Montag, 5. September 2011

Organetto spielen

Ho preso la chitarra
e suono per te
il tempo di imparare
non l’ho e non so suonare
ma suono per te.

Ich habe die Gitarre genommen
und spiele für dich.
Ich habe keine Zeit, zu lernen
und ich kann nicht spielen,
aber ich spiele für dich.

Das Kind fragt, warum Malika Ayan in diesem Lied mit dem Titel "La prima cosa bella" behauptet, sie könne nicht Gitarre spielen und dann würde sie es doch tun. Ich sage, sie würde sich auf diese Art entschuldigen, weil sie nicht so gut spiele, wie sie es wolle. Wir reden über Instrumente und ich sage, das sei toll, ein Instrument zu lernen, ich würde gerne Organetto lernen. "Du?" prustet der 14-jährige. Er findet es lächerlich. "Mama, es tut mir Leid, dass mein Bruder sich über dich lustig macht.", sagt das Kind. In Wirklichkeit ist er froh, denn so kann er sich über den Bruder stellen. "Ich möchte nicht Organetto lernen." setzt der 14-jährige nach. "Ich spreche auch nicht von dir, sondern über mich." Ein wenig Selbstverteidigung kann nicht schaden. Ich sage nicht, dass ich schon geplant habe, den Nachbarjungen Francesco, angeblich ein kleiner Gott des Organetto, nach seinem Lehrer zu fragen. Manchmal hört man den frischen und gleichzeitig wehmütigen Klang vom Nachbarhaus her wehen. Das Organetto ist ein in Süditalien verbreitetes Instrument, das an eine kleine Ziehharmonika erinnert. Bei jedem Fest spielen ein paar Jungs im Alter von 5 bis 99 dieses Instrument und dann tanzen alle Tarantella, als hätten sie das im Mutterleib schon getan. Außerdem kenne ich ein paar geniale Musiker, die mit ihrem Können die Volksmusik zu dem machen, was dann "Ethno" genannt wird und das darf dann auch Menschen wie mir gefallen, denen Volksmusik peinlich ist.

Dass ich Organetto spielen will, hat zwei Gründe. Erstens: ich wollte das schon lange machen, ich betrachte es als die größte derzeit vorstellbare Herausforderung, weil ich nämlich nicht musikalisch bin. Und aufgeschoben wird nichts mehr. Zweitens: es erscheint mir als Weg, meine überbordende Libido zu kanalisieren. Da ich aufgrund meiner Wade, die wie die von Fussballstar Totti aussieht, nur humpeln und damenhaft schwimmen kann, könnte ich doch die Energie in meine Finger legen, oder? Ins Schwitzen käme ich dabei bestimmt.

Der 14-jährige findet mein Projekt so komisch, dass er es seinem Vater erzählt. "Tolle Idee!", sagt der, "dann kann sie ein wenig Zeit totschlagen, sie hat ja so viel davon." Haha. "Sie muss nur einen Lehrer finden, der sie zwischen ein und drei Uhr morgens unterrichtet."

Ihr werdet euch wundern, Jungs. Der Herbst kommt und ihr werdet in euren Ausbildungsstätten verschimmeln, während ich ein Mal pro Woche heimlich zum Organetto-Lehrer hinke. Und dann spiele ich - für mich.

Sonntag, 4. September 2011

Zeit des Feuers

Italien ist ein Land der Pyromanen. Ich stehe dem skeptisch gegenüber, aber ich werde das Thema studieren und dann den Gegenbeweis antreten, denn es kann nicht sein, dass 98 Prozent aller Brände absichtlich gelegt wurden.
Seit drei Monaten regnet es nicht und wir sind an die permanenten Rauchwolken gewohnt. Unser Hügel, auf dem sich drei Ortsteile befinden, ist verkohlt und kokelt vor sich hin.
Heute nacht standen wir hinter dem Haus und beobachteten die meterhohen Flammen auf dem Brachland hinter unserer kleinen Straße. Ich hatte Angst. Ich rief den Nachbarn an.
Dann kam zuerst die Frau des Nachbarn, die Tochter mit dem Vierjährigen, der Sohn, sowie die Frau, die zum Abendessen zu Besuch war. Das fand ich tröstlich. Der Vierjährige hatte ein Spinnennetz in seinen Kopf frisiert oder in seine Frisur eingeschnitten. Das lenkte mich davon ab, mir zu überlegen, was passiert, wenn die Funken auf die Eiche fallen und von dort das Feuer weitergeht. Sicherlich hatte der Nachbar von oberhalb, dem das Land gehört, schon die Feuerwehr gerufen. Dann begannen seine Bohnenstangen zu brennen. Die sechzehnjährigen Zwillinge kamen auch noch angerannt. Die Menschen unter zwanzig giggelten vor Aufregung, nur mein Kind begann zu heulen. Das habe ich sehr menschlich an ihm gefunden. Wir gingen ins Haus und ich wusch Geschirr ab, da unsere Geschirrspülmaschine kaputt ist, aber das ist ein anderes Thema. Ich hieß das Kind Schuhe anziehen und hängte mir meine Tasche mit der Geldbörse und dem Notizbuch um. So wusch ich das Geschirr ab. Rauch war im Haus und man hörte das Feuer oberhalb von uns prasseln. Das Kind wollte wieder in Gesellschaft, es glaubte nämlich nicht, dass wir in dieser Nacht noch woanders hin gehen müssten, weshalb ich gezwungen war, mit einer Tasche an der Schulter Geschirr zu waschen. Ich hoffte, dass er recht behielt. Die Flammen hatten sich in der Zwischenzeit angenähert und hatten sich danach ihren Weg nach oben durchgfressen. Als die Flammen sehr nahe waren, hatte MM doch die Feuerwehr angerufen und erfahren, dass in drei Oststeilen unseres Orts bereits Feuerwehr zugegen war. Ich stieg auch wieder aus dem Fenster. Der Nachbar war nun höchtspersönlich da: "Dass wir uns immer diesen Schrecken mit dem Feuer holen müssen, das bleibt uns nicht erspart!" sagte er vertraulich. Wir hatten schon vor ein paar Monaten ein paar aufregende Stunden an genau diesem brennenden Ort verbracht, damals hatte ich die Feuerwehr angerufen. Ich war mir ein wenig hysterisch vorgekommen, aber besser pathologisch als tot.
Ich habe gelernt, dass eine Straße das Feuer abhalten kann und dass bebautes Land dem Feuer Feind ist. Und dass ich meine Dokumente nicht unbedingt in einer feuerfesten Box speichern muss, wie die Frauen der amerikanischen websites, die ich lese, da alte Steinhäuser nicht so leicht niederprasseln wie eine Blockhütte.
Ein Teil unseres Landes ist nicht bebaut und ich möchte sehr gerne dort das vertrocknete Gras abmähen oder mit dem Gartenschlauch ein bisschen spritzen, was ich aber niemandem sage. Kosmetik würde man das wahrscheinlich nennen. Heute morgen, als MM und ich einen Fernseher kaufen gehen (der alte war schon länger kaputt als die Geschirrspülmaschine), sehen wir die Feuerwehr an einer anderen Brandstelle geparkt. Rauch überall. Der Feuerwehrmann beim Auto sieht extrem gut aus. Der hat nicht die ganze Nacht mit dem Feuer gekämpft, denke ich, während MM von einem 24 Stunden Dauereinsatz fantasiert. Aber er war sicher auch nur die halbe Nacht hinter dem Haus, weil er auf das Löschflugzeug gewartet hat. In Wirklichkeit ist es nämlich so, dass die Feuerwehr das Feuer erstmal beobachtet. So lange kein Haus in Gefahr ist, greifen sie nicht ein. Deshalb musste ich nach meiner Rückkehr aus der großen Stadt auch sehen, dass die wunderbare Carruba, der Johannisbrotbaum auf meinem Weg, dort wo ich immer in den zweiten Gang schalten muss und wo ich immer an einem bestimmten Freund denken muss, welcher unter dem Baum sicherlich ein Foto vom Meer gemacht hätte, verkohlt auf dem Boden liegt.

Auch die Nachbarn fragten sich heute Nacht, wer so was anzündelt. Ich glaube ja noch immer, dass Dummheit die ärgste menschliche Perversion ist, aber vielleicht irre ich mich.
Die Natur wird jedenfalls in wenigen Wochen schon den schwarzen Boden mit intensivem Grün bedecken. Ich betrachte besorgt den Rauch unterhalb von uns und möchte das Haus nicht verlassen. MM erklärt mir, dass der Garten des Nachbarn Vincenzo und der Garten unseres 92-Jährigen Nachbarn das Feuer abhalten werden. Ich will es glauben.

Auf dem Dach

Meine erotische Vorstellung besteht darin, dass ich nachts auf dem Dach liege und er, der Prinz auf dem weißen Pferd, hinter mir sitzt und durch mein Haar streicht. Armselig?
Mein Ehemann kommt als Prinz nicht in Frage, denn der muss die Kinder versorgen, während ich, wenn auch nur in meiner Fantasie, auf dem Dach liege. Wie kommt der Mann auf das Dach? Es gibt keinen Übergang vom Festland auf diese Insel, außer durch das Haus. Als die Maurer hier werkten, haben sie ein langes Holzbrett vom Weg auf das Dach gelegt und sind geschickt darüber getänzelt. MM ist froh, dass das Brett weg ist, aber aus Gründen der allgemeinen Sicherheit, und nicht, weil er weiß, dass ich in der Theorie nachts auf dem Dach liege. In der Praxis hänge ich nachts auf dem Dach die Wäsche auf und schaue in den unglaublichen Sternenhimmel. Und ich rede mir ein, dass es nicht an meiner Unfähigkeit liegt, die Dinge des Alltags eben unter Tags fertig zu bringen, sondern weil ich den Mann, der mir durchs Haar streicht, keinesfalls verpassen möchte.

Donnerstag, 1. September 2011

poetry and prose

Meine Freundin geht mit mir noch durch den Gemüsegarten, den MM in meiner Abwesenheit betreut hat. Mit meiner dicken Wade humple ich hinter ihr her. Sie zitiert Marie Luise Kaschnitz und ich frage mich, warum ich das so lange vergessen konnte:
„Hier, unter dem Feigenbaum, könnte man wieder anfangen zu leben,
was bei dem einen dies und bei dem andern das bedeutet und bei mir Lieben und Schreiben.“
Ich weiß, dass unter dem Feigenbaum immer ganz harte Erde ist und ich weiß, dass unter einem Olivenbaum schlafen eine Tortur ist, aber natürlich weiß ich auch, dass man unter dem Feigenbaum wieder zu leben anfangen könnte.