Mittwoch, 21. April 2010

Splendid Isolation

In den letzten zweieinhalb Wochen hat es bis auf die Sonntage keinen einzigen Tag gegeben, an denen ich nicht mindestens 12 Stunden gearbeitet hätte. Ich frage mich, was mit den verbleibenden 8 - 12 Stunden geschehen ist, denn geschlafen habe ich die nicht. Fahrzeit darf man nicht unterbewerten. Die Zeit, in der ich auf einem interessant riechenden Markt ein Vollkornkipferl einkaufe. In meiner Abwesenheit scheinen meine ohnehin großartigen Kinder zu radikal von der Gesellschaft abweichenden kleinen Monstern mutiert zu sein. MM, der immerhin einsieht, dass er seit einem halben Jahr kein Frühstück mehr zubereitet hat (weil er ja die Aufgabe hatte, die Renovierung unseres Hauses aus nächster Nähe zu beobachten), kämpft mit den Naturgewalten und erzählt, dass der Rallyefahrer ihn höflich daran erinnert, dass er nur jeden zweiten Tag einen Saft zur Schuljause geben soll, auf dass dieser Saft nicht zu Ende gehe. So macht es nämlich die Mamma. Über Umwege erfährt MM, dass Kindergeburtstage stattfinden, aber die Kinder nicht einmal anmelden, dorthin gehen zu wollen, weil sie offenbar wissen, dass Papa schon mit der täglichen Routine seine Mühe hat und ihm alle Extras ersparen wollen. Und kleine Geschenke für Schulkolleginnen besorgen kann er wahrscheinlich auch nicht. Sie weisen ihnen darauf hin, dass er gesagt hat, er lasse sie nicht mehr am Computer spielen, wenn sie nicht auf Zuruf aufhören könnten, als er sie an den Computer schickt (er muss nämlich das Haus verlassen, um zum Tod der Schwiegermutter meiner Schwägerin zu kondolieren und es gibt keinen besseren spontanen Babysitter als den Computer). Meine Kinder gehen nicht auf den Schulausflug, weil MM findet, von fünf Uhr morgens bis zehn Uhr abends unterwegs zu sein sei nicht vergnüglich für unsere Kinder. In ihrer Schule sind nämlich stets Projekte angesagt und eines heißt:"Wir und die Institutionen". Meine Kinder hätten also nach Reggio Calabria fahren müssen, um bei einer Sitzung der Regionalregierung teilzunehmen (würg), anschließend den Stretto von Messina mit der Fähre überqueren (haben sie schon mit uns gemacht, wichtig, bevor der Zwerg seine Brücke baut...), um dann in Messina Mittag zu essen und in ein Museum zu gehen. Der Zeichenlehrer erlaubt sich, sich in unsere persönlichen Angelegenheiten zu mischen und weist MM darauf hin, dass der Besuch dieses Museums für unseren zeichnerisch hochbegabten Sohn wichtig wäre. Gelangweilt erwidert MM, dass unser begabtes Kind bereits in Wien mehrmals das kunsthistorische Museum besucht hätte und daher nicht zwingend diese Reise nach Messina antreten müsse. Er sagt nicht, dass unsere Kinder dauernd Kunstbücher anschauen (wegen den Nackten auf den Gemälden nämlich). Und er sagt auch nicht, dass er diese Schulausflüge hasst, weil die Kinder nichts essen und trinken können, weil sie dauernd im Autobus sitzen, in dem man nichts essen und trinken darf und weil sie an allem aus Zeitnot vorbeirennen, was MM am allermeisten hasst. Unsere Kinder sind nicht sonderlich betroffen, weil zufälligerweise (?) die Eltern ihrer besten Freunde die Sache ähnlich zu sehen scheinenn, die Kids machen sich einen netten Tag in der Schule. Am nächsten Tag gehen die Kinder, die auf dem ausflug waren, natürlich nicht in die Schule, weil sie fix und fertig sind, ein Alptraum für berufstätige Eltern.
Gestern schaffe ich es, zwei Stunden mit meiner Freundin zu sprechen und wir reden über den sozialen Druck, der auf uns als Eltern lastet. Wenn unsere Kinder die einzigen sind, die weder ein Nintendo, noch ein Mobiltelefon besitzen. Heute denke ich, dass ich anders als alle anderen sein wollte, seit ich elf oder zwölf bin, warum ist es so schwierig auszuhalten, dass meine Kinder auch anders sind. Weil ich schuld daran bin? Weil sie wie alle anderen sein wollen? Wollen sie das wirklich?
Meine Kinder fragen mich, ob sie im neuen Haus sehen können, was auch die anderen Kinder im Fernsehen sehen. Ich frage sie, ob sie irgendeine Fernsehsendundung für Kinder nicht kennen würden. "Ja!" (Hoffnung). Ich sage nein, wir werden auch dort nicht fernsehen, aber nicht, weil das Fernsehen nicht funktioniert, sondern weil wir fernsehen nicht super finden. Aha. Naja. Unsere Kinder sind umgeben von Kindern mit Playstations. haben nahezu unbeschränkten Zugang zum Fernseher der Oma. Aber das sind Ausnahmesituatonen. Und wie sie den Saft zur Schuljause nicht jeden Tag wollen, würden sie auch nicht jeden Tag fernschauen wollen (sie wissen es nur nicht). Was sie jeden Tag wollen, ist mit allen zusammen zu Abend essen und mit dem Hund spazieren gehen. Kein Kind, das eine öffentliche Schule besucht, ist ein medialer Kaspar Hauser. Noch wissen meine Kinder nicht, dass sie ihren Schulkollegen um Lichtjahre voraus an Lebenserfahrung sind, dass sie viele viele Kilometer mehr als die anderen zurückgelegt haben. Dass es ein Privileg ist, dass MM sie täglich aus De Amicis Roman "Cuore" (1886?)lesen lässt, statt ihnen ein Nintendo zu kaufen. Sie finden es nicht toll, aber sie sind uns auch nicht böse dafür.
(In Wirklichkeit sind eh alle Eltern gegen exzessives Fernsehen, elektronische Spielgefährten und bedingungsloser Teilnahme an allem. Sie trauen es sich nur nicht zu sagen. Ihren Kindern zu sagen.)

Dienstag, 20. April 2010

ausrasten

Es gibt doch dieses wissenschaftlich unerklärte Phänomen, dass wenn ein Mensch gähnt, die anderen Menschen auch gähnen müssen. Zu diesem gesellt sich ein neues Phänomen: wenn ein Mensch im öffentlichen Raum zu seinem Mobiltelefon greift, müssen das die anderen auch tun. Vielleicht brummt, vibriert,läutet ja doch ihr Handy? Wenn einer laut telefoniert, wollen das alle anderen auch tun. Sie sind mindestens genauso wichtig, geliebt, gebraucht.
Eine Frau teilt über ihr Mobiltelefon mit, dass sie schon nach Hause gehe und das Kind selbst abholen könne. Die Person am anderen Ende der Leitung (sagt man das heute noch?) könne sich "ausrasten". Es muss sich also um die Oma handeln (eine weibliche Stimme höre ich entfernt), denn die Babysitterin will sich ja nicht ausrasten, die will ja Geld verdienen. Schönes Wort: ausrasten. Ich sehe die Oma, die schon mit dem Hut vor dem Spiegel stand, sich wieder entkleiden, die Schuhe mit einem Seufzer ausziehen und die Füße in den Nylonstrumpfhosen auf die Sofalehne legen. Ausrasten, von den anstrangenden Tätigkeiten. Rasten, inne halten. Sich ausrasten. Nicht: ausrasten. Das, was ich täglich vermeide. Ich raste nicht aus. Ich habe mich unter Kontrolle. Wie kann das ausschauen, ausrasten? Ich sehe meine Zunge anschwellen und aus dem Mund heraus quellen, die Haare stehen mir zu Berge und ich schüttle die nächstbeste Person, hoffentlich nicht die falsche. Möglicherweise schlage ich mit der Hand auf die Tischplatte, das gefällt mir ausgezeichnet, das mache ich auch, wenn mir nicht die Augen hervorquellen, das mache ich ab und zu auch als ausrastende Mutter.
Eigentlich würde ich ja sagen, auszucken und nicht ausrasten. "Gleich zuck ich aus" geht mir leichter von den Lippen. Aber ich muss mich beherrschen, denn wenn ich wirklich auszucken oder ausrasten sollte, dann werde ich mich benehmen, als litte ich unter dem Tourette-Syndrom. Das passiert mir auch manchmal als Mutter und ich hoffe, dass meine Kinder nicht wissen und es nie erfahren werden, was "fottuto" heißt. Sonst tu ich ja immer sehr heilig und wenn mich meine Kinder zum Thema Mittelfinger befragen, dann sage ich: ehrlich gesagt, ich weiß nicht so recht, wo man diesen Finger hinstecken soll, aber den Leuten, denen man ihn zeigt, will man doch nichts wohin stecken, also besser, man verwendet dieses Zeichen gar nicht.

Während ich hier mit dem Zorn hadere, schreibt MM, dass am Monatsende die Fenster kommen und am Telefon erzählt er von Waschbecken und Kloschüsseln. Die Nachbarin ruft ihn an, weil sie ihn schon so lange nicht gesehen hat, was er sehr nett findet. Naja.

Wofür arbeiten wir denn heuer?, fragt ein Kollege, der weiß, dass ich letztes Jahr für den Holzboden gearbeitet habe. Der Holzboden ist leider gar nicht gesichert, denn letztes Jahr wusste ich noch nicht, dass ich eigentlich für den Kloabfluss und die Abdichtungen an den Außenmauern arbeite und in Wirklichkeit fließt das Geld, das ich jetzt verdiene, schlicht und ergreifend in das neue Gebiss von Frau Obermaurer.

Die fehlen mir gar nicht so, die Maurerjungs, aber an den gehenden Mann denke ich oft. Da ich hier mehr Zeitung lese, bin ich überzeugt, dass er einen Selbstversuch macht, den er in einem renommierten Blatt veröffentlichen wird. "Wie ich 10000km gegangen bin, ohne dass mich je jemand angesprochen hat." Oder wie er sich täglich vergiftet oder wie er 2000 Plastiktüten aufgehoben hat, ohne das Müllproblem zu lösen. Es erscheint mir sehr dringend, mit ihm in Kontakt zu treten.

Mittwoch, 14. April 2010

what are we doing here?

es ist nämlich so: ich bin ein weiblicher Hulk, nur trage ich keine violetten Unterhosen. Da ich minderjährige Männer im Haus habe, kenne ich Hulk. Er muss sich sehr konzentrieren, um sich nicht aufzuregen, was ihm nicht immer gelingt, dann sprengt er sein Gewand (außer der violetten Unterhose), der Hals schwillt ihm an und er wirft manch Auto durch die Gegend.
So ist es mir heute auch gegangen: jemand, der findet, er könnte sich an mir abreagieren, reagiert sich an mir ab. Ich sage: "Grüß euch!", statt "Leck mich!" und gehe. Ohne es zu wollen, knalle ich eine Tür auf (weil schon der Hulk in mir wächst und ich überdimensioniert stark werde), da kommt der Mann, den ich 15 Jahre nicht gesehen habe und sieht in einem Moment alles (wahrscheinlich erkennt er es an der grünen Farbe). Er sagt: "Stressig? Du kriegst einiges ab." Ich habe ihn nie geliebt und 15 Jahre lang in schlechter Erinnerung gehabt. Heute liebe ich ihn zum ersten Mal. Ist er im Lauf der Jahre sensibel geworden? Ich sage: "Wird schon." Ich sage es in den regenverhangenen Himmel.

Am Abend telefoniere ich mit meinen Kindern. Ich sage, ich fahre mit drei Kollegen im Auto. Mein ältester Sohn sagt, lass deine Kollegen schön grüßen. Meine Kinder sind sozial so kompetent. Sie sind nicht deppert, sie sind einfach freundlich. Wenn ich denke, ich lass sie jetzt, sie wollen ihren Film sehen (MM schaut sich mit ihnen "Duell" von Steven Spielberg an), dann sagen sie: Halt, wie war dein Tag?

Vor ein paar Jahren hörte ich im Fernsehen, dass Tv-Star X ein Kind bekommen hat und gefragt wurde, was sie sich für ihr Kind wünsche und sie antwortete: dass es schlau wird (che diventi furbo). Schlau heißt aber nicht klug, sondern andere übers Ohr hauen. Dieser Satz ist für mich bis heute die Metapher für die verrottete Welt, in der wir in Italien leben.

Heute denke ich, die soziale Kompetenz ist total unnötig, ich hätte meine Kinder zu Heckenschützen erziehen sollen. Was uns retten könnte, ist ihr Sinn für Ironie. Und dann ist da wieder der eigentliche Schmerz: sie sind nämlich nicht arm, weil ich nicht bei ihnen bin, sondern ich bin arm, weil ich nicht bei ihnen bin, jeder Tag ohne sie ist ein Verlust.

MM sagt, er fahre bereits auf Reserve. Ja, das ist anstrengend: Kakao machen, Gewand heraus legen, Schulbrot machen, Fragen beantworten, in die Schule bringen, abholen, Hausaufgaben, Sorgen, Mitschüler, Fragen beantworten, Geburtstage, spielen, Wäsche waschen, Filme schauen, Spaziergang mit dem Hund, Fragen beantworten, Wäsche waschen, willst du zeichnen, Abendessen kochen, duschen, Abendessen essen, Fragen beantworten, und wie wars in der Schule?, neuer Pyjama, Bett überziehen? Wo sind die Batterien, Knopf annähen, Schuhe stinken, unterschreiben für den Schulausflug, Fragen beantworten, Bett überziehen, Hustentropfen, Tränen trocknen. Was immer vergessen wird: Buntstifte spitzen, Ticket für die Mensa, Bildschirm einstellen für das Computerspiel, zum next level verhelfen und die vielen Fragen, denen man ausweicht.

Was ist, wenn die Hosen zu kurz werden, einer sich das Kinn aufschlägt und ein anderer beschließt, in der Schule nur noch zu singen? Dann kann ich eigentlich nur noch kündigen, wozu ich heute große Lust hätte. Zum Glück sind meine Kinder extrem kooperativ und gehen auch mit zu kurzen Hosen aus dem Haus, schlagen sich kein Kinn auf, gehen schon lange mit Freude in die Schule und singen zu Hause. Und wenn sie in der Schule anfangen zu singen, dann heißt es eben: Man merkt halt schon, dass die Mamma nicht da ist. Solange man nicht merkt, dass die Mutter Hulk ist...

Dienstag, 13. April 2010

I wish I was as fortunate, as fortunate as me

Meinen vierzigsten Geburtstag habe ich in Irland verbracht, weil ich dort vorher nie gewesen war und an einem Ort sein wollte, an dem alle so ausschauen wie ich. Das hat funktioniert. Ich habe in Dublin einen Pullover gekauft, auf dessen Etikett steht: Fisherman - out of Ireland. Das bin ich.

Ich bin aber auch Dirk, der Name, der auf einer Tasse steht, die ich aus einer Ferienwohnung einmal mitgenommen habe.

Lieber bin ich der Fisherman far from home, aber in diesen Tagen bin ich Dirk, was bleibt mir anderes übrig, die Arbeit ist immer noch hassenswert, aber vor lauter Arbeit fällt mir das gar nicht mehr auf. Mein Freund, der Schriftsteller, sagt, mein Job sei lukrativer als Schreiben im rosa Zimmer, aber ich bin mir nicht sicher, ob er auch pornografische Literatur bedacht hat.

Auch mit der Stadt beginne ich mich abzufinden, heute morgen sah ich vor einer U-Bahnstation an einer großen Geschäftsstraße einen Mann mit schwarzer Kleidung und Cowboyhut hingebungsvoll zur Musik aus seinem Walkman tanzen. Er war sehr groß und er tanzte durchaus gut. Im Mund hatte er eine Zigarette stecken, seine Augen waren geschlossen, seine Arme dynamisch nach oben gereckt. Um ihn herum war es leer, er hatte seinen Raum. Ich lächelte und alles war nicht mehr so schlimm. Eigentlich wollte ich zurück gehen, um ihm zu sagen: "Sir, you made my day", aber ich war wie immer in Eile. Ich dachte noch, dass vielleicht alles nicht so schlimm sei und dass ich vielleicht doch noch ein freundlicher Mensch werde. Sogar als meine Kollegin sagte: "So spät heute?!" sagte ich nur gelassen: "Als ich daran dachte, wie spät es heute abend werden wird, hat sich mein Rhythmus verlangsamt." Ich hätte zurück gehen und dem Mann beim Tanzen zusehen sollen.

Sonntag, 11. April 2010

Desperate Working Mum

La Dattilografa hasst ihre Arbeit über alle Maßen. Der einzige Trost ist, dass auch andere Mitarbeiter ihre Arbeit hassen und nicht mit ihr zurecht kommen. Ich bin erstaunt, es ist also nicht alles mein privates Problem. Wahrscheinlich ist überhaupt nichts mein privates Problem, sonst würde ich nicht ohne Unterschied jeden Tag, sobald ich die Straße betrete, betrunkene oder unter Drogen stehende Leute sehen. Bewege ich mich grundsätzlich in den falschen Vierteln?

Die dattilografische Wohnung hat sich binnen kürzester Zeit zu dem entwickelt, was die dattilografische Mutter mit bebender Stimme als "richtigen Junggesellenhaushalt" bezeichnen würde. Wenn die dattilografischen Kinder so eine Unordnung machen würden, würde ihr Mutter zu einem lange anhaltenden Schrei ansetzen. Hier ist mein Hormonhaushalt von Testosteron infiziert. Wahrscheinlich, weil ich nur ertrage, meine armen Kinder ohne mich zu wissen, indem ich mir vorstelle ich bin ihr Vater. Da würde keine Lehrerin sagen: "Das merkt man schon, dass die Mamma nicht da ist." Da würde keine andere Mutter trocken schluckend sagen: "Mutig, wie machst du das?" Da hätte niemand den Mut, mich mit dem Blick: "Na ja, wenn sie glaubt" anzuschauen, wenn ich sage: "Die Kinder sind bei ihrem Vater." Ja, sie sind mit ihrem Vater, ja, zwei Monate lang. Ja, mein Mann kann das. Ja, ich bin auf einer Bohrinsel.

Leider ist es nicht so, dass ich monatelang nach Gold grabe und wir dann reich und glücklich sein werden. Zumindest nicht reich, das mit dem Glück ist ja nie ausgeschlossen. MMs Großvater war 23 Jahre lang allein in Argentinien und hat es dennoch geschafft, mit einem Zwischenaufenthalt vier Kinder in Italien zu zeugen.

Zwei Tage ist es mir nicht gelungen, mit meinen Kindern zu telefonieren, obwohl ich es mir fest vorgenommen habe. Diese Telefonate sind auch nicht unanstrengend. Im Moment scheint es sich ein wenig eingespielt zu haben, dass der Jüngste singt und Küsse schickt, der Rallyfahrer wie immer konkret ist und mir mehrere Dinge mitteilt, die Papa "entschieden hätte" und die ihm nicht so recht sind und sich der Älteste anhört, wie Scheiße meine Arbeit und wie kalt es in der Stadt ist.

Auch MM wiederholt sich: der Obermaurer hätte gesagt, er sei Ende des Monats fertig und dabei sei er eigentlich ohnehin schon fertig und die Badezimmer seien verfliest und in der Küche sei der Estrich gemacht und irgendwas ist noch nicht getrocknet, da bin ich beim Telefonieren abgedriftet, aber der Verdacht besteht, dass der Obermaurer doch noch einen Extraauftrag wolle, weshalb er bis Ende des Monats zu arbeiten gedenke.

Ansonsten scheint alles gut zu gehen und extrem anstrengend zu sein, so dass meine vier Männer den Sonntag zu Hause verbringen werden, da offenbar alle nur darauf warten, endlich schlafen zu können. Die Schlafengehzeiten mit Papa sind sicher andere als meine teutonischen. Auch die working mum ahnt schon, was der Sonntag bringen wird: heute stelle ich mir noch vor, ich gehe ins Kino und morgen wird um zehn Uhr in der Früh das Telefon läuten und dann werde ich um sechs Uhr abends noch immer im Pyjama am Computer sitzen und arbeiten.

Während ihrer verzweifelten Fahrten zur ungeliebten Arbeit entwickelt La Dattilografa Alternativen zum Gelderwerb. Ein zehnminütiger Besuch in einer großen Buchhandlung inspiriert sie dabei:

a) La Dattilografa schreibt einen Lebensratgeber (viele Kunden in diesem Stockwerk). Sie schreibt: Machen Sie sich selbst glücklich, indem Sie erst etwas verlegen, und es dann wieder finden. Besonders groß ist der Glückszustand, wenn es sich um Bankomatkarten oder PIN-Codes handelt.

b) La Dattilografa schreibt ein Kochbuch (viele Kunden in diesem Stockwerk). Sie schreibt: Kochen Sie, kochen Sie, kochen Sie. Kochen Sie Gemüse. Kochen Sie wie meine Schwiegermutter. Kochen Sie Gemüse. Kochen Sie, als ginge es um Ihr Leben. Kochen Sie, wie Sie selbst sein wollen: nachhaltig, authentisch und mit Geschmack.

c) La Dattilografa schreibt einen pornografischen Roman (sicher viele Kunden, in welchem Stockwerk eigentlich?). Sie schreibt: Es war Mitternacht und er wollte eben zu Bett gehen, als sein Blick auf ein hell erleuchtetes Fenster im Haus gegenüber fiel. Die Frau, die er schon mehrmals im Tabakladen gesehen hatte, stützte sich mit einer Hand am Fensterrahmen ab. Ihr langes dunkles Haar fiel ihr halb über das Gesicht. (usw.usw. Sie putzt nicht die Fenster!)

Das alles könnte ich im rosa Zimmer tun und bräuchte nicht so lange zu fahren. Ich bräuchte mir nicht vorstellen, ich sei ein Mann, ich könnte die Kinder zu Mittag von der Schule abholen.

Donnerstag, 8. April 2010

you are only coming through in waves

La Dattilografa hasst ihre Arbeit über alle Maßen und schaut sich zum Trost Pink Floyd, wie sie heute sind, auf you tube an. When I was a child I had a fever. Die Kinder fallen mir ein, die gefragt haben, woher eigentlich die Tränen kommen. Eigentlich hätte ich sagen müssen:Jungs, darüber kann ich euch ein Ganzjahresseminar halten. Aber wir stehen vor dem Haus und wollen rein, die Schule ist vorbei und alle müssen aufs Klo und ich suche den Schlüssel und sage nur: die sind immer da und warten darauf, dass sie raus können.

So wie die alten Jungs von Pink Floyd treffe ich dauernd wen, der jetzt viele Jahre älter ist als damals. Weil ich weggegangen bin, bevors ans Eingemachte ging, bin ich mit niemandem von hier alt geworden. Das führt dazu, dass ich dauernd jemanden zu sehen glaube, der einen jugendlichen Doppelgänger hat. Das geht mir auch in Italien so. Ich glaube dort immer jemanden zu sehen, den ich von hier kenne. E viceversa. Gestern habe ich einen für mein Leben entscheidenden Menschen nach 15 Jahren wieder gesehen und er war wie damals. Nur andere Zähne hat er heute. Ich möchte meinen Kopf unter dem Polster vergraben, wo sind denn unsere Zähne hin??? Ich habe alle meine Zähne bis auf den einen, der mir mit 16 gerissen wurde und den anderen halben, der jetzt in Kalabrien im Mist liegt. (Und ich habe mich heldinnenhaft dagegen gewehrt, den reißen zu lassen, das, was man in der Dentalsprache unter Brücke versteht, soll warten.)

Und noch dazu habe ich ein geradezu perverses Faible für unregelmäßige Zähne oder Gebisse mit dem gewissen Etwas (die Zahnlücke im Gebiss meines Mitschülers in der Mittelschule, die mich gegen jede Vernunft schwach machte und dazu führte, dass wir uns am Maturafest endlich und ein einziges Mal küssten), Männer mit Zahnschmerzen, Männer mit ausgeschlagenen Zähnen, Männer mit vom Rauchen verfärbten Zähnen, alles, nur keine schlechten falschen Zähne...
Der Zahnarzt in Italien sagt, die Kinder brauchen "un apparecchio", eine Zahnregulierung, mein Zahnarzt hier sagt, wenn sie nicht Agnelli geheiratet haben, brauchen die Pamperletsch gar nix. Nein, MM heißt nicht Agnelli und die Kinder müssen sich mit der Ultraschallzahnbürste die Zähne putzen und bitte quattro giri non solo due, per non finire come Mamma sempre dal dentista...

How I wish....


I think I can tell heaven from hell, blue sky from pain, und das einzig interessante ist, dass sich ein Prinzip bestätigt, das irgendwie von Lacan beschrieben wird und einen Namen hat, den nur MM weiß, nämlich dass wenn man etwas preis gibt, muss der andere auch was sagen. Ich fahre mit einem Menschen, den ich heute zum ersten Mal in meinem Leben sehe durch meine Stadt (meine ehemalige, meine ehemalige Heimatstadt)und wir fahren an einer Self Storage Lagerhalle vorbei und ich sage, ich finde das interessant, dass die Menschen so viel Klumpert haben, dass sie es jetzt auch auswärts lagern müssen. Er sagt, er hätte schon seit vier Jahren keine Wohnung und hätte auch seine Sachen in einem Lagerraum von 60 qm in Köln. "Wow", versuche ich die Kurve zu kratzen, mit 60 qm bist da du aber bescheiden." Naja, seine Möbel hätte er anderswo aufgeteilt. Er könne sich einfach nicht entscheiden wo er eine Wohnung haben wolle. In München, Berlin, Hamburg oder Köln. Ich sage: aber wo fühlst du dich zu Hause, ich meine wo ist dein Herz? Er kann eine Antwort geben und die hat was mit seiner Jugend zu tun. (O Gesu Maria e tutti i santi!!)Can you show me where it hurts?

Am Ende dieser großen Sentimentalität bringt mich etwas zu herzhaftem Lachen: Kate Bush singt Wuthering heights (red dress version). Oh Heathcliff!

Dienstag, 6. April 2010

Von Tunesien nach Mitteleuropa

MM, der nicht gut auf den Obermaurer zu sprechen ist, hat doch eine geheime Freude: unser Haus ist weiß geworden. Das ist aber nur der Feinverputz, keine Farbe. Auf diese Tatsache weist er mich mehrmals täglich hin, bis ich es endlich selbst sehe und mir der Mund offen stehen bleibt: sieht aus wie in Tunesien - weißes Haus im Sonnenschein, Flachdach, Palme davor, weht im Wind. Das einzig störende ist der unrenovierte Teil davor, eine lähmende Ziegelwand. Die muss weg! Obwohl wir dem Obermaurer keinen Centesimo mehr gönnen, messen wir sofort die Wand aus und rechnen. Das werden wir uns leisten!

Immerhin kehre ich übergangsweise in meine alte Heimat zurück, um zu arbeiten. In Italien frage ich mich regelmäßig, wieso ich von hier weggegangen bin und weiß nie eine Antwort. Sobald ich aus dem Zug steige und in ein Taxi ist mir alles klar. Ein Grund ist die Sprache, kann man das Radio bitte ausmachen? Eine Stunde geht alles gut, das ist die, in der ich zu Hause bin und dusche. Dann begebe ich mich wieder in öffentliche Verkehrmittel. Ich denke an New York, wo ich vor vielen Jahren war und feststellen musste, dass überdurchschnittlich viele Menschen mit sich selbst sprechen. Aber das war, nachdem die psychiatrischen Anstalten geschlossen wurden. Und New York ist New York.

Nach meiner Arbeit stürze ich wieder auf eine Straße, in der mehr als 70 % der Passanten betrunken sind oder unter Drogen stehen oder es bis vor kurzem taten. Ich gehe in einen Supermarkt und suche eine Flasche Rotwein mit mehr als 13 Prozent. Im Autobus setze ich mich neben einen unglaublich dicken Mann. Er sieht mich erstaunt von der Seite an und murmelt etwas unverständliches. Habe ich mich unabsichtlich auf seine dicken Schenkel gesetzt? Ist er überrascht, dass es jemand wagt, sich neben ihn zu quetschen? Mein Gepäck ist so schwer, dass ich nicht im Traum daran denke, meinen halben Sitzplatz wieder herzugeben. Während der Fahrt murmelt der Mann mehrmals: "Oh mein Gott, mein Gott!" Mir ist er sympathisch, da er keinerlei Alkoholgeruch von sich gibt. Er riecht nach Bosna, das war vor vielen Jahren eine lange Wurst in einem Hotdogbrot, mit Zwiebeln und Senf bereichert. Ob es das noch gibt? Als er aussteigen will, sagt er: "Entschuldigung!" Er kennt dieses Wort! Er versöhnt mich mit der Welt. In seiner Hosentasche steckt eine kleine Flasche Apfelsaft.

Ich denke an die Süditaliener, die mir meistens auf die Nerven gehen, an die orientierungslosen, aufgeregten Studenten, an die beiden etwa zwanzigjährigen Jungs, die gestern im Zug ihre Fingerknöchel krachen ließen und alle halben Stunden ins Mobiltelefon hauchten: "Ma(mma)? Tutto apposto, ich bin kurz vor Salerno, kurz vor Napoli, kurz vor Aversa, kurz vor Roma, jetzt in Roma, jetzt steig ich aus." Sie alle werden gerettet, wenn sie gerettet werden, durch eine Mamma oder eine Nonna, die zu Ostern Pastiera macht, die ihre Familie zu Ostern durchschnittlich drei Stunden beim Essen hält, wie ich eine Statistik entnehme, die ihnen dorthin, wo sie studieren oder arbeiten, nachfährt mit einer Schachtel voller Würste und Sugo und einer Kühltasche mit dem frischgeschlachteten Pollo und dem Sedano und den Eiern von den Galline. Durch das Fernsehen soll uns der letzte Funken Verstand geraubt werden und mir ist klar, dass nicht viele Fernsehabstinenzler sein können, wie ich. Aber gegen den Grande Fratello gibt es die Bastion der Mütter und Großmütter, die dem Nachwuchs mit frittierten Ciambelle und notfalls einfach mit Nutellabroten nachläuft und das geben, was beim "big brother" la casa ist, ein zu Hause.

Dieses zu Hause, das in den großen Städten zu klein, zu unwirtlich, zu wenig aufregend ist, das die Jungen auf die Straßen treibt, das die arbeitenden Menschen nicht mehr zum Essen beherbergt und die öffentlichen Verkehrsmittel zu unseren Tischen und Arbeitsplätzen werden lässt. Heute morgen vermittelte eine junge Frau im Autobus neben mir erst (fast) eine Wohnung mit zwei Zimmern und zwei Kabinetten und aß anschließend ein Schinkensandwich einer bekannten Fleischerkette. Eine andere Frau erzählte am Mobiltelefon, dass sie keine Probleme mit ihrem Stuhlgang hätte. Dabei lachte sie. Und schwankte in den gefährlichen Kurven. Bis sie sich am Haltegriff festklammern konnte.

Zwei Sätze fallen mir ein, der erste ist von Thomas Bernhard:
"Am wohlsten fühle ich mich in den Zügen, in den Fahrten zwischen den Ländern. Bin
ich in einem Land angekommen, möchte ich es eigentlich sofort wieder verlassen.
Überall das gleiche, Heuchelei, Perfidität und Stumpfsinn."
Der zweite: "Home is where my heart is". Mein Herz ist aber sicherlich in keinem öffentlichen Autobus. Nein.