier Jahre stand nun also unser kleines
rotes Auto unter einem großen Eichenbaum am oberen Rand dieser immer
unverputzt gebliebenen Mauer geparkt, wenn es zu Hause war. Zwischen
Mauer und Haus spielten die Jungs Fußball, manchmal mit den Jungs
vom Nachbarn. Der linke Nachbar und seine Frau pendeln zwischen ihrem
Haus und dem Anwesen des rechten Nachbarn hin und her, denn sie bestellen dessen
Garten. Links und rechts sind in diesem Fall von unserem Haus aus
gesehene Richtungen und keine politischen Haltungen. Unter dem großen
Eichenbaum wird das rote Auto, zumindest im Herbst, von einer klebrigen
Schicht überzogen.
Eines Tages im Frühling kam der
Nachbar und sagte zu MM, dass er glaube, diese Mauer müsse
verbessert werden, denn sie habe sich ausgebeult und man möge ein
Unglück vermeiden, schließlich spielen ja Kinder im Schatten dieser
Mauer. Das wunderte mich gar nicht, denn aus dieser Mauer hatte ich
schon Wasser kommen sehen, aber wie konnte ich annehmen, dass dies
nicht ordnungsgemäß war, schließlich wurde diese Mauer nicht vor
hundert Jahren hinter dem vor hundert Jahren erbauten Haus gebaut,
sondern vor fünf Jahren, als das hundertjährige Haus renoviert
wurde. Und zwar von legal bezahlten Fachkräften. Eine Schlange
wohnte auch in der Mauer, aber das sagte ich niemandem, denn ich
weiß, dass sich die meisten Leute, darunter auch unsere Nachbarin,
vor Schlangen fürchten. Außerdem wohnte die Schlange, wenn ich
genau sein möchte, nicht in der Mauer, sondern hinter der Mauer.
Nach einigen Wochen Ungläubigkeit sah
auch MM ein, dass die Erde über der Mauer eine Art Wasserbecken
gebildet hatte, die das Wasser auffing und durchsickern ließ, statt
es abzuleiten. Dadurch hatte sich die Erde ausgebreitet und gegen die
Mauer gedrückt. So habe ich es mir zumindest vorgestellt. Und wer
war schuld? Der Obermaurer. Der Obermaurer, den ich einst so
kompetent und liebenswert gefunden hatte, ist für mich mittlerweile
an allem schuld, was nicht funktioniert, schmutzig ist oder nach
wenigen Jahren ausgetauscht werden muss. Das verbindet ihn mit meinem
Ehemann. Und tatsächlich verteidigte dieser den Obermaurer. Also
hatten sie gemeinsam eine inkompetente Entscheidung getroffen und
eine rachitische Mauer gebaut, die dazu bestimmt war, nach fünf
Jahren abgerissen zu werden, auf dass kein Unglück geschehe.
Ich möchte keinesfalls viele Worte zum
Mauerabriss und zum Maueraufbau verschwenden. Nur so viel: Es hat lange
gedauert. Es war teuer. Es sieht hässlich aus.
Jetzt sind alle zufrieden. MM, der
Nachbar, der (für uns neue) Maurer. Sogar meine großen Söhne
wurden eingebunden und konnten sich mit stundenweiser Hilfe Geld
verdienen.
Ich habe die Vision, dass alle Häuser
und Bauten auf unserem Hügel durch ein Erdbeben oder eine andere
apokalyptische Naturkatastrophe zusammenbrechen und ins Meer gespült
werden, während diese neue Mauer stehen bleiben wird. Man wird sie
auf Satellitenbildern ausnehmen können und ich überlege mir, ob ich
eine Nachricht für die Generationen oder Lebensformen, die nach uns
kommen werden, in dieser Mauer hinterlassen soll.
Und das rote Auto parkt jetzt nicht
mehr auf durstiger Erde, sondern auf ästhetisch wertvoll regelmäßig
klein gehacktem Schutt, was ein bisschen wie Kieselsteine wirkt. Ich
spreche nicht über die Mauer, ich mache das, was man mir sagt. Ich
parke hier, ich parke dort, ich parke ein bisschen weiter links, ein
bisschen weiter rechts, ein bisschen weiter hinten, ein bisschen
weiter vorne, je nach dem Stadium des Mauerbaus. Ich schaue aus dem Schlafzimmerfenster und sehe die graue
Mauer. Dafür hätte ich nicht aufs Land ziehen müssen. Ich
überlege, welche bis jetzt unbekannten Geldquellen ich anzapfen
kann, damit diese Mauer auch verputzt wird, denn ich weiß, dass das
Kind dann gerne etwas daraufmalen wollen wird. Ein Regenbogen ist sicher das
Minimum.
Das große Glück über diese und mit
dieser Mauer versetzt MM in derartige Ekstase, dass er auch das große
blaue Auto unter der Eiche parkt. Beim Abendessen doziert er über
die zeitlichen Vorteile, die dieses Parken mit sich bringt, denn man
stürzt sich die kleine Straße hinab und ist hinter dem Haus und
muss nicht die lange gewundene Straße hinter sich bringen, um vor
dem Haus anzukommen. Dass man die beiden Autos dann umparken muss,
damit das richtige Auto am nächsten Morgen in Poleposition steht,
und dass das große blaue Auto schwer zu wenden ist, wird nicht
eingerechnet. Da auch ich meine Steckenpferde habe, die immer
gewinnen, auch wenn nach rationaler Betrachtung der Lage ihr Vorteil
nicht so groß ist, sage ich nichts.
Eines Morgens, als alle vier männlichen
Mitbewohner hinter das Haus stapfen, um mit dem blauen Auto zur Schule und Arbeit zu
fahren, fahren sie nicht. Als ich das Schlafzimmerfenster öffne und
seufzend auf die graue Mauer starren will, sehe ich die drei älteren
männlichen Wesen ums Auto herumschleichen und das Kind betreten im
Auto sitzen. Ich sehe es sofort: das Auto wurde in den Sand gesetzt.
Der Eintonner befindet sich zu nahe an der Mauer und das Hinterrad
ist im Schutt versunken. Instinktiv ziehe ich mich zurück und denke
an Traktoren, die das Auto herausziehen und an Entschuldigungen in
Mitteilungsheften. Ich kann MM nicht einmal zum Autobus bringen, denn
das kleine rote Auto steht vor dem blauen und wenn sich dieses nicht
bewegt, bleibt auch das rote Auto stehen.
Der Fußballspieler, der sich vor einer
Minute noch in Zeitlupe, beschwert von Hormonen, aus dem Haus
geschleppt hat, kommt elastisch gelaufen und verlangt eine Schaufel.
Ich verlasse das Haus aus Sicherheitsgründen nicht, denn ich würde
meinen Mann sehr beleidigen, wenn nicht sogar tätlich angreifen. Der
Fußballspieler teilt mir außer Atem mit, dass das Kind Steine
weggetreten hätte, worauf das Auto nun feststecke. Das Kind! Soviele
Steine konnte das Kind doch gar nicht in drei Minuten wegtreten. Ich
nähere mich nicht wieder dem Schlafzimmerfenster, sondern finde
mir, ganz gegen meinen normalen Rhythmus eine Beschäftigung in der
Küche. Nach zwanzig Minuten gehe ich ins Schlafzimmer, sicher, dass
alle längst weg sind. Da schaufeln die noch immer, die Reifen drehen
durch, der Motor heult auf, Rufe des großen Sohns: Mehr links, mehr
rechts, geradeaus, basta, stopp. Das Kind steht abseits und beginnt
nun zu klatschen und zu springen. Offenbar haben sie es geschafft.
Ich höre noch mehrmals das Wort „Zement“.
Als sie weg sind, frage ich mich, ob,
wenn ich mein Auto dort eingegraben hätte, meine Kinder dann so
hilfsbereit gewesen wären und in ihren langwierig ausgesuchten
Klamotten Steine umgeschichtet hätten und dabei
unternehmungslustiger als normal geworden wären.
Nach ein paar Stunden ruft MM an und
sagt, er hätte am Morgen ein kleines Problem mit dem Auto gehabt. In Wirklichkeit sind alle zu spät in die Schule
gekommen und MM musste mit dem Auto zur Arbeit fahren, weil der Bus schon lange
weg war.
Auch die Jungs sagen, es wäre am Morgen nicht ganz einfach gewesen, wegzufahren. Und man merkt, dass
sie glücklich sind, weil sie vor der Schule schon ein bisschen
Abenteuer und Schweiß hatten. Das Kind sagt nichts, was darauf
hindeutet, dass es vielleicht wirklich schuld an dem Desaster war.
Oder weil es noch nicht so eine breite Brust hat, auf die es sich
dann klopfen will.
Ich sage auch nichts. Daher schreibe
ich es hier: „ICH hätte das Auto dort NIE geparkt.“
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen