Mittwoch, 14. Dezember 2016

wouldn't it be good to be in your shoes

Urgut geht es der Datti nicht, das kann man nicht behaupten. Nach vielen Arbeitstagen in der großen Stadt ist sie heimgekehrt, um festzustellen, dass sich der große Sohn zu einem kleinen Arschloch entwickelt hat (wofür er vielleicht nichts kann und wovon man sagt, dass es normal sei). Dass sie ihr Ehemann wie ein viertes Kind behandelt (sie weiß nichts, sie kann nichts, sie tut nichts), dass der Fußballer unter dem Pantoffel von Giovanna aus Napoli steht (und nicht unter dem mütterlichen, ha!) und dass das Kind suspekterweise sehr umgänglich ist, was auf die Vorbereitung des richtig großen Dramas schließen lässt. Die eigene Mutter geht der Datti am wenigsten auf die Nerven, verkehrte Welt.

Sie ist mit ihren Gedanken meistens woanders und fürchtet nichts mehr, als dass jetzt Weihnachten kommt. Der Plastikchristbaum steht schon seit Maria Empfängnis, das Kind hat ihn geschmückt, so derartig in time war diese Familie noch nie, auch dies lässt auf einige Disfunktionen schließen.

Der zweite Zahn innerhalb von vier Wochen ist im Mund der Datti ausgebrochen. Das Knie kracht und grammelt, die Wechseljahre lassen auch auf sich warten, die Haare sind ungewaschen. Die Datti würde sich in die Mülltonne schmeißen, wenn es dort besser riechen würde.

Und jetzt kommt eben Weihnachten. Ich will nicht. Defintiv nicht. Ich möchte niemanden beschenken. Ich möchte kein Fest des Friedens. Heute war ich auf einem Begräbnis, dort haben entfesselte Frauen Mitte vierzig davon gesungen, dass Jesus sie in seine Arme nehmen soll und dass sie mit ihm in einem Boot sitzen. Nehmt mich mit! Mich soll er auch umarmen! Der letzte Hippie aller Zeiten. Sollte ich doch seiner Geburt gedenken? Und meinem großen Sohn verzeihen, dass er mich eine Rechnung für Schnellfahren mit unserem Auto hat zahlen lassen? Ich meine, immerhin hat er die 300 Euro für den vorigen Schaden aus eigener Tasche bezahlt. Die Frage ist: soll ich ein guter Mensch werden?

Ich bin nämlich auf der Suche nach einer neuen Identität, denn meine alte ist gänzlich ungeeignet, Weihnachten ohne Zank und Hader zu überstehen. Die meisten Scheidungen finden nach den Ferien statt und das möchte ich für mich tunlichst vermeiden.

Deshalb fällt mir der Song von Nick Kershaw aus dem Jahr 1985 ein: The grass is always greener irgendwo anders.

Jede meiner Freundin scheint ein erfreulicheres Leben zu haben, als ich selbst. Mit Familie, ohne Familie, mit kleiner Familie, mit großer Familie, alle, alle, keine ausgenommen. Mit super Ehemann, ohne Ehmann, mit schwierigem Ehemann. Wie haben sie das gemacht und wann bin ich auf der Strecke geblieben?

Als etwa 8-jähriges Mädchen fand ich ein etwa 18-jähriges Mädchen im Wartesaal des Arztes so interessant, dass ich versucht habe, sie zu imitieren. Sie hatte volle Lippen und ich erinnere mich, dass ich tagelang die Lippen geschürzt habe, bis mir jeder Muskel im Gesicht weh tat. Damit hätte ich den Mangel an langem Haar wettmachen können. Ich muss also jemand imitieren. Damit lenke ich mich ab und dann tun mir die Muskeln weh.

Was also steht mir für die Weihnachtsferien zur Verfügung?
Variante 1: ich bleibe, wie ich bin. Grantig, unzufrieden, zerstreut.
Vorstellung: Langweilig.

Variante 2: ich werde ein guter Mensch. Mutter Teresa? Ach nein. Aber doch besser als jetzt. Gut mit oder ohne Religion? Das könnte bedeuten: Simone Weil lesen, Edith Stein lesen. Sicher lohnenswert. Möglichst keinen Kontakt mit niemandem. Nach den Weihnachtsferien: Illuminiert. Gute Möglichkeit. Schwer durchzuführen. Sie werden mich nicht so viel lesen lassen.
Gut ohne Religion? Mit dem Vorhaben, 10 Tage (hoffentlich ist es nicht noch länger, habe Angst in den Kalender zu schauen), einfach nett zu sein. Jeden Tag aufs Neue.
Vorstellung: Maximale Herausforderung.

Variante 3: ich werde zu einer wandelnden Zeitbombe. Ich sag es allen ins Gesicht: Leckt mich doch. Leckt mich alle mit euren Scheißweihnachten, ihr Heuchler, ihr verlogenen. Und die ersten, die ich attackiere sind die Frauen Mitte vierzig, die mit dem Jesus in einem Boot sitzen. Denen zieh ich gleich mal den Stöpsel aus ihrem Schlauchboot. Und dann lege ich mir zurecht, wen ich noch aller untergehen lasse. Ich bin ja völlig unverdächtig, könnte daher effizient tabula rasa machen. Meine Familie lasse ich peinlich berührt nach meinen Wahnsinnstaten zurück.
Vorstellung: Unrealistisch. Bin ich viel zu müde dazu.

Variante 4: ich werde aktiv. Ich entwerfe einen Plan, einen anderen als den, als Killerin durch die Welt zu ziehen. Ich repariere die Tür. Ich repariere alle Türen. Ich häkle die Hauben, für die ich letztes Jahr zu Weihnachten die Wolle gekauft habe. Um dann festzustellen, dass ich nicht mehr häkeln kann. (Da fällt mir ein, dass ich etwas zu tun habe, was vor Weihnachten fertig sein muss. Ich glaube, ich bin der einzige Mensch, der so verzweifelt ist, dass er Blogeinträge vor Weihnachten schreibt, statt einfach einzukaufen.) Ich räume mein Büro auf. Ich räume den Keller, die Küche, die Kinderzimmer auf. Ich putze die Bäder. Ich staube alle DVDs ab. Ich hole die Zwetschken aus dem Gefrierfach und mache Marmelade.
Vorstellung: Lächerlich. Mach ich nie.

Variante 5: ich werde sozial. Ich schreibe Freunden und Verwandten. Ich gehe Nachbarn besuchen. Ich lerne die Eltern von Giovanna kennen.
Vorstellung: Schaurig. Ich möchte die Decke über den Kopf ziehen. Nein, nicht die Decke. Alle Decken dieser Welt. Sie mögen mich unter sich begraben.

Variante 6: ich werde zur Schriftstellerin. Gerne wäre ich heiter, aber wie soll das gehen? Doch, mir fällt etwas ein: meine Oma. Meine Oma. Genau. Ohne meine Oma würde ich mich in vor Liebe triefenden Romanen versuchen, denn von der Liebe verstehe ich was und das Triefen wird mir nicht schwer fallen. Mit meiner Oma, der größten Heftlleserin aller Zeiten, wird es mir gelingen, Heiterkeit, Luft, Licht, Freude in das Triefen zu bringen. Meine Oma ist 1978 gestorben, ich dachte immer, sie sei im Bett einfach eingeschlafen und nicht mehr aufgewacht, aber meine Mutter hat mir erzählt, sie sei am Fenster gesessen (dort wo die Zeitungen lagen) und wäre dort - eingeschlafen und nicht mehr aufgewacht. Was für ein schöner Tod. Alle von meiner Mutter und meinem Bruder für mich mit pädagogischem Blick ausgesuchten Kinderbücher, all die Abstinenz von den Comix, die gänzliche Asterixfreie Kindheit, alles wurde zunichte gemacht, als ich das erste Mal Frauenarzt Dr. Harald Bosse liebt seine Assistentin Heidrun las. Dr. Harald Bosse hatte eine ebenso reiche wie gefühlskalte Frau und es war nicht weiter verwunderlich, dass er sich in seine hübsche und hingebungsfähige Assistentin verliebte. Hingebunsgsfähig. Soll ich das als Variante 7 versuchen? Nein, ich bleibe bei Variante 6. Oma wird mich inspirieren. Ich werde versuchen, in Omas shoes zu steigen. Even if it was for just one day. Leider weiß ich nicht, wie meine Oma Weihnachten verbrachte. Denn meine Oma lebte an einem Ort, an dem man damals im Winter nicht hinfahren wollte. Meine Oma hatte 8 Kinder und vier waren katholisch und vier evangelisch. Ich glaube, die Religion war der Oma ziemlich wurscht. Sie selbst war evangelisch. Auf jeden Fall war die Oma lustig. Urlustig. Werde ich alt? Ja, schon, aber so alt, dass mir meine Oma als Vorbild gelten muss, damit ich zu Weihnachten meine Familie ertragen kann? Der Plan also lautet: im Zweifelsfall an die schweren Schuhe von der Oma denken, oder an die ausgelatschten Hauspatschen. Im schlimmsten Fall solche am Markt kaufen. Hoffen, dass der schlimmste Fall nicht eintritt, denn die Hauspatschen waren alles andere als sexy. Schauen, dass man jeden Tag ein bisschen an der heutigen Variante von Dr. Harald Bosse arbeiten kann, heiter, leicht, nicht gehäkelt, sondern gesponnen, um der Oma eine Freude zu machen. Niemanden mehr beneiden. Es stimmt schon, alle meine Freundinnen haben es besser als ich. Aber meine Oma als Inspiration habe nur ich. Das wird ein Spaß mit Dr. Harry Bosse in der Krippe. Oma, here we go - in your shoes.




Sonntag, 23. Oktober 2016

Don't go chasing waterfalls

Meine Kollegin ist 30 und wenn ich mit ihr an unseren Arbeitsplatz fahre, wird es meistens erst Tag. In ihrem Auto hören wir "Don't go chasing waterfalls". Bette Midler. Jeden Tag. Tutto volume. Arrangement mit Mut zum Pathos. Ich beginne wieder etwas zu spüren. Etwas von mir. Nur geht es in dem Lied um einen Sohn, little precious, can't seem to keep himself out of trouble.

So einen Sohn habe ich auch. Mein schüchternes grantiges Kind, das mit dem Erhalt des Führerscheins zu einem society-man wird, wobei mir die Art der society nicht ganz geheuer ist. Unser Dr. Jekyll und Mr. Hyde zwischen unfassbarer Frechheit und Umarmungen und Liebeserklärungen. Sorge, Sorge, Sorge, aber auch die Einsicht, dass man nichts tun kann, alles ist gesagt und zwar mehrmals. Dass ich viel ärger war, als Jugendliche, tut nichts zur Sache. Die Abwesenheit von Religion wird zusehends zu einer Bürde, denn ich würde so gerne beten. Ich weiß, anderen Eltern geht es nicht anders. Nicht wegen dem Beten, aber mit den Jugendlichen. Oder geht es mir doch besonders schlecht?

Freunde von uns sind in einer ähnlichen Lebenssituation, sie haben drei Töchter adoptiert und mein überwiegendes Gefühl ihnen gegenüber war bis gestern Neid und Eifersucht. Die älteste Tochter studiert an der Universität. Das heißt, sie hat die Matura gemacht. Sie ist über mein erkärtes Lebensziel, nämlich meine Söhne bis zur Matura zu bringen, zu schleifen, zu streicheln, zu bevormunden, zu füttern, zu brüllen, zu hypnotisieren, hinausgegangen. Neid und Eifersucht auch darüber, dass meine Freundin, trotz Familie, Karriere macht. Möglicherweise ist sie nicht weniger erschöpft als ich, aber sie bringt mehr Geld nach Hause.

Dann sagt mir MM, dass das Kind die älteste Tochter an der Uni getroffen hat. Sie haben jede Menge Selfies gemacht und erstaunlicherweise etwas geredet und das wurde dann MM mitgeteilt. Das Kind habe nämlich erzählt, wie schlecht die Stimmung in unserem Haushalt sei, weil eben sein großer Bruder so ein Widerling ist. Das sei ja dann wie bei ihnen, meint die große Tochter unserer Freunde. Nein, sagt das Kind, sein Bruder habe kein spezielles Problem mit den Eltern, er ginge allen auf die Nerven und würde auch ihn, das Kind, nicht respektieren, denn er stehe so spät auf, dass das Kind beim verspäteten Familientransport dann den Bus zur Schule verpassen könnte. Tatsächlich sind die troubles im Hause meiner karrieremachenden Freundin etwas größer und dort wird nichts mehr gesprochen. Außer das Wort Scheidung. Kein Neid, keine Eifersucht mehr. Mir kommen gleich die Tränen. Alles ist relativ, vor allem in Familien.

Ich denke mit Wärme an meinen rauchenden Sohn, der, nachdem ihn seine erste Freundin verlassen hatte, verzweifelt meinte, er würde jetzt nie mehr eine Freundin finden. Immerhin muss man sich keine Sorgen machen, dass er aus dem Fenster springt, weil er ohne SIE nicht mehr leben kann. Und immerhin redet er mit uns. Auch wenn mitunter mit etwas lauter Stimme. Alles ist relativ und daher kann alles auch gut sein, einen Moment lang. Und für mich kann Bette Midler wieder pathetisch singen, ich mache mir weniger Sorgen. Please stick to the rivers and the lakes you are used to.

Sonntag, 16. Oktober 2016

In case of doubt

Im Zweifelsfall nichts tun. Das fällt mir wirklich schwer. Abwarten und Tee trinken. Die Vorstellung bringt Ameisen in meine Füße. Da will ich gleich losrennen. Jemanden zur Rede stellen. Jemanden ohrfeigen. Jemanden küssen. Allen alles erklären.

Aufspringen, aufzeigen, reden. Neinneinnein. Jajaja. Ichichich.

Also gut, ich trinke Tee. Es macht mich verrückt. Ich will keinen Tee. Ich will handeln. Ich will hinauslaufen, ich will durch das Laub stapfen. Ich will zumindest telefonieren. Ich will gefühlvolle Dinge auf facebook schreiben. Ich schreibe nie etwas auf facebook.

Eine Frau mit der ich zusammenarbeite, sagt über eine andere Frau, sie solle nicht auf facebook schreiben, wenn sie angesoffen sei oder es ihr nicht gutgehe. Ich bin nicht angesoffen, denn ich trinke ja Tee und es geht mir auch nicht schlecht. Aber ich nehme mir diesen Rat dennoch zu Herzen.

Die Indianer setzen sich an den Fluss und warten, bis die Leichen vorbeitreiben. Ich aber bin diejenige, die die Leichen erst einmal erzeugt. Doch davor habe ich jetzt plötzlich Angst. Es gibt nicht mehr soviel, was nachwächst.

In der Defensive bleiben. Das ist noch einmal etwas anderes, als das Gegenteil von in die Offensive gehen. Ich muss nur stillhalten. Nicht stillhalten, bis es vorbei geht. Stillhalten, bis etwas passiert, denn es passiert immer etwas. Oft etwas anderes. Und ja, manchmal etwas Komisches.

Ich muss daran denken, wie ich in der Mittelschule im Raucherkammerl war und rauchte. Es gibt keine Mittelschule mehr, zumindest keine alte und schon gar nicht gibt es ein Raucherkammerl. Und ich rauche nicht mehr. Und wenn es eines gäbe, würden wir rauchen und reden, so wie damals? Oder würden wir rauchen und in unser Mobiltelefon schauen? Facebook anschauen? Wir waren so konspirativ und so unerschrocken. Wir waren so jung und hatten keine Chance und nützten sie trotzdem. Oder auch nicht.

Und wir stanken nach Rauch, dass mir heute noch schlecht wird. Unsere Alpaca-Pullover haben nach Rauch und Energie gerochen. Ich habe so gerne geraucht. Ich wäre so gerne Schriftstellerin geworden und aus meinem Zimmer wäre unter dem Türschlitz der Rauch hervorgekommen, während ich, im Unwissen darüber, dass ich später einen Computer benutzen würde, auf einer Schreibmaschine geklappert hätte. Aber ich rauche nicht mehr und zum Schreiben habe ich wenig Zeit.

Jetzt tritt Unordnung ins System, die Erdplatten verschieben sich. Das kann weh tun. Wie man weiß, kann das Häuser zum Einsturz bringen. Nein. Dazu sind wir zu wenig erdbebensicher gebaut.

Das Schiefe ist, dass es das gibt, was entstanden ist, und das, was immer war. Ich empfinde das als Problem. Das, was immer war, entwickelt sich nicht und will sich nicht anpassen, es hat gar keine Idee, wie es sich heute zu benehmen hat.

Irgendwann bin ich draufgekommen, dass einige meiner Arbeitskollegen dann geboren wurden, als John Lennon starb und wir alle mit Fackeln auf der Mariahilferstraße getrauert haben. Das Wachs ist auf meine Schuhe getropft, nämlich Clarks, Desertboots. Und das muss der gemeinsame Nenner von mir und mir sein. Meine jungen Arbeitskollegen finde ich erstaunlich praktisch. Die Welt, die ich wollte, ist nicht entstanden.

Ich will stillhalten. Es wird vorbei gehen, etwas wird passieren, denn ja, andauernd passieren komische Sachen. Ich bin alt. Ich bin jung. Ich bin für immer jung, was auch eine Qual sein kann.

Im Zweifelsfall will ich die Zähne zusammenbeissen. Aber wollten wir nicht immer mutig und gerecht sein? Vielleicht ist Mut und Gerechtigkeit heute anders? Mutig und gerecht halte ich still, sehr sehr still.


Montag, 6. Juni 2016

Harfenstunden

Die letzten Wochen waren voller Harfenklänge. Was nicht heißt, dass der Himmel voller Geigen hing, was schön gewesen wäre. Irgendwie hat das Kind heuer das dritte Jahr in der Schule Harfe gelernt, auch wenn es uns wenig vorgekommen ist. Dann sind wir draufgekommen, dass er an diversen Aktivitäten zu diesem Instrument nicht teilnimmt, was uns überrascht, aber nicht erfreut hat. Zum Schluss war aber dann alles sehr aufwändig und wir waren dann wieder (fast) froh, dass er uns erspart hat, im Orchester zu spielen und an Konzerten teilzunehmen, die über die letzte Woche hinausgingen. Da war nämlich am Montag das Konzert in der Schule in der Marina, am Dienstag das Konzert in der Schule im Dorf auf dem Hügel, am Mittwoch das Konzert im Theater. Und am Samstag mussten wir in die Provinzhauptstadt in ein Musikgymnasium fahren, wo etwas stattfand, das das Kind uns als "da sind dann richtig große Harfen, auf denen wir spielen können" präsentierte. 3 Tage minutiöser Planung dieses Ausflugs, denn wir haben ja nicht nur ein Kind, sondern drei und nicht nur ein Auto, sondern zwei und man kann das potenzieren und multiplizieren, dann kommt die Anzahl unserer Probleme, nicht nur organisatorischer Natur heraus. Und dann stehen wir vor der Schule, sie liegt im Schatten, ein leichter Wind weht um drei Uhr nachmittags über einen leeren Platz und mit ihm die angenehmen Klänge einer Harfe. Ich bin ungeduldig, die Harfelehrerin ist noch nicht da, die andere Teilnehmerin auch nicht, und ich höre schon die Harfe! Ich betrete das Gebäude und erkläre einer sehr netten Schulwartin wer ich bin. Sie sagt, die Veranstaltung habe um 14 Uhr begonnen. Ich sage komplizenhaft: Ist wohl ein Open day, oder was? Ein Tag der offenen Tür, der für meine Begriffe viel zu spät stattfindet, denn wenn die Schule für sich Werbung machen will - mein Kind ist bereits in einer anderen Schule angemeldet. Nein, es handelt sich um eine Masterclass. Dieser Ausdruck gefällt mir. Jetzt sehe ich sogar ein Plakat: Masterclass mit Gisele Herbert. Das gefällt mir noch viel besser. Das Kind wird von einer französischen Meisterin eine Lektion erhalten, ich frohlocke. Ich werde von der Harfelehrerin des Musikgymnasiums begrüßt und versuche diskret zu sein und vor allem gelassen und sage: "Nein, wir wollen noch nicht eintreten, wir warten auf unsere Professoressa". Ich spähe in den Raum und sehe die riesige Harfe und die gebannt blickenden jungen Damen und bin sehr aufgeregt. Ich laufe zu MM und dem Kind und sage: "Ich habe alles gesehen und es ist alles sehr super." Ich bin zufrieden mit mir, ich bin eine Art Mutter-Journalistin, die für ihren Sohn auch die letzte Hemmschwelle mühelos überspringt. Die andere Teilnehmerin kommt, sie wird ebenfalls von beiden Elternteilen gebracht, in einem Mercedes, samt kleinem Bruder. Dann kommen noch zwei Mädchen mit ihren Müttern und unsere charismatische Prof. Wir treten in die Aula, ich gleich nach der Prof, begrüße mit strahlendem Lächeln die Verantwortliche und nicke freundlich der Maestra zu, die sich nicht aus der Ruhe bringen lässt, trotz dieses plötzlichen Einfalls der kleinen Karawane. Wir nehmen Platz und ich sehe auf der Bühne einen jungen Mann mit abstehendem lockigen Haar, einer Brille und einigen Piercings an der Harfe. Er könnte aus Brasilien stammen und ich glaube, ihn zu kennen. Er zupft hingebunsgvoll und die Meisterin korrigiert auf französisch. Eine junge Übersetzerin steht aufrecht daneben und übersetzt eifrig und sicher. Ich schaue zum Kind: "Ist das der Schüler von der verrückten Harfe-Prof?" Er weiß es nicht. Er blickt ängstlich und will sich seine Angst nicht anmerken lassen. Ich denke auch, na wow, jetzt auf die Bühne? Hat er das gewusst? Er sucht eine Haltung, während die Mädchen kichern und sich an die Prof drängen.

Ich denke daran, wo ich diesen jungen Harfespieler schon gesehen habe. Vor zwei Jahren ist unsere schöne Prof in den Mutterschutz getreten und eine andere Harfelehrerin musste sie vertreten. Das Kind und seine Lieblingskollegin, die mit dem Mercedes, waren sehr besorgt: Und wenn die Neue eine Hexe ist? Die Neue war eine Hexe: schwarz gekleidet, langes Haar, schwarze Fingernägel und schwarzer Lidstrich. Sie hatte sogar einen Hut wie eine Hexe und sie stieg in der Schule aus dem Fenster, um draußen zu rauchen. Das Kind und die Kollegin kicherten. Die Hexe hatte bald ebenfalls eine Vertreterin, keine andere Hexe, eher Gretel, das das gesamte Knusperhäuschen gegessen hat. An einem sonnigen Freitag, an dem eine Probe des Orchesters in der Schule im Dorf stattfand, musste ich die Hexe anrufen, um etwas über die Rolle des Kindes im Orchester zu erfahren. "Entschuldigen Sie, dass ich kurz angebunden bin", sagte die Hexe mit ihrer sinnlichen Ich-bin-leidenschaftliche-Raucherin-Stimme, "ich bin in Rom, um den neuen Film meines Mannes zu präsentieren, ein Film mit Maria Grazia Cucinotta, den ich produziert habe und für den ich, in aller Bescheidenheit, die Filmmusik komponiert habe." Es folgte eine längere Erklärung dazu, wen man jetzt wo treffen müsse und das Wort Rai (italienisches Fernsehen) fiel mehrmals. Als ich eine Möglichkeit hörte, mich einzubringen, sagte ich empathisch: "Ich finde das sehr interessant, ich arbeite auch im Filmbereich." Ich ließ eine Pause, denn jetzt würde sie mich fragen, was ich denn mache, aber in der Pause hörte ich: "Ah." Dann ging es weiter mit Rai und Maria Grazia. Ich hörte zerstreut und lange zu und beschloß, die Hexe zu hassen.

Die Hexe war dann längere Zeit nicht da, na so eine Tournee, stellen Sie sich vor. Gretel unterrichtete, und am Ende des Schuljahres wurden das Kind und seine Kollegin eingeladen, bei einem Musikfestival zu spielen. Sie spielten in einer Kirche in einem mittelalterlichen Ortskern, von dem aus man weit über milde grüne Hügel blickte und es war alles sehr schön, sehr aufregend und sehr berührend und in der Kirche musste ich ein Schluchzen unterdrücken, wie immer, wenn das Kind Harfe spielt.

Die Hexe war in bester Form, sie breitete ihre nackten Arme unter einem getupften Gilet aus, zu dem sie einen gestreiften Rock trug sowie ihren unvermeidlichen Herrenhut. Sie stellte uns einen Schüler vor, und das war eben der, von dem ich jetzt, im Musikgymnasium, glaube, dass er es ist. Die Szene ist uns in Erinnerung geblieben, denn sie sagte: "Dann haben wir ihn aus dem Konservatorium genommen und ins Musikgymnasium -", sie hielt inne, schaute einen Moment starr, drehte sich um und ging. Das Kind und ich schauten uns an. Das Kind kicherte, ich war verunsichert. Welche Drogen waren das? Wir schlenderten durch den Ort, irgendwie hoffte ich, sie wieder zu sehen, ich wollte sicher sein, dass ihr nichts passiert war, auch wenn ich sie nicht so gerne mochte. Wir begegneten ihr wieder und sie konnte sich sogar erinnern, dass sie uns überraschend verlassen hatte. Sie musste ihre Medizin nehmen.

Zwei Jahre lang fällt es dem Kind dann vermittelt oder unvermittelt immer wieder ein: "Mamma, erinnerst du dich: ...und ins Musikgymnasium...und weg war sie, hahahaha!" Das Kind hat ein Faible für Situationskomik, die man nicht nacherzählen kann.

Und jetzt, in der Masterclass, setzt sich der vermeintliche Schüler "aus dem Konservatorium ins Musikgymnasium...." und ich blicke zu ihm in der letzten Reihe, ein Mädchen setzt sich neben ihn und sie flüstern, ich werde ihn später fragen, ob er ein Schüler der Hexe ist. Das gelingt mir leider nicht, denn er geht, bevor ich das tun kann und ich sehe nun die nächste Schülerin auf der Bühne, die ihre Schultern nicht so hochziehen soll. Die Meisterin legt ihre schlanken schönen Hände auf die Schultern des Mädchens. Alle Mädchen haben langes, nach hinten gekämmtes, zu einem Zopf gebundenes Haar, ein bisschen wie Tänzerinnen. Die Meisterin hat am Puls der rechten Hand einen gestreiften Pulswärmer, das einzige, was ein bisschen von der Strenge wegführt, die sie ausstrahlt. Sie ist etwa 60 Jahre alt, hat graues, kurzes und doch weich fallendes Haar, sie wirkt zart und doch kräftig. Sie trägt eine schwarze Hose mit weitem Bein, die wie ein langer Rock wirkt und fantastische Schuhe mit etwa 15 Riemchen. Ich trage Tennisschuhe und braune Socken und ich frage mich ernsthaft, was in mich gefahren ist, SO aus dem Haus zu gehen. Ich gelobe, angesichts dieser eleganten, kompetenten Dame, mein Leben zu ändern. Das Mädchen auf der Bühne schwitzt, die zweite Übersetzerin steht ganz gerade neben Meisterin und Schülerin und fragt, ob das Mädchen täglich übe oder eher unregelmäßig. Quelque fois, sagt die Übersetzerin zur Meisterin. Geht da ein Hauch Missbilligung durch den Raum? Auf jeden Fall ist die Scham des Mädchens zu spüren. "Seit wann spielst du?" übersetzt die Übersetzerin. Das Mädchen weiß nicht, was es antworten soll, das hat es ja schon gesagt: seit 4 Jahren. "Wie lange spielst du dann?" springt die andere Übersetzerin ein. Nun schämt sich die Übersetzerin mit der aufrechten Haltung. Das Mädchen kann sich wieder ins rechte Licht rücken: "3 Stunden." Das Kind hatte vor den Aufführungen einige Tag lang die kleine Harfe der Schule und spielte nach dem Mittag- und Abendessen jeweils etwa 20 Minuten, ich bezweifle, dass er 3 Stunden spielen könnte.

So geht es zwei Stunden in der Masterclass. 4 Mädchen spielen, werden rot, werden korrigiert, werden in den Arm genommen, die Meisterin spielt ihre Rolle mit französischer Anmut und Strenge. Ein Mädchen zupft verbissen, als wolle es der Harfe sagen: Du stures Ding, lass endlich den richtigen Ton aus dir heraus. Ein anderes Mädchen spielt, als würde es gemeinsam mit der Harfe am Bug der Titanic stehen, hinter ihr Leonardo DiCaprio und sie gibt ein letztes Mal alles. An diesem Mädchen ist die Meisterin besonders interessiert und sie lässt sie ein Stück viele Male spielen. "Non a ton temps, a mon temps. - Pianissimoooo."

Ewig könnte ich mir sowas anschauen. Ich denke an den Dokumentarfilm "Schubert und ich", in dem ein Musiker Leute von der Straße mitnimmt (oder zumindest so tut, als hätte er sie zufällig gefunden, und Schubertlieder singen lässt. Dieser Film hat mich ebenso inspiriert. Ich will auch ein Instrument lernen. Ich will auch singen.

Die Lehrerin des Gymnasiums setzt sich neben ein Mädchen, das nun auf der Bühne bei der großen Harfe sitzt und singt ihr die Noten vor: Dododofaremilala. "Sie dürfen nicht singen, wenn sie spielt, nononono", tadelt die Meisterin. Sie selbst singt aber auch. Versteh ich nicht. Soll ich fragen? Die Lehrerin des Gymnasiums schämt sich sichtlich. Später wird sie ihr dickes langes, blond getöntes Haar zu einem Zopf flechten. Auf der Bühne. Sie ist in meinem Alter und ich möchte ihr zurufen: Tu das jetzt nicht, hör auf, den blöden Zopf zu flechten, sofort, das schaut total kindisch aus.

Langeweile breitet sich sichtlich aus. Das Mobiltelefon einer Mutter aus unserer Gruppe läutet mit beeindruckendem Klingelton: "Est-ce que tu m'aimes? J'sais pas..." Maitre Gims, der Gassenhauer des Jahres, wie unglaublich passend. Die Harfemeisterin weiß nicht, ob sie lachen oder weinen soll. Die Augen treten einen Moment aus den Höhlen, sie wird rot und schüttelt den Kopf. Die angerufene Mutter lacht, die Tochter schämt sich.

Der Bruder der Kollegin des Kindes wandert mehrmals auf und ab und spielt Autorennen auf seinem Smartphone. Bin ich wirklich die einzige, die eine Katharsis erlebt? Ich gelobe, dass ich auch in einem Gebiet eine Meisterschaft erringen will, mit der ich dann ebenso gelassen und unantastbar auf einer Bühne stehen werde, wie die Harfemeisterin. Nur worin soll ich jetzt schnell so gut werden? Ich habe kürzlich gelesen, dass es 10.000 Stunden Übung an einer Sache braucht, um zur Meisterschaft zu gelangen. Ich rechne und mache Pläne, wie ich weniger Zeit zum Kochen, Putzen und zur Kontrolle der Hausübung aufwenden kann. Dabei habe ich vor kurzem noch ausgerechnet, wie viel ich arbeiten muss, damit ich dem Kind eine Harfe kaufen kann, damit es auch zu Hause und nicht nur in der Schule üben kann.

Irgendwann ist klar, dass die Kinder unserer Gruppe nicht spielen werden. Wir sind Publikum. Ein Funken Hoffenung bleibt, aber dann heißt es: "C'est fini." Was, echt? Wir sind da alle hergefahren, sogar mit einem Mercedes, um 2 Stunden zuzuschauen, wie die Maestra den Mädchen Tipps gibt, wie: "Findest du diese Sequenz tres jolie oder nur comme ci comme ca." "Nein, nicht so schön", sagt das Mädchen beschämt. "Wieso spielst du es dann so? Du sollst mit der Musik nicht nur Töne vermitteln, sondern auch etwas anderes, Liebe zum Beispiel."
MM vermittelt hingegen Missbilligung. Vor allem der Gymnasialprofessorin gegenüber: Sie wollte nicht, dass die Kinder unserer Gruppe spielen, denn dann hätte die Harfemeisterin gemerkt, dass unsere Kinder besser spielen, als die aus dem Musikgymnasium.
Das kann ich nicht beurteilen, sage ich.

Die Harfen werden verpackt. Die Kolleginnen des Kindes zupfen auf der noch freien Harfe, um vielleicht doch die Aufmerksamkeit der Maestra zu erregen, doch es ist zu spät.

Vor dem Gebäude machen MM und der mercedesfahrende Vater ein letztes Mal den Witz: Und wann spielst du? Dann gehen alle. Ich lade MM und das Kind auf ein Eis ein. In einer Erboristeria, in dem wir eine pflanzliche Medizin kaufen, bitte ich den Inhaber, mir Proben von Shampoos und Balsam zu schenken, weil das Kind es liebt, diese auzuprobieren. Da ist sie wieder, die Mutter-Journalistin, die keine Hemmschwelle kennt.

Ich frage das Kind, ob die Masterclass interessant war. Jaaa, sagt er zögernd. Hast du alles verstanden? Nein, schüttelt er den Kopf. Was genau war interessant für ihn? Was interessiert die Menschen, wenn sie etwas beiwohnen, was sie nicht verstehen oder was nichts mit ihnen zu tun hat und sie gönnen sich kein Abdriften zu facebook, wie die Mutter mit dem eindringlichen Klingelton? Ich denke an die vom Wind bewegten riesigen Vorhänge in der Aula, in sanftem beige und mildem rot. An die nicht immer angenehmen Harfetöne. Mir hat es ja gefallen, aber schlecht organisiert war es trotzdem. Der Neid der zöpfeflechtenden Professorin hätte es vereitelt, dass unsere Kinder dort gespielt hätten, sagt MM und lässt sich von dieser etwas verknöcherten Haltung nicht abbringen.

Ich habe mir vorgenommen, unsere Lehrerin zu fragen, wie das Kind nach dem Schulabschluss weiter Harfe spielen könne, aber ich vergesse die Frage, sie bleibt in dem kühlen, hohen Raum zurück, zusammen mit meinem Enthusiasmus und dem Vorsatz, ebenfalls eine Meisterin zu werden und keine Tennisschuhe mehr zu tragen, zumindest nicht mit braunen Socken.

Freitag, 1. April 2016

Wie ich mich im Zaum halte

Meistens habe ich mich als tickende Zeitbombe gefühlt, bereit, loszugehen, wenn das Mass an Provokation voll war. Heute würde ich mich als Selbstmordkommando geschmacklos fühlen. Nachdem ich mehrere Jahre lang nicht anders konnte, als in auswegslosen Situationen mit der flachen Hand auf den Tisch zu schlagen, finde ich auch diese Reaktion auf Missstände nicht mehr angemessen.
Ich bin müde.
Und gleichzeitig bin ich immer noch ein Fass, das permanent vom Überlaufen bedroht ist.
Meine Libido will die Dauben sprengen und auch meine Wut ist gefährlich.

Während ich als jugendliches Pulverfass intellektuell Peace and Love vertreten habe, bin ich als Frau im besten Alter unauffällig und unterschwellig gefährlich, denn mit jedem Tag meines Lebens wächst die Lust, jemandem meine Faust ins Gesicht zu schlagen ins Unermessliche. Ich sehe es vor mir: in Zeitlupe. Ich gebe zu, ich habe viele Boxerfilme gesehen und so wird es sein: meine Faust wird auf irgendjemandes Gesicht aufkleschen und dessen Unterkiefer wird sich verschieben und aus dem Zahnfleisch wird langsam eine bedeutende Menge an Blut schießen. Möglicherweise werden mir die Fingerknöchel weh tun und mein Herz wird heftig klopfen, aber es wird mir gut gehen, ich habe auf diesen Moment gewartet. Ich werde mich verwirklicht haben.
Der andere, mein Opfer, wird auch nicht tot sein, es wird ihm einfach der Schädel weh tun und er wird sich das verdient haben.

In der großen Stadt warte ich nur darauf, dass mich einer anfällt, aus Blödheit oder Verwirrtheit, der wird dann die geballte Wut meiner letzten 50 Jahre abbekommen. Das heißt: Ich habe keine Angst, aber wirklich nicht.

In Italien ist die Gefahr, dass mich jemand physisch bedroht geringer, die diffuse Wut nicht weniger groß. Vielleicht wird in meiner Phantasie nicht einem singulären Feind mit einem einzigen Schlag das Unterkiefer zertrümmert, hier würde ich gerne ein paar kräftige links-und-rechts-Watschen austeilen. In der großen Stadt in Mitteleuropa bieten sich Politiker an, im kleinen mafiösen süditalienischen Zusammenhang kleine mafiöse Kellerratten.

Dies sind meine geheimen großen Ziele: Steigt mir EINMAL auf die Zehen und ich mache euch so klein mit Hut und Feder. Mein Alltag besteht allerdings aus vielerlei kleinen Ärgerlichkeiten und ich möchte meinen Kindern jedoch den Eindruck vermitteln, als hätten sie ein stabiles Elternhaus und nicht eine Mutter, die bei einem auch nur kleinen Auslöser unvermittelt zu Joe Rambo wird. Dieses Gleichgewicht zu erhalten kostet mich viel Kraft, denn in Wirklichkeit bin ich keine stabile Peace and Love Mami, nein, ich BIN Joe Rambo und wehe wenn sie losgelassen.

Nur mein Intellekt kann mich retten und ich versuche es mit Mathematik und Masse.
Statt in die Schule des Kindes zu gehen und

1.) zu protestieren, dass die Musiklehrerin nie da ist
2.) mich aufzuregen, dass die Lehrerin der Klasse, der das Kind aufteilungsweise zugewisen wird, sich nicht durchsetzen und ergo nicht unterrichten kann, weshalb das Kind nun im Auto sitzt und sich den Kopf hält und sagt: "so viel Geschrei"
3.) zum Dirketor zu gehen, um die Mathematiklehrerin, die unlösbaren Probleme mit Prismen und aufgesetzten Pyramiden nicht löst, sondern stattdessen unangekündigt prüft, anzuschwärzen
4.) ebengenannter Mathematiklehrerin eine Psychotherapie ans Herz zu legen, weil sie eine Schularbeit ankündigt und wieder absagt, weil sie sich über etwas aufregt und wir das schon äfter hatten
5.) die Englischlehrerin zu fragen, wieso sie eine Film im Unterricht zeigt, der NICHT in Englisch ist

zähle ich alles an diesem Tag zusammen und das beruhigt mich. Von 1 - 5. Ich habe niemandem eine Ohrfeige gegeben. Ich habe nicht einmal geschrien.

Ich habe vor kurzem einen Film gesehen, in dem ein Mann, der in Afghanistan im Krieg war, unproportional gewalttätig auf einen Angriff reagiert. Eigentlich reagieren die meisten Menschen in Filmen unproportional gewalttätig auf einen Angriff. So wird es auch bei mir sein. Und ich war in keinem Krieg. Zumindest in keinem offiziell anerkannten.

Die andere Seite der Wut ist die Liebe. Ich bin nicht so liebeswütig, wie ich fürchte gewalttätig werden zu können. Schade irgendwie. Aber dennoch unproportional, wenn es um die Liebe geht.

Während bei der Wut zählen hilft, hilft bei der Liebe Masse. Arbeit, Leistung.
Als ich jung war, zählte eben Love and Peace und allesallesalles, nur kein Weichei sein. Heute flehe ich mich an, ein Weichei zu sein. Ich zwinge mich dazu.
Ich sage mir: Alles wird gut, solange du nie zum Telefon greifst und niemandem schreibst, außer höflich. Ich erlege mir Regeln auf.
Die erste lautet: Lies alle Bücher von David Foster Wallace und dann sehen wir weiter.

Das hilft auch ungemein im Falle des Wunsches, jemandem eine in die Goschn haun zu wollen.
Das hätte der David Foster Wallace nicht gemacht. Kraft seines Intellekts hätte er diesen Trieb umgekehrt. Zumindest beschreibt er das in seiner Rede "Das ist Wasser." so. Und ich bewundere ihn dafür.