Donnerstag, 26. Januar 2012

Poesie des Alltags

Die Moderatorin einer Radiosendung verspricht ein Gespräch mit einer Autorin, die Poesie des Alltags verfasst. Das interessiert mich ungeheuer, denn einen Alltag habe ich auch und ich bin begierig darauf, zu erfahren, wie ich demselben Poesie abringen kann. Leider beginnt es im Autoradio nun laut zu rauschen, das ist immer so, in diesem Abschnitt des Wegs, den wir zur Zahnärztin fahren, immer auf diesem langen Stück am Meer entlang, rechts liegt eine unverbaute Ebene, bevor die steilen Berge beginnen. Verdammt, werde ich das nie erfahren, wie es mit der Poesie und dem Alltag ist. Das Kind schläft auf der Rückbank und atmet schwer. Es hat noch seine hellblaue Schulschürze an und schwitzt. Manchmal leuchtet sie ja auf, einen Moment lang, die Poesie. Zum Beispiel, wenn ein Lied ausklingt, in dem der Sänger von seinem unbeschuhten Herzen singt. Il mio cuore scalzo. Genau so. Vielleicht ist es auch sein barfüßiges Herz. Oder das Kind, das immer selber singen will, bedient sich ungewollt der Poesie. Es singt in einer nie existiert habenden Sprache und möchte dann aber bitteschön immer einen Titel zur Inspiration bekommen. Ich bin dabei nie sonderlich inspiriert, meine Titel lauten dann immer so ähnlich wie: "der erste Stern am Himmel" oder "mit dir spüre ich die Kälte weniger", wenn nicht einfach:"der Tag geht zu Ende, die Nacht bricht an." Das Kind ist damit nicht immer zufrieden und dichtet selbst: "La malinconia può creare amore", die Melancholie kann Liebe schaffen. Wenn das nicht poetisch ist. In dem Buch, das ich gerade lese, geht es um Schiffe, die mitsamt ihrem radioaktiven Müll versenkt werden, aber selbst in diesem Werk gibt es einen Satz, der mich poetisch dünkt. Der Reporter, der Held des Romans, wurde mit seiner neuen Liebe, einer Umweltschützerin, in eindeutigen Situationen fotografiert und diese Fotos wurden veröffentlicht, um ihn und seine Berichte in Misskredit zu bringen. Nun hält er sich von der Frau fern, er muss Distanz schaffen, denn "il silenzio l'avrebbe protetta, allontanata dai rischi e ridato a lei giorni e abitudini." Die Stille würde sie beschützen, die Gefahr von ihr fernhalten und ihr die Tage und die Gewohnheiten wiedergeben." Tage und Gewohnheiten. Das erinnert an das Lieblingslied des Kindes von den Bee Gees "Oh you're a holiday..." Im aktuellen Alltag, in den aktuellen Tagen und Gewohnheiten, geht es wenig poetisch her. Meine pädagogischen Sternchen habe ich mir wütend heruntergerissen, mein Zorn ist im Moment gegen die Kunstlehrerin gerichtet. Von den Telefonaten mit meinem Ehemann und meinen Wutausbrüchen erschöpft, komme ich in das sonst so klösterlich stille Vorzimmer der Tanzschule, um das Kind abzuholen. Dort sind die anderen Mütter mit erhitzten Gesichtern am Debattieren. Ob wir uns am Freitag sehen, hängt von den Tankstellen ab, ha, wer hat das Glück, einen vollen Tank zu haben? Die Geschäfte und Supermärkte sind leer. Tatsächlich. Die Leute kauften Mehl und Bohnen, Dinge, die sie sonst nie kaufen. Es gibt keine Milch, es gibt bald auch kein Brot mehr, denn wir haben zwar jede Menge kleine Bäcker in der Umgebung, aber wenn kein Mehl und keine Hefe angeliefert wird, können sie auch kein Brot backen. "Dann essen wir halt das, was wir im Tiefkühlschrank haben", sagt eine optimistische Mutter. "Entschuldige, aber wir können doch nicht jeden Tag Huhn essen!" erwidert eine andere. Ich hoffe auf noch ein paar Tiefkühlschrank-Coming outs und überlege, ob ich unter Folter zugeben würde, dass in meinem Tiefkühlschrank noch die Zwetschken vom Vorjahr, nämlich dem wirklichen Vorjahr, sind, und dass ich auch Brot eingefroren habe, um im Notfall gedenke, meine Familie mit Brot und Zwetschkenmarmelade zu ernähren. Wenn ich mir etwas wünsche, dann meist, in einem einsamen Wald in Kanada zu leben. Was hätte ich dort in meinem Tiefkühlschrank? Es ist unangenehm, zu wissen, dass der Despar da unten leer gekauft ist und nichts Neues geliefert wird, weil die Lastwägen protestierenderweise die Straße blockieren. Und wenn wieder was geliefert wird, wieviel wird es kosten? Jetzt verstehe ich auch, wieso keine Sticker mehr kommen, die doch meine Kinder dauernd kaufen wollen. Das Album ist schon ganz verwaist. Signor Bossi fordert meinen alten Freund Silvio auf, die Regierung jetzt aber zu stürzen, andernfalls wird die Regierung der Lombardei, geführt von einem Parteikollegen Silvios gestürzt. Mir fehlt Silvio. Früher war alles so surreal. Und man dachte immer, dass es nur besser werden kann. Aber Silvio will Monti nicht stürzen. Und Bossi sagt, Silvio ist "una mezza cartuccia". Was ist das jetzt wieder? Eine halbe Tintenpatrone? Halb ist auf jeden Fall schon ein Kompliment. Ein Viertel hätte auch gereicht. In meinem kanadischen Wald würde ich Poesie verfassen. Auf meinem süditalienischen Hügel mache ich mir Sorgen.

Dienstag, 24. Januar 2012

Es ist soweit

Ich warte ja seit Jahren auf bürgerkriegsartige Zustände. Anders kann ich mir nicht vorstellen, dass das hier ausgeht. Signor Berlusconi ist in den Hintergrund gerückt, aber wir sind vom Regen in die Traufe gekommen. Während man sich in der deutschen Sprache das Wort Traufe nicht so richtig vorstellen kann, sagt man auf italienisch: Caduto dalla padella nella brace. Aus der Pfanne in die Glut gefallen. Wir armen Würstchen. Signor Monti schnallt unseren ohnehin schon im letzten Loch geschlossenen Gürtel noch enger. Er macht also eine Art Knoten in den Gürtel, damit wir nicht die Hose verlieren. In der ersten Fernsehsendung, die ich bei mir zu Hause nach viereinhalb Jahren sehe, sagt Andrea Camilleri, der Erfinder von Commissario Montalbano, gerade: Diese Regierung bedient sich an den Armen. Die Armen haben zwar wenig Geld, aber dafür gibt es viele davon. Ich bin versucht, wieder an die Kraft der Television zu glauben. Salute, Signor Camilleri, der liebe Gott möge ihnen noch viele Jahre schenken. Während der Werbung schalten wir um und sehen das Ende eines Fernsehfilms, "L'ultimo Padrino", in dem es um die Verhaftung des viele Jahre lang gesuchten Mafiabosses Bernardo Provenzano geht (der ganz schlicht in einer Hütte von Schafhirten gelebt hat). Michele Placido spielt den Boss. Besser war er nur im "Caimano" von Nanni Moretti. So gefällt mir das Fernsehen. Und es führt mich zu Marco Risi zurück, ohne den ich vielleicht gar nie in den Süden Italiens gekommen wäre. Im Sizilien von "Mery per sempre" (einem Film von Marco Risi über ein Jugendgefängnis in Palermo) ist der Verkehr durch den "Aufstand der Heugabeln" lahm gelegt. Und der Protest der Frächter und Bauern gegen die hohen Treibstoffpreise greift jetzt auch auf den "Kontinent" über. Ich habe die Kinder in die Tanzstunde und in den Schlagzeugunterricht gebracht und eile meiner Freizeit entgegen, die darin besteht, ein Paar Turnschuhe (bitte rutschfest für Break dance, bitte mit weißer Sohle, sonst bleiben auf dem Tanzboden schwarze Streifen)Größe 44 (Nein, Signora, Nike sind klein geschnitten!) auf Größe 43 umzutauschen. Schon das erste Gespräch (bei dem ich noch im Geschäft namens "Seifenblasen" bin, um die Putztabletten für die Zahnregulieung zu kaufen, beunruhigt mich: "Und alle an der Tankstelle..." "ja, die Tankwarte haben einen Streik angekündigt, der 10 Tage dauern soll, oder sogar eine Woche (Sic!)", "Nein, ich tanke nicht, aber bei Lo scoglio haben die Lastwägen die Straße blockiert, da musste man einen Riesenumweg machen." "naja, mal sehen, aber das mit dem Streik künden die Tankwarte ja schon lange an.") Tatsächlich, ich war deshalb nämlich sehr wohl tanken, am Vorabend, mit zwei Autos, während meine vier Männer vier Tische und drei Computer im Haus rochiert haben. Das zweite Gespräch belausche ich im Einkaufszentrum, in dem ich mit meinem Paar Schuhe Größe 44 (in 43 gibt es sie nicht, da müssen Sie Reebok nehmen, Signora, die kosten auch nur 14 Euro mehr...)etwas planlos herumwandere und die Worte "eine Riesenschlange vor der Tankstelle", bedeuten nicht, dass eine Boa entkommen ist, sondern beziehen sich auf viele Autos, das weiß ich genau, ich hab das nämlich auf der Herfahrt gesehen. Ich rufe MM an, der im Autobus sitzt und die Kinder abholen soll. Ja, alle tanken. Ich fahre wieder Richtung nach Hause. Die Schuhe erscheinen mir nicht mehr so wichtig. Ich sehe die Riesenschlange, die sich auf der Superstrada, ungefähr einen Kilometer von der Tankstelle entfernt gebildet hat. Bei einer anderen Tankstelle ist die gleiche Szene zu beobachten, nur haben sich hier die Autos brav an den Straßenrand gestellt. Ich schaue auf meine Tankanzeige. Der Tank ist zu drei Viertel voll. Ich weiß überhaupt nicht, warum die Leute jetzt alle tanken, aber ich überschlage, was ich alles NICHT machen muss, wenn es keinen Treibstoff mehr gibt. Als erstes verzichte ich auf meinen Besuch bei der Klassenlehrerin der großen Kinder. Dass sie von Grammatik wenig Ahnung haben, weiß ich auch so. Als letztes gehen meine Kinder nicht mehr in die Schule (nämlich dann, wenn der Schulbus nicht mehr fährt). Ich erinnere mich, warum wir eigentlich ein Haus gekauft haben, warum wir ein wenig Land haben wollten und warum wir dankbar sind, dass wir eine Wasserquelle haben. Seit ein paar Jahren verfolgt mich ein Bild: ich fahre mit dem Auto, am Straßenrand droht mir ein Typ mit zerlumpter Kleidung mit der Faust. Der Typ könnte aber auch ich sein. Die Leute tanken, weil es kein Benzin geben wird, wenn die Lieferanten streiken. Jetzt gibt es kein Benzin mehr, weil alle getankt haben. Grazie, Signor Monti.

Donnerstag, 19. Januar 2012

Dauerbrenner: First Love

Ich habe eine Phase pädagogischer Vorbildlichkeit. Den Rallyefahrer, der seine Jeans samt Mobiltelefon beim Break-Dance vergessen hat, schreie ich nicht an, sondern fordere ihn auf, in der Tanzschule anzurufen, um zu fragen, ob es seine Hose noch gibt. Er ist übrigens am Vortag in einer Trainingshose nach Hause gekommen, sonst hätte vielleicht irgendwer gemerkt, dass die Hose fehlt. In der Tanzschule wird die Hose gefunden und während der große Bruder "Assassin's Creed", ein Spiel mit einem gräßlchen Namen auf dem Nintendo spielt, darf der Rallyefahrer mit mir in die Tanzschule fahren und die Hose holen und anschließend auch gleich ein Anmeldeformular aus der Schule, welches ebenfalls vergessen wurde. Der große Bruder fühlt mir die Stirn: "Du bist viel zu ruhig." Ich muss Fieber haben.

Habe ich aber nicht, und ich will abends sogar aus der Iliade vorlesen. Da sagt der große Bruder, der sonst ein extremes Mitteilungsbedürfnis hat ("Mama, ich geh jetzt aufs Klo!"), achja, er hätte das Buch an Elisa weitergeborgt, die hätte etwas nachlesen müssen. Achja. Ohne pädagogische Orden auf der Schulterklappe hätte ich gesagt: "Bist du verrückt? Aus diesem Buch lese ich doch vor." Oder:"Kann Elisa in so einem Fall vielleicht ihre Mutter fragen, ob sie ihr das Buch für 9 Euro 90 kauft?" Oder: "Und warum sagst du mir das nicht?" Der Antworten gäbe es viele, aber es handelt sich schließlich um jene Elisa, die im Zusammenhang mit dem Sohn die Luft zum Vibrieren bringt. Und da das Mitteilungsbedürfnis auch vor ein paar Wochen schon so groß war, dass ich in Kenntnis der Tatsache gesetzt wurde, dass a) Elisa immer schöner wird, b) Elisa bei der Geburtstagsfeier von X das Haar offen trug, sage ich jetzt nichts.
Ich hoffe, Elisa liest mit wallendem Haar von der schönen Sklavin Briseide, deren Verlust den armen Achilles schluchzen ließ.

Kritik kommt ohnehin aus den eigenen Reihen: "Und deshalb gibt es heute keine Lektüre!" faucht der Neunjährige den Großen an. Der Neunjährige wiederum meint, der Häßlichste in seiner Klasse zu sein, denn ein Mädchen aus seiner Klasse fände den Sohn des Rechtsanwalts schön.

Attraktion ist etwas höchst individuelles. Wie sehen Sie das, Dr. Freud? Als ich im Alter des großen Sohns war, habe ich mit offenen Augen viele Stunden davon geträumt, dass mich ein gewisser Bursche küsse, was dieser dann auch getan hat. Ich glaube, ich habe damals schon gewusst, dass der gewisse Bursche nicht dem Schönheitsideal entsprach und auch sonst keine erwähnenswerten Vorzüge hatte. Ehrlich gesagt, er war eher hässlich, hatte eine lange Nase und zotteliges Haar und über seine intellektuellen Fähigkeiten breitet sich ein großer Mantel des Schweigens. Sein Kuss schmeckte nach Extrawurstsemmel und ich war davon überzeugt, dass man den Kuss auf den Lippen sehen konnte. Ich muss gleich im Spiegel nachschauen, vielleicht bleibt der erste Kuss ja für immer sichtbar.

Mittwoch, 18. Januar 2012

Von Männern und Mäusen

Vor nicht allzu langer Zeit mussten meine großen Kinder für die Schule Statements zum Thema Information abgeben. Planlosigkeit. "Na wo bekommt ihr denn eure Informationen, wenn ihr etwas wissen wollt, Neuigkeiten, etc." "Wir fragen dich!" "Und ich? Woher beziehe ich Information?" "Du fragst Papa!"
Das bin ich, so sehen mich meine Kinder.

Und natürlich steckt in diesem kolossalen Irrtum ein Körnchen Wahrheit, wie ich gestern feststellen musste. MM kommt um zwanzig nach sechs mit den verschwitzten Break-Dancern nach Hause und verschwindet. Irgendwann begegnen wir uns wieder, das passiert, meistens in der Küche. "Ich repariere deinen Stecker. Ich habe mir vorgenommen, jeden Tag eine Sache zu tun, so habe ich am Ende der Jahres 365 Dinge getan." Dieses Jahr sogar 366, das nenne ich Lebensphilosophie. Ich wusste gar nicht, dass ich einen kaputten Stecker habe, ich habe mich daran gewöhnt, meine Nachttischlampe mittels eines zehn Meter langen Verlängerungskabels in Betrieb zu setzen.
Freundlicherweise unterbricht er die Tätigkeit des Tages, um beim Abendessen Information zu verbreiten. Der Kapitän des untergegangenen Kreuzschiffs hat nicht als letzter das Schiff verlassen, wie es sich gehören würde, und die ganze Kreuzschiffgeschichte hat verhindert, dass wir etwas Entscheidendes erfahren haben, nämlich: dass in Sizilien der Aufstand der Heugabeln ausgebrochen ist. Die Menschen protestieren gegen die hohen Treibstoffpreise und haben den Verkehr zum Erliegen gebracht. Das gefällt mir.
MM hat auch Informationen aus allererster Hand: Roberto Benigni bekam an der Universität von Kalabrien einen Doktortitel honoris causa und MM war dabei. Benigni bezeichnete den Süden Italiens als den Kopf Italiens und dass man den nicht abschlagen solle (haben Sie gehört, Signor Bossi?). Da passen doch die Sizilianer mit ihren wüstenhaft verlassenen Straßen gut dazu. Die Kinder sind mittlerweile zum Tom und Jerry Cartoon zurückgekehrt und das Kind ruft: "Papa, sie haben die chinesische Mauer zerstört!" "Die Armen" ruft MM freundlich zurück. Niemand fragt nach, wer arm ist, alle sind zufrieden und MM, der, wie mir erstmals auffällt, eine Furche in der Nase hat, erzählt weiter, wie Benigni meisterhaft und sympathisch den Störversuch eines Typen aus einem TV-Programm mit dem sprechenden Titel: "Die Hyänen", in sein Programm einbaut. Der Typ singt irgendeinen alten italienischen Hadern, Benigni läßt sich stören und singt mit. Der Typ gibt auf. "Entschuldigen Sie," sagt er zum Publikum, "wir haben nicht geübt, das nächste Mal wird es besser!" Tom und Jerry ist zu Ende, die Kinder wollen noch CSI sehen. "Papa, das willst du doch auch!" rufen sie, in der Hoffnung, ihrem Wunsch werde stattgegeben. Der Informationsträger eilt auf das Sofa vor den Fernseher.

Wir haben seit mehr als vier Jahren keinen TV-Empfang. Die CSI-Folgen stammen aus einer alten Sammlung, als wir noch amerikanische TV-Serien-Junkies waren.
Vor ein paar Tagen hat die Klassenlehrerin der großen Kinder die Direktorin in die Klasse gebeten, um den Schülern, die keine Hausübungen machen, die Leviten zu lesen. Meine Kinder wurden bei der Gelegenheit öffentlich gelobt und es wurde betont, dass meine Kinder nicht einfach den ganzen Tag fern sehen, sondern sich am Abend (nachdem sie die Hausübungen gemacht haben, bittesehr!) einen Film anschauen. (Zum Glück weiß sie nicht, dass es sich, wenn schon nicht um CSI, dann um Filme mit Jugendverbot wie Mean Streets oder Rambo handelt).
Just an diesem Tag hatte ich eine Antenne gekauft. Meine Kinder befürchten, sie können jetzt am Abend keine Filme mehr sehen. Neinnein, schaut nur weiter eure DVDs, das Fernsehprogramm werde ICH konsultieren und abends gebe ich euch ein paar Informationen weiter.
Normalerweise lese ich den Kindern jetzt abends die Geschichte der Iliade vor, aber gestern war ich zu müde (zu viele Informationen...), und während ich mich Morpheus Armen ergab, nahm ich entfernt wahr, dass MM seine Tagessache zu Ende brachte und meine Nachttischlampe umsteckte.
Oh Captain, my captain...

Dienstag, 17. Januar 2012

Papa, mi sono fidanzato!

Der Rallyefahrer, der mit 12 Jahren zum Latin Lover mutiert ist, verkündet vor ein paar Tagen beim Abendessen lächelnd. "Papa, ich habe mich verlobt!"
Erst denke ich, wieso er das dem Papa sagt, und nicht mir, der liebenden, immer interessierten Mutter. Dann fällt mir ein, dass der Papa täglich fragt, wie es den Verlobten geht. Bis jetzt war die Antwort grummelig stets:"Ich habe keine Verlobten." MM und der Rallyefahrer tauschen irgendwelche Infos auf Latin Lover Art und ich höre mich sagen: "Weißt du, dass man, um verlobt zu sein, auch miteinander reden muss?" "Sicher!" grinst der Rallyefahrer. Später denke ich, ich bin grausam. Ich hätte auch sagen können: "Das freut mich für dich, liebes Kind. Ich gratuliere dir!"

Immerhin frage ich nach ein paar Tagen nach: "Na, bist du noch verlobt?" Der Rallyefahrer antwortet eifrig: "Komisch, seit ich verlobt bin, sehe ich sie nicht mehr, sie ist wie vom Erdboden verschluckt!"
Außerdem möchte er bitte Flöte üben und ärgert sich über sich selbst, weil er "Montagne verdi" nicht gut spielen kann. Mir ist das zutiefst suspekt. Der einzige Ehrgeiz dieses Kindes im Körper eines Heranwachsenden lag bis vor kurzem ausschließlich darin, ein höheres Niveau in einem Video-Spiel zu erreichen, oder einen tollen Stecken zu haben, um als Van Helsing gegen Heerscharen erfundener Feinde zu kämpfen.

Sein großer Bruder hingegen, der irgendwann vibrierend mitteilte, dass er es kaum erwarten könne, sich zu verlieben, fühlt sich häßlich. "Ich gefalle den Mädchen nicht."

Einmal, als wir nach dem Break Dance aus der Tanzschule kamen, war Elisa, damals des Rallyefahrers Bankkollegin in der Klasse, auf dem Weg in die Tanzschule. Sie und der große Sohn stießen auf dem Gehweg fast zusammen und sie blickte von unten zu ihm hoch. Sie lächelte und senkte gleich den Blick wieder. Meinen Sohn sah ich nur von hinten, aber die elektrisch geladene Luft erreichte mich.

Sehr viel früher in meinem Leben, als ich mein Geld noch nicht für Jazz Pants Hosen für Neunjährige und Stickers für das Unesco-Welterbe Sammelalbum ausgab, sondern für einen wirklichen Therapeuten, sagte dieser, nachdem ich ihm von einer verunglückten Liebesnacht berichtet hatte: "Du hast also mit ihm geredet, anstatt mit ihm zu schlafen?" Er war sichtlich entsetzt. Er war auch bioenergetisch ausgebildet.

Viele Jahre lang habe ich gelaubt, damals einen unverzeihlichen Fehler begangen zu haben. Typisch: Reden und nicht Handeln! (Im konkreten Fall glaube ich allerdings ohnehin, nichts verpasst zu haben.)

Das, was ich allerdings in diesen langen Jahren begriffen habe, ist: Ich bin halt so. Ja, so war das. Ich hätte lieber mit dem bioenergetischen Therapeuten geschlafen, aber das tut man in einer Therapie nicht.

Ich finde, dass Verlobte miteinander reden sollten, aber der Rallyefahrer sieht das vielleicht anders und wenn ich etwas gelernt habe, mit oder ohne Therapeuten, dann das: Das ist ok. (Falls ich es vergessen solltes, wer erinnert mich daran?)

Donnerstag, 12. Januar 2012

Nicht nur, aber auch

Ich gehe mit den Kindern ins Kino: Sherlock Holmes. Sherlock Holmes liebt Watson, Watson liebt aber auch Sherlock Holmes. Er weiß es nur nicht. Meine Kinder auch nicht. Ich schon. Guy Ritchie auch.

Schon seit Tagen scheint die Sonne. Ist das passend?

Gestern stand noch die dicke Sau beim Nachbarn. Die, die so schön grunzte. Heute ist sie weg. Da fehlen ein paar Schweine bei den Nachbarn. Dafür haben sie ein paar Würste reifen.

Ich koche Kaffee.

Ich bin extrem fleißig.

Ich habe mich seit zwei Tagen nicht über die Kinder aufgeregt.

Ich habe Angst, dass ich alt werde und ein Kreuzzeichen schlage.

In der Nacht träume ich, dass mich ein Monster fest unter den Armen kitzelt. Ich will "Mama!" schreien, aber ich gurgle nur. Das Monster ist die Halloween-Maske vom großen Sohn. Darüber bin ich erleichtert, als ich von meinen Schreiversuchen aufwache.

Dass ich mich nicht aufrege, macht mir auch Angst.

Das Meer ist sehr blau und wir sehen jeden Tag bis zum Stretto di Messina und auch Stromboli plus zwei kleine Inseln. Das heißt, dass es kalt ist. Ist die Sicht immer nur dann klar, wenn es kalt ist?

Der Rallyefahrer sagt: "Ich bin ein Latin Lover!" und grinst. Er trägt jetzt die Hosen so, dass sie aussehen, als hätte er vergessen, sie hochzuziehen. Im Kino ist ein dicker Junge, der die Hosen ebenfalls so trägt, man sieht seine beginnenden Arschbacken. Der Rallyefahrer und ich schauen uns an. Gemein sage ich: "So ist das bei dir auch." "Nein", sagt er gelassen, "ich habe eine Unterhose."

Alle tanzen, nur ich nicht.

Früher wollte ich nach so manchem Kinobesuch aus dem Klofenster eines Cafès in ein anderes Leben flüchten. Heute lache ich mich über Steve Martin kaputt.
Und Sherlock Holmes hat dieselben Verkleidungsmethoden wie Steve Martin als rosaroter Panther. Er tritt als Tapete auf. Danke Guy Ritchie. Nach diesem Film fühle ich mich weniger alt.