Der Umzug ist nicht nur ein Akt des physischen Wahnsinns (wie gerne würde ich jetzt die starken Männer bezahlen, die das Zeug für 3000 Euro schleppen wollten - zu spät), sondern auch eine emotionale Hochschaubahn. Da fallen aus den Büchern Fotos: wir jung und stark. Da lese ich Widmungen in Büchern, die ich eigentlich wegschmeissen will, und die mich dann rühren. Da sind Fotoalben von uns, die wir nicht mehr wir sind. Und dann das Zeug von MM, das eigentlich für den Sondermüll aufbereitet gehört - finde ich zumindest.
Da sind Mäntel, die MM vor vielen Jahren aus Lissabon mitgebracht hat. Sie passen niemandem, den wir kennen. Ich sage: Wie lange sollen wir diese Mäntel noch aufheben? (ich habe sie bereits zum zweiten Mal übersiedelt, sie wechseln auch mehrmals die Plätze in den diversen kastenartigen Aufbewahrungsstätten unseres Lebens, im Moment sind sie in Koffern). MM sagt: Solange ich lebe, wenn ich gestorben bin, kannst du sie wegschmeissen. Mit dieser traurigen Aussage nimmt er den Wind aus meinen aufgeblähten Segeln.
Ich selbst besitze verhältnismäßig wenig (im Vergleich zu ihm zumindest), immer noch mehr als Frau Adler und viel zu viel oder das Falsche.
Aus Anlass des Besuchs unserer Freunde, der am Sonntag stattgefunden hat, hat sich unser materieller Besitz gebündelt: in MMs zukünftigem Studio sind Kisten aufgestapelt, ein schmaler Weg führt durch sie zum rosa Zimmer, in dem Kisten unordentlich auf dem Boden verteilt sind. Meine Freundin konnte nicht kommen, sie ist krank geworden, ich will jetzt aber nicht über psychosomatische Krankheiten nachdenken. "Ich zeige euch nun etwas, was ihr noch nie gesehen habt", sage ich zu ihrem Mann und der vierzehnjährigen Tochter. Ich öffne die Tür zu MMs Studio. Der Effekt spiegelt sich in ihren Gesichtern wider. "Carmen hätte zu weinen begonnen vor Mitgefühl", sagt unser Freund über seine Frau. Ich finde die Kisten toll und ich wandle ein Gedicht von Rilke über den Herbst ab: "Was jetzt in Kisten ist, das wird es lange bleiben." Die Dinge in den Kisten sind geordnet. Vor dem Besuch habe ich das Zimmer, in dem wir im Moment essen, Filme schauen, Aufgaben machen und sprechen, aufgeräumt. Da ich wenig Zeit hatte, habe ich etwas gemacht, was ich noch nie in meinem Leben gemacht habe: ich habe alles (Hefte, Stifte, Taschen, Zeichnungen, Rechnungen, Puppen, Männchen, Kalender, Kleiderbügel) einfach in zwei Kisten gesteckt. Und komischerweise hatte ich gar nicht das Gefühl, ich würde die Sachen dann nie mehr finden. Sie waren aus dem Blick und ich fühlte mich frei und leicht. Mein Geist wurde so klar, dass ich mir vorstellen konnte, diese Kisten wieder hervorzuholen, wenn den Besuch nach Hause gefahren war und die Dinge an ihren Ort zu bringen. Zumindest vom Kleiderbügel weiß ich, wo er hin soll und ich habe bei meiner furiosen Aufräumaktion, die auch andere Teile des Hauses betraf, den großen Wunsch nach Kästen verspürt, während in meinem bisherigen aufregenden Leben Kästen verpönt waren.
Komisch, dass gerade jetzt, in dem Moment, in dem ich mein bürgerliches Leben durch den Kauf von Kästen besiegle, die Menschen aus dem früheren Leben von weitem grüßen. Statt sie zu fragen, wie sie ihre gewerkschaftlichen und revolutionären Ambitionen von vor dreißig Jahren heute pflegen, werde ich sie fragen, wie sie ihre Unterwäsche verstauen. Und ob sie Mäntel aufheben.
Eine Woche noch Kisten, Staub, Grind, Mistsäcke. Manchmal überfällt mich die Verzweiflung. Ich bin am Bodensatz angelangt. An den Schachteln mit DVD-Hüllen, an den Kassetten in einem Format, das es nicht mehr gibt, an einer Kiste mit Badezeug von Freunden, die schon seit Jahren nicht mehr auf Urlaub hierher kommen. An den Autoreifen für ein Auto, das ich nicht mehr besitze (ich gönne mir einen Besuch beim schönen Gommista). 3 Pinocchiokostüme für den Fasching. Das komplette Geschirr-Service für 24 Personen, das meine Schwiegermutter uns zur Hochzeit geschenkt hat, in Originalverpackung. Ich habe gehofft, es wird mir nach zwölf Jahren plötzlich gefallen, aber nein. Ich muss MM anrufen, das müssen wir sicher nicht aufheben. Ich werde es einer Pfarrgemeinde schenken. Das wird schön! Ich werde Carmen anrufen, sie ist eine Kirchgängerin und sie wird meiner Schwiegermutter sicher nicht erzählen, dass ich ihr Service verschenke. Und die Gefahr, dass meine Schwiegermutter in Carmens Pfarre Kaffee trinkt, ist auch gering. Her mit dem Telefon!
Abonnieren
Kommentare zum Post (Atom)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen