Sonntag, 16. Oktober 2016

In case of doubt

Im Zweifelsfall nichts tun. Das fällt mir wirklich schwer. Abwarten und Tee trinken. Die Vorstellung bringt Ameisen in meine Füße. Da will ich gleich losrennen. Jemanden zur Rede stellen. Jemanden ohrfeigen. Jemanden küssen. Allen alles erklären.

Aufspringen, aufzeigen, reden. Neinneinnein. Jajaja. Ichichich.

Also gut, ich trinke Tee. Es macht mich verrückt. Ich will keinen Tee. Ich will handeln. Ich will hinauslaufen, ich will durch das Laub stapfen. Ich will zumindest telefonieren. Ich will gefühlvolle Dinge auf facebook schreiben. Ich schreibe nie etwas auf facebook.

Eine Frau mit der ich zusammenarbeite, sagt über eine andere Frau, sie solle nicht auf facebook schreiben, wenn sie angesoffen sei oder es ihr nicht gutgehe. Ich bin nicht angesoffen, denn ich trinke ja Tee und es geht mir auch nicht schlecht. Aber ich nehme mir diesen Rat dennoch zu Herzen.

Die Indianer setzen sich an den Fluss und warten, bis die Leichen vorbeitreiben. Ich aber bin diejenige, die die Leichen erst einmal erzeugt. Doch davor habe ich jetzt plötzlich Angst. Es gibt nicht mehr soviel, was nachwächst.

In der Defensive bleiben. Das ist noch einmal etwas anderes, als das Gegenteil von in die Offensive gehen. Ich muss nur stillhalten. Nicht stillhalten, bis es vorbei geht. Stillhalten, bis etwas passiert, denn es passiert immer etwas. Oft etwas anderes. Und ja, manchmal etwas Komisches.

Ich muss daran denken, wie ich in der Mittelschule im Raucherkammerl war und rauchte. Es gibt keine Mittelschule mehr, zumindest keine alte und schon gar nicht gibt es ein Raucherkammerl. Und ich rauche nicht mehr. Und wenn es eines gäbe, würden wir rauchen und reden, so wie damals? Oder würden wir rauchen und in unser Mobiltelefon schauen? Facebook anschauen? Wir waren so konspirativ und so unerschrocken. Wir waren so jung und hatten keine Chance und nützten sie trotzdem. Oder auch nicht.

Und wir stanken nach Rauch, dass mir heute noch schlecht wird. Unsere Alpaca-Pullover haben nach Rauch und Energie gerochen. Ich habe so gerne geraucht. Ich wäre so gerne Schriftstellerin geworden und aus meinem Zimmer wäre unter dem Türschlitz der Rauch hervorgekommen, während ich, im Unwissen darüber, dass ich später einen Computer benutzen würde, auf einer Schreibmaschine geklappert hätte. Aber ich rauche nicht mehr und zum Schreiben habe ich wenig Zeit.

Jetzt tritt Unordnung ins System, die Erdplatten verschieben sich. Das kann weh tun. Wie man weiß, kann das Häuser zum Einsturz bringen. Nein. Dazu sind wir zu wenig erdbebensicher gebaut.

Das Schiefe ist, dass es das gibt, was entstanden ist, und das, was immer war. Ich empfinde das als Problem. Das, was immer war, entwickelt sich nicht und will sich nicht anpassen, es hat gar keine Idee, wie es sich heute zu benehmen hat.

Irgendwann bin ich draufgekommen, dass einige meiner Arbeitskollegen dann geboren wurden, als John Lennon starb und wir alle mit Fackeln auf der Mariahilferstraße getrauert haben. Das Wachs ist auf meine Schuhe getropft, nämlich Clarks, Desertboots. Und das muss der gemeinsame Nenner von mir und mir sein. Meine jungen Arbeitskollegen finde ich erstaunlich praktisch. Die Welt, die ich wollte, ist nicht entstanden.

Ich will stillhalten. Es wird vorbei gehen, etwas wird passieren, denn ja, andauernd passieren komische Sachen. Ich bin alt. Ich bin jung. Ich bin für immer jung, was auch eine Qual sein kann.

Im Zweifelsfall will ich die Zähne zusammenbeissen. Aber wollten wir nicht immer mutig und gerecht sein? Vielleicht ist Mut und Gerechtigkeit heute anders? Mutig und gerecht halte ich still, sehr sehr still.


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