Dienstag, 24. Januar 2012

Es ist soweit

Ich warte ja seit Jahren auf bürgerkriegsartige Zustände. Anders kann ich mir nicht vorstellen, dass das hier ausgeht. Signor Berlusconi ist in den Hintergrund gerückt, aber wir sind vom Regen in die Traufe gekommen. Während man sich in der deutschen Sprache das Wort Traufe nicht so richtig vorstellen kann, sagt man auf italienisch: Caduto dalla padella nella brace. Aus der Pfanne in die Glut gefallen. Wir armen Würstchen. Signor Monti schnallt unseren ohnehin schon im letzten Loch geschlossenen Gürtel noch enger. Er macht also eine Art Knoten in den Gürtel, damit wir nicht die Hose verlieren. In der ersten Fernsehsendung, die ich bei mir zu Hause nach viereinhalb Jahren sehe, sagt Andrea Camilleri, der Erfinder von Commissario Montalbano, gerade: Diese Regierung bedient sich an den Armen. Die Armen haben zwar wenig Geld, aber dafür gibt es viele davon. Ich bin versucht, wieder an die Kraft der Television zu glauben. Salute, Signor Camilleri, der liebe Gott möge ihnen noch viele Jahre schenken. Während der Werbung schalten wir um und sehen das Ende eines Fernsehfilms, "L'ultimo Padrino", in dem es um die Verhaftung des viele Jahre lang gesuchten Mafiabosses Bernardo Provenzano geht (der ganz schlicht in einer Hütte von Schafhirten gelebt hat). Michele Placido spielt den Boss. Besser war er nur im "Caimano" von Nanni Moretti. So gefällt mir das Fernsehen. Und es führt mich zu Marco Risi zurück, ohne den ich vielleicht gar nie in den Süden Italiens gekommen wäre. Im Sizilien von "Mery per sempre" (einem Film von Marco Risi über ein Jugendgefängnis in Palermo) ist der Verkehr durch den "Aufstand der Heugabeln" lahm gelegt. Und der Protest der Frächter und Bauern gegen die hohen Treibstoffpreise greift jetzt auch auf den "Kontinent" über. Ich habe die Kinder in die Tanzstunde und in den Schlagzeugunterricht gebracht und eile meiner Freizeit entgegen, die darin besteht, ein Paar Turnschuhe (bitte rutschfest für Break dance, bitte mit weißer Sohle, sonst bleiben auf dem Tanzboden schwarze Streifen)Größe 44 (Nein, Signora, Nike sind klein geschnitten!) auf Größe 43 umzutauschen. Schon das erste Gespräch (bei dem ich noch im Geschäft namens "Seifenblasen" bin, um die Putztabletten für die Zahnregulieung zu kaufen, beunruhigt mich: "Und alle an der Tankstelle..." "ja, die Tankwarte haben einen Streik angekündigt, der 10 Tage dauern soll, oder sogar eine Woche (Sic!)", "Nein, ich tanke nicht, aber bei Lo scoglio haben die Lastwägen die Straße blockiert, da musste man einen Riesenumweg machen." "naja, mal sehen, aber das mit dem Streik künden die Tankwarte ja schon lange an.") Tatsächlich, ich war deshalb nämlich sehr wohl tanken, am Vorabend, mit zwei Autos, während meine vier Männer vier Tische und drei Computer im Haus rochiert haben. Das zweite Gespräch belausche ich im Einkaufszentrum, in dem ich mit meinem Paar Schuhe Größe 44 (in 43 gibt es sie nicht, da müssen Sie Reebok nehmen, Signora, die kosten auch nur 14 Euro mehr...)etwas planlos herumwandere und die Worte "eine Riesenschlange vor der Tankstelle", bedeuten nicht, dass eine Boa entkommen ist, sondern beziehen sich auf viele Autos, das weiß ich genau, ich hab das nämlich auf der Herfahrt gesehen. Ich rufe MM an, der im Autobus sitzt und die Kinder abholen soll. Ja, alle tanken. Ich fahre wieder Richtung nach Hause. Die Schuhe erscheinen mir nicht mehr so wichtig. Ich sehe die Riesenschlange, die sich auf der Superstrada, ungefähr einen Kilometer von der Tankstelle entfernt gebildet hat. Bei einer anderen Tankstelle ist die gleiche Szene zu beobachten, nur haben sich hier die Autos brav an den Straßenrand gestellt. Ich schaue auf meine Tankanzeige. Der Tank ist zu drei Viertel voll. Ich weiß überhaupt nicht, warum die Leute jetzt alle tanken, aber ich überschlage, was ich alles NICHT machen muss, wenn es keinen Treibstoff mehr gibt. Als erstes verzichte ich auf meinen Besuch bei der Klassenlehrerin der großen Kinder. Dass sie von Grammatik wenig Ahnung haben, weiß ich auch so. Als letztes gehen meine Kinder nicht mehr in die Schule (nämlich dann, wenn der Schulbus nicht mehr fährt). Ich erinnere mich, warum wir eigentlich ein Haus gekauft haben, warum wir ein wenig Land haben wollten und warum wir dankbar sind, dass wir eine Wasserquelle haben. Seit ein paar Jahren verfolgt mich ein Bild: ich fahre mit dem Auto, am Straßenrand droht mir ein Typ mit zerlumpter Kleidung mit der Faust. Der Typ könnte aber auch ich sein. Die Leute tanken, weil es kein Benzin geben wird, wenn die Lieferanten streiken. Jetzt gibt es kein Benzin mehr, weil alle getankt haben. Grazie, Signor Monti.

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