Freitag, 30. März 2012

Die fröhliche katholische Kirche

Die Messe für unseren verstorbenen Ex-Hausbesitzer war ganz anders, als ich sie mir vorgestellt hatte und vor allem ganz anders als ein Begräbnis.
Sie fand in der kleinen Kirche statt, die im Ortsteil Bosco, also Wald, angesiedelt ist. Wir warteten auf den Pfarrer und währenddessen erzählte mir eine Frau, deren Tochter mit meinen Söhnen in die Klasse geht, alles über die Studienreisen ihrer Tochter. Dann kam der Priester und es ertönte eine Musik mit sanften Tönen aus den kleinen Lautsprechern, die ich später in der Hand unseres Nachbarn, dem Technik-Studenten sah. Da sangen die Menschen sanft dazu, dass Gott der einzige in ihrem Herzen ist, das fand ich nicht so schön, denn ich denke, im Herzen sollte Platz für einige Menschen sein, aber vielleicht ist das so, wenn Gott drin wohnt, dann wohnen da noch ein paar andere. Ich jedenfalls möchte mein Herz in dieser Kirche nicht analysieren lassen, obwohl mir der Pfarrer extrem entspannt schien. Er war sehr heiter und gab gleich zu, dass er den Toten nicht gekannt hatte. Er erkläre, dass Peppino jetzt im Paradies sei, wo wir alle hin wollen, mehr noch, er sei an der Seite der Madonna. Was er vermittelte war, dass er das ziemlich klasse fand, so kurz vor Ostern, wo nämlich auch Jesus gestorben ist, zu sterben und dann also gleich seine Auferstehung zu haben. Das Sterben ist unser Ziel, meinte er, und wenn einer krank sei, klar versuche man, es hinauszuzögern, und wenn es nicht mehr geht, dann geht es nicht. Er sagte, Jesus war auch erst 33, das ist eigentlich kein Alter zu sterben, aber er sei für uns gestorben.
Ich hatte zwei Packungen Taschentücher mitgenommen und nicht ansatzweise daran gedacht, eine Träne zu vergießen. Im Gegenteil, ich wurde fast neidisch, weil ich nicht im Paradies war und nicht das Glück hatte, wie Peppino, endlich vom Herrn gerufen zu werden und heimzukehren. Tatsächlich fühlte ich mich ziemlich müde und die Sorge darum, ob die Jungs wirklich in unserer Abwesenheit ihre Hausübungen machten und ob sich das Kind in sein Tanzdress schmiss, hätte ich mir an der Seite der Madonna auch ersparen können. Ich hörte dem Priester zu und musste mich fragen, wieso wir so verbissen am Leben hängen. Wieso sahen doch manche Menschen geprüft aus? Wahrscheinlich haben sie nicht zugehört. Das ist das Geheimnis, Katholiken: hört dem Priester zu und dann werdet ihr nicht mehr so leiden müssen, alles ist gut, ihr kommt ins Paradies, das mit der Hölle und dem Fegefeuer erzählt man nur den kleinen Kindern, damit sie den Eltern folgen.

Nach der Messe haben wir noch mit einigen Menschen geplaudert und ich hatte wieder einmal eine dieser kulturellen Unentschlossenheiten. In MMs Gegend grüßen sich die Menschen bei einem Begräbnis nicht, wahrscheinlich ist es unmoralisch "Ciao ciao ciao" zu sagen, wenn einer im Sarg liegt. Ich habe also gelernt, dass man betreten zu Boden blickt, auch wenn man seine Verwandten wiedersieht, die man nur mehr an Begräbnissen trifft. Nur die engen Familienmitglieder des Verstorbenen grüßt man, um zu kondolieren. Das war hier aber auch anders und schlussendlich hatte ich das Gefühl, mich schlecht benommen zu haben, weil ich all diese freundlichen Frauen nicht herzlich gegrüßt hatte. Die Frau des Obermaurers war auch zugegen, die hat mich aber nicht gegrüßt, ich weiß nicht, ob sie mich wirklich nicht kennt, oder ob sie nur so tut. Ich hätte auch nicht gesagt: so machen sie mal den Mund auf, damit ich sehen kann, wo meine tausende von Euro sind.

Ich habe es geschafft, niemandem mitzuteilen, dass Peppino in seinen Bäumen weiterleben wird, was MM wahrscheinlich ebenso blöd wie das mit der Madonna gefunden hätte. Aber ich war nahe daran, ich gebe es zu.

Die Mutter der Schulkollegin der Söhne meinte abschließend, dass sie glaube, dieser Pfarrer sei immer leicht beschwipst. Wer kann es ihm verdenken? Mir hat er auf jeden Fall das Abschied nehmen oder den Gedanken an den Abschied leichter gemacht, ohne dass ich mich selbst betrinken musste.

Donnerstag, 29. März 2012

Wishlist

In der Früh höre ich mit den Kindern immer Radio Italia (solo musica italiana...sempre al tuo fianco). Dort sagen sie immer, man soll ihnen schreiben, was man sich wünscht und es werden täglich 40 Euro verlost. Donnerwetter.
Ich glaube an die Kraft der Wiederholung. Ich höre täglich, dass ich schreiben soll, was ich mir wünsche und jetzt bin ich so weit. Ich schreibe, was ich mir wünsche. Aber ich schreibe es nicht an Radio Italia, denn meine Wunschliste ist zu lang für ein sms.

Ich wünsche mir,

dass ich schneller verstanden werde und nicht mehr so viel reden muss

dass ich mich klarer ausdrücken kann, damit ich nicht mehr so viel reden muss

dass meine Kinder auch in Zukunft unablenkbar am Wesentlichen interessiert sind

dass in mir der Glaube wächst, meine Kinder werden einmal eine Arbeit ausführen, die sie mögen, auch wenn sie heute keine guten Noten in der Schule haben

dass ich nicht krank werde und auch sonst keiner in meiner Umgebung

dass wir aus irgendeinem Grund, der mir noch einfallen wird, zu Geld kommen und ein Dach auf den Schweinestall legen können oder noch viel wichtiger, die Heizung kaufen können

dass ich mir nicht wie Vincent van Gogh das Ohr abschneide

dass ich einmal einem Mann in dem Moment um den Hals falle, in dem er das auch tut, und dass danach alles gut und klar ist und keiner weinen muss

dass ich meine Arbeit rechtzeitig fertig machen kann

dass mich dann der Staatsanwalt oder sonst wer anruft, um mir eine neue Arbeit zu geben, besser wäre sonst wer

dass ich mit meiner Zeit so effizient umgehe, dass ich mir nicht immer mehr Zeit wünschen muss

dass ich bald den Mut habe, wieder im Meer zu schwimmen

dass ich mehr lächle und die da draußen auch

dass irgendwer kommt und denen da draußen mehr Mut macht und dass sie auf ihn hören

dass die Gerechtigkeit siegt (das könnte ich aber an Radio Italia schreiben, oder?)

dass jemand meine Fenster putzt oder ich selbst Lust dazu bekomme

dass ich nicht immer vergesse, die Mandarinen zu pflücken, und dann im letzten Moment wegrennen muss, so wie jetzt

to be continued

Dienstag, 27. März 2012

Die zweite Rückkehr des Obermaurers

Zwei Dinge müssen vorausgeschickt werden: erstens - manche Leute kommen einfach immer zum falschen Moment, andere haben ihren Auftritt immer im richtigen Augenblick. Zweitens: Ich glaube, dass mein Freund, der Schriftsteller sich freuen wird, wieder etwas vom Obermaurer zu lesen.

Ich sitze ja hier auf meinem Elfenbeinhügel und mache komische Sachen und wenn ich rausgehe, überstürzen sich die Ereignisse. Am Dienstag ist break-dance-Tag und ich muss die Jungs von der Schule abholen und dorthin bringen, das macht Giuseppe, der nette Schulbusfahrer, der heute morgen wilden Spargel für uns gesammelt hat, einfach nicht. Ich fahre den Hügel runter und höre, wie mein Freund Christoph Waltz auf einer CD "Eine kurze Weltgeschichte für junge Leser" von Ernst Gombrich liest, und Christoph Waltz ist wirklich mein Freund, genauso wie der Schriftsteller, nur ist es schon ein paar Jahre her, dass ich mit Christoph Waltz Whisky (damals ganz ohne Kim Basinger) getrunken habe, während ich den Schriftsteller wieder gefunden habe und im letzten Sommer mit ihm Weißwein getrunken habe. Da komme ich an der ersten Todesanzeige vorbei. Hier in Süditalien ist es nämlich so, dass die Toten ziemlich rasch verscharrt werden und wenn sie den letzten Atemzug machen ist bereits ihre Todesanzeige in Druck. Das scheint am heißen Wetter zu liegen, dass das hier alles so schnell geht. Ratz fatz, kleben die Todesanzeigen auf den Mauern. Scheiße, nichts zu machen. Der Vorbesitzer unseres Hauses ist gestorben.

Der war aber nicht alt.

Ich hatte wenig mit ihm zu tun, ich habe ihn nur einmal gesehen, aber ich lebe mit dem, was er geschaffen hat, mit all den feinsinnig angelegten Obstbäumen, mit den Zitrusfruchtbäumen, die so reifen, dass wir vier Monate im Jahr Mandarinen und Orangen essen können. Mit den 28 Olivenbäumen, die uns in diesem Jahr 40 l Öl gebracht haben und den paar Weinstöcken, die 100 l Wein produziert haben. Fuck!

Ich habe mehr mit seiner Frau zu tun gehabt, in deren Haut ich jetzt nicht stecken möchte. Sie hat erzählt, damals, als wir den Kaufvertrag unterschrieben, dass es ihrem Mann jetzt gut ginge, denn dort, wo sie jetzt lebten, in der Nähe von Rom, könne er einen Garten bestellen und Tiere halten. Davor hätten sie diese Möglichkeit nicht gehabt und ihr Mann sei eingegangen wie ein Blümchen ohne Wasser. Sie waren nach Rom gegangen, weil er als Autobuschauffeur hier keine Arbeit mehr hatte, oder weil die Kinder nicht mehr hier leben wollten, ich weiß es nicht genau, aber das Haus, in dem wir jetzt leben, und das wir verändert und ausgebaut haben, stand seit mehr als siebzehn Jahren leer.

Ich wusste, dass er krank geworden ist und ich habe befürchtet, dass er sterben wird. Alle sterben wir, manche einfach zu früh. Lucio Dalla, Antonio Tabucchi und jetzt Peppino. Ich drehe Christoph Waltz ab. Ich fühle mich schuldig, obwohl ich weiß, dass ich ihm sein Haus nicht gestohlen, sondern für einen Haufen Geld abgekauft habe. Den Haufen Geld hat die Bank freundlicherweise auf das Konto seiner Frau überwiesen, während wir es in vielen Jahren zurückzahlen werden.

Ich versuche immer zu lächeln, wenn ich diesen Hügel hinunter fahre, denn ich begegne vielen Menschen und meine Reaktionszeit ist lange und um nicht unfreundlich zu wirken, lächle ich vom Anfang bis zum Ende, was mir heute unpassend scheint. Ich begegne dem Sohn des Obermaurers, der mich mit ausdruckslosem Gesicht grüßt, was heißt, das seine Hand sich leicht nach oben bewegt. MM hat mir versichert, dass er ein ganz lieber Mensch ist und ich will es ihm glauben, aber ich bin mehr fürs Direkte, und auf der Superstrada, auf der ich recht verwirrt und ein wenig unglücklich dahin fahre, kommt es, in Form des Vaters des Sohns des Obermaurers. Da fährt er he himself in seinem Fiat Fiorino, den er schon vor zwei Jahren hatte und anständigerweise hat er trotz der Unsummen, die wir ihm bezahlt haben, kein neues Auto gekauft, um es ostentativ zu fahren, es sind wahrscheinlich die Zähne, die seine Frau dezent im Mund verteilt hat, in die mein hart erarbeitetes Geld geflossen ist.  Das ist mir in diesem Moment aber ganz egal, was zählt ist, dass er da vorbei fährt, mit diesem Lächeln zur Begrüßung, mit diesem Bart, den er schon seit ein paar Tagen nicht rasiert hat und vor allem, dass er immer noch nicht gestorben ist, obwohl er sein Herz nicht operieren ließ. Als er vor zwei Jahren bei uns arbeitete, sagte er: in drei Monaten OP und ich dachte, na hoffentlich schaffen wir das mit den Arbeiten. Nein, seine Herzklappe ist immer noch seine und nicht die von einem Schwein, die viel besser wäre als seine. Sein Auto ist gleich und sein Lächeln ist gleich. Ich erinnere mich an die vielen Gespräche, die wir vor zwei Jahren auf unserer Baustelle führten und dass ich dann böse auf ihn war, weil ich so viel Geld zahlen musste und keines mehr hatte. Ich erinnere mich an eine Phase, als wir hier einzogen und ich mir mehrmals vorstellte, ich würde im Regen mit dem Gesichtsausdruck von Robert de Niro in Cape Fear vor seiner Haustür auftauchen und ihm eines meiner Küchenmesser ins ohnehin bereits angeschlagene Herz jagen. Das war, als der Kanal verstopft war. Ich erinnere mich aber auch, dass er vor mehr als einem Jahr, als der Sturm uns das Dach vom Kopf wehte, mit Mirko kam und sich über das Dach warf, um es festzubinden. Ich denke bei jedem Sturm daran und es gab einige. Das Haus ächzt und knackt, aber das Dach ist nie mehr weggeflogen. Seitdem er sich im Sturm auf das Dach gelegt hat, ist auch MM nicht mehr böse. Damit hat sich eine Situation bereinigt, die damit begonnen hat, dass alle sich suspekt waren (ich halte den Obermaurer für einen Verrückten, möglicherweise für einen Zeugen Jehovas), eine Zeit der Übereinstimmung erlebt haben (der Obermaurer kletzelt an unseren Steinwänden herum), welche dann Stück für Stück in Misstrauen umschlug (help, wo ist die Abrechnung!), was oft so ist, wenn es um Geld geht. Dann schmeißt sich der OM im Notfall ins Zeug, ergo aufs Dach und unsere Bauchmuskeln entspannen sich  wieder, die Küchenmesser werden in die Lade gelegt.
Mirko ist in Turin und macht irgendwas beim italienischen Heer. Er fehlt mir. Ich erinnere mich an die Rettungsaktion meines Autos, das ich den Graben runtergefahren habe, und ich weiß, dass wer ein paar Maurer im Haus hat, sein Auto sonst wo runtertreten kann, die holen es immer wieder rauf. Nein, nicht alle Maurer sind so, einer unserer Nachbarn, ebenfalls ein Maurer, ist anders, aber das ist auch eine andere Geschichte.

Meine heutige Geschichte endet aber so, dass sich das Lächeln des herzkranken Obermaurers über alles stellt, vor allem über den Tod.


Montag, 26. März 2012

Count your blessings


Die Blessings sind nicht die Blessuren, aber die könnte man natürlich auch zählen. Es ist Frühling, und während die Menschheit diese Zeit dazu nützt, erstens die Winterjacken wieder wegzuräumen, zweitens die Christbaumkugeln gegen die Osterzweige einzutauschen und drittens das Haus zu putzen, möchte ich die sonnigen Tage und das optimistische Vogelgezwitscher zum Anlass nehmen, mich umzuschauen.

Viele Farben, das grelle Gelb der Kleeblüten mit dem japanisch anmutendem rosa und weiß der Obstbaumblüte, das giftige Grün der sprießenden Natur, der strahlend blaue Himmel. Bei uns wächst der hellgrüne Lattugasalat und eine Art dunkelroter Lollo rosso, ein paar Hülsenfrüchtestängel streben nach oben, bei den Nachbarn hingegen wachsen ganze Felder mit Saubohnen, matt grüne Ranken, die jetzt zu blühen beginnen. Und Zwiebel recken stolz ihre grünen Blätter hoch.

Von einem Tag auf den anderen werden die Wollstrumpfhosen in der Lade nach hinten geschoben und man leidet unter der Hitze, statt unter der Kälte. Es riecht nach Honig, vielleicht liegt das daran, dass bienenartige Insekten um den Rosmarinstrauch brummen.

Die Nachbarzwillinge haben ihr Wollmützen gegen eine Ray Ban Sonnenbrille getauscht, nur meine Kinder haben einfach einen Anorak weniger an, denn den Kauf einer sogenannten Übergangsjacke für genau zwei Tage pro Jahr habe ich eingespart.
Die minimalistische Frau Adler habe ich schon lange nicht gesehen, da sie zu ihrer Tochter gefahren ist. Ihr Schwiegersohn hat gesundheitliche Probleme, und wenn Frau Adler hier ist, heißt das, der Schwiegersohn ist im Spital und das ist auch nicht sehr angenehm.

Meine Nachbarin Laura, die Mutter der Zwillinge, sagt bereits seit mehreren Tagen: Hast du gesehen, was für schönes Wetter ist? Und ihr Mann sagte auch schon mehrmals: Hoffen wir, es dauert. Ich bin immer ganz beeindruckt, weil er den Konjunktiv benutzt, er sagt: dass es dauern möge. Trotz allen Unbills und trotz all der Hausübungen habe ich nun doch so ein leicht flatterndes Gefühl im Bauch, als würden Ballettschuhe durch meine Seele tänzeln und ich würde gerne zu jemandem sagen: Ja, mein Schatz, es möge dauern.

Die Fenster stehen den ganzen Tag offen und die Katzen kommen herein und schnurren. Der Nachbar von unten ruft laut: "Buffa!". Er ruft seinen winzigen Rassehund, der wohl auch seinen Frühlingsgefühlen nachgibt und einen mittelgroßen Mischling lieb anschaut.

Traktoren sind aus allen Ecken zu hören und die Geißböcke mit ihren irritierenden Schreien, die mich an meine Kinder erinnern, wenn sie an den langen Nachmittagen am Tisch der Hausübungen sich nicht mehr konzentrieren können.

Die Mütter, die ich sehe, wenn ich das Kind in die Tanzstunde bringen, tragen kurze Lederjacken und sehen aus, als würden sie zu den Männern gehören, die am Samstag Vormittag auf den Harley Davidsons vorbeipreschen, während ich in den Supermarkt fahre. Ich habe bereits die Ostereier mit der Überraschung eingekauft und ich befürchte, dieses Jahr wird Ostern durch diese verfrühte Aktion von mir gar nicht stattfinden.

Ich gebe zu, statt mit meinem Ehemann über die Strategien bezüglich der Schule zu diskutieren, würde ich, wenn meine Kinder im Bett sind, lieber mit einem Mann in einer Bar sitzen, der nicht für diese Themen zuständig ist. Ich würde, wie Kim Basinger in einem Film, in dem sie die Frau des amerikanischen Präsidenten spielt, sagen: "Ich weiß, Frauen trinken normalerweise keinen Whiskey, aber meine Mutter ist aus Tennessee - hier, dieser ist für Sie." Ach, und dann würden wir möglicherweise eng umschlungen zu einer Melodie aus prähistorischen Zeiten tanzen und wenn seine Hand meinen Körper entlang streichen würde, dann wäre ich froh, keine Wollstrumpfhosen mehr zu tragen.

Sonntag, 25. März 2012

Kikeriki


Ich habe beschlossen, nicht mehr so viel über die Kinder und also so viel über die Schule zu schreiben, denn ich befürchte, irgendwann wird mich jemand fragen, ob ich diese schlecht gelaunte Mommybloggerin bin. Obwohl ich hier gestehen möchte, wie sehr mich die Frage beschäftigt,ob das permanente Kürzen von Bruchrechnungen an diesem Sonntag sich positiv auf meine gesamte Lebenshaltung auswirken könnte. Die Matheprofessorin war an drei Unterrichtstagen nicht anwesend, sicher hat sie ein mathematisch inspirierendes Seminar mit dem möglichen Titel "Was sagt uns Euklides heute?" besucht und aus lauter schlechtem Gewissen sehr viele Hausübungen gegeben. Ich persönlich finde das Kürzen bei Bruchrechnungen extrem befriedigend und ich wünschte, ich könnte mehr Brüche in meinem täglichen Leben finden. Ich glaube, dass ich meinen Kindern die Leidenschaft für das Kürzen vermitteln konnte, denn MM stellt erstaunt fest, dass keiner gemeutert hat. Allerdings ging immer gerne einer dem Papa helfen, worauf man sich sonst nicht immer verlassen kann. MM hat eine andere Leidenschaft, und zwar entwirft er seit einigen Wochen einen Hühnerstall. Nun ist er zu konkreten Taten übergegangen und hat das Gehege, das einst für die Hühner vorgesehen war, von Dornen befreit. Als wir dieses Haus kauften und renovierten, bzw. als wir noch das Geld hatten, es renovieren zu lassen, sagten die Arbeiter und die Nachbarn: "Wie schön, und wenn man dann noch ein paar Tiere hat, besonders schön." Ich erwiderte eifrig, dass wir einen Hund hätten, aber sie meinten Schafe, Ziegen, Schweine, Kaninchen und natürlich Hühner. Jetzt sind wir schon seit fast zwei Jahren hier und haben immer noch nur den Hund und drei Katzen. Sonst: kein Pferd, kein Hase, kein Hendl. Die Ziegenböcke von den Nachbarn schreien in diesen Tagen so verstörend, dass ich immer erschrecke und Angst habe, meine geheimen Wünsche wurden erhört, und der eine Nachbar, der letztens so deppert zu mir war, wurde just in diesem Moment von einem Herzinfarkt niedergestreckt. Warum hier alle Ziegen und Schafe haben, weiß ich nicht, denn außer entzückend und lustig auszusehen  und die Grasschneidemaschine zu unterstützen, geben sie nicht viel her, was mir ja auch recht wäre, aber zusätzlich zu den Kindern, die zum Schulbus begleitet werden wollen, auch noch die Schafe auszuführen, wäre mir zu viel. Die Leute gehen mit ihren zwei bis drei Schafen und einer Ziege auf eine Wiese oder irgendeinen Fleck mit Grün und dann weiden die Tiere und die Menschen schauen ihnen zu, mitunter recht lange. Ob das eine Form der Verbrechensvermeidung ist?
Dass mit dem Hausschwein habe ich verstanden, aber das kommt nicht in Frage, unser Hausschwein würde dreihundert Jahre alt werden und uns schließlich die Haare vom Kopf fressen. Aber die Hühner, ja, die geben Eier und wenn ich das Glück meiner Nachbarinnen wahrnehme, wenn sie verschmitzt sagen: "Heute habe ich sechs Eier gefunden!", dann packt es auch mich und ich will sofort Eier suchen gehen. Ich will lieb sein zu den Hennen und mich freuen, wenn der Hahn schreit und niemand wird den Hennen den Kopf abhacken wollen. Wir werden Eierpeis' essen und dabei "ah" und "oh" rufen.
Ich werde sehr froh sein, wenn ich beim Gemüsemann nicht mehr verschwörerisch die Stimme senken muss, um zu fragen, ob er vielleicht auch "Hauseier" hat, die er dann im positiven Fall geheim unter dem Ladentisch hervorholt und zu einem Preis verkauft, der wirklich an Drogenhandel denken lässt. Manchmal gibt es die heißbegehrten Eier auch nicht, denn diese glücklichen, in der Erde pickenden Hühner sind eigenwillige Wesen und wollen manchmal einfach keine Eier geben und die wenigen verarbeitet dann die Bäuerin selbst.
Wenn MM den Hühnern den wunderbaren Stall gebastelt haben wird, den er bereits frohlockend "Chalet svizzero" nennt, wird unser Leben einen entschiedenen Schritt in Richtung Autonomie machen. Leider werden die Hühner sicher meine Unterstützung verlangen, zwar nicht im Bruchrechnen, aber sie wollen wahrscheinlich gefüttert, geputzt und möglicherweise angehört werden wollen. Ich hoffe, sie bekommen kein Fieber. Das Kind füttert sehr gerne Tiere, vielleicht möchte es den Hühnern dann die Kartoffelschalen bringen, die ich liebevoll für sie aufbewahren werde. Ich kann es kaum glauben: Ich werde ein Ei haben.

Es gibt einen kleinen Fuchs, den wir manchmal abends sehen. Er springt immer entsetzt in die Büsche, wenn wir ihn mit den Autoscheinwerfern anleuchten, aber Stefano sagt, es gibt einige Füchse hier und sie interessieren sich nicht für Hühner. Das kommt mir komisch vor. Aber dann denke ich, das liegt daran, dass dort, wo wir wohnen, sich Fuchs und Henne Gute Nacht sagen, und es gar nicht der Hase war.

Freitag, 23. März 2012

Die Teilung der Gänse oder der Verlust der Fassung


Wie viele andere Menschen arbeite ich hart an der Verbesserung meines Ichs. Das nimmt viel Zeit in Anspruch und ich habe wenig Zeit, im Garten zu arbeiten, was schade ist. Leider sind die Erfolge meiner optimistischen Tätigkeit sehr gering und werden durch gewisse Ereignisse zunichte gemacht. Die meisten gewissen Ereignisse werden durch Lehrpersonal hervorgerufen. Vielleicht sollte ich die Schwerarbeit an meinem Ego Fachpersonal überlassen, das mir erklären kann, was genau in meiner Kindheit vorgefallen ist, dass ich nach dem Hören des Satzes "Wir haben die Zusammenfassung falsch gemacht" von einem relativ normalen erwachsenen Menschen nahtlos zu einem die Grenze weit überschreitenden Borderliner werde. Ich spüre, wie mir die Augen aus den Höhlen treten. "Was heißt das?" frage ich mit bereits bebender Stimme. In Wirklichkeit müsste hier die Sprachpolizei auftreten und sagen: "Was heißt, wir haben die Zusammenfassung falsch gemacht? Du hast sie falsch gemacht, ich habe dir nur geholfen." Aber ich weiß, dass der Satz ziemlich genau der Wahrheit des Vortages entspricht. Eine relativ fröhliche Mutter, die mit einem Blatt wedelt, auf dem die Lehrerin die Regeln für eine Zusammenfassung zusammenfasst und auf dem alles steht. Die Mutter ist sehr dankbar für die Regeln und wiederholt sie ein Dutzend Mal. Was also haben wir falsch gemacht? "Die Zeit war falsch, wie hätten ähm, ich glaub im Futur schreiben sollen." Delirium total. Das Kind ist verwirrt. Jetzt hat die mir mein Kind total verwirrt.Gestern konnte ich ihm noch aufgrund dieses Zettels mit den Regeln einreden, er soll alles im Imperfekt schreiben und heute glaubt er, er hätte im Futur schreiben müssen. "Also das glaub ich nicht, denn was im Futur ist, muss erst passieren, es ist die Zukunft, ok?" Ich beuge mich über den Tisch und starre mit meinen hervortretenden Augen den peinlich betretenen Schüler an. Er zeigt mir sein Heft, dort hat die Frau Professor mit Bleistift jedes Verb ausgebessert, die gewünschte Zeit war das historische Perfekt, warum aber stand in ihrem verfluchten Regelblatt dann schlicht, man solle sich an eine Zeit halten, eben Präsens, Perfekt oder Imperfekt? Als ich die vielen Verbesserungen sehe und wahrnehme, wie der nervöse Schüler beginnt, hysterisch in seinem Heft herumzustreichen, bricht der Damm. Mein kleiner Schutzengel mit den guten Manieren kämpft energisch um die Vermeidung der Worte: Arsch, ficken, Hure und ähnliches. Dennoch bitte ich zum Schluss erschöpft um eine Pumpgun. Die Kinder wissen nicht, ob sie weinen oder lachen sollen. Ich fühle mich lebendig.
Das letzte halbe Jahr gelebte Solidarität mit der Schule habe ich jetzt mit Füßen getreten. Zum Glück sind meiner Kinder wesentlich rationaler, belastbarer und emotional gefestigter, denn sie gehen auch am nächsten Tag widerspruchslos in die Schule, sie werden ihrer Lehrerin nicht ins Gesicht spucken und mit ein wenig Glück zufällig auch etwas lernen.
Ich hingegen schaffe es, als sie im Bett sind, auch MM noch unflätige Worte zu entlocken, denn der hat keinen Schutzengel, welcher die nicht jugendfreien Worte wegpiept. Er findet, ich soll in die Schule gehen und klären, ob man sich an die selbst geschriebenen Regeln halten kann und soll, oder nicht. Ich tobe, weil ich nicht nur kritisiert und schlecht und falsch behandelt wurde, sondern nun auch noch mindestens eine meiner wertvollen Stunden Lebens- und Arbeitszeit verliere, da ich diese der Errettung der Menschheit, sprich Professorenschaft, widmen muss.

Die Geschichte, die zusammengefasst wurde, hieß übrigens "Die Teilung der Gänse", es handelt sich um eine Fabel von Leo Tolstoj. Ein Bauer merkt, dass er keinen Weizen mehr hat und beschließt, seinen Herrn darum zu bitten (ich schreibe jetzt im Präsens, ist das recht so?). Er nimmt eine Gans und brät sie und bringt sie dem Herrn. Der sagt danke, aber wie soll ich die Gans teilen, ich habe eine große Familie. Der Bauer gibt ihm den Kopf der Gans, den Schwanz gibt er glaub ich der Frau, da bin ich mir aber nicht mehr sicher, die beiden Füße gibt er den beiden Söhnen, damit sie auf eigenen Beinen stehen können und die Flügel den beiden Töchtern, damit sie bereit zum Flug sind. Den ganzen schönen gebratenen Körper behält er für sich selbst. Da der Herr offenbar Humor besitzt, findet er den Bauern originell und schenkt ihm Weizen und Geld.
Ein reicher Bauer, dem diese Geschichte zu Ohren kommt, möchte ebenfalls beschenkt werden und begibt sich mit gleich fünf gebratenen Gänsen zum Herrn. Dieser fragt, wie er diese Gänse zwischen den sechs Mitgliedern seiner Familie aufteilen soll, da weiß der reiche Bauer keine Antwort. So wird nach dem armen Bauern gerufen, der eine Lösung hat: eine Gans für den Herrn und seine Frau, so seien sie drei. Eine Gans für die beiden Söhne und eine für die beiden Töchter, ebenso nunmehr ein Dreierteam. Und die letzten beiden Gänse für den armen Bauer, so sei auch dieser zu dritt. Der Herr lacht wiederum zufrieden und beschenkt den armen Bauer aufs Neue. Den reichen Bauer aber schickt er weg und will ihn nie mehr sehen.

Und die Moral von der Geschicht'? Hätte ich so einen langen Bart wie Tolstoj wäre ich vermutlich gleichmütiger.

Dienstag, 6. März 2012

Männer, Mäuse, Fernseher und Roberto Saviano

Bitte mir soll jetzt niemand mehr erzählen, ich könne 10 Stunden pro Woche Freizeit haben, wenn ich den Fernseher nicht aufdrehe. Ich schaue seit fast fünf Jahren nicht fern und obwohl wir seit ein paar Wochen eine Antenne montiert haben, bleibe ich meiner lieben TV-Abstinenz treu. Ich möchte aber gerne wissen, wo die ca. 2000 Stunden Freizeit sind, die ich mir auf diese Art erwirtschaftet habe. Sind die auf einem Schweizer Konto geheim angelegt?

Jedesmal wenn ich vor Vorfreude sabbernd einen Artikel im Internet anklicke, der mir Freizeit verspricht, dann steht das vom Fernsehen drin. So eine Langeweile! Ich werde mich jetzt nur noch mit Artikeln beschäftigen, in denen um den garantierten Nervenzusammenbruch geworben wird.

Während ich, nachdem die Kinder schlafen gegangen sind, versuche zwei Worte zu tippen, gibt sich MM dem TV-Rausch hin. Manchmal ruft er mich und ich gestehe, dass die reality show "Masterchef" auch für mich attraktiv ist, noch dazu, wo mein großer Sohn sagt, ich könne da auch mitmachen. Das sagt er aber vielleicht nur, weil wir gestritten haben und er meinte, ich wolle mich einfach über ihn aufregen, weil ich das halt einfach will und ich behauptet habe, dem sei ganz und gar nicht so, er rege mich schlicht wegen seines extremen Widerstands gegen meine Bestrebungen, ihm englische Worte zu entlocken, auf. Ich denke, er wollte danach etwas Positives sagen.

Gestern habe ich den Fernseher noch bewusster gemieden, denn ich habe mitbekommen, dass eine Sendung zum Thema "No TAV", gegen die Hochgeschwindigkeitstrasse für die Eisenbahn im Val di Susa im Piemont lief. Vor ein paar Tagen ist ein Aktivist, der aus Protest auf einen Hochspannungsmasten geklettert war, wohin ihm ein Polizeibeamter gefolgt war, um ihn zum Absteigen zu bewegen, von diesem Mast gestürzt und wurde anschließend in ein sogenanntes pharmakologisches Koma versetzt. Er ist außer Lebensgefahr.

In der Sendung wurde auch erwähnt, dass Sig. Bossi meinte, der Norden werde den Ministerpräsidenten Monti zu Fall bringen. Er hat zudem gesagt, dass Monti sein Leben riskiere. Ich glaube nicht, dass er "ermorden" sagen wollte, wie das heute kolportiert wird, aber nichtsdestotrotz regt es mich zu Phantasien von standesrechtlichen Erschießungen an. Auf twitter schreiben die Leute lustige Kommentare zu Bossis Sprüchen. Unter anderem schlägt jemand vor, Bossi solle bei einem Rülpswettbewerb mitmachen, den würde er sicher gewinnen und dann sei er zu etwas nütze. Ich möchte Sig. Monti keineswegs verteidigen.

MM hat die Sendung nicht gut getan. Er fühle sich so schlecht, wie noch nie zuvor, sagte er, und er war tatsächlich ganz ungut grün im Gesicht.

Ich weiß, man sollte alles wissen, aber ich muss mich schützen, denn ich weiß manches schon zu gut.
Und das Mindeste, was ich als Reaktion gerne tun würde, ist eine Runde Ohrfeigen austeilen. Schallende. Ich würde hier in der Nähe bei der Mathematiklehrerin des Kindes anfangen und dann weiter nach Rom fahren, ins Parlament und dann nach Mailand, wer weiß, ob ich dann noch weiter in den Norden käme.

Umarmen hingegen möchte ich nicht so viele Menschen, einen aber auf jeden Fall: Roberto Saviano. Er schreibt, dass jenseits von TAV Ja weil Anbindung an Europa und TAV Nein, weil Zerstörung der Umwelt, die Hochgeschwindigkeitsstrecke ein gefundenes Fressen für die Mafia ist, die dort ihre Firmen einsetzen kann, um sich zu bereichern und dass weder Frankreich noch Italien die Mittel haben, dieses Vorgehen unter Kontrolle zu bringen.
Grande Roberto. Und ja, Intelligenz ist erotisch.

Sonntag, 4. März 2012

Una domenica normale


Ich lese gerne blogs, in denen es um die Organisation des Alltags geht und das ist ganz weit entfernt von dem, was ich selbst mitzuteilen habe, denn die Menschen, die diese blogs schreiben, wirken klar strukturiert im Kopf und packen das Leben mit einem gerüttelt Maß an Optimismus an. Von mir also braucht keiner zu befürchten, ich sag ihm wie's geht und schon gar nicht in Punkten aufgelistet.

BUT

Heute hatte ich eine Erkenntnis, die der Welt nicht vorenthalten bleiben darf. Der Inhalt dieser Erkenntnis lautet: "Sonntage gehören vorbereitet." Seit ich denken kann, dachte ich, dass Sonntage freie Tage sind, ergo super. Wenn wer am Sonntag arbeiten will, dann macht er das, um in Ruhe und in seinem eigenen Rhythmus etwas aufzuholen, was er unter der Woche nicht geschafft hat, aber abgesehen davon hat man am Sonntag einen Lenz. Diese Philosophie mochte möglicherweise gültig sein, bis die Kinder in mein Leben getreten sind. Seither sind Sonntage der maximale Marathon, MM sehnt den Montag herbei, um endlich arbeiten gehen zu können, um sich ein wenig zu erholen. Im Lauf der Jahre habe ich gelernt, auf der Welle zu bleiben und es zu schaffen, den Pyjama vor dem Mittagessen abzulegen und ich bin schon soweit, dass ich auch an einem Sonntag dusche. Trotzdem hat dieser Kampf gegen die Natur nichts mit "Tag des Herrn" oder "Renew your spirit" zu tun. Möglicherweise wollte die Bibel darauf hinweisen, dass es sich um den Tag meiner drei minderjährigen Herren handelt und das Erneuern meines Geistes liegt in der verzweifelten Suche nach dem passenden Sonntags-Mantra.

Dabei sind die Jungs nicht sonderlich anspruchsvoll, anspruchsvoll bin ohnehin nur ich. Sie würden auch bis Mittag schlafen, anschließend zwanzig Nutellabrote verspeisen und gäben sich gerne mit einem schlichten Freizeitprogramm bestehend aus TV, Nintendo und Computer zufrieden. Was den sonntäglichen Frieden stört ist der Anspruch in mir, demzufolge man am Sonntag irgendwie etwas Originelleres essen soll als an anderen Tagen und dass man etwas gemeinsam unternehmen soll, auch wenn dies nur der Spaziergang mit dem Hund ist. Dazu kommt, dass der Sonntag geheim (er weiß nur nichts davon) zum Turn-Over-Tag erklärt wird. Alles, was unter der Woche nicht gelernt wurde, kann am Sonntag gelernt werden, all die Wäsche, die unter der Woche nicht gewaschen wurde, wird am Sonntag gewaschen, aufgehängt, abgenommen, zusammengelegt und verteilt. Und da fünf Paar menschliche Füße mit einigen Socken bestückt werden und ich im Winter als Allheilmittel rufe: "zieh dir ein zweites Paar Socken an", gibt es viel zu waschen, aufzuhängen, abzunehmen, zusammenzulegen und zu verteilen.

Regelmäßig ändere ich um 11 Uhr vormittags meine optimistischen kulinarischen Phantasien, in denen es meistens Pasta al forno gibt, in Pasta mit irgendwas. In meiner Kindheit hat meine Mutter am Samstagvormittag immer die Wohnung aufgeräumt, am Samstagnachmittag einen Kuchen gebacken und am Sonntagvormittag die Schuhe ihrer Familienmitglieder geputzt. WIE BITTE HAT SIE DAS GEMACHT?
Ich möchte meinen Kindern auch den Hafen einer Familie bieten, in denen es Sicherheiten wie einen Samstagsnachmittagskuchen gibt. Ehrlich.
Aber bei mir wollen alle dauernd mit mir reden. Ich bin im Pyjama und alle reden. Alle stehen früh auf, um zu reden. MM spricht. Das Kind kommt nachschauen, ob ich noch schlafe. Ja Freunde, ich stehe jeden Tag um sechs Uhr auf und da ich vor dem Einschlafen Krimis von Andrea Camilleri  lese, auf sizilianisch wohlgemerkt, bei denen man nicht so schnell aufhören kann, brauche ich den Sonntag auch als Turn-Over-Tag. Einmal in der Woche muss auch ich acht Stunden schlafen, und solange der italienische Unterrichtsminister nicht den Samstag frei gibt, oder meine Kinder nicht mehr in die Schule gehen, wird das der Sonntag sein.
Die großen Jungs reden erst nach dem Frühstück. Ich möchte auch, dass sie reden, sie sollen ja Geschichte, Geografie, Naturwissenschaften, Italienisch, Englisch und Französisch wiederholen.
MM ist dann bereits im Garten. Heute hat er die Olivenbäume beschnitten. Er erwartet sich keine Hilfe mehr. Und ich erwarte mir nicht, dass er sich dafür interessiert, wieviel Liter Wein in der Zisterne bleiben, wenn ein Weinbauer 3000 Liter Wein entnimmt, was bitteschön 7/22 der Gesamtmenge sind. Und wieviele Flaschen füllt er ab, wenn die Flaschen 0,75 Liter enthalten? Im nächsten Beispiel wird in einer ligurischen Gemeinde geplant, 50 Oleander zu pflanzen, das sind 5/12 der bereits gepflanzten Oleander, außerdem 14 libanesische Zedern. Das sind 2/15 der bereits gepflanzten Blablabla, ich nehme an eine Oberbegriff für Zedern aus den Nahen Osten. Was rauchen genau diese Mathematikbuchschreiber? Kann ich das am Sonntag zu Frühstück haben? In Form von Tee? Ich rauche nämlich seit 13 Jahren nichts mehr.
Das würde mir möglicherweise helfen, ein seliges Lächeln aufzusetzen, während mein heiliger Sonntag dahinrast. Und die Mathebuchschreiber möchten bitte auch zur Kenntnis nehmen, dass eine ligurische Gemeinde der Meinung des Rallyefahrers nach ein leicht verschmutzte Gemeinde ist (klar, die brauchen ein wenig Behübschung) und keineswegs ein Ort in der Nähe von Genua.

Nota bene: hier gehen die Leute auch in die Kirche. Wie organisieren sich die? Wann machen die Kinder die Hausübungen? Wann schieben sie die Pasta ins Rohr? Wann hängen sie die Socken auf? Wann beschneiden sie die Olivenbäume? Um wieviel Uhr schmeißen sie sich vom Pyjama in den Domenica-Look? Andrerseits: vielleicht würde es auch mir helfen, ein paar stärkende priesterliche Worte aufzunehmen, ich hätte einfach noch den Pyjama unter dem Gewand an.

Zweite Anmerkung: manchmal gibt es Sonntage, an denen der  Event-Faktor noch höher sein soll, als ein gemeinsamer Kinobesuch. Auweh, dann muss schon an Samstagnachmittag gelernt werden, ohjeh, dann wird am Samstagabend gekocht und danach rennen wir eine Woche lange mit violetten Ringen unter den Augen dem nächsten Sonntag entgegen.

Dritte Anmerkung: dass ich das überhaupt schreiben kann, liegt daran, dass die Menschen mit dem Y-Chromosom im Kino sind und sich eine Verfilmung eines Jules Verne-Romans anschauen, in dem irgendwer dreidimensional auf eine geheimnisvolle Insel fährt. Ich hab's nicht so mit dem Abenteuer, ich bin eher für's Verbrechen und mit dem 3D hab ich's schon gar nicht, weil ich ja, wie hier bereits besprochen, alt werde.

Die jüdische Religion ist gescheit, da wird die Vorbereitung des Kulinarischen im Vorfeld abgehandelt, am Shabbat hat man dann Zeit zu beten und zu essen. Ich sage zu MM: die Sonntage gehören vorbereitet, ab dem Freitag schon, aber er weiß es besser: von Montag bis Freitag ist der Sonntag vorzubereiten. Nächsten Sonntag können mich dann alle permanent anquatschen, die Kinder, der Mann, die Nachbarn, die Freunde. Meine Pasta wird im Rohr sein, meine Socken aufgehängt und die Christen werden die Araber im 11.Jahrhundert hoffentlich bereits am Samstag besiegt haben, auf dass am Sonntag endlich auch ich meinen Geist erneuern kann.

Freitag, 2. März 2012

Marco tanzt

Von einem Moment auf dem anderen ist der Frühling ausgebrochen und tut so, als ob er Sommer wäre. Ich bin gealtert, finde ich, und ich hoffe, man riecht es nicht. Ich sehe die ersten jungen Paare, die sich zusammen auf ein Mäuerchen am Meer setzen und ich denke weder an vergangene, noch an zukünftige Liebhaber, sondern daran, dass ich keine Einkaufsliste geschrieben habe und was ich jetzt einkaufen soll. Ich denke nicht, wie immer zu dieser Jahreszeit, an die Männer, die ich bis letzten Frühling meinte, nie zu lieben aufgehört zu haben, sondern versuche, früh schlafen zu gehen, um mein Leben als Managerin dreier schulpflichtiger Buben zu meistern, ohne dabei ausfällig zu werden.

 Lucio Dalla ist gestorben, was gar nicht zu diesem unverschämten Sonnenschein passt. Gäbe es Lucio Dalla nicht, hätte es ihn nie gegeben, wer weiß, ob ich heute hier wäre. Vielleicht wäre ich nie in Italien angekommen, wenn ich nicht versucht hätte, herauszufinden, was "permalosa" heißt, was nämlich Anna ist, die doch ist, wie viel andere und mit Marco "grosse scarpe poca carne" tanzt. Cuore in allarme. So ist das, wenn ein Poet stirbt. Und ich bin hier und fahre am Meer entlang, das Kind schläft wie üblich seinen nachmittäglichen Tiefschlaf, während wir uns der wunderschönen Zahnärztin nähern, die mit Blick auf die Insel ordiniert. Bevor das Kind einschlief, hat es wieder lang gesungen. Es will nicht mehr in einer nie existiert habenden Sprache singen, sondern in einer nicht existierenden. Hier wir die kindliche Poesie reduziert, schließlich ist das Kind schon zehn. Dafür erzählt es auf dem Heimweg, es hätte einen Aufsatz geschrieben, in dem alles richtig war, kein einziger Fehler in der Choreografie. Beglückt erzähle ich von diesem lapsus linguisticus seiner Tanzlehrerin, die zu meiner Freude lacht und es als "deformazione professionale" bezeichnet.

 Im Radio höre ich die Doors und Jim Morrison bittet das Baby, sein Feuer anzuheizen. Das müsste ich auch aus dem Fenster schreien: "Come on baby, light my fire."

 Aus beruflichen Gründen sitze ich heute einem Staatsanwalt gegenüber, was mich sehr erfreut, denn vor kurzem habe ich den letzen Roman des begnadeten Autors und Staatsanwalts Gianrico Carofiglio gelesen, dessen Werke oft im juristischen Milieu angesiedelt sind. Mitten im Genuss dieser aktenschwangeren Atmosphäre überkommt mich plötzlich der lähmende Gedanke, dass wenn er mich schwören lässt, ich sagen muss, dass ich nicht an Gott glaube. In diesem Moment finde ich mich sehr alt. Aber er lässt mich nicht schwören und ich finde mich nur noch naiv.

 Doch nicht mehr so naiv, wie noch vor ein paar Wochen. Als ich meinte, die Schule des Kindes korrigieren zu müssen, die uns mit zu wenig Informationen versorgt. Ich meinte, einen Kreuzzug für bessere Transparenz veranstalten zu müssen. Der Schuss ging nach hinten los: "Wer soll sie informieren, Signora, wenn nicht ihr Sohn?" Nun haben wir eine Art Aufforderung zu einem Ausflug bekommen, für den die Schüler X Euro zahlen müssen, für ein Mittagessen Y Euro. Die Summe für den Transport ist unbekannt, wird aber natürlich ebenfalls in Rechnung gestellt werden. Für mein teutonisches mathematisches Empfinden fehlt hier ein wesentlicher Faktor zur Entscheidungsfindung und mein teutonisches Rechtsempfinden telefoniert bereits mit der Schuldirektorin. Da werde ich von meinem neuen, alten kalabresischen Ich gebremst. Können Menschen, die unklare Angaben zu einem Ausflug machen, auf mein Kind aufpassen? Mein sehr individuelles kalabresisches Ich sagt: Das Kind muss nicht mit einem Motorboot mit durchsichtigem Boden durch ein Meernaturschutzgebiet fahren. (Obwohl ich mir das schön vorstelle, allerdings nicht mit der Mathematiklehrerin). Und so nimmt das Kind nicht am Ausflug teil, ganz einfach, ohne Kreuzzug. "Bist du traurig?" frage ich das Kind. "Es geht." Mir tut das Kind leid. Ich wäre gerne unkomplizierter. Aber ich kenne eine andere Mutter, die davon überzeugt ist, ihr Kind wird bei diesem Ausflug ins Meer stürzen, ins Meer gestoßen werden oder auf jeden Fall irgendwie im Meer landen, weil niemand auf ihr Kind aufpassen wird. Und die Frau kommt aus Reggio Calabria und muss nicht zwanghaft wie ich über die Abrechnung nachdenken. Ich stelle meinem Kind in Aussicht, den Ausflugstag mit dem anderen deprivierten Kind zu verbringen. Das Kind steigt nicht richtig darauf ein. Aber das wird schon noch kommen.

 Ich denke, ich habe einen Haufen von diesen unbeholfen "wie ein Pferd" tanzenden Marcos kennengelernt, und ich wünsche mir, dass meine Söhne nicht zu dieser Truppe gehören, aber sie müssen es zwangsläufig. Ihre Mathematikprofessorin sagt: "Ich versteh das gar nicht, die gehen doch in Break Dance, aber am Faschingsfest wollten sie gar nicht tanzen." Der Rallyefahrer sagt: "Ich versteh das gar nicht, wie die das schaffen, zu tanzen, ohne sich zu schämen. Wir sind doch erst im ersten Jahr. Auch die Mathematikprofessorin hat hemmungslos getanzt." Ich versteh das auch alles gar nicht.

 Die Idee, dass ich so alt bin, ist mir heute im Autobus gekommen, als eine Frau neben mir auf die Frage, "Wie geht es dir, Tante?" antwortete: "Es wird immer alles beschwerlicher." Wenn ich an meine gleichaltrigen Freundinnen denke, dann kommen mir die weder alt, noch beschwerlich vor, aber bald könnte es so werden. Jetzt, wo wir schon ohne Lucio Dalla sind. Vielleicht liegt es auch nur am Rallyefahrer, der täglich alles Vertrauliche seiner "Verlobung" berichtet. Seine Verlobte, die ihm Herzen zeigt (auf die Art wie unsereins noch komplizierte Texte in Stummerlsprache geschrieben hat), ist auf der besagten Faschingsfeier weinend aufs Klo gegangen und den Rallyefahrer lehnt alle meine Interpretationsversuche (weil du nicht tanzen wolltest bis zu: es gibt einen anderen und er hat gedroht, ihr den Schädel zu spalten, wenn sie dir noch mal ein Herz zeigt) als deppert ab, aber er weiß auch keine Interpretation. Nachts kann er nun nicht schlafen, weil er an sie denken muss. Das führt zwangsläufig dazu, dass er Fieber bekommt und zu Hause bleiben muss. Hier spielt er inbrünstig Flöte und geht hinaus, um mit seinem Rohrstab gegen imaginäre Heerscharen (Griechen oder Trojaner) zu kämpfen. Heute war er wieder in der Schule. "Und was hat deine Verlobte gesagt?" "Willkommen zurück." "Möchtest du deine Verlobte zum Geburtstag einladen?" fragt MM den Rallyefahrer. "Ich glaube nicht, dass sie gerne aufs Land kommt." antwortet der Rallyefahrer. Während aus meiner Gurgel die Worte dringen: "Dann solltest du sie besser vergessen." sagt MM gewandt: "Sie muss ja nicht gerne aufs Land kommen, aber sie wird sicher gerne zu dir kommen." Deshalb sollte man heiraten und deshalb ist es super für Kinder, wenn sie zwei Elternteile haben. Auch wenn die männlichen Teile immer auf ihre Art Marco sind.