Freitag, 23. März 2012

Die Teilung der Gänse oder der Verlust der Fassung


Wie viele andere Menschen arbeite ich hart an der Verbesserung meines Ichs. Das nimmt viel Zeit in Anspruch und ich habe wenig Zeit, im Garten zu arbeiten, was schade ist. Leider sind die Erfolge meiner optimistischen Tätigkeit sehr gering und werden durch gewisse Ereignisse zunichte gemacht. Die meisten gewissen Ereignisse werden durch Lehrpersonal hervorgerufen. Vielleicht sollte ich die Schwerarbeit an meinem Ego Fachpersonal überlassen, das mir erklären kann, was genau in meiner Kindheit vorgefallen ist, dass ich nach dem Hören des Satzes "Wir haben die Zusammenfassung falsch gemacht" von einem relativ normalen erwachsenen Menschen nahtlos zu einem die Grenze weit überschreitenden Borderliner werde. Ich spüre, wie mir die Augen aus den Höhlen treten. "Was heißt das?" frage ich mit bereits bebender Stimme. In Wirklichkeit müsste hier die Sprachpolizei auftreten und sagen: "Was heißt, wir haben die Zusammenfassung falsch gemacht? Du hast sie falsch gemacht, ich habe dir nur geholfen." Aber ich weiß, dass der Satz ziemlich genau der Wahrheit des Vortages entspricht. Eine relativ fröhliche Mutter, die mit einem Blatt wedelt, auf dem die Lehrerin die Regeln für eine Zusammenfassung zusammenfasst und auf dem alles steht. Die Mutter ist sehr dankbar für die Regeln und wiederholt sie ein Dutzend Mal. Was also haben wir falsch gemacht? "Die Zeit war falsch, wie hätten ähm, ich glaub im Futur schreiben sollen." Delirium total. Das Kind ist verwirrt. Jetzt hat die mir mein Kind total verwirrt.Gestern konnte ich ihm noch aufgrund dieses Zettels mit den Regeln einreden, er soll alles im Imperfekt schreiben und heute glaubt er, er hätte im Futur schreiben müssen. "Also das glaub ich nicht, denn was im Futur ist, muss erst passieren, es ist die Zukunft, ok?" Ich beuge mich über den Tisch und starre mit meinen hervortretenden Augen den peinlich betretenen Schüler an. Er zeigt mir sein Heft, dort hat die Frau Professor mit Bleistift jedes Verb ausgebessert, die gewünschte Zeit war das historische Perfekt, warum aber stand in ihrem verfluchten Regelblatt dann schlicht, man solle sich an eine Zeit halten, eben Präsens, Perfekt oder Imperfekt? Als ich die vielen Verbesserungen sehe und wahrnehme, wie der nervöse Schüler beginnt, hysterisch in seinem Heft herumzustreichen, bricht der Damm. Mein kleiner Schutzengel mit den guten Manieren kämpft energisch um die Vermeidung der Worte: Arsch, ficken, Hure und ähnliches. Dennoch bitte ich zum Schluss erschöpft um eine Pumpgun. Die Kinder wissen nicht, ob sie weinen oder lachen sollen. Ich fühle mich lebendig.
Das letzte halbe Jahr gelebte Solidarität mit der Schule habe ich jetzt mit Füßen getreten. Zum Glück sind meiner Kinder wesentlich rationaler, belastbarer und emotional gefestigter, denn sie gehen auch am nächsten Tag widerspruchslos in die Schule, sie werden ihrer Lehrerin nicht ins Gesicht spucken und mit ein wenig Glück zufällig auch etwas lernen.
Ich hingegen schaffe es, als sie im Bett sind, auch MM noch unflätige Worte zu entlocken, denn der hat keinen Schutzengel, welcher die nicht jugendfreien Worte wegpiept. Er findet, ich soll in die Schule gehen und klären, ob man sich an die selbst geschriebenen Regeln halten kann und soll, oder nicht. Ich tobe, weil ich nicht nur kritisiert und schlecht und falsch behandelt wurde, sondern nun auch noch mindestens eine meiner wertvollen Stunden Lebens- und Arbeitszeit verliere, da ich diese der Errettung der Menschheit, sprich Professorenschaft, widmen muss.

Die Geschichte, die zusammengefasst wurde, hieß übrigens "Die Teilung der Gänse", es handelt sich um eine Fabel von Leo Tolstoj. Ein Bauer merkt, dass er keinen Weizen mehr hat und beschließt, seinen Herrn darum zu bitten (ich schreibe jetzt im Präsens, ist das recht so?). Er nimmt eine Gans und brät sie und bringt sie dem Herrn. Der sagt danke, aber wie soll ich die Gans teilen, ich habe eine große Familie. Der Bauer gibt ihm den Kopf der Gans, den Schwanz gibt er glaub ich der Frau, da bin ich mir aber nicht mehr sicher, die beiden Füße gibt er den beiden Söhnen, damit sie auf eigenen Beinen stehen können und die Flügel den beiden Töchtern, damit sie bereit zum Flug sind. Den ganzen schönen gebratenen Körper behält er für sich selbst. Da der Herr offenbar Humor besitzt, findet er den Bauern originell und schenkt ihm Weizen und Geld.
Ein reicher Bauer, dem diese Geschichte zu Ohren kommt, möchte ebenfalls beschenkt werden und begibt sich mit gleich fünf gebratenen Gänsen zum Herrn. Dieser fragt, wie er diese Gänse zwischen den sechs Mitgliedern seiner Familie aufteilen soll, da weiß der reiche Bauer keine Antwort. So wird nach dem armen Bauern gerufen, der eine Lösung hat: eine Gans für den Herrn und seine Frau, so seien sie drei. Eine Gans für die beiden Söhne und eine für die beiden Töchter, ebenso nunmehr ein Dreierteam. Und die letzten beiden Gänse für den armen Bauer, so sei auch dieser zu dritt. Der Herr lacht wiederum zufrieden und beschenkt den armen Bauer aufs Neue. Den reichen Bauer aber schickt er weg und will ihn nie mehr sehen.

Und die Moral von der Geschicht'? Hätte ich so einen langen Bart wie Tolstoj wäre ich vermutlich gleichmütiger.

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