Sonntag, 23. Oktober 2016

Don't go chasing waterfalls

Meine Kollegin ist 30 und wenn ich mit ihr an unseren Arbeitsplatz fahre, wird es meistens erst Tag. In ihrem Auto hören wir "Don't go chasing waterfalls". Bette Midler. Jeden Tag. Tutto volume. Arrangement mit Mut zum Pathos. Ich beginne wieder etwas zu spüren. Etwas von mir. Nur geht es in dem Lied um einen Sohn, little precious, can't seem to keep himself out of trouble.

So einen Sohn habe ich auch. Mein schüchternes grantiges Kind, das mit dem Erhalt des Führerscheins zu einem society-man wird, wobei mir die Art der society nicht ganz geheuer ist. Unser Dr. Jekyll und Mr. Hyde zwischen unfassbarer Frechheit und Umarmungen und Liebeserklärungen. Sorge, Sorge, Sorge, aber auch die Einsicht, dass man nichts tun kann, alles ist gesagt und zwar mehrmals. Dass ich viel ärger war, als Jugendliche, tut nichts zur Sache. Die Abwesenheit von Religion wird zusehends zu einer Bürde, denn ich würde so gerne beten. Ich weiß, anderen Eltern geht es nicht anders. Nicht wegen dem Beten, aber mit den Jugendlichen. Oder geht es mir doch besonders schlecht?

Freunde von uns sind in einer ähnlichen Lebenssituation, sie haben drei Töchter adoptiert und mein überwiegendes Gefühl ihnen gegenüber war bis gestern Neid und Eifersucht. Die älteste Tochter studiert an der Universität. Das heißt, sie hat die Matura gemacht. Sie ist über mein erkärtes Lebensziel, nämlich meine Söhne bis zur Matura zu bringen, zu schleifen, zu streicheln, zu bevormunden, zu füttern, zu brüllen, zu hypnotisieren, hinausgegangen. Neid und Eifersucht auch darüber, dass meine Freundin, trotz Familie, Karriere macht. Möglicherweise ist sie nicht weniger erschöpft als ich, aber sie bringt mehr Geld nach Hause.

Dann sagt mir MM, dass das Kind die älteste Tochter an der Uni getroffen hat. Sie haben jede Menge Selfies gemacht und erstaunlicherweise etwas geredet und das wurde dann MM mitgeteilt. Das Kind habe nämlich erzählt, wie schlecht die Stimmung in unserem Haushalt sei, weil eben sein großer Bruder so ein Widerling ist. Das sei ja dann wie bei ihnen, meint die große Tochter unserer Freunde. Nein, sagt das Kind, sein Bruder habe kein spezielles Problem mit den Eltern, er ginge allen auf die Nerven und würde auch ihn, das Kind, nicht respektieren, denn er stehe so spät auf, dass das Kind beim verspäteten Familientransport dann den Bus zur Schule verpassen könnte. Tatsächlich sind die troubles im Hause meiner karrieremachenden Freundin etwas größer und dort wird nichts mehr gesprochen. Außer das Wort Scheidung. Kein Neid, keine Eifersucht mehr. Mir kommen gleich die Tränen. Alles ist relativ, vor allem in Familien.

Ich denke mit Wärme an meinen rauchenden Sohn, der, nachdem ihn seine erste Freundin verlassen hatte, verzweifelt meinte, er würde jetzt nie mehr eine Freundin finden. Immerhin muss man sich keine Sorgen machen, dass er aus dem Fenster springt, weil er ohne SIE nicht mehr leben kann. Und immerhin redet er mit uns. Auch wenn mitunter mit etwas lauter Stimme. Alles ist relativ und daher kann alles auch gut sein, einen Moment lang. Und für mich kann Bette Midler wieder pathetisch singen, ich mache mir weniger Sorgen. Please stick to the rivers and the lakes you are used to.

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