Sonntag, 13. Mai 2012

Extremly loud and hard to bear


Das ist kein Buchtitel von Jonathan Safran Foer, sondern mein Sonntagvormittag. Extremly loud sind die Mütter, die auf ihre tanzenden Kinder warten, also die auf ihre tanzenden Töchter warten, ich bin die einzige, die einen tanzenden Sohn hat, und schwer auszuhalten sind sie auch. An diesem Sonntagvormittag, noch dazu Muttertag, wow, müssen diese unsere tanzenden Kinder proben, denn der Herr Ballerino von der Opera di Roma schaut sich das an und macht den Supervisor. Eh gut. Wir bekommen einen offiziellen Brief von Lehrerin und Direktorin der Schule, Maria Assunta, in dem sie uns ihren Wunsch mitteilt, eben dieses Ereignis bekanntzugeben, das von 9:30-10:30 dauert. Schon das ist mir zu lang und ich tu mich mit der Mutter von Luigia zusammen. Sie bringt die Kinder hin, ich hole sie ab. Ich habe dabei aber die sogenannte Arschkarte gezogen, denn um 10:30 stehen ein paar Mütter vor dem Tor der Tanzschule und sagen, man höre noch Musik, sicher dauert es noch ein wenig. Ich sage: "Gut, ich fahre tanken". Ich komme vom Tanken wieder. Immer noch Musik. Ich gehe zum Bankomat. Als ich wieder komme, steht dort eine Freundin, die auch auf ihre Tochter wartet, wir besprechen die Zukunft, die hart für uns Mütter der tanzenden Kinder werden wird, vor allem, wenn dies nicht unser Hauptberuf ist. Am 3. Juni ist die große Aufführung. Wir werden uns organisieren. Die Musik verstummt, wir gehen in den ersten Stock hinauf. Der Ballerino von der Opera di Roma kommt mit seinen schmächtigen Hüften die Treppe heruntergeschwebt und sagt: "Sie kommen gleich". Ich möchte sagen: "Erinnern Sie sich, Ballerino, ich bin die Mutter von dem begabten Kind, normalerweise habe ich einen anderen look, aber ich habe mir keine Zeit genommen, die Haare zu föhnen, sonst schaue ich nicht so aus, als käme ich vom Schwimmen." Weg ist er. Lehrerin und Direktorin der Tanzschule Maria Asssunta kommt und sagt, dass das Kind und Luigia noch ein wenig bleiben müssen, sie müssen auch Modern Dance vorführen. Ich rufe Luigias Mutter an. "Ganz ruhig!" sagt sie, offenbar Veteranin auf dem Gebiet. Ich gehe in eine Bar und bestelle einen wohlgemerkt alkoholfreien Aperitif. Als ich bezahle, sagt der Besitzer der Bar wohl so etwas, wie "Schönen Sonntag noch", aber ich verstehe: "Sie sind auch am Sonntag hier!" und fühle mich bemüßigt, ihm zu sagen: "Mein Kind ist in der Tanzschule und so kann ich mir diesen Luxus gönnen." Er ist zwar sichtlich über meine unpassende Antwort überrascht, gibt sich aber keine Blöße und glaubt auch nicht, ich würde mit Luxus den hohen Preis seines Aperitifs meinen, sondern scherzt: "Und Sie tanzen nicht?" Dazu macht er ein paar Tanzschritte, möglicherweise meint er Samba." "Nein!" sage ich und lache. Als ich hinausgehe, finde ich mich unoriginell. Im Nachhinein bin ich froh, dass ich nicht so originell bin, zu sagen, "Aber sicher!", und auf die Theke springe.
Ich gehe wieder zur Tanzschule. Es ist jetzt 11:40, ich weiß echt nicht mehr, was ich tun soll. Ich setze mich in den Warteraum. Dort sitzen 8 Personen. 6 von ihnen sprechen. Die siebte ist eine sehr bescheiden wirkende Frau mit einer extrem hübschen Tochter. Vielleicht ist die bescheidene Frau stumm. Die achte Person ist ein junger Mann, vielleicht ein großer Bruder, der extrem gequält dreinschaut. Ich gebe mir Mühe, ihn nicht zu toppen. Eine von den Frauen ist des Kindes ehemalige Englischlehrerin, die ich bei der Zeugnisverteilung letztes Jahr das erste Mal zu Gesicht bekommen habe, als sie sagte: "Wir haben gesehen, dass das Kind beim Tanzen eine Bombe ist, in Englisch ja nicht so." Eine mögliche Rache an dieser Frau wäre, wenn das Kind in Hollywood auftreten würde. "Hello teacher! Here I am."
Ich rufe Luigias Mutter an, sie hat noch immer kein Problem.
Ich rufe meine großen Kinder an, sie schwören, sie werde auch ohne mich wissenschaftlich arbeiten und eine Chronologie zu Frierdich II erstellen. Ich schwöre im Gegenzug, dass sie nach dem Mittagessen auf dem Computer grausame Spiele spielen dürfen.
Im Vorzimmer der Tanzschule sind die Gesprächsthemen:
1) Wahnsinn, dass wir hier so lange warten müssen.
2a) Wahnsinn, was beim Schulausflug alles passiert ist.
2b) Wahnsinn, das stimmt alles nicht, was beim Schulausflug alles passiert sein soll.
3) Der unvermeidliche Katechismus. "Am Samstag soll meine Tochter zehn Euro mitbringen, denn ein Kind soll getauft werden. Ein armes Kind aus einem armen Land."
3 Variante) Ausgehend vom Katechismus. "Wahnsinn", sagt eine Frau, die mir bis zu diesem Zeitpunkt gar nicht unsympathisch war. "Wahnsinn, wir mussten ein Kind taufen lassen, heimlich. Könnt ihr euch das vorstellen? Die Eltern... naja. Der Priester hat uns Fotos gezeigt. So schön."
Den Bruchteil einer Sekunde befürchte ich, es handelt sich um eines meiner Kinder. "Che tristezza!" sagt die Frau neben mir, wie traurig.
Jetzt kommen endlich die großteils übergewichtigen Töchter der Damen. Dann Luigia. "Ich fahr mit dir!" sagt sie bestimmt. "Ja!" rufe ich begeistert. Das Kind, welches mein Sohn ist, kommt auch. Ich sehe, er ist in Laune, jetzt mit Maria Assuntas Mutter über die Schönheit der Kostüme zu quasseln, die sie da probiert haben, weswegen das alles so lang gedauert hat. "Kinder, wir gehen!" schreie ich mit überkippender Stimme. Alle sind erschrocken. Nichts wie weg, sonst wird da noch wer getauft in der Tanzschule. Heimlich.

Mittwoch, 9. Mai 2012

Jugend und Mode


Wer einen Blog schreibt, hat es gut, denn sie kann all ihre Gefühle, angemessen oder nicht, in die Welt hinausschreien und die Welt schreit weder zurück, dass sie das nicht interessiert, noch, dass die Schreiberin sich eventuell einer Selbsthilfegruppe anschließen soll. Und so kann ich nun öffentlich kundtun, wie sehr mich der Kleidungsstil meiner Kinder ärgert, was daran liegt, dass mich alles ärgert, vor allem die Schule ärgert mich, aber das ist ja nichts Neues. Es ist Montag Morgen und der Tag verspricht nichts Gutes. Am Nachmittag findet eine Geburtstagsfeier für ein Mädchen in der Klasse statt, das mit einigen Probleme zu kämpfen hat und die Frau Prof Klassenvorstand, Koordinatorin der Klasse, wie man das hier nennt, hat bei sich zu Hause ein Fest für das Kind organisiert und alle Kinder sind dort zum Mittagessen eingeladen. Das heißt, dass mein großer Sohn sich schon mal in seine beste Hose wirft, nämlich seine Breakdancehose, die zu meiner Verbitterung am Knie ohnehin sofort dünn geworden ist. Ich habe ihn aber zuvor gefragt, ob seine kurze Hose noch ok ist und er hat dies positiv beantwortet. Ich sehe also die Breakdancehose an seinen Beinen und sage: "Nein, das will ich nicht. Wieso nimmst du die Breakdancehose, um Fußball zu spielen und dich auf der Erde zu wälzen?" Falscher Ansatz, denn die Antwort lautet: "Ich wälze mich nicht auf der Erde." Weitere Reaktion ist eine Mischung aus Enttäuschung und Wut, die angemessen gewesen wäre, wenn ich verkündet hätte, dass es diesen Sommer keine Ferien gibt und man auch im Juli und August in die Schule gehen muss. Die Hose wird jedenfalls getauscht, jetzt sehe ich die Schuhe. Aha, auch die besten Schuhe zum Fußballspielen. Selber Dialog, diesmal ohne Erde und Wälzen. Die Kinder verlassen das Haus, ich nehme den Hund an die Leine, man sieht sich an der Haltestelle des Schulbus. Jetzt ist der Rallyefahrer dran, über dessen Hosen ich schon lange kein Wort mehr verliere. Ich habe auch nie erwähnt, dass ich ihn vor 10 Jahren noch als Mann auf der Suche nach seinem Arsch bezeichnet hätte, aber er ist mein Sohn und ich soll ihn nicht beleidigen. Er hat sich vor ein paar Wochen einen dicken Ring, auf dem das Gebet "Vaterunser" eingraviert ist, an einem Kettchen, das einmal an einer Jeans baumelte, um den Hals gehängt und dieses mittels einer Büroklammer geschlossen. Ich habe nicht mein wahre Meinung über diese Kombination ausgedrückt, sondern nur leise gesagt: "Gute Idee." Aber warum um Gottes Willen hat er heute zwei Paar Socken angezogen? Gestern hat er mich noch gequält, dass er unbedingt kurze Hosen anziehen muss. Bei einem Paar handelt es sich um Kniestrümpfe und diese sind kunstvoll nach unten gerutscht und werden dort von einem zweiten Paar Wollsocken gestützt. Ich bekomme Wallungen bei der Vorstellung, ich hätte so viel Material an den Füßen. Auf mein ersticktes "Warum?", antwortet der Rallyefahrer, das sei, falls ihm kalt werde. Da ich nichts mehr ändern kann, sage ich nur, das wäre ein Fall für eine lange Hose und dann bin ich still. Ich überlege, ob ich die Kniestrümpfe in Zukunft verstecken soll. Doch dann kommt das Kind an die Reihe. Der ohnehin ergonomisch wertlose Rucksack hängt mit ungleichen Riemen schief an den Schultern und zieht mit seinem Gewicht das ganze Kind in Schieflage. Ich sage:"Warte, wir richten mal diese Riemen." Er schreit: "Neinneinnein!" und ich begreife blitzschnell, dass es sich auch hier um eine Mode zu handeln scheint. Gleichzeitig mit meinem Schrei: "Mir reicht's!" biegt der gelbe Schulbus um die Kurve. Meine Kinder sind mich los. Dass ich selbst bei einem Schikurs am ersten Abend mit den Schischuhen ausgegangen bin, weil ich sie so schick fand und dass ich mir dabei die Schienbeine so aufgeschürft habe, dass ich die ganze Woche Schmerzen hatte, fällt mir erst später ein.
Dafür gibt mir das Fest neuen Anlass zu schlechter Laune, denn meine geplante Abholung wird durch einen Anruf des 14-Jährigen vereitelt, der mich um 17 Uhr vor das Haus der Lehrerin zitiert. Und genau zu diesem Zeitpunkt kann ich eigentlich nicht, muss aber dann doch, also Chaos. Und warum? Weil Marilena beschlossen hat, das Fest endet um 17 Uhr, da sie offenbar danach einen Termin hatte. Und meine Kinder bekommen in solchen Situationen die Panik, sie könnten als einzige mit der Prof übrig bleiben. Und warum diese Panik? Weil die Prof ihnen auch beim Mittagessen Fragen stellt. Was eine Gemeinde ist oder wie die Staaten Europas heißen. Außerdem kommt der Prof ein strenger Geruch aus dem Mund. Ich finde, meine Söhne könnten da ein bisschen weniger zimperlich sein, aber auch sie haben das Recht, ihre Mutter anzurufen und mal zu schauen, was geht. Leider bemerke ich immer zu spät, dass Marilena Drahtzieherin dieser dringenden Abholaktionen ist.
Am nächsten Tag kritisiert die Prof die Klasse, weil diese sich nicht an die Regeln gehalten hätte. Es seien Spiele vorbereitet gewesen, aber die Jungs hätten Fußball gespielt. Ich glaube, ich sollte mal die Version meiner Kinder wiedergeben: Es seien Spiele vorbereitet gewesen, aber der Computer, aus dem die Musik für diese Spiele kommen sollte, sei von Marilena für die Konsultation von facebook okkupiert worden. War nicht Fußballspielen vor kurzem noch ok? Für mich ist es das immer noch, allerdings bitte nicht in der Breakdancehose.

Donnerstag, 3. Mai 2012

Das Jogurt in meinem Kühlschrank


Vor ein paar Jahren erzählte mir ein Freund, der immer sehr komplizierte Liebesgeschichten hat, von den aktuellen Entwicklungen in eben so einer Geschichte.
"Ja, wir haben uns geküsst."
"Und dann?"
"Dann musste ich plötzlich daran denken, dass ich noch ein Jogurt in meinem Kühlschrank habe."
"Oh."
Ja, er ist wieder nach Hause gegangen, vielleicht nicht gleich, aber so grundsätzlich. Ich bin ihm noch heute dankbar für diese Geschichte, denn sie gibt mir den Code, ein plötzlich auftretendes Gefühl zu benennen, das mit Peinlichkeit zu tun hat und vor allem, zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort zu sein (und möglicherweise der falschen Person die Zunge in den Mund gesteckt zu haben). Das Jogurt lockt. In der Brust trommelt das eingeschlossene Kind: "Ich möchte nach Hause!"
Vor ein paar Tagen habe ich meine Freunde besucht, die drei Töchter haben. Mein Freund ist vor kurzem fünfzig geworden und fühlt sich müde. Meine Freundin arbeitet an ihrer Karriere und behauptet, das letzte Jahr würde an ihr hängen, wie zehn Jahre. "Du siehst aber gar nicht so aus," sage ich, und ich meine das ganz ernst, aber vielleicht glaubt sie mir nicht. Während meine drei Söhne mit den beiden jüngeren Schwestern entfesselt spielen ("camera buia" - im stockfinsteren Zimmer, bereits nach etwa drei Minuten ihres Treffens...mein Freund weiß schon, warum er die Kinder wieder nach unten bittet und sie vor einem elektronischen Gerät bannen will), hängt die älteste Tochter an uns wie eine Zecke und so können wir nicht in aller Ruhe die Hände über den Nachwuchs ringen. Ich empfinde das Gespräch anstrengend und mein Blick fällt auf die Beine des Freunds. Er ist nicht sehr groß, möglicherweise ist er kleiner als ich, aber ich habe darüber nie nachgedacht, denn sein Geist erscheint mit ausreichend hochgewachsen. Ich sehe, dass seine Hose innen eingenäht wurde. Klar, die war zu lang. Aber die Naht ist nicht um den Knöchel herum, sondern auf halber Wade. Ich sehe plötzlich vor mir, wie seine Frau diese Hose kürzer macht. Warum hat sie sie nicht abgeschnitten und unten gesäumt? Dachte sie, ihr Mann würde noch wachsen und dann könne man den Stoff "auslassen"? Ich möchte gehen. Nein, ich muss gehen.
Ich kann es nicht erklären. Möglicherweise ist es ein Zuviel an Nähe. Und würde ich nicht wissen, dass auch andere von etwas Banalem wie einem Jogurt nach Hause getrieben werden, würde ich mich schämen und mir denken, ich sei nicht ganz richtig im Kopf.