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Freitag, 5. Dezember 2014

Männer



Hinter unterem Haus stand einst ein Feigenbaum. Er trug einen Teil zu der romantischen Atmosphäre bei, die uns derart gefiel, dass wir dieses Haus kauften. Neben einem Apfelbaum fiel dieser Feigenbaum der Säge zum Opfer. An seiner Stelle wurde ein Parkplatz für unser Auto geschaffen. Hinter dem ehemaligen Feigenbaum wurden riesige Eisenkörbe mit großen Steinen in die Erde gepfropft, auf dass auch LKWs an unser Haus herankönnen und es wurde eine bereits bestehende Mauer erhöht. Damit eben das Auto gut parken kann. Der Feigenbaum zog ohnehin nur Wespen und andere gefährliche Insekten an, wurde mir erklärt.

Der Nachbar zog auch seinen Nutzen aus unseren grobschlächtigen Veränderungen und baute den winzigen Trampelpfad, der hinter unserem Haus zu seinem Haus führte in eine ungepflasterte Straße aus, über die er nicht nur Zugang zur kleinen öffentlichen Straße hat, sondern auf der auch seine Söhne, Schwiegersöhne und Enkel mit Kindermotorrädern, normalen Motorrädern und Motocross-Maschinen fahren.

Vier Jahre stand nun also unser kleines rotes Auto unter einem großen Eichenbaum am oberen Rand dieser immer unverputzt gebliebenen Mauer geparkt, wenn es zu Hause war. Zwischen Mauer und Haus spielten die Jungs Fußball, manchmal mit den Jungs vom Nachbarn. Der linke Nachbar und seine Frau pendeln zwischen ihrem Haus und dem Anwesen des rechten Nachbarn hin und her, denn sie bestellen dessen Garten. Links und rechts sind in diesem Fall von unserem Haus aus gesehene Richtungen und keine politischen Haltungen. Unter dem großen Eichenbaum wird das rote Auto, zumindest im Herbst, von einer klebrigen Schicht überzogen.

Eines Tages im Frühling kam der Nachbar und sagte zu MM, dass er glaube, diese Mauer müsse verbessert werden, denn sie habe sich ausgebeult und man möge ein Unglück vermeiden, schließlich spielen ja Kinder im Schatten dieser Mauer. Das wunderte mich gar nicht, denn aus dieser Mauer hatte ich schon Wasser kommen sehen, aber wie konnte ich annehmen, dass dies nicht ordnungsgemäß war, schließlich wurde diese Mauer nicht vor hundert Jahren hinter dem vor hundert Jahren erbauten Haus gebaut, sondern vor fünf Jahren, als das hundertjährige Haus renoviert wurde. Und zwar von legal bezahlten Fachkräften. Eine Schlange wohnte auch in der Mauer, aber das sagte ich niemandem, denn ich weiß, dass sich die meisten Leute, darunter auch unsere Nachbarin, vor Schlangen fürchten. Außerdem wohnte die Schlange, wenn ich genau sein möchte, nicht in der Mauer, sondern hinter der Mauer.

Nach einigen Wochen Ungläubigkeit sah auch MM ein, dass die Erde über der Mauer eine Art Wasserbecken gebildet hatte, die das Wasser auffing und durchsickern ließ, statt es abzuleiten. Dadurch hatte sich die Erde ausgebreitet und gegen die Mauer gedrückt. So habe ich es mir zumindest vorgestellt. Und wer war schuld? Der Obermaurer. Der Obermaurer, den ich einst so kompetent und liebenswert gefunden hatte, ist für mich mittlerweile an allem schuld, was nicht funktioniert, schmutzig ist oder nach wenigen Jahren ausgetauscht werden muss. Das verbindet ihn mit meinem Ehemann. Und tatsächlich verteidigte dieser den Obermaurer. Also hatten sie gemeinsam eine inkompetente Entscheidung getroffen und eine rachitische Mauer gebaut, die dazu bestimmt war, nach fünf Jahren abgerissen zu werden, auf dass kein Unglück geschehe.

Ich möchte keinesfalls viele Worte zum Mauerabriss und zum Maueraufbau verschwenden. Nur so viel: Es hat lange gedauert. Es war teuer. Es sieht hässlich aus.

Jetzt sind alle zufrieden. MM, der Nachbar, der (für uns neue) Maurer. Sogar meine großen Söhne wurden eingebunden und konnten sich mit stundenweiser Hilfe Geld verdienen.

Ich habe die Vision, dass alle Häuser und Bauten auf unserem Hügel durch ein Erdbeben oder eine andere apokalyptische Naturkatastrophe zusammenbrechen und ins Meer gespült werden, während diese neue Mauer stehen bleiben wird. Man wird sie auf Satellitenbildern ausnehmen können und ich überlege mir, ob ich eine Nachricht für die Generationen oder Lebensformen, die nach uns kommen werden, in dieser Mauer hinterlassen soll.

Und das rote Auto parkt jetzt nicht mehr auf durstiger Erde, sondern auf ästhetisch wertvoll regelmäßig klein gehacktem Schutt, was ein bisschen wie Kieselsteine wirkt. Ich spreche nicht über die Mauer, ich mache das, was man mir sagt. Ich parke hier, ich parke dort, ich parke ein bisschen weiter links, ein bisschen weiter rechts, ein bisschen weiter hinten, ein bisschen weiter vorne, je nach dem Stadium des Mauerbaus. Ich schaue aus dem Schlafzimmerfenster und sehe die graue Mauer. Dafür hätte ich nicht aufs Land ziehen müssen. Ich überlege, welche bis jetzt unbekannten Geldquellen ich anzapfen kann, damit diese Mauer auch verputzt wird, denn ich weiß, dass das Kind dann gerne etwas daraufmalen wollen wird. Ein Regenbogen ist sicher das Minimum.

Das große Glück über diese und mit dieser Mauer versetzt MM in derartige Ekstase, dass er auch das große blaue Auto unter der Eiche parkt. Beim Abendessen doziert er über die zeitlichen Vorteile, die dieses Parken mit sich bringt, denn man stürzt sich die kleine Straße hinab und ist hinter dem Haus und muss nicht die lange gewundene Straße hinter sich bringen, um vor dem Haus anzukommen. Dass man die beiden Autos dann umparken muss, damit das richtige Auto am nächsten Morgen in Poleposition steht, und dass das große blaue Auto schwer zu wenden ist, wird nicht eingerechnet. Da auch ich meine Steckenpferde habe, die immer gewinnen, auch wenn nach rationaler Betrachtung der Lage ihr Vorteil nicht so groß ist, sage ich nichts.

Eines Morgens, als alle vier männlichen Mitbewohner hinter das Haus stapfen, um mit dem blauen Auto zur Schule und Arbeit zu fahren, fahren sie nicht. Als ich das Schlafzimmerfenster öffne und seufzend auf die graue Mauer starren will, sehe ich die drei älteren männlichen Wesen ums Auto herumschleichen und das Kind betreten im Auto sitzen. Ich sehe es sofort: das Auto wurde in den Sand gesetzt. Der Eintonner befindet sich zu nahe an der Mauer und das Hinterrad ist im Schutt versunken. Instinktiv ziehe ich mich zurück und denke an Traktoren, die das Auto herausziehen und an Entschuldigungen in Mitteilungsheften. Ich kann MM nicht einmal zum Autobus bringen, denn das kleine rote Auto steht vor dem blauen und wenn sich dieses nicht bewegt, bleibt auch das rote Auto stehen.

Der Fußballspieler, der sich vor einer Minute noch in Zeitlupe, beschwert von Hormonen, aus dem Haus geschleppt hat, kommt elastisch gelaufen und verlangt eine Schaufel. Ich verlasse das Haus aus Sicherheitsgründen nicht, denn ich würde meinen Mann sehr beleidigen, wenn nicht sogar tätlich angreifen. Der Fußballspieler teilt mir außer Atem mit, dass das Kind Steine weggetreten hätte, worauf das Auto nun feststecke. Das Kind! Soviele Steine konnte das Kind doch gar nicht in drei Minuten wegtreten. Ich nähere mich nicht wieder dem Schlafzimmerfenster, sondern finde mir, ganz gegen meinen normalen Rhythmus eine Beschäftigung in der Küche. Nach zwanzig Minuten gehe ich ins Schlafzimmer, sicher, dass alle längst weg sind. Da schaufeln die noch immer, die Reifen drehen durch, der Motor heult auf, Rufe des großen Sohns: Mehr links, mehr rechts, geradeaus, basta, stopp. Das Kind steht abseits und beginnt nun zu klatschen und zu springen. Offenbar haben sie es geschafft. Ich höre noch mehrmals das Wort „Zement“.

Als sie weg sind, frage ich mich, ob, wenn ich mein Auto dort eingegraben hätte, meine Kinder dann so hilfsbereit gewesen wären und in ihren langwierig ausgesuchten Klamotten Steine umgeschichtet hätten und dabei unternehmungslustiger als normal geworden wären.

Nach ein paar Stunden ruft MM an und sagt, er hätte am Morgen ein kleines Problem mit dem Auto gehabt. In Wirklichkeit sind alle zu spät in die Schule gekommen und MM musste mit dem Auto zur Arbeit fahren, weil der Bus schon lange weg war.
Auch die Jungs sagen, es wäre am Morgen nicht ganz einfach gewesen, wegzufahren. Und man merkt, dass sie glücklich sind, weil sie vor der Schule schon ein bisschen Abenteuer und Schweiß hatten. Das Kind sagt nichts, was darauf hindeutet, dass es vielleicht wirklich schuld an dem Desaster war. Oder weil es noch nicht so eine breite Brust hat, auf die es sich dann klopfen will.

Ich sage auch nichts. Daher schreibe ich es hier: „ICH hätte das Auto dort NIE geparkt.“





Samstag, 9. Juni 2012

Nett sein ist fad

Ich glaube, es ist, weil ich mich nicht mehr aufregen will. Weil ich beschlossen habe, ein freundlicher Mensch zu sein, der die Decke auf dem Sofa zurechtrückt und nicht gegen das Sofa treten will, weil keiner da ist, der die Ordnung auf dem Sofa zerstört und nicht wieder instand gesetzt hat, dem man mitteilen könnte, dass diese Destruktion System hat und das Ziel sei wohl die Zerstörung meiner geistigen Gesundheit oder wie?
So ist das, manchmal hat man Phasen, in denen man ganz lieb ist. Dann weiß man nicht mehr, was man schreiben soll. Ich bemühe mich redlich, irgendwie das Abgründige aus mir herauszuholen: Sex und Drugs und Rock'n'Roll. Oh mein Gott, da ist nichts. Seit Tagen denke ich nach, was ich über das Sexualverhalten der Italiener schreiben könnte, in der Hoffnung das würde eine verborgene Quelle an Adrenalin erschließen. Nichts. Es interessiert mich nicht. Die Vorstellung, dass, wenn ich beim Spaziergang mit dem Hund an unserem zur Zeit recht romantisch mit Wein überwachsenem Wasserbecken im Gemüsegarten vorbeikomme, dort ein Mann stehen würde, die maximale Mischung aus Virilität, Intelligenz und frischem Atem, erfüllt mich mit Sorge. Es könne zu lange dauern, ihm zu erklären, dass ich nach Hause muss, denn nach Wäsche aufhängen und Kinder aufwecken, muss ich dringend Kaffee trinken und wenn die Zeit reicht, ein paar Seiten in Margaret Atwoods Buch "Blind Assassin" lesen. (Ist es, weil die Ich-Erzählerin über 80 ist, dass ich mich auch so fühle?) Ich mache mir Sorgen um mich selbst.

Die Schule ist vorbei und sogar die Tanzaufführung und ich vergebe allen, die mir bis zu diesem Zeitpunkt unsäglich auf die Nerven gegangen sind. (Halt, der Frau, die heimlich Kinder taufen lässt, nicht!)

Der Eingangsbereich unseres Hauses, ein schöner alter Raum, der bis jetzt ein hoffnungsloses Wirrwarr aus Vorräten, Werkzeugen und Gummistiefeln war, wurde in internationaler Zusammenarbeit in das gelbe Zimmer verwandelt, das jederzeit vom Magazin "Schick im Landhaus" fotografiert werden kann. Ich werde beim Nachhausekommen endlich von der Klarheit empfangen, die ich mir immer gewünscht habe und das Kind wird von keinem Farbkübel mehr fallen, wenn es Äpfel aus dem Regal nimmt. Also kann ich mich jetzt unendlich befreit an den Computer setzen und geile stories schreiben? Nein.
Ich habe mich so bemüht, diese innere Ruhe zu erreichen und meine nähere Umgebung hat mich angefleht, die Zornesader auf meiner Stirn abschwellen zu lassen und jetzt? Hallo, Janis Joplin, where are you? Meine Freundin, die sagt, ich lese zu viele amerikanische blogs hat sicher recht. Das Mantra, das ich mir so oft vorgemurmelt habe, überwuchert nun mein Sein: Talk less. Es wächst über mich wie ein Rosenstrauch und wird erst zu "Talk nothing" und dann zu "Be totally mute". Auch traurig, oder?

Wenn ich das Wort "Monti" höre, schaue ich still auf meine im Schoß zusammengefalteten Hände und dann suchen meine Augen den Türrahmen, unter den ich mich stelle, wenn die Stärke der Erdbeben die zwei Komma irgendwas, die hier täglich in der Umgebung sind, überschreitet.

Das Kind möchte sein offenbar von Mäusen zerfressenes Plastikplanschbecken aufblasen. Ich klebe mit Gaffer-Tape. Der Rallyefahrer ist entzückt, denn mit diesem Klebeband wird den Leuten in den Filmen immer der Mund zugeklebt und wenn man es wegreißt, tut es weh. Ist das bei mir auch der Fall? Hab ich so was? Kann man es mir wegreißen, auch wenn es schmerzhaft ist?
Meine Versuche, die Löcher in dem billigen Klumpert zu flicken fruchten nicht viel, aber das Kind ist entschlossen und beruhigt mich: "Wir machen es wie die Philosophen, wir probieren es einfach so lang, bis es geht." Ich sag's ja immer, die Schule verwirrt die Kinder nur. Und mich verwirrt die Abwesenheit der Schule, denn auf wen lenke ich meine Hassattacken?

Also Sex holt mich nicht hinter dem Buch hervor, zumindest nicht der verbotene, Drugs sind schon lange keine Möglichkeit für mich, hemmungsloses Betrinken geht auch nicht, sonst würden die Kinder am nächsten Morgen die eiskalte Milch aus dem Kühlschrank trinken, sie warten nur darauf. Und Rock'n'Roll? Der hat am ehesten noch Zugang zu den verborgenen Teilen meiner Seele, jetzt in Form von Hip Hop. Und wenn die Worte "Shit" und "Fuck" vorkommen dann drehe ich das Autoradio gleich ganz laut, ich kann das nämlich auch, bis die Boxen zittern, ihr peinlichen 20-jährigen, kapiert? Und übrigens, Janis: Mir hat der Lord auch keinen Mercedes Benz gekauft und das Colour-TV hab ich selbst bezahlt. Wenn ich so denke, dann komme ich schon noch zu dem Räudigen in mir hinunter und wenn ich noch ein wenig daran arbeite, beginne ich auch wieder zu bellen.

Montag, 2. April 2012

Das Wünschen hat geholfen

Kaum schreibe ich meine Wünsche auf, gehen sie auch schon in Erfüllung, zumindest zum Teil. Der mit der Gerechtigkeit, die siegen möge. In einer der letzten Nächte war eine ziemlich große Aktion der Carabinieri an der Küste des tyrrhenischen Meers, 63 Personen wurden wegen der Beteiligung an einer kriminellen Organisation verhaftet und Güter im Wert von 15 Millionen Euro beschlagnahmt. Gegen 250 Personen wurde ermittelt. Und der Staatsanwalt hat mich auch schon angerufen, aber aus uninteressanten Gründen. Und Mirko ist da. So fest habe ich mir das gar nicht gewünscht. Als ich mit dem Hund zum Schulbus gehe, sehe ich den roten Fiorino Richtung Berge fahren, auf der Ladefläche ein paar Bretter. Ich höre Hupen. Meine Kinder, die vor mir an der Stelle angelangt sind, wo wir den Schulbaus erwarten, sagen, dass Mirko zurückgekehrt ist und dass er einen dicken Bart trägt. Er sei da mit seinen Brüdern vorbeigefahren. Ich sage, dass Mirko nur einen Bruder hat, aber meine Kinder bestehen darauf, dass die Maurer drei Brüder sind. Das ist ein Kompliment für den Obermaurer, aber ich weiß weder, ob er es schätzt, noch, ob er es versteht. Dann habe ich auch noch einen Nachsatz zu meiner wishlist und dabei denke ich an Pearl Jam: I wish I was as beautiful, as beautiful as you

Donnerstag, 17. November 2011

Der geheime Freund

Da ich zur Zeit nicht aus Gründen der Arbeit an meinen Schreibtisch gefesselt bin, mache ich die unglaublichsten Dinge: Ich gehe auf die Gemeinde und gebe dem Bürgermeister (zumindest seinem Büro) bekannt, dass das Kind keinen Fisch ist und bitte am Freitag in der Schulmensa was anderes bekommen soll, was, ist nicht so wichtig. Ich gebe das Formular zur Volksbefragung ab. Ich bezahle die Rechnung der Müllabfuhr. Ja, tatsächlich. Keine Mahnung. Ich gebe die Bons für die Gratisschulbücher in der kleinen Buchhandlung ab. Ich betreibe small talk mit allen Nachbarn. Ich bin nicht beleidigt, als der alte Herr, der mit seinem Leinensack und seinem Stock auf der Straße wandert, auf meine Frage: "Wo gehen sie denn hin?" mit "Wer SIND sie?" antwortet. "Ich bin die, die ihre Kinder immer zum Schulbus bringt, ich wohne da unten." Aha.
Das Leben ist so fröhlich geworden, seit wir dann doch recht unspektakulär "Bye bye Silvio" gesungen haben.
Ich ordne die Rechnungen vom E-Werk ein und lösche tausende E-mails. Das verringert zwar nicht den materiellen Mist, aber angeblich befreit es den Geist. Und mein Geist fühlt sich schon beängstigend frei an.
Gestern abend sage ich beim Essen: "Ich hatte heute einen wirklich guten Tag, ich habe meinen Drucker nach mehr als einem Jahr zum Funktionieren gebracht und den Impfpass vom Hund gefunden." "Ich auch!" ruft das Kind sofort. "Ich war super in der Schule und auch super in der Tanzschule!" Dem Rallyefahrer bleibt die Hand mit der Karotte, die er gerade in den Mund schieben wollte, in der Luft stehen, er wirft seinem großen Bruder einen Blick zu, der sagen will: "Super in der Schule? Was redet der da? Hoffentlich fragt mich jetzt keiner, ob ich auch super in der Schule war." MM und ich schauen uns auch atemlos an. Ist das Kind übergeschnappt? Das Kind ist NIE super in der Schule. Die Lehrerin beschwert sich über das Kind. Das Kind stopft vergnügt Auberginenomelett in den Mund. Vielleicht ist seine Überzeugung so stark, dass eines Tages auch die Lehrerin glaubt, dass er super ist? Alle beginnen vorsichtig wieder zu atmen.

Die Nächte sind lang und sternenklar. Ich möchte nicht mehr auf dem Dach liegen und mir von einem nicht näher definierten Prinzen durchs Haar streichen lassen. Gestern hat MM zum ersten Mal eingeheizt und das war mir weitaus sympathischer als der Prinz da draußen auf seinem Pferd, der sicher eine ganz kalte Nase hat. Obwohl ich mir natürlich immer noch wünsche, dass der platonische Verehrer mich anruft und sagt: "WIE machst du das alles?!", bin ich mit dem Wünschen sehr vorsichtig geworden. Ich habe nämlich eine sms bekommen. Ich habe schon gemerkt, dass eine mir unbekannte Nummer versucht, mich zu erreichen, aber ich habe zu Hause keinen Mobilfunkempfang, was gut und schlecht und auf jeden Fall gewöhnungsbedürftig ist, und ich empfange sms, wenn ich die Kinder zum Schulbus bringe. Und da schreibt die unbekannte Nummer: "Wo bist du gestern morgen hingefahren, mit dem Auto deines Mannes?" Dann kommt ein komisches Wort mit vielen "o"s und "c"s, ich interpretiere es als unschön. Dann schreibt er: Buona notte, amis. Na zumindest das ist nett.
Erst bin ich erschrocken. Wo bin ich denn hingefahren mit dem Auto meines Mannes? Als ich mir selbst "nirgendwohin" antworte, kommt mir der Verdacht, dass es sich um einen Scherz handelt. Jungs im Schulbus, die Tanten anrufen. Das haben wir auch gemacht: "Guten Tag, sie haben 1000 Rollen Klopapier gewonnen, hahahaha," klick.
Dann denke ich, jemand hat die Nummer falsch eingegeben. Amis ist sicher amico segreto, der geheime Freund. Ich möchte ihn nicht, nein danke. Das ist die Kehrseite der Medaille, die Rückseite der Verehrung. Das Ansprüche erheben.
Ich beneide sie nicht, die heimliche Geliebte, die sich rechtfertigen muss, wenn sie das Auto ihres Mannes benutzt. Hoffentlich sagt er ihr wenigstens, wie wahnsinnig großartig sie ist, und wie toll sie alles macht.

Freitag, 8. Juli 2011

Die Garage und andere Erfolge

Angesichts der Weltlage (Berlusconis permanente Niederlagen erwecken Hoffnung, aber sonst?) scheint es blasphemisch über Garagen zu schreiben. Eine Frau, die einen Organisationsblog schreibt, hat sich für den Monat Juni vorgenommen, ihre Garage zu entrümpeln und aufzuräumen. Zufälligerweise ist diese Frau auch kürzlich (äh, ist mein Jahr Umzug kürzlich?) umgezogen. Als ich von diesem Vorsatz las, dachte ich: "Was will die einen Monat lang ihre Garage aufräumen? Nichts leichter als das! Das mache ich auch!" Als dann um den 10. Juni eine Mitteilung von ihr kam, es wären Stürme in dem Teil Amerikas, in dem sie lebt, und zum Glück hätte sie ihr Projekt bereits abgeschlossen, um ihr Auto sicher verwahren zu können, stand bei mir immer noch das Gerümpel vor der Garage und ich hatte alle Teile von einem Teil in den anderen geworfen. Die Garage zu bändigen war in etwa wie den Rubikwürfel, den ich auch in der Garage gefunden hatte, richtig zusammenzusetzen. Irgendwann will man den Würfel mit einem Hammer bearbeiten und so ging es mir mitunter, wenn ich auf die dort verwahrten Teile blickte. Das Grundübel war, dass dort die letzten Teile des Umzugs gelandet waren und offenbar war das Auto bei Regen und in der Nacht ausgeladen worden, denn ohne Hirn und Herz waren Alukoffer auf Maurerbalken gestellt worden, die dort bequem Platz einnahmen, bevor der letzte Rest aus dem alten Haus gekommen war. Nur mit Hilfe meines großen Sohns, der davor zur Übung einige Tage mit Lego konstruiert hatte, gelang es mir vor ein paar Tagen, der Juni war berits Vergangenheit), die Holzbalken und das Gerüst so zu schlichten, dass vielleicht ein Auto in die Garage passt, zumindest mit der Motorhaube. Ich habe es noch nicht probiert, denn im Moment stehen die Fahrräder vor der Garage. Wir haben es auf 8 Fahrräder gebracht, von denen drei dem Kind gehören und das Kind kann nichts weggeben oder wegwerfen (Das ist meins! Das ist meins!). Aufgetaucht sind wieder die Filmrollendöschen - mein Freund der berühmte Fotograf hat eine Skulptur in Lamezia Terme angeregt, ich glaube, aus diesem Projekt wird was. Weiters Glaselemente eines Hochspannungsmastes, die ich nicht wegwerfen darf. Sie können aber an einem weniger wichtigen Ort gelagert werden, gesteht MM zu. Was meint er damit? Unter dem Bett?

Es gibt jetzt auch ein Regal mit Kinderspielsachen für draußen, allein es mangelt an der Vollständigkeit der einzelnen Spiele. ("Haben sie Badmintonbälle?" "Jaja, Bälle!" "Nein, keine Fußbälle! Das sind Bälle mit einem Art Indianerzelt unten." "Jaja mit Federn, jaja. Nein, haben wir nicht!") ("Haben sie Bälle für Beachvolley?" "Jaja, hier - komplette Packung mit Schlägern!" - so kommen wir zu 28 Beachvolleyballschlägern ohne Ball...). Besonders ärgerlich ist, dass meine Kinder prophezeit haben, wir würden diese Bälle nie zu kaufen bekommen. Ich habe ihnen darauf einen eindrucksvollen langatmigen Vortrag zum Thema Pessimismus gehalten.

Im Lauf der Recherche zum Thema Garage stellte sich heraus, dass viele Menschen ihr Auto vor der Garage stehen haben. Wenn ich es schaffe, mein Auto zumindest in Richtung Eingang zu parken, werde ich das Gefühl haben, einer Avantgarde besonders gut organisierter Menschen anzugehören. Die Organisationsspezialistin hat ein Foto ihrer entrümpelten Garage veröffentlicht. Verglichen damit habe ich es gar nicht mit einer Garage zu tun, sondern mit einer Hütte.

Das ist egal. Und sonst fallen mir eigentlich gar keine anderen Erfolge ein, außer dass ich zwei Geburtstagsfeste von kleinen Mädchen überlebt habe (eines davon mit zwei Animatorinnen in Leopardenblusen und hochhackigen Schuhen, die das Fest eher moderierten als animierten), bei denen mir erstmals klar geworden war, warum Menschen schreiben, dass ihnen das Herz überquillt, oder ähnliches. Tatsächlich quoll mir das Herz über vor Mitgefühl dem Kind gegenüber, das diese events peinlich berührt über sich ergehen ließ. Es gelang ihm sogar, ihnen etwas abzugewinnen. Das nahm mich wirklich für ihn ein.

Donnerstag, 7. April 2011

Nihil nisi bene

Da die Reihe der Dinge, die mich aufregen, unübersichtlich lange geworden ist und ich nicht weiß, womit ich beginnen soll, entschließe ich mich, die schönen Dinge aufzuzählen, da dies, wie man weiß, schnell getan ist.
Äh.
Die kleinen Schafe, Lämmer genannt, springen hinter ihrer Schafmama auf der Wiese. Ich sehe sie, wenn ich auf dem Balkon die Wäsche aufhänge. Die Sonne scheint.
Zu Ostern werden sie geschlachtet, aber das gehört nicht mehr zu meinem Thema. Jetzt sind sie glücklich. Es war mir nicht klar, dass Lämmer die entzückendsten Tierchen der Welt sind.
Die meisten Bäume blühen und man kann den Blättern beim Wachsen zusehen. Man sollte sich die Zeit nehmen.
Das Kind sagt: "Weißt du, dass du normal bist?" Das freut mich unglaublich. Es meint allerdings nur meinen Bauchumfang. Es steht nämlich vor der Entscheidung, magersüchtig oder nicht zu werden. Müssen Neunjährige sich mit Körpermaßen beschäftigen?
Doch nicht vom Thema abschweifen.
Die Schafe blöken beherzt.
Es ist mir gelungen, die Treppe freizuräumen. Keine Schachteln mehr auf der Treppe. Die Faschingskostüme sind verstaut. Meine Familie merkt es! Das Haus sieht ordentlicher aus. Vielleicht muss ich schon bald meine spritzige Nachbarin nicht mehr davon abhalten, einzutreten.
Heute werde ich eine Bank abräumen, auf der seit Wochen eine riesige Schachtel steht, deren Inhalt ich nicht mehr genau kenne. Auf der Schachtel liegen ein ungebrauchter Polster und eine Schreibtischunterlage. MM kann nicht glauben, dass ich das Zeug wirklich irgendwo verstaue. Er denkt, er wird die Schachtel einfach an einem anderen Ort wieder finden. Oder er hat Angst, ich schmeiße stilschweigend alles weg. Tatsächlich lebe ich mit einem schwarzen Müllsack, den ich täglich wechsle. Es macht Spaß, Dinge wegzumschmeißen, und ich frage auch manchmal nach. Was ich ohne nachzudenken wegschmeißen würde, ist die italienische Regierung. Mein Lieblingswort seit gestern ist: Ostruzione, Obstruktion. Und ich meine damit nicht die Verschleimung meiner Atemwege, sondern "ein Verhalten in der Politik, das politische Vorgänge behindert", wie es bei Wikipedia heißt. Die Opposition betreibt Ostruzione, da im Parlament der "processo breve", der kurze Prozess beschlossen werden soll. Dadurch würden die Prozesse, die dem italienischen Premierminister zu Ehren veranstaltet werden, ausgelöscht werden. Und dabei geht es nicht nur um Ruby, sondern auch um seinen Medienkonzern. Neun Minuten kurz war der Prozess von gestern, die nächste Folge sehen wir am 31. Mai. Gezeigt hat sich Herr Berlusconi nicht. Dafür ist Herr Berlusconi nun Bürger von Lampedusa oder wird es demnächst. Um der Insel, die sich einem großen Flüchtlingsstrom ausgesetzt sieht, zu helfen, hat er dort eine Villa gekauft, die er vorher im Internet gesehen hat. Vor einigen Jahren erzeugte eine Gruppe von kabarettisten Barbie-artige Puppen, die Berlusconi als Arbeiter oder als Verkäufer darstellten, denn Belusconi ist immer das, womit er sich beschäftigen muss. Heißt das Populismus? Nun kann man die "Berlusconi ist Lampedusaner"-Puppe hinzufügen. Der Arbeiter-Präsident ist Insulaner geworden. Meinen Prosecco, den ich für den 6. April eingekühlt hatte, hab ich jedenfalls geöffnet. Einfach so. Grund ist mir keiner eingefallen.
Roberto Saviano hat eine Liste des Glücks geschrieben. Vielleicht ist sie länger als meine. Ich werde sie jetzt lesen.

Donnerstag, 24. März 2011

I've got to admit it's getting better

Nach dem Lesen einschlägiger Websites zum Thema: "Hilfe, ich bin eine überforderte Frau, die gerade umgezogen ist", derer es erstaunlich viele gibt, da es in Amerika durchaus üblich ist, auch mehrmals pro Jahr zu übersiedeln oder zumindest alle paar Jahre, habe ich mir ein Herz gefasst und es getan. Ich habe sie angefasst, meine Kisten. Man kann also bereits das Wohnzimmer betreten, ohne dabei Ausdruckstanz-Verrenkungen machen zu müssen. Man kann sich aufs Sofa setzen. Das haben meine Kinder bis jetzt ohnehin gemacht, denn es war ihnen egal, dass sie sich dabei auf Teppichen und Taschen niederließen. Ich habe einen spektakulären Flash beim Klopfen eines Teppichs gehabt. Ich habe seit etwa 35 Jahren niemanden mehr einen Teppich klopfen sehen und es ist toll! Viele Morde aus Leidenschaft könnten verhindert werden, wenn die Leute wieder ihre Teppiche klopfen würden, statt zu saugen. Der Staubsauger wartet auf die neuen Staubsaugersäcke. Seit mein Staubsauger in der Reparatur war, da ich mehrere Wochen Feinstaub in Form von Zement gesaugt habe, und die Firma so nett war, mir als Garantieschaden einen neuen Motor einzusetzen, wird mein Staubsauger besser behandelt als der Hund: nur Stoffsäcke, neue Filter, ein eigener Platz in den von MM aufgebauten neuen Regalen im Eingangsbereich. Ich habe nämlich auch die Autos gesaugt, danach war der Staubsaugersack so schwer, dass ich ihn mit zwei Händen nehmen musste. Während ich energisch am Ende eines zehn Meter langen Verlängerungskabel werkte, erinnerte ich mich selbst an die großartige Annette Bening im Film "American Beauty", die als Immobilienmaklerin das zu verkaufende Haus putzt und sich dabei selbst coacht: "I will sell this house today, I will sell this house today". Ich will nämlich mein großes Auto verkaufen. Dass ich dem Obermaurer die letzte Rate zahlen muss ist hinlänglich bekannt und wenn ich weiterhin mein Geld in die teure Versicherung des großen Autos stecke, wird da nie was draus. Wir meinten, einen Siebensitzer zu brauchen, damit wir ruhigere Autofahrten mit den Kindern hatten, was sich als falscher Gedanke herausstellte: sie saßen trotzdem immer nebeneinander, sie beklagten sich trotzdem immer über einander. Die Rettung waren drei MP3-Player. Die können sie auch in einem kleineren Auto einstöpseln.
Das Auto hat unseren gesamten Haushalt transportiert. Kein einziges Mal mussten wir einen Lastwagen mieten. Das Auto hat unseren Kasten und den gesamten Bodenbelag in mehreren Etappen von Ikea in Salerno auf unseren Hügel gebracht. Das Auto hat uns beste Dienste geleistet. Und nun: I will sell this car (wenn nicht today, dann immerhin) soon.

Mittwoch, 9. März 2011

Trasferimento concluso

Im letzten Jahrhundert pflegte ich in einer Hand eine Zigarette, in der anderen ein Weinglas zu halten. Ich saß in der kleinen Küche der Mansardenwohnung von MM, der damals nicht mein Ehemann, sondern mein illegitimer Geliebter war, sah ihm beim Zubereiten einer Frittata zu, un sprach mit ihm über Kunst und Politik. Das waren die Abende. Morgens hat niemand meinen zukünftigen Ehemann je vor zehn Uhr an seinem Arbeitsplatz gesehen.

Heutzutage steckt mein Mann seine elektronische Stechkarte, Tesserino genannt, um acht Uhr in den Automaten, um sieben Uhr zwanzig nehmen die Jungs den öffentlichen Autobus in der 30 Minuten entfernten Kleinstadt und wenn das Kind mit mir um 7 Uhr 41 aus dem Haus geht, erreichen wir den Schulbus ohne Keuchen. Über Politik zu reden versuchen wir zu vermeiden, denn morgens heißt das garantiert Verspätung und abends beginnen wir die Stimmen zu heben. Wenn heftige Worte fallen, weiß der Rallyefahrer: ihr sprecht über Politik, stimmt's? Um über Kunst zu sprechen haben wir echt wenig Zeit, aber die Hoffnung, dass das alles wieder kommt, gibt es noch.

15 Jahre lang haben wir nach der Mansardenwohnung in einem Haus auf einem Hügel gewohnt, an dessen Fuß das Meer liegt. Zuerst hatten wir nur eine Ebene dieses Zwei-Familienhauses, später haben wir das obere Stockwerk dazugemietet und dort unser Büro eingerichtet.
Im Lauf der Jahre haben wir daran gedacht, das Haus zu kaufen, statt Miete zu bezahlen, aber der Vermieter wollte das Haus nicht verkaufen, sondern es einmal seinen Kindern vererben. Ebenfalls im Lauf der Jahre haben wir die Mängel der Bausubstanz des Hauses kennen gelernt und wollten es nicht mehr kaufen. Da wollte es der Vermieter plötzlich verkaufen, der Preis, den er sich für das Haus ausgedacht hatte, war so hoch, dass wir gar keine Ausreden erfinden mussten, weshalb wir das Haus nicht mehr kaufen wollten. Aber es war klar, dass wir eine andere Behausung finden mussten und es war klar, dass wir nicht mehr ein Haus mieten wollten, denn das Bedürfnis, Tomaten anzubauen und die Kinder draußen kreischen zu lassen, erforderte mehr als ein Haus, erforderte GRUNDBESITZ! Nach mehr als einem Jahr frustrierender Suche haben wir gefunden, was zu uns passte, haben uns von der Bank für den Erwerb desselben Geld ausgeborgt und anschließend das Haus auf unserem Stück Land fertig gebaut, bzw. renoviert. Im August letzten Sommers hatten wir keine Geduld mehr, zwischen altem und neuem Haus hin und her zu pendeln, haben die Kinderbetten ins einzig fertige Zimmer gestellt, unser eigenes Bett auf den Zementboden und haben behauptet, wir wohnen jetzt hier. Nach und nach haben wir lebensnotwendigen Besitz hierher gebracht. Im alten Haus arbeitete ich weiterhin im Büro. Mitte November schloss ich eine Arbeit ab und widmete mich ab diesem Zeitpunkt dem echten und wahren Auszug. Beinahe täglich ordnete ich Besitz in Kisten und transportierte diese mit dem großen Auto hierher. Seit Mitte November haben wir mindestens vier Mal pro Woche ein Auto voller Kisten ausgeladen. Seit dem Sommer müssen wir überschlagsmässig hundert Autos ein- und ausgeladen haben. Wir konnten den Umzug nicht an einem Wochenende oder binnen einer Woche machen, da wir im neuen Haus nicht die Unterbringungsmöglichkeiten hatten. Wohin mit 300 Bücherkisten, wenn der Boden nicht verlegt ist? Wohin mit der Bekleidung von 5 Menschen, wenn es keinen Kasten gibt? Wohin mit dem Inhalt von zwei Garagen, wenn die neue Garage noch mit Bauschutt voll ist? Amerikanische Internet-Seiten hätten uns strukturierteres Arbeiten empfohlen, but we did it anyway: Unser altes Haus ist seit zwei Wochen LEER. LEER. LEER. So, dass es hallt, so, dass der Boden glänzt. MM hat alle Löcher an der Wand, an denen unsere Regale befestigt waren, vergipst, in letzter Minute hat er sogar noch Fahrradhäken abmontiert.
Die Kinder sind durch das leere, hallende und vor Sauberkeit blinkende Haus gelaufen und haben sich gewundert, dass ihre Betten in einem so kleinen Zimmer Platz hatten. Das einzige, was an uns erinnert, sind einige Spider-Man Aufkleber an einer Wand, die nicht mehr zu entfernen waren. Und mein geliebter, sonnenenergiebetriebener Warmwasserspeicher, den ich nolens volens auf dem Dach lasse. Der Vermieter will ihn zwar finanziell nicht ablösen, aber wir wollen auch keinen Installateur bezahlen, der ihn dort abbaut und hier wieder aufbaut, zumal die Sonnenkollektoren älter als 10 Jahre sind und wie man mir versichert, eventuell nicht mehr lange funktionieren.

An einem Nachmittag letzter Woche, nachdem wir schon einen Satz Schlüssel abgegeben hatten und nur noch Sachen in der Garage hatten, holte ich die Kinder von der Schule und lud mit ihnen in fretta e furia, wie man hier sagt (muss so was heißen wie in rasender Eile) eine Autoladung voller Krims Krams ins Auto: Taucherflossen, Teppichklopfer, Keimautomaten für Sprossen. Mit einem Ohr hörte ich ein entferntes Geräusch wie Wasserrauschen, vielleicht war die Spülung im oberen Klo endgültig kaputt gegangen. Ich hatte keine Zeit und keine Lust, auf die Terrasse zu gehen und nachzuschauen, alles war schon abgeschlossen.
Zwei Tage später kam ich morgens, um eine möglicherweise letzte Fuhr von alten Flaschen und anderen Objekten für mögliche zukünftige Skulpturen meines künstlerisch ambitionierten Ehemanns zu holen und da war wieder das Geräusch - diesmal war es an der Zeit zu handeln. Ich lugte aus dem Klofenster auf die Terrasse im oberen Stockwerk und stürzte sofort auf dieselbige. Aus einer Dichtung der Leitung, die zum Warmwasserspeicher auf dem Dach führt, spritzte energisch Wasser gegen die Wand, der Boden war noch mit Eichenblättern bedeckt (Ich dachte, du hättest hier auch geputzt, sagte MM und zog sich meinen ewigen Hass zu) und nass. Ich schloss den Hauptwasserhahn und rannte nach unten. Was ich befürchtet hatte, war Wirklichkeit: Von der Decke tropfte Wasser auf den Boden im Badezimmer, im Vorzimmer und besonders aus einer Elektroverteilstelle war das Wasser auf den Boden geronnen. Wie üblich griff ich zum Telefon. Ich befahl meiner Stimme, nicht zu zittern. Ich dachte, ich hätte keinen Kubikmeter Putzfetzen mehr, die ich zum Aufwischen der Wassermassen benötigte. MM war cool, er stand ja auch nicht im Wasser. Kannst du nicht mit dem Besen das Wasser in den Garten kehren? fragte er. Zum Glück war der grobe Besen noch da und nach einer halben Stunden Fegen war das Wasser draußen. So viel war es dann auch nicht, dachte ich. Warum ich die Tür zum ehemaligen Kinderzimmer öffnete, weiß ich nicht, vielleicht wollte ich das Fenster öffnen, damit der Boden schneller trocknete. Da habe ich etwas über das Gefälle dieses Hauses gelernt: das Wasser war unter der Tür durch ins Kinderzimmer geronnen. Ein Brocken aus Müdigkeit, Panik, Verlassensein wollte aus meiner Brust in meine Kehle, ich wollte Schluchzen, ich sah mich auf der Anklagebank sitzen, der Richter sagte zu mir: "Sie haben absichtlich das Haus ihres Vermieters verwüstet, weil er ihnen die Sonnenenergieanlage nicht ablösen wollte, stimmt's? Dafür zahlen sie jetzt den gesmaten Kaufpreis des Hauses, HAHAHA!" Ich begann das Wasser aus dem Zimmer ins Vorzimmer und dann in den Garten zu kehren. Ich dachte an die zenbuddhistischen Mönche. Als mir schon sehr heiß geworden war, dachte ich, zwanzig Mal noch, dann ist es draußen. So war es. Ich war froh, dass wir nicht mehr in dem Haus wohnten, wir hätten ausziehen müssen. Wasserschäden in einem leeren Haus sind praktischer. Die Sonne schien und der Boden trocknete rasch. Da ich bereits in Schwung war, schob ich auch noch ein paar Liter sich dort stauendes Regenwasser aus der Garage und hob zwei mumifizierte Mäuse in den Müllsack. Sie hatten, wie ich sehen konnte, eine rote Schaumstoffrolle zum Schwimmen im Meer halb aufgefressen. MM überlegt, ob wir diese Schaumstoffrollen jetzt als Mäusegift vermarkten.
Ich habe den Tag als schrecklichsten meines Lebens verbucht. Danach habe ich mit der Ausrede, dass Fasching sei, den Kindern täglich Popcorn gemacht oder sie mit Chips und Cola abgefüllt. Beim ersten Mal haben wir offiziell auf den Auszug aus dem alten Haus angestoßen, die anderen Male habe ich es niemandem gesagt, aber ich habe mir mit Prosecco zugeprostet und mir versichert, wie froh ich bin, nicht mehr hinfahren zu müssen, nichts mehr ein- und ausladen zu müssen und all mein Zeug hier zu haben, auch wenn ich im Moment nicht weiß, in welcher Kiste genau.

Donnerstag, 24. Februar 2011

Computerlogbuch Nummer 102

Schnee liegt auf den Bergen über Sant'Angelo, dem Dorf am einen Horizont. Am anderen Horizont ist das Meer. Der Rallyefahrer hat ein richtig blaues Auge und ich bin froh, dass er vor Zeugen gegen den Tisch gefallen ist, denn die zeitliche Koinzidenz des schlechten Zeugnisses und des Hämatoms unter und über dem Auge, hätte mir auch die Carabinieri ins Haus bringen können.
MM antwortet auf die Frage, ob ich eine Kiste mit etwa hundert leeren Fotofilmdosen wegschmeissen kann mit "Nein." Vielleicht möchte er einmal eine Skulptur basteln, eine Installation wie Nam June Paik, denke ich. Ich überlage, meinen Jugendfreund, den berühmten Fotografen anzurufen, und ihn um praktischen Rat zu bitten. Oder meine Freundin, die mich in psychologischen Dingen coacht.
Zum Glück habe ich ohnehin eine Hochphase, was Charakterstärke betrifft: der Rallyefahrer hat kein lautes Wort über sein Zeugnis gehört, nur einen langen Monolog zum Thema: "Die Entscheidung liegt bei dir." Das ist vielleicht auch seelische Grausamkeit, aber der Effekt auf den Elfjährigen war eine halbe Stunde tiefer Schlaf im Auto und beim Erwachen der Satz: "Ich habe mich entschlossen, zu lernen."
Also habe ich auch MM nicht gegen die Brust getrommelt, habe ihm nicht gesagt, dass er verrückt ist und mein Leben ruiniert, sondern habe mir einfach gedacht: "ICH transportiere diese Scheisskiste nicht." Ralph Waldo Emerson schreibt: "Once you make a decision, the universe conspires to make it happen." Normalerweise glaube ich nicht an universelle Konspirationen, aber es gefiel mir, dass unsere Organsation des täglichen Lebens sich dahingehend veränderte, dass MM an den nächsten beiden Tagen die Transporte übernimmt und seine leeren Filmdosen selbst ins Auto hebt und wieder auslädt. Meine Freundin sagt, man darf den Irren nicht ihren Wahnsinn rauben, sonst verlieren sie ihren Reiz. Ok.

Berlusconi telefoniert mit Gaddafi.
Am 6. April findet der Prozess gegen ihn statt. Wieviele Tage sind das noch?
Er wird nicht zurücktreten, er wird sich etwas einfallen lassen. Und hätte man bis vor wenigen Tagen noch gelaubt, das nur in Italien ein Politiker, der des Amtsmissbrauchs und der Prostitution Minderjähriger angeklagt ist, nicht zurücktritt, aber es könnte sich um eine Art Trendsetting handeln. Der deutsche Verteidungsminister muss auch nicht wegen seiner Cut&Copy Doktorarbeit zurücktreten, wenn Berlusconi es nicht tut. Vor ein paar Wochen ergötzte ich mich noch an der Vorstellung, Angela Merkel werde mit ein paar 16-Jährigen Boys im Bett erwischt und sie würde nicht gleich zurücktreten, sondern zuerst sagen, das sei alles nur linke Propaganda und dann: so lange sie lebe, werde sie eben Freude am Sex haben, so what? Heute bin ich mir nicht mehr so sicher, dass nicht auch das passieren könnte.
Es ist beängstigend, dass Menschen, die sich lieber nicht von einem Mann regieren lassen, der einer Minderjährigen 85.000 Euro gibt, wie sich der Chef der demokratischen Partei ausdrückt (endlich ein vernünftiger Satz von ihm!), als verklemmte Moralapostel hingestellt werden. Dass man über Sex im Alter und Schlüssellöcher spricht, statt über Lügen, Missbrauch und Korruption. Dass wir uns alle an das, was passiert gewöhnen.
Und es ist bestärkend, dass eine Million Menschen auf die Straße gehen, um zu sagen: "Es reicht". Auch wenn dann viele (darunter auch Regimekritiker) sagen: Ja, aber bitte es ist nicht die Straße, die unser politische Leben entscheidet, nicht "La Piazza" wählt eine Regierung. Nein, "La Piazza" wählt nicht, aber wie man an Tunesien und Ägypten sieht, kann die "Piazza" jedoch abwählen.

Dienstag, 22. Februar 2011

Hundertster Post: Trasferimento vero e proprio

Der Umzug ist nicht nur ein Akt des physischen Wahnsinns (wie gerne würde ich jetzt die starken Männer bezahlen, die das Zeug für 3000 Euro schleppen wollten - zu spät), sondern auch eine emotionale Hochschaubahn. Da fallen aus den Büchern Fotos: wir jung und stark. Da lese ich Widmungen in Büchern, die ich eigentlich wegschmeissen will, und die mich dann rühren. Da sind Fotoalben von uns, die wir nicht mehr wir sind. Und dann das Zeug von MM, das eigentlich für den Sondermüll aufbereitet gehört - finde ich zumindest.
Da sind Mäntel, die MM vor vielen Jahren aus Lissabon mitgebracht hat. Sie passen niemandem, den wir kennen. Ich sage: Wie lange sollen wir diese Mäntel noch aufheben? (ich habe sie bereits zum zweiten Mal übersiedelt, sie wechseln auch mehrmals die Plätze in den diversen kastenartigen Aufbewahrungsstätten unseres Lebens, im Moment sind sie in Koffern). MM sagt: Solange ich lebe, wenn ich gestorben bin, kannst du sie wegschmeissen. Mit dieser traurigen Aussage nimmt er den Wind aus meinen aufgeblähten Segeln.
Ich selbst besitze verhältnismäßig wenig (im Vergleich zu ihm zumindest), immer noch mehr als Frau Adler und viel zu viel oder das Falsche.
Aus Anlass des Besuchs unserer Freunde, der am Sonntag stattgefunden hat, hat sich unser materieller Besitz gebündelt: in MMs zukünftigem Studio sind Kisten aufgestapelt, ein schmaler Weg führt durch sie zum rosa Zimmer, in dem Kisten unordentlich auf dem Boden verteilt sind. Meine Freundin konnte nicht kommen, sie ist krank geworden, ich will jetzt aber nicht über psychosomatische Krankheiten nachdenken. "Ich zeige euch nun etwas, was ihr noch nie gesehen habt", sage ich zu ihrem Mann und der vierzehnjährigen Tochter. Ich öffne die Tür zu MMs Studio. Der Effekt spiegelt sich in ihren Gesichtern wider. "Carmen hätte zu weinen begonnen vor Mitgefühl", sagt unser Freund über seine Frau. Ich finde die Kisten toll und ich wandle ein Gedicht von Rilke über den Herbst ab: "Was jetzt in Kisten ist, das wird es lange bleiben." Die Dinge in den Kisten sind geordnet. Vor dem Besuch habe ich das Zimmer, in dem wir im Moment essen, Filme schauen, Aufgaben machen und sprechen, aufgeräumt. Da ich wenig Zeit hatte, habe ich etwas gemacht, was ich noch nie in meinem Leben gemacht habe: ich habe alles (Hefte, Stifte, Taschen, Zeichnungen, Rechnungen, Puppen, Männchen, Kalender, Kleiderbügel) einfach in zwei Kisten gesteckt. Und komischerweise hatte ich gar nicht das Gefühl, ich würde die Sachen dann nie mehr finden. Sie waren aus dem Blick und ich fühlte mich frei und leicht. Mein Geist wurde so klar, dass ich mir vorstellen konnte, diese Kisten wieder hervorzuholen, wenn den Besuch nach Hause gefahren war und die Dinge an ihren Ort zu bringen. Zumindest vom Kleiderbügel weiß ich, wo er hin soll und ich habe bei meiner furiosen Aufräumaktion, die auch andere Teile des Hauses betraf, den großen Wunsch nach Kästen verspürt, während in meinem bisherigen aufregenden Leben Kästen verpönt waren.
Komisch, dass gerade jetzt, in dem Moment, in dem ich mein bürgerliches Leben durch den Kauf von Kästen besiegle, die Menschen aus dem früheren Leben von weitem grüßen. Statt sie zu fragen, wie sie ihre gewerkschaftlichen und revolutionären Ambitionen von vor dreißig Jahren heute pflegen, werde ich sie fragen, wie sie ihre Unterwäsche verstauen. Und ob sie Mäntel aufheben.
Eine Woche noch Kisten, Staub, Grind, Mistsäcke. Manchmal überfällt mich die Verzweiflung. Ich bin am Bodensatz angelangt. An den Schachteln mit DVD-Hüllen, an den Kassetten in einem Format, das es nicht mehr gibt, an einer Kiste mit Badezeug von Freunden, die schon seit Jahren nicht mehr auf Urlaub hierher kommen. An den Autoreifen für ein Auto, das ich nicht mehr besitze (ich gönne mir einen Besuch beim schönen Gommista). 3 Pinocchiokostüme für den Fasching. Das komplette Geschirr-Service für 24 Personen, das meine Schwiegermutter uns zur Hochzeit geschenkt hat, in Originalverpackung. Ich habe gehofft, es wird mir nach zwölf Jahren plötzlich gefallen, aber nein. Ich muss MM anrufen, das müssen wir sicher nicht aufheben. Ich werde es einer Pfarrgemeinde schenken. Das wird schön! Ich werde Carmen anrufen, sie ist eine Kirchgängerin und sie wird meiner Schwiegermutter sicher nicht erzählen, dass ich ihr Service verschenke. Und die Gefahr, dass meine Schwiegermutter in Carmens Pfarre Kaffee trinkt, ist auch gering. Her mit dem Telefon!

Donnerstag, 3. Februar 2011

Die Rückkehr des Obermaurers

Das Dach ist gut befestigt, aber der Wind dringt immer noch in unser Haus und MM stellt zynisch fest, dass wir dank des Obermaurers nun nicht mehr lüften müssen. Als wir vor etwa eineinhalb Jahren die Kostenvoranschläge für die Arbeiten an unserem renovierungs- und fertigstellungsbedürftigen Haus einholten, favorisierte ich den Obermaurer, auch wenn er für gewisse Arbeiten höhere Preise veranschlagte. Aber er hatte bei seinem Lokalaugenschein hier einen ernsthaften und vor allem aufgeschlossenen Eindruck gemacht, was die Verwendung von umweltfreundlichen Materialien und ökologischer Bauweise betrifft. Ausserdem hielt ich ihn für ausreichend verrückt, meinen ebenfalls verrückten Ehemann bei der Ausführung seiner ungewöhnlichen Pläne zu unterstützen. Das ging auch eine Zeitlang gut und da mir die leidenschaftliche Arbeitsweise des Obermaurers gefiel, wünschte ich mir, er und MM würden Freunde werden und war glücklich zu hören, dass sie sich Geschichten erzählten und sogar gemeinsam andere Häuser anschauten, die der Obermaurer renoviert hatte.
Zu den veranschlagten Arbeiten gesellten sich weitere, die sich während der fortschreitenden Renovierung als notwendig herausstellten. Ich wurde nicht immer konsultiert oder stimmte auch bereitwillig Arbeiten zu, die irgendwann gemacht werden mussten, warum also nicht gleich. Der Obermaurer und seine Truppe wurden in regelmäßigen Abständen bezahlt. Im tiefsten und bittersten Winter, in dem der Wind wie heute durch das Haus ohne Fenster und Türen pfiff, standen dann mitunter sieben Männer unter unserem Dach und klopften alle vorsichtig den Verputz von den Wänden und legten die Steinmauern frei. Die Instandsetzung der Steinmauern war natürlich auch nicht im Kostenvoranschlag vorgesehen gewesen und gemeinsam mit dem Architekten wurde entschieden, dass hierfür eine tageweise Bezahlung der Maurer die ökonomischere Lösung sei. Die Tage, die sie dort liebevoll herumkratzten waren schon recht viele und MM verlangte mehrmals eine Kostenaufstellung und als diese endlich kam, kam es auch gleich zum Eklat. MM hatte schon ein bisschen seine Zuneigung zum Obermaurer verloren und hielt ihn für geschwätzig. Dass ich die Mauern gelobt habe, wird glaube ich für MM ewig ein schwarzer Punkt auf meiner weißen Weste sein. Gerne sprechen tut der Obermaurer durchaus. Normalerweise kommt MM allen sprechenden Menschen mit anthropologischem Interesse entgegen und fordert dieses auch von mir ein, wenn ich mich weigere, zum Kindergeburtstag Kinder aus der Schule einzuladen, da ich nicht mit ihren Müttern einen Nachmttag verbringen möchte, aber was den Obermaurer betrifft, so verließ ihn irgendwann der gute Wille, ganz besonders nachdem endlich die lang verlangte Abrechnung eintraf. Es folgten atemlose Nachrechnungen, eilig einberufene Sitzungen beim Architekten, dort heftige Gespräche und schließlich die Übereinkunft, die Arbeiten wegen Budgetüberschreitung mehr oder weniger sofort einzustellen. Der Obermaurer gewährte eine gewisse Preisreduktion, da durch seine Verzögerung der Kostenangabe Mehrkosten entstanden seien und vor allem erwirkte MM eine Ratenzahlung, die ich bis jetzt aufgrund meiner Arbeitskraft immer pünktlich eingehalten habe. MMs Gehalt ist bereits für der Rückzahlung des Kredits für das Haus zuständig. Die letzte Rate ist im April fällig und da ich im Moment nur als Übersiedlungsexpertin für mich selbst tätig bin, werde ich diese Rate nicht bezahlen können. Ich werde zu Hause sitzen, unter all den Kisten und werde mich schlecht fühlen.
Der Obermaurer bat MM dann noch, nicht im Schlechten auseinander zu gehen, schließlich seien wir eine Art Nachbarn, wir würden uns jeden Tag begegnen und es wäre nicht schön, wenn wir einander nicht grüßen würden. Interessanterweise sehen wir einander aber gar nicht täglich, obwohl wir wirklich relativ nah aneinander wohnen. Ab und zu fahren wir im Auto aneinander vorbei, ich grüße, schaue dann aber nicht besonders freundlich, weil ich immer die Summe vor mir sehe, die die Steinmauern gekostet haben. Wenn ich vorher gewusst hätte, was es kosten wird, hätten wir vielleicht einige Mauern einfach verputzt gelassen.
Selber schuld, wird mein Freund der Schriftsteller jetzt sagen. Ja, eh. Ist so.

Mir tat es Leid um den Obermaurer, um die anthropologischen Gespräche und seine Lebensgeschichte und weil ich mit Verletzung und Trennung weniger gut umgehen kann als mit Wut, habe ich ihn zu meinem Feind gemacht. Immer wenn etwas nicht funktioniert oder wenn ich etwas bemerke, was nicht schön gemacht ist, zum Beispiel einen Fußabtritt auf den Fliesen, der offenbar mit Klebstoff dort angebracht ist, stelle ich mir vor, wie ich wie Jack Nicholson im Film "Shining" mit einer Axt in sein Haus dringe, den Schaum vor dem Mund. Außerdem hege ich eine latente Eifersucht Frau Obermaurer gegenüber und zwar nicht, weil ich so gerne ihren Mann hätte, sondern weil ich finde, sie hat ein (zumindest phasenweise) beneidenswertes Leben. Drei Männer, die Maurer sind und im besten Fall mittags zu Hause essen. Das heißt, etwas Kräftiges, Gutes und Heißes kochen und um 12 Uhr 15 auf den Tisch stellen. Um 13 Uhr sind dann alle wieder weg und Frau Obermaurer kann in Ruhe Kaffee trinken. Die Ruhe dauert bis 16 Uhr, dann muss sie wahrscheinlich die staubigen, schmutzigen Arbeitshosen in die Waschmaschine stopfen. Abends nehmen sich die Männer hoffentlich selbst was zu essen, Tagwache ist sicher früh genug, denn morgens müssen Panini gemacht werden. Niemand, niemand, niemand weiß, was mich an diesem Arbeitsalltag fasziniert. Dass ich selbst meinen Kindern Brote in der Früh machen und mittags kochen muss, finde ich keinesfalls attraktiv. Vielleicht wäre ich glücklich, wenn sie Maurer und keine Schulkinder wären. Bin ich so geldgierig? Hasse ich es so sehr, sie zum Lernen anzuhalten? Möchte ich wirklich lieber wissen, dass der Zement bei Signor X hart geworden ist als dass Augustus die Grenzen seines Reichs absicherte?

Als der Obermaurer und ich noch jede Gelegenheit zum Plaudern nutzten, was daran liegen mag, dass er gern redet und ich ihm gerne zuhörte, unterhielten wir uns auch über die Zahnklinik, die wir beide besuchten. Er stand in der eben erst eingebauten Badewanne und erzählte von seiner Frau, der eine Brücke ausgebrochen war, im Mund versteht sich, und dass die Instandsetzung ihres Gebisses 6000 Euro kosten werde. Ich glaube, in diesem Moment war mein Neid auf Frau Obermaurer perfekt. An gewissen Tagen begleitete der Obermaurer sie zu der 45 Minuten entfernten Zahnklinik. Von den Fenstern der Zahnklinik aus sieht man eine wunderbare Insel. Die Zahnklinik ist im schönsten Ort unserer Küste. Auf der Insel stehen Trulli. Frau Obermaurer steigt aus dem Auto, Herr Obermaurer hat sie chauffiert. Er wird selbstverständlich 6000 Euro für die Reparatur ihres Gebisses bezahlen.
Meine Eifersucht ist meine Müdigkeit. Ich lege keinen Wert darauf, dass MM mich zum Zahnarzt bringt, es gibt gewisse Dinge, die macht frau erstens lieber allein und zweitens vor allem, wenn der Ehemann mittlerweile drei Kinder betreut. Manchmal würde ich aber lieber einfach die Häuser der anderen gegen Bezahlung instand setzen, als die zähe Arbeit des Aufbaus des eigenen Hauses zu leisten.

Und was die Rückzahlung der letzten Rate betrifft, die ein wenig schwierig sein wird, so werde ich es wie in dem Witz machen, den meine griechischstämmige Freundin gerne erzählte:
Ein Mann kann nicht schlafen und wälzt sich im Bett. Seine Frau macht das Licht an und fragt ihn: "Was ist denn?" Er antwortet: "Ich habe Schulden beim Nachbarn und ich kann sie nicht bezahlen, deshalb kann ich nicht schlafen." Die Frau tröstet ihn: "Mach dir keine Sorgen, das Problem kann ich lösen." Sie steht auf und öffnet das Fenster. Sie ruft in die Nacht hinein: "Nachbar, Nachbar, mein Mann kann seine Schulden nicht bezahlen." Sie schließt das Fenster und sagt zu ihrem Mann: "So, sei ganz ruhig, jetzt kann ER nicht schlafen."

Mittwoch, 2. Februar 2011

Wuthering Heights

Kurz nachdem wir von der Schule nach Hause kommen, schaut mich mein großer Sohn betreten an: "Ähm, wusstest du, dass das Dach weg ist?" Ich gehe nach oben, ich denke, es sind ein paar Dachschindeln durch den seit Tagen über uns hinweg fegenden Sturm vom Dach gerutscht.
Unser Dach besteht aus mehreren Teilen: ein Flachdach, ein mit Dachschindeln gedecktes Halbdach, und eine Art Kajüte, aus der man auf das Flachdach steigt.
Das von den Maurern wunderbar gezimmerte Dach der Kajüte ist aus den Angeln gehoben. Die Holzbalken sitzen nicht mehr in ihren Mauereinfassungen sondern zehn Zentimeter weiter oben. Der Wind fegt ins Haus. Ich werde ganz ruhig. Ich gehe zum Telefon. Ich rufe MM an. 15 Minuten später ruft der Rallyefahrer: "Mamma, die Maurer sind da!" Ich sage: "Mach das Fenster auf, sprich mit ihnen!" Ich suche die Schlüssel, um sie von hinten ins Haus zu lassen, da sind sie aber schon durch das Fenster im Kinderzimmer gestiegen. Der Obermaurer, den ich letztes Jahr so vereehrt habe und der jetzt die Persona non grata Nummer eins in meinem Leben ist, weil jegliches Geld, das ich verdiene, vom Gebiss seiner Frau verschlungen wird, drückt mit seiner staubigen Hand die meine: "Signora, wie geht's?" Letztes Jahr waren wir wärmer miteinander, aber vielleicht liegt es auch am Lüftchen, das in unser Haus weht. "Naja, schauen Sie mal!" deute ich auf diesen Art Deckel, der nicht mehr auf seinem Topf sitzt. "Madonna" ruft der Obermaurer, Sohn Mirko schnäuzt sich bedeutungsvoll. Ich gehe das Sugo auf dem Herd umrühren. Eigentlich ist es so wie immer. Die Maurer sind im Haus.

Der Obermaurer erklärt mir den Schlachtplan: Das Dach wird mit Seilen befestigt, damit es nicht davon fliegen kann. In die Verankerungen kann es nicht gedrückt werden, denn bei diesem Wind könne man nicht auf dem Dach arbeiten. Schaut er mich dabei vorwurfsvoll an? Sein Heiligenschein ist wieder da. Sicherheit geht vor. Ich wünsche mir, er ist wirklich der gute Mensch, für den ich ihn halte. Jetzt spiele jedoch ich meinen Trumpf aus: Haben sie denn damals Bolzen verankert? Ich sage nicht, dass MM den Architekten angerufen hat, und dieser die Frage gestellt hat, nonchalant benutze ich das Wort "Tirafondi", als hätte auch ich ein Architekturstudium abgeschlossen. Ja, sagen sie eifrig, aber das sei eben das Problem, der Wind hätte die Bolzen aus der Mauer gerissen. Daher könne man das Dach eigentlich auch nicht einfach wieder reindrücken, denn da seien ja die Bolzen. Die kann man aber nicht mehr verwenden, die sind jetzt ausgeleiert. In wirklichkeit ist ein größerer Eingriff vonnöten, sie würden ein Gerüst aufbauen und das Ganze von Aussen lösen, aber erst sobald schönes Wetter sei.

Hm, sage ich, und hole meine Kinder zum Essen. "Müssen wir zahlen?" sagt mein großer Sohn nach bedächtigem Schweigen. Ich liebe ihn. "Nein," antworte ich, "das Dach haben sie gemacht, wir können nichts dafür, dass es beim ersten Wind abhebt." Der Rallyfahrer kichert:"Er hat gesagt: Mamma mia che ventaccio!" Der Rallyefahrer liebt alle Worte die mit -"accio" enden, da es sich um ein Pejorativsuffix handelt. Aber es stimmt, der Wind ist wirklich ungewöhnlich stark. In den Wetternachrichten wird er als Wind mit Windstärke 6 (46km/h) auf der Beaufort-Skala beschrieben, mit Böen. Ich finde ihn allerdings als Sturm mit Windstärke 9 besser definiert: "Äste brechen, kleinere Schäden an Häusern, Ziegel und Rauchhauben werden von Dächern gehoben, Gartenmöbel werden umgeworfen und verweht, beim Gehen erhebliche Behinderung." Aber gut, die von den Wetternachrichten messen den Wind im Ort und nicht auf unserem Hügel.

Während wir unsere Spaghetti essen, hämmert es über unseren Köpfen, ein vertrautes Geräusch. Ich bin aufgeregt und habe rote Backen. Schließlich gelingt es den Maurern doch, die Dachbalken wieder in die Vertiefungen in den Mauern zu drücken. "Ich habe einen Moment Windstille ausgenutzt und konnte das Dach mit meinem Gewicht runterdrücken." sagt der Obermaurer mit wissenschaftlichem Ernst. Ich möchte lachen, darüber, wie er stolz die Worte "mit meinem Gewicht" ausspricht, dünn wie er ist. Ich lache nicht, schließlich sind wir keine Freunde mehr.
Ein kleiner Spalt ist geblieben, das Dach wurde mit Holzbalken und Seilen verankert. Die Seile ächzen, es klingt, als wären wir auf einem Schiff. Zum Glück sind wir auf dem Land und nicht auf dem Meer.

Ich glaube, der Maurer wird bald vorbeikommen und schauen, wie es seiner Konstruktion geht. Hoffentlich legt sich der Wind. In den Wetternachrichten heißt der Wind "moderato" und ab morgen "debole". Was ist für die eigentlich stürmisch?
Wenn man von der Beschreibung des Windes ausgeht, ist auch in Italien alles noch recht moderat. Und meinen Spumante, den ich für den Rücktritt des Premierministers eingekühlt habe, habe ich bereits getrunken. Danach bin ich gleich in den Supermarkt gegangen und habe zwei weitere Flaschen gekauft, ich bin stets gerüstet, auch wenn der Premier in unserem kleinen Zweikampf, von dem niemand etwas weiß, immer der Gewinner zu sein scheint. Er scherzt auf Festen, ich hänge am Computer und am Radio. Ein Journalist vom Corriere della sera sagt, man wird ihm Beihilfe zur Prostitution Minderjähriger nicht nachweisen können, Amtsmissbrauch aber sehr wohl. Was wird eigentlich danach sein? Was werden wir mit den Trümmern machen? Durchatmen, sich besinnen: wo waren wir eigentlich stehen geblieben?

Sonntag, 25. Juli 2010

was es bedeutet, ein haus mit garten zu haben...

...immer dreckige fingernägel zu haben
...immer zu wenig kurze hosen für die kinder zu haben
...nicht genug leute zu kennen, denen man kartoffeln aus der unverhofft reichen ernte schenken könnte
...das unkrautjäten wie ein videospiel zu sehen: ich reiss dich aus, du dreckiger schmarotzer
...zu schwitzen
...zu schwitzen
...zu schwitzen
...in der nacht kochbücher zu lesen und nach rezepten mit mehreren hundert kilo zucchini zu suchen
...jeden tag marmelade einzukochen
...plötzlich kein obst mehr zu finden, da binnen weniger tage alles vom baum gefallen ist
...traurig wuchernden salat zu betrachten
...sich selbst zu den zukünftigen kürbissen sprechen zu hören
...permanent über die nicht vorhandene zeit nachzudenken
...auf den markt gehen zu wollen, um den bauern zu sagen: ihr seid so gut, ihr seid so fleißig, verlangt ruhig mehr geld!
...juckende stellen auf den armen zu finden
...socken zu haben, die so mit unkraut verklebt sind, dass man sie nur noch wegschmeissen kann
...zu den nachbarn zu sagen: guten morgen, schon heiss heute früh nicht wahr?
...sich über ein gewitter zu freuen
...nur zwei mal pasta mit bohnen zu essen, weil die bohnen von wilden schwarzen tieren attackiert wurden
...feststellen, dass niemand in der familie grüne bohnen mag, sie aber wunderbar wachsen
...sich mit dem wasser aus den gießkannen immer wieder von oben bis unten anzuschütten
...schilfrohr für die tomaten zu verstreben
...und auf die tomaten zu warten: venite pomodori, piccoli tesori

Mittwoch, 23. Juni 2010

Fratelli d'Italia

Die letzten Wochen waren vom Schulschluss, dem damit einhergehenden Wahnsinn und den anschliessenden Ferien bestimmt. Die Ferien dauern bereits eineinhalb von vierzehn Wochen, wieviel Prozent sind das? Da ich mich nach meiner Rückkehr wie eine Vietnam-Veteranin fühlte, die nichts erschüttern kann, nahm ich alle Attacken der Schule gelassen: Mamma, um halb drei müssen wir wieder in die Schule, den Tanz üben - Mamma, morgen ist übrigens keine Schule - Mamma, am Samstag gehen wir Fussball spielen. Wann? Am Vormittag? Am Nachmittag? - Buh? Keine Ahnung.
Ergreifendes Ende aller Unsicherheiten: 1) Schulaufführung, 2) Jugendspiele.
Während der wie immer quälenden Schulaufführung habe ich einen Kloß im Hals - nächstes Jahr werden meine Kinder in der fünften Klasse, der letzten Volksschulklasse in Italien sein und sie werden ein quälend langes Stück einstudieren, sowie englische Sketches wiedergeben, die kein Mensch versteht.
Bei den Jugendspielen trägt unser Sohn die Fahne der Vereinten Nationen und alle Kinder singen die italienische Hymne. Dabei legen sie die rechte Hand auf die Brust. Damit habe ich nicht gerechnet. Unser fahnentragendes Kind legt die Hand unter das Herz, vielleicht schmerzt seine Milz.
Unsere Lieblingsministerin, la Gelmini, die mit ihrem kleinen Vorschlaghammer alle Bildung zertrümmert, beginnend bei der Primarschule und bei der Universität endend, denkt darüber nach, dass die Kinder vielleicht erst im Oktober wieder mit der Schule beginnen könnten. Das halte ich für eine produktive Idee. Bei vier Monaten Ferien kann sich auch die tapferste Frau keinen Babysitter leisten, und macht endlich ihren Arbeitsplatz frei.
Unsere Kinder verbringen ihre Ferien zur Zeit im Auto und fahren mit uns an unseren jeweiligen Arbeitsplatz (solange wir noch einen haben). Dort werden sie vor den Fernseher gesetzt. Heute haben sie den ersten total hedonistischen Ferientag verbracht: Acquapark: Megarutschen und permanente Animation. Anschließendes Koma. Am Ende dieses für mich überaus langweiligen und daher höchst entspannenden Tages unter der Sonne will ich, dass sie mir eine Rutsche empfehlen und während sich der Rallyefahrer und sein großer Bruder an Enthusiasmus überbieten, meint der kleine Sohn besorgt: ich empfehle dir, keine Rutsche zu nehmen, es ist zu gefährlich, geh lieber den langsamen Fluss entlang. Ist das eine Art Entmündigung? Ich nehme die hellblaue und die gelbe Rutsche und das Schlittern im Wasser erinnert mich an etwas: etwas, das lange her ist, als die Gefahr nicht groß genug sein konnte und die Angst immer nur ganz klein war.

Den gehenden Mann haben wir so oft wie noch nie gesehen, in Ermangelung anderer Unterhaltung finden ihn die Kinder wahnsinnig spannend und stellen Vermutungen über ihn an. Momentan ist er ihrer Meinung nach ein Spion, der UNS verfolgt. Wir waren mit ihm im selben Supermarkt, meine kleinen Spione haben beobachtet, dass er ein Bier gekauft hat (ein längliches, mit einem Stier drauf), ich habe beobachtet, dass er tatsächlich eine Regenhose trägt. Mit dem Regen ist es aber jetzt wieder vorbei. Angesprochen habe ich ihn nicht, das erschien mir angesichts seines Rucksack, meines eigenen Einkaufswagens und meiner Kinderschar zu intim.

Unsere Baustelle ist immer noch eine Baustelle und wenn mir das Herz sinken will, dann schlägt mir mein innerer Coach rasch auf die Schulter und ruft dynamisch: ist doch egal, du schaffst das schon. Ich habe bereits einen Schreibtisch und einen Computer übersiedelt, auf dem meine Kinder spielen, wenn sie nicht helfen müssen, kiloweise Pflaumen zu ernten, oder wenn sie nicht abenteuerliche Ritterspiele veranstalten. Die Abwesenheit des Schreibtischs hier versetzt mich in Hochstimmung. Immerhin ca. 0.3 % unseres Haushalts!

Sonntag, 16. Mai 2010

out italy

steht auf dem Plastikband auf meinem Koffer. Unglaublicherweise bin ich wieder in den deutschsprachigen Raum zurückgekehrt und meinen Koffer hab ich auch. Lust zu arbeiten habe ich keine.

Selten habe ich Italien so geliebt, wie bei diesem intensiven Kurzbesuch. Selten habe ich so wenig Zeit gehabt, mit MM zu sprechen, wie in diesen Tagen. Er hat die Zeit meiner Anwesenheit genutzt, um selbst zu arbeiten. Ich gestehe, dass ich von drei Mal Kinder abholen zwei Mal zu spät gekommen bin, einmal, weil ich die Zeitabläufe nicht mehr einschätzen konnte und zu spät aus dem rosa Zimmer geeilt bin, einmal weil vergessen hatte, dass die Schule am Samstag um 12:45 endet und nicht um 13 Uhr. Auweia. Da alle Lehrer noch versammelt waren und mich fragten, wie es mir gehe, während meine Kinder enthusiastisch endlich ins Auto springen konnten, fragte ich auch höflich, wie es der Schule gehe. "Wir verteidigen uns", sagte der Mathematiklehrer, Maestro Michele. Das hat mir gefallen. Die Mathematiklehrerin hat mein Sohn, der zukünftige Rallyefahrer, in einer der unzähligen von ihm getätigten Personenbschreibungen mit ebenso violetten Haaren wie Kleidern beschrieben, womit er völlig recht hatte, wie ich feststellen konnte. Eine attraktive Frau, ich neige dazu, sie zu bewundern. Aus der Ferne. Aus der Nähe betrachtet das alles MM und ist am Rande des Amoklaufs. Vater mit Pumpgun in Schule. Motiv: wiederholte Änderung des Stundenplans für den Nachmittagsunterricht ohne Vorankündigung.

Unser Haus, unsere Baustelle hat immer noch einen erotischen Effekt auf mich. Ich stehe vor den riesigen Fensterflächen und alles ist ganz still. Keine Maurer hämmern, man hört nur die Vögel zwitschern, den Fluss rauschen und meinen Atem. Ich höre mich schnaufen, so unglaublich finde ich diese Neuigkeit. Ich bin zutiefst zufrieden darüber, dass ich das alles noch so mag. Im rosa Zimmer ist es fast dampfig heiß und es scheint schon ganz lange her, dass ich dort in der Winterjacke mit der Mütze auf dem Kopf schrieb, der Obermaurer an der Tür klopfte und irgendwelche Auskünfte bezüglich Badewannen wollte.

Mit Stefanos Hilfe ist ein respektabler Gemüsegarten entstanden, ich knipse etwa zehn Kürbisblüten ab und denke, das habe ich doch eben erst getan, mit den letzten, im November, und jetzt sind die ersten Blüten schon wieder da, ist der Winter wirklich vorbei?

Am Donnerstag fahre ich viel mit dem Auto hin und her und meine Nervosität wächst, denn einer fehlt zum Appell - wo ist der gehende Mann? Ich fühle mich verlassen, so als hätte man den halben Ort, den ich so mag, weggesprengt, als würde es nun für immer regnen auf meiner Straße. Es ist klar, dass er nicht ein Jahr lang gehen kann, rede ich mir ein, es wird etwas anderes kommen.
Am Freitag nachmittag, als ich (zu spät) mit dem Kind auf dem Rücksitz von einer Schule zur anderen fahre, sehe ich ihn schon von weitem, wie eine bekannte Fata Morgana: er setzt sich eben an einen Tisch einer Bar am Straßenrand. Nicht der schönste aller Orte, aber es scheint sich um seine Stammkneipe zu handeln, denn dort habe ich ihn schon öfter gesehen. Er ist ganz in schwarz gekleidet und auf eine Art privat, ohne Jacke und ohne Rucksack. Tiefe Zufriedenheit breitet sich in meiner Brust aus, wie eine warme Flüssigkeit. Ich bin beruhigt, die Grundfesten meines Lebens sind vorhanden. Meine Kinder sind gesund und lachen viel, mein Auto funktioniert, unser Haus steht noch und im Garten wachsen etwa hundert Pflanzen Lattugasalat. Der Schnittlauch ist wieder aufgetaucht. Und am Tag meiner Abreise leisten MM und ich uns den Luxus, beim Frühstück miteinander zu sprechen. Seine Arbeit zu kennen, meint MM, sei etwas anderes, als sie zu können. Wer gut arbeite, erneuere die Arbeit ständig. Schön formuliert. Eine halbe Stunde später schreie ich ihn aber bereits an, denn ich schaffe es nicht, ein Dokument auszudrucken, weil mein Computer anders (für die Arbeit, grrr!) eingestellt wurde und MM findet, ich soll das lassen und ich finde, er soll mich nicht schlecht behandeln. Ich habe drei Minuten Zeit zu duschen, weil meine Kinder sich freundlicherweise in der Küche die Zähne putzen. Das alles wird in unserem neuen Haus mit den drei Badezimmern nicht passieren. Auch wenn wir nach einem Kostenstand einsehen müssen, dass wir das begehrteste Element aller Erneuerungen weiterhin entbehren werden: wenn wir im nächsten halben Jahr auch essen wollen, werden wir auf den Holzboden verzichten. Ich sehe mich heldinnenhaft überall Fleckerteppiche auflegen. Es ist mir egal, dann muss ich mich wenigstens nicht vor Housewarmingpartys und Kinderfesten fürchten, bei denen Chips in den nagelneuen Boden eingetreten werden. Und wenn wir uns dann den Holzboden leisten können, machen wir das Holzbodeneinweihungsfest und rutschen alle mit Filzpatschen herum.

Samstag, 8. Mai 2010

Famous blue raincoat

Nach zehn Stunden Schlaf und erfreulich entspannten Träumen, in denen ich endlich genug Zeit zum Arbeiten habe und meine Nase an der Wange des einzigen Kollegen, den ich bewundere reibe, betrachte ich im Spiegel, während ich meine Fingernägel feile, meine Zähne. Ich denke, dass ich nach dieser Arbeit zur Zahnhygiene gehen werde. Ich denke an die Zahnklinik mit dem Blick aufs Meer und die Insel aus dem Behandlungsstuhl. Ich denke an die Bar, in der ich auf dem Rückweg aus der Zahnklinik einen Aperitif einnehmen werde. Alles ist sonnenbeschienen, fast klebt das Hemd schon auf der Haut, aber eine leichte Brise vom Meer bringt Kühlung. Vielleicht nehme ich die Kinder mit, denn es werden Ferien sein und ich spüre, wie meine Finger ein wenig zusammenkleben vom mit dem Taschentuch aus dem Gesicht gewischten Eis. Ich sehe blau wie Meer und weiß, wie von der Sonne beschienenes Hemd und grün wie das T-shirt meines Sohns. "Deep in the south" steht über meinen Gedanken. Da fällt mir Leonard Cohens Lied "Famous blue raincoat" ein: I hear that you're building your little house - deep in the desert. Früher habe ich dieses Lied immer in der Version von Jennifer Warnes gehört und ich war sie, die mit Pathos Frieden mit einem ihm schließt: I'm glad, that you stood in my way. Wenn Leonard Cohen singt, kenn ich mich nicht mehr ganz aus. Ein Mann ist weggegangen und baut sich ein Haus in der Wüste, hinter sich hat er einen Haufen Chaos hinterlassen (Jane, die Frau vom Sänger, hat er nämlich allein, nur mit einer Haarlocke von sich zurückgelassen, that night when he planned to go clear - ein Mann, der weggeht, um sich über etwas klar zu werden und nie mehr wieder kommt). Jetzt schließt Leonard Cohen mit dem weggegangenen Mann Frieden (my killer, my brother) und die einen wohnen in Clinton Street, New York, der andere eben in der Wüste. Heute morgen, mit dem Blick auf meinen zahnhygienebedürftigen Unterkiefer kommt mir die Erleuchtung, dass ich ER bin, keineswegs die verlassene Frau, die sich aussöhnt, ich bin der mit dem berühmten blauen Regenmantel über der Schulter, der in die Wüste gegangen ist. Wow! Seine Reputation ist zwar nicht gerade nicht die beste (you treated some woman like a flake of your life), aber dass er so bedürfnislos in die Wüste geht, mit einer Rose zwischen den Zähnen und Locken von sich herschenkt... Es macht auch nichts, dass Leonard oder Jennifer singt: "The last time we saw you, you looked so much older." Wen wundert's?

Meine Kinder werden heute von ihrer Tante von der Schule abgeholt, der Kleine, der samstags keine Schule hat, durfte mit ihr in die Schule gehen. Meine Schwägerin ist Religionslehrerin. Die Kluft zwischen uns und ihrem vatikantreuen Stil ist unüberwindbar, breiter als der Stretto di Messina, da könnte nicht mal Berlusconi eine Brücke drüber bauen, auch keine Fähren fahren langsam von einem Ufer zum anderen. Aber MM kann unbehelligt auf unserer Baustelle arbeiten, in unserem Haus, das - und das ist ein Grund, eine Flasche Prosecco zu entkorken - seit gestern Fenster hat!

Dienstag, 20. April 2010

ausrasten

Es gibt doch dieses wissenschaftlich unerklärte Phänomen, dass wenn ein Mensch gähnt, die anderen Menschen auch gähnen müssen. Zu diesem gesellt sich ein neues Phänomen: wenn ein Mensch im öffentlichen Raum zu seinem Mobiltelefon greift, müssen das die anderen auch tun. Vielleicht brummt, vibriert,läutet ja doch ihr Handy? Wenn einer laut telefoniert, wollen das alle anderen auch tun. Sie sind mindestens genauso wichtig, geliebt, gebraucht.
Eine Frau teilt über ihr Mobiltelefon mit, dass sie schon nach Hause gehe und das Kind selbst abholen könne. Die Person am anderen Ende der Leitung (sagt man das heute noch?) könne sich "ausrasten". Es muss sich also um die Oma handeln (eine weibliche Stimme höre ich entfernt), denn die Babysitterin will sich ja nicht ausrasten, die will ja Geld verdienen. Schönes Wort: ausrasten. Ich sehe die Oma, die schon mit dem Hut vor dem Spiegel stand, sich wieder entkleiden, die Schuhe mit einem Seufzer ausziehen und die Füße in den Nylonstrumpfhosen auf die Sofalehne legen. Ausrasten, von den anstrangenden Tätigkeiten. Rasten, inne halten. Sich ausrasten. Nicht: ausrasten. Das, was ich täglich vermeide. Ich raste nicht aus. Ich habe mich unter Kontrolle. Wie kann das ausschauen, ausrasten? Ich sehe meine Zunge anschwellen und aus dem Mund heraus quellen, die Haare stehen mir zu Berge und ich schüttle die nächstbeste Person, hoffentlich nicht die falsche. Möglicherweise schlage ich mit der Hand auf die Tischplatte, das gefällt mir ausgezeichnet, das mache ich auch, wenn mir nicht die Augen hervorquellen, das mache ich ab und zu auch als ausrastende Mutter.
Eigentlich würde ich ja sagen, auszucken und nicht ausrasten. "Gleich zuck ich aus" geht mir leichter von den Lippen. Aber ich muss mich beherrschen, denn wenn ich wirklich auszucken oder ausrasten sollte, dann werde ich mich benehmen, als litte ich unter dem Tourette-Syndrom. Das passiert mir auch manchmal als Mutter und ich hoffe, dass meine Kinder nicht wissen und es nie erfahren werden, was "fottuto" heißt. Sonst tu ich ja immer sehr heilig und wenn mich meine Kinder zum Thema Mittelfinger befragen, dann sage ich: ehrlich gesagt, ich weiß nicht so recht, wo man diesen Finger hinstecken soll, aber den Leuten, denen man ihn zeigt, will man doch nichts wohin stecken, also besser, man verwendet dieses Zeichen gar nicht.

Während ich hier mit dem Zorn hadere, schreibt MM, dass am Monatsende die Fenster kommen und am Telefon erzählt er von Waschbecken und Kloschüsseln. Die Nachbarin ruft ihn an, weil sie ihn schon so lange nicht gesehen hat, was er sehr nett findet. Naja.

Wofür arbeiten wir denn heuer?, fragt ein Kollege, der weiß, dass ich letztes Jahr für den Holzboden gearbeitet habe. Der Holzboden ist leider gar nicht gesichert, denn letztes Jahr wusste ich noch nicht, dass ich eigentlich für den Kloabfluss und die Abdichtungen an den Außenmauern arbeite und in Wirklichkeit fließt das Geld, das ich jetzt verdiene, schlicht und ergreifend in das neue Gebiss von Frau Obermaurer.

Die fehlen mir gar nicht so, die Maurerjungs, aber an den gehenden Mann denke ich oft. Da ich hier mehr Zeitung lese, bin ich überzeugt, dass er einen Selbstversuch macht, den er in einem renommierten Blatt veröffentlichen wird. "Wie ich 10000km gegangen bin, ohne dass mich je jemand angesprochen hat." Oder wie er sich täglich vergiftet oder wie er 2000 Plastiktüten aufgehoben hat, ohne das Müllproblem zu lösen. Es erscheint mir sehr dringend, mit ihm in Kontakt zu treten.

Samstag, 27. März 2010

eigentlich alles gar nicht so schlimm

Die Wahl-Ferien der Kinder haben auch Vorteile. Mamma dattilografa schläft morgens lange, auch wenn das Kind, das an Schlultagen morgens nie aus dem Bett kommt, beleidigt und orientierungslos auf dem Bettrand sitzt und behauptet, schlafen mache keinen Spaß. Ich bin unnachgiebig und das Kind in seiner Verzweiflung setzt sich an den Tisch: Dann lerne ich eben, droht es. Es geht um englisch, passt eh.

Auch die Schulschürzen müssen nicht panisch gewaschen werden. Müsste ich nicht selbst bald abreisen, wäre ich vielleicht sogar entspannt. So entspannt, wie ich heute den Bruchteil einer Sekunde auf unserer Baustelle war. Samstags und kein Maurer da. MM tratscht mit den Nachbarn, das ekstatische Gebrüll der Kinder, mit dem sie sofort beginnen, sobald sie in the middle of nowhere aus dem Auto springen, verschwindet, das heißt, die Nachbarkinder haben zum Spiel mit der Playstation eingeladen. Endlich kann ich in Ruhe durchs Haus gehen und mir anschauen, was die so machen um viel Geld.
Es ist schön. Die Wände auch, in Wirklichkeit ist auch der Preis dafür nicht aberwitzig, wir haben einfach weniger erwartet. Oben ist der Estrich aufgetragen, unten steigt man noch über Schläuche, ich stelle mich an den äußersten Rand der Terrasse und genieße den Blick auf den kleinen Hafen. Nebelschwaden verstecken die Berge. Ich schaue auf den Grund des alten Nachbarn, den er MM zum Verkauf angeboten hat. Zu teuer natürlich, aber ich will ihn haben, es ist, als ob er zu unserem Haus gehörte. Ich kenne eine Frau, die im Lotto gewonnen hat, wieso soll mir das nicht auch passieren? Ich höre den Fluss unten rauschen. Ich will hier endlich wohnen.

Einmal, als der Obermaurer noch nicht unser Feind war, sagte er: es stimmt, dass es uns nicht gut geht, wir haben uns nur daran gewöhnt, dass es uns schlecht geht. Ich denke oft an diesen Satz und ich denke, dass wir leider auch unfähig sind, zu erkennen, wenn wir glücklich sind. Oder es nicht haben wollen. Dieses Glück. Ich zum Beispiel bin immer glücklich, wenn ich die Kakaoschalen der Kinder aus dem Geschirrspüler hole. Ich will dieses Glück nicht, aber es passiert aufdringlich und regelmäßig. Ich frage mich auch, ob dieses Gefühl in Herzgegend, das so ist, als würde Sirup in einen Trichter laufen, Liebe ist oder Glück.

Freitag, 26. März 2010

una sola parola: ahime

Zwei Tage hat mich einiges bedrückt. Ich dachte schon, ich muss hundert Fragen stellen. Aber das wäre eine ziemlich Arbeit gewesen: Wer? Was? Wie? Hä? Warum? In echt? usw. usw. Einmal werde ich das machen, aber nicht jetzt. Heute ist wieder Land in Sicht.
Das Kind im Auto auf der Fahrt zur Schule räuspert sich: "Glaubst du, sehen meine Schulkollegen morgens Zeichentrickfilme, bevor sie zur Schule gehen, ja oder nein?" "Nein!" lüge ich unerschrocken. "Doch!" schreit das Kind triumphierend. Aus meiner Brust will jetzt eigentlich der Wortschwall heraus, eine Art Wahlkampfrede gegen das Fernsehen, aber meine Stimme sagt nur belustigt: "Na sowas!" Ich muss eingepuppt sein, vielleicht werde ich ein Schmetterling (ein blauer, wie der aus Alice in Wonderland)
Der Rallyefahrer hat einen Film mit Bruce Lee gesehen und ist danach wie betrunken aufgekratzt, kommt nackt mit seiner Pyjamahose giggelnd aus dem Kinderzimmer und sagt, ich muss das Etikett aus der Hose schneiden. Ich muss immer alle Waschanleitungen aus den Hosen, Leiberln, Hemden schneiden. Ich sage: "Bring die Schere", das macht er aber in seinen Bruce Leeschen Allmachtsgefühlen nicht, sondern schneidet selbst ein Loch in die Hose, die er vor zwei Tagen als Ostergeschenk von einer Freundin bekommen hat. Ich habe mich noch nicht mal bedankt.
Dann muss er schlafen gehen, während seine Brüder noch drei Lieder vom Sanremo-Festival hören und sehen können. Manchmal findet MM etwas pädagogisch wertvoll, was im Fernsehen ist und nimmt es auf. Daher kennen unsere Kinder alle Lieder, die täglich mehrmals aus dem Radio dröhnen, auswendig. Zum Glück singen sie besser als ich. ("Sono un re matto, cambio spesso regole" - ich mache den verrückten König zu einem "re mattone" zu einem Ziegelkönig, was die Kinder sehr erheitert)

Auf unserer Baustelle ist die Treppe verfliest, wie mir mitgeteilt wird. Und es ist passiert, was vorauszusehen war: die Abrechnung des Obermaurers ist zu hoch ausgefallen und zwar, was die Instandsetzung der Mauern betrifft. MM schaut mich an, als ob es ausschließlich meiner Ekstase zu verdanken wäre, dass die Summe das doppelte ausmacht, als gedacht. Deshalb rächt er sich: er erzählt dem Obermaurer, er riskiere die Scheidung, weil seine Frau finde, er sei unfähig, die Arbeiten zu kontrollieren und wie sowas passieren kann. Ich sage: alle Achtung, das nenn ich aber wirklich Pirandello. Am Montag wird es eine Aussprache beim Architekten geben und dazwischen ist Eiszeit.
Und dann wird etwas überbleiben, was ich schon lange befürchtet habe: unser Haus wird keine Farbe bekommen. Zumindest nicht jetzt. Und wir reihen uns in das Gesamtbild der kalabresischen Häuser ein, immerhin ist unser Haus verputzt, viele Häuser sind nicht mal das. Die haben aber innen meistens goldene Türschnallen, das werden wir nicht haben, wenn wir überhaupt Türschnallen haben werden. Ich habe mich damit abgefunden, es ist mir eigentlich sogar egal. Ich werde doch ohnehin ein blauer Schmetterling und ich bin es jetzt so gewohnt, auf einer Baustelle zu agieren, dass ich gar nicht möchte, dass das Haus wirklich fix und fertig wird.

Heute war die Arbeit nicht mehr so schlimm. Ich werde bald für die nächste Arbeit weg fahren und ich möchte mich mit Händen und Füßen an einen Türstock klammern, um nicht weg zu müssen. Blöderweise haben wir im neuen Haus noch keine richtigen Türstöcke.

Ich habe Rilkegedichte vertont gehört und ich denke nun, dass es unter allen Worten nur eines gibt, das wirklich wichtig ist, und das ist: "Ach". Das gibt es auch auf italienisch, da heißt es: ahime, gesprochen ajme. Niemand sagt es je, außer intellektuelle Radiosprecher in ausgesuchten Texten. In der gesprochenen Sprache sagt man eher "minchia", was so viel wie "cazzo" heißt, was wiederum soviel wie Schwanz heißt, womit das männliche Geschlechtsorgan gemeint ist. Angeblich ist es nicht einmal besonders anstößig, weil es wie ein hmhm dauernd verwendet wird. Zumindest in Sizilien. Der Ökonomie halber sagt man einfach:"Miii", wenn einem etwas auf die Nerven geht oder: "ma che miii dici?", was redest du da für einen Scheiß?

ach ach ach ach ach ach ach schreibt La dattilografa mit ihren Möchtegern-Stenotypistinnenhänden. Hoffentlich geht alles gut. Auch bei den Wahlen am Sonntag.

Sonntag, 21. März 2010

Wann ziehen wir um?

Der Jasmin blüht. Dort wo wir noch wohnen. Sein Duft betört. Es ist Frühling, was bei uns immer gleich in Sommer ausartet. Heute ist der erste Tag, an dem wir nicht einheizen. Wir waren am Meer. Die Kinder dürfen sich die Schuhe ausziehen und erst nach fünf Minuten komme ich drauf, dass sie sich natürlich auch die Socken ausziehen dürfen. Ich liege auf dem Kieselstrand. Die Kinder wühlen wie freigelassene Hunde Löcher in den Strand und schlagen Räder und machen Purzelbäume. Ich denke, dass wir hier wieder bald ohnmächtig vor Hitze unter dem Sonnenschirm liegen werden und ich bemerke gar nicht, dass dieser Gedanke in vielfacher Hinsicht falsch ist.
Wir werden DORT am Strand sein, dort wo MM und ich, als wir so was ähnliches wie jung waren in der Nacht gebadet haben und wo uns unser Weg wieder hingeführt hat. In unserem Garten blühen die Birnbäume, die Kirschbäume und die Zitrusfruchtbäume, auf denen noch Mandarinen und Orangen hängen, haben schon wohlriechende Blütenknospen.
Aber der Jasmin ist da. Das Haus wird weinen, wenn wir nicht mehr hier sind, sagt der Rallyefahrer, der selbst die seelenlosesten Dinge mit einem Ich versieht und mich wochenlang mit der Vorstellung gequält hat, mein Auto, das ich verschrotten lassen habe, würde zu mir zurückkommen. Zum Glück hat das Chaos hier unerträgliche Ausmaße angenommen und so werde hoffentlich ich nicht weinen, wenn wir ausziehen. Heute habe ich die erste Schachtel für den Umzug gepackt, eine verhältnismäßig kleine Schachtel mit Büchern, die ich alle gleich lesen wollte, vor allem Virginia Woolfs "Fahrt zum Leuchtturm". Auf dem Buchdeckel war von großer großer großer Traurigkeit zu lesen und ich habe mich gefragt, wieso mir das bis jetzt unbekannt war.

Zu den periodisch gestellten Fragen: Wann sind die Osterferien, wann ist mein Geburtstag, wann können wir endlich die Badehosen anziehen, gesellt sich nun die Frage: wann ziehen wir um? Eine fiebrige Aufregung beherrscht meine Kinder, die bei jeder mitgehörten Konversation aufgeschreckt werden: "Morgen? Was Morgen? Morgen ziehen wir um? Jungs, morgen ziehen wir um!"
Da der Rallyefahrer die drei Verlobten, die beiden Freunde aus Rom und andere drei Geschwister plus einige Verwandte zu seinem Geburtstag im Mai einladen möchte und (Hallelujah!) niemanden aus seiner Klasse, versuchen wir ihm einzureden, dass es besser ist, seinen Geburtstag im Juni zu feiern. Das wäre für mich besser, denn dann ist meine Arbeit fertig. Bei der Erinnerung, wie ich letztes Jahr an drei freien Tagen 3200 km zurückgelegt habe, um an einem dieser drei Tage den Geburtstag meines Sohns zu feiern, fallen mir vor Müdigkeit gleich die Augen zu.

Ich werde den Jasmin vermissen. MM sagt, er werde dieses Haus ganz sicher nicht vermissen. Ich schaue ihn an. Immerhin haben wir hier 14 Jahre lang gelebt. Er sagt, ich wisse doch, dass er sich nie verliebe. Ich schaue ihn wieder an. Ich glaube, ich habe den "Wie bitte?"-Blick. Er sagt: "Außer in meine Frau natürlich."
Vielleicht ist wahr, dass er sich nicht in Häuser oder Leute verliebt, so wie ich das tue. Aber er verliebt sich ganz bestimmt ins Leben, in Situationen. Gestern war er ganz aufgekratzt, als er nach einem Tag Arbeit mit Stefano im Obstgarten und um den "pozzo nero", die wunderbare Senkgrube, heimkehrte. Er hatte den 95-jährigen Nachbarn von unten gesprochen, Nachbarin Teresa und Nachbarin Maria hatten jeweils Brot gebacken und ihn eingedeckt, irgendwelche weisen Onkeln mit Schnurrbärten waren auch aufgetaucht. Vor allem der alte Nachbar hatte ihn illuminiert, da er so ganz und gar nicht alt in seinem Geiste sei. Und weil ihm dieses Paar so gefalle, der alte dünne Mann mit seiner mehr als zwanzig Jahre jüngeren dicken Frau, die friedlich ihren großen Weingarten bearbeiten.

Der alte Nachbar fährt einen alten schwarzen Fiat Panda. Alle fahren sie hier Pandas, alle, aber er ist der einzige mit einem schwarzen. Beim Autofahren hängt eine Zigarette aus seinem Mundwinkel. Eines Tages habe ich ihn bei der Einfahrt auf die Staatsstraße gesehen, sein Auto bewegte sich nicht, ich sah seinen Kopf über das Lenkrad gebeugt. "Er ist tot", dachte ich und fuhr neben sein Auto um hineinzusehen. Aber er versuchte nur zu starten. "Wo fahren sie hin?" schob er zwischen Zigarette und Lippen raus. Ich fuhr in die andere Richtung. "Mein Auto startet nicht mehr. Managgia. " sagte er. Ich sagte auch "Managgia", was sowas wie "Donnerwetter" oder "verdammt" oder "es darf nicht wahr sein" heißt. Ich denke an Starterkabel und in diesem Moment rollt er los. Er weiß selbst nicht, wie es geschieht, er tuckert auf die Staatsstraße, auf der von links zum Glück kein Auto kommt, von rechts aber drei. Und er überquert die Staatsstraße nach links. Die Autos hupen. Eines bleibt stehen, eines fährt vorbei, das dritte gerät ins Schleudern, das ist ein Installateur mit einem kleinen Lieferwagen. Der schwarze Panda kommt in der Mitte der Staatsstraße wieder zum Stehen und gleitet dann in Zeitlupentempo weiter. Ich denke, das ist die letzte Stunde des Nachbarn und schaue entgeistert zu, wie er seinem sicheren Tod entgegenfährt, aber obwohl auch die mittlerweile von links kommenden Autos hupen und die von rechts alle bremsen und hupen, hat er es geschafft, auf den Fahrbahnrand zu kommen, er hebelt energisch herum, die Zigarette im Mundwinkel, den Kopf nach vorn gereckt und auf die Fahrbahn schauend. Ich bin davon überzeugt, dass ich soeben Zeugin eines echten Wunders geworden bin und schaue, ob ich irgendwo noch die Madonna sehe. Ich denke, dass ich seiner Frau sagen möchte, sie soll ihn nicht mehr autofahren lassen. Dann fahre ich in die andere Richtung.
Weil die Italiener alle keine Verkehrsregeln ernst nehmen, überleben sie gar nicht schlecht im Straßenverkehr. Unsereiner, der zwanghaft zwischen zwei weißen Strichen fahren will, hat da weniger Chance. Ein Italiener ist immer auf alles gefasst.

In Autoradio habe ich ein neues Liebelingslied gefunden: Questa è la mia vita, non è una canzone, la la la la la, la la la la la. Das ist mein Leben, es ist kein Lied. Und weil es sich reimt: Questa è la mia vita, non è una prigione. Das ist mein Leben, es ist kein Gefängnis. La la la la la, la la la la la.