Donnerstag, 3. Februar 2011

Die Rückkehr des Obermaurers

Das Dach ist gut befestigt, aber der Wind dringt immer noch in unser Haus und MM stellt zynisch fest, dass wir dank des Obermaurers nun nicht mehr lüften müssen. Als wir vor etwa eineinhalb Jahren die Kostenvoranschläge für die Arbeiten an unserem renovierungs- und fertigstellungsbedürftigen Haus einholten, favorisierte ich den Obermaurer, auch wenn er für gewisse Arbeiten höhere Preise veranschlagte. Aber er hatte bei seinem Lokalaugenschein hier einen ernsthaften und vor allem aufgeschlossenen Eindruck gemacht, was die Verwendung von umweltfreundlichen Materialien und ökologischer Bauweise betrifft. Ausserdem hielt ich ihn für ausreichend verrückt, meinen ebenfalls verrückten Ehemann bei der Ausführung seiner ungewöhnlichen Pläne zu unterstützen. Das ging auch eine Zeitlang gut und da mir die leidenschaftliche Arbeitsweise des Obermaurers gefiel, wünschte ich mir, er und MM würden Freunde werden und war glücklich zu hören, dass sie sich Geschichten erzählten und sogar gemeinsam andere Häuser anschauten, die der Obermaurer renoviert hatte.
Zu den veranschlagten Arbeiten gesellten sich weitere, die sich während der fortschreitenden Renovierung als notwendig herausstellten. Ich wurde nicht immer konsultiert oder stimmte auch bereitwillig Arbeiten zu, die irgendwann gemacht werden mussten, warum also nicht gleich. Der Obermaurer und seine Truppe wurden in regelmäßigen Abständen bezahlt. Im tiefsten und bittersten Winter, in dem der Wind wie heute durch das Haus ohne Fenster und Türen pfiff, standen dann mitunter sieben Männer unter unserem Dach und klopften alle vorsichtig den Verputz von den Wänden und legten die Steinmauern frei. Die Instandsetzung der Steinmauern war natürlich auch nicht im Kostenvoranschlag vorgesehen gewesen und gemeinsam mit dem Architekten wurde entschieden, dass hierfür eine tageweise Bezahlung der Maurer die ökonomischere Lösung sei. Die Tage, die sie dort liebevoll herumkratzten waren schon recht viele und MM verlangte mehrmals eine Kostenaufstellung und als diese endlich kam, kam es auch gleich zum Eklat. MM hatte schon ein bisschen seine Zuneigung zum Obermaurer verloren und hielt ihn für geschwätzig. Dass ich die Mauern gelobt habe, wird glaube ich für MM ewig ein schwarzer Punkt auf meiner weißen Weste sein. Gerne sprechen tut der Obermaurer durchaus. Normalerweise kommt MM allen sprechenden Menschen mit anthropologischem Interesse entgegen und fordert dieses auch von mir ein, wenn ich mich weigere, zum Kindergeburtstag Kinder aus der Schule einzuladen, da ich nicht mit ihren Müttern einen Nachmttag verbringen möchte, aber was den Obermaurer betrifft, so verließ ihn irgendwann der gute Wille, ganz besonders nachdem endlich die lang verlangte Abrechnung eintraf. Es folgten atemlose Nachrechnungen, eilig einberufene Sitzungen beim Architekten, dort heftige Gespräche und schließlich die Übereinkunft, die Arbeiten wegen Budgetüberschreitung mehr oder weniger sofort einzustellen. Der Obermaurer gewährte eine gewisse Preisreduktion, da durch seine Verzögerung der Kostenangabe Mehrkosten entstanden seien und vor allem erwirkte MM eine Ratenzahlung, die ich bis jetzt aufgrund meiner Arbeitskraft immer pünktlich eingehalten habe. MMs Gehalt ist bereits für der Rückzahlung des Kredits für das Haus zuständig. Die letzte Rate ist im April fällig und da ich im Moment nur als Übersiedlungsexpertin für mich selbst tätig bin, werde ich diese Rate nicht bezahlen können. Ich werde zu Hause sitzen, unter all den Kisten und werde mich schlecht fühlen.
Der Obermaurer bat MM dann noch, nicht im Schlechten auseinander zu gehen, schließlich seien wir eine Art Nachbarn, wir würden uns jeden Tag begegnen und es wäre nicht schön, wenn wir einander nicht grüßen würden. Interessanterweise sehen wir einander aber gar nicht täglich, obwohl wir wirklich relativ nah aneinander wohnen. Ab und zu fahren wir im Auto aneinander vorbei, ich grüße, schaue dann aber nicht besonders freundlich, weil ich immer die Summe vor mir sehe, die die Steinmauern gekostet haben. Wenn ich vorher gewusst hätte, was es kosten wird, hätten wir vielleicht einige Mauern einfach verputzt gelassen.
Selber schuld, wird mein Freund der Schriftsteller jetzt sagen. Ja, eh. Ist so.

Mir tat es Leid um den Obermaurer, um die anthropologischen Gespräche und seine Lebensgeschichte und weil ich mit Verletzung und Trennung weniger gut umgehen kann als mit Wut, habe ich ihn zu meinem Feind gemacht. Immer wenn etwas nicht funktioniert oder wenn ich etwas bemerke, was nicht schön gemacht ist, zum Beispiel einen Fußabtritt auf den Fliesen, der offenbar mit Klebstoff dort angebracht ist, stelle ich mir vor, wie ich wie Jack Nicholson im Film "Shining" mit einer Axt in sein Haus dringe, den Schaum vor dem Mund. Außerdem hege ich eine latente Eifersucht Frau Obermaurer gegenüber und zwar nicht, weil ich so gerne ihren Mann hätte, sondern weil ich finde, sie hat ein (zumindest phasenweise) beneidenswertes Leben. Drei Männer, die Maurer sind und im besten Fall mittags zu Hause essen. Das heißt, etwas Kräftiges, Gutes und Heißes kochen und um 12 Uhr 15 auf den Tisch stellen. Um 13 Uhr sind dann alle wieder weg und Frau Obermaurer kann in Ruhe Kaffee trinken. Die Ruhe dauert bis 16 Uhr, dann muss sie wahrscheinlich die staubigen, schmutzigen Arbeitshosen in die Waschmaschine stopfen. Abends nehmen sich die Männer hoffentlich selbst was zu essen, Tagwache ist sicher früh genug, denn morgens müssen Panini gemacht werden. Niemand, niemand, niemand weiß, was mich an diesem Arbeitsalltag fasziniert. Dass ich selbst meinen Kindern Brote in der Früh machen und mittags kochen muss, finde ich keinesfalls attraktiv. Vielleicht wäre ich glücklich, wenn sie Maurer und keine Schulkinder wären. Bin ich so geldgierig? Hasse ich es so sehr, sie zum Lernen anzuhalten? Möchte ich wirklich lieber wissen, dass der Zement bei Signor X hart geworden ist als dass Augustus die Grenzen seines Reichs absicherte?

Als der Obermaurer und ich noch jede Gelegenheit zum Plaudern nutzten, was daran liegen mag, dass er gern redet und ich ihm gerne zuhörte, unterhielten wir uns auch über die Zahnklinik, die wir beide besuchten. Er stand in der eben erst eingebauten Badewanne und erzählte von seiner Frau, der eine Brücke ausgebrochen war, im Mund versteht sich, und dass die Instandsetzung ihres Gebisses 6000 Euro kosten werde. Ich glaube, in diesem Moment war mein Neid auf Frau Obermaurer perfekt. An gewissen Tagen begleitete der Obermaurer sie zu der 45 Minuten entfernten Zahnklinik. Von den Fenstern der Zahnklinik aus sieht man eine wunderbare Insel. Die Zahnklinik ist im schönsten Ort unserer Küste. Auf der Insel stehen Trulli. Frau Obermaurer steigt aus dem Auto, Herr Obermaurer hat sie chauffiert. Er wird selbstverständlich 6000 Euro für die Reparatur ihres Gebisses bezahlen.
Meine Eifersucht ist meine Müdigkeit. Ich lege keinen Wert darauf, dass MM mich zum Zahnarzt bringt, es gibt gewisse Dinge, die macht frau erstens lieber allein und zweitens vor allem, wenn der Ehemann mittlerweile drei Kinder betreut. Manchmal würde ich aber lieber einfach die Häuser der anderen gegen Bezahlung instand setzen, als die zähe Arbeit des Aufbaus des eigenen Hauses zu leisten.

Und was die Rückzahlung der letzten Rate betrifft, die ein wenig schwierig sein wird, so werde ich es wie in dem Witz machen, den meine griechischstämmige Freundin gerne erzählte:
Ein Mann kann nicht schlafen und wälzt sich im Bett. Seine Frau macht das Licht an und fragt ihn: "Was ist denn?" Er antwortet: "Ich habe Schulden beim Nachbarn und ich kann sie nicht bezahlen, deshalb kann ich nicht schlafen." Die Frau tröstet ihn: "Mach dir keine Sorgen, das Problem kann ich lösen." Sie steht auf und öffnet das Fenster. Sie ruft in die Nacht hinein: "Nachbar, Nachbar, mein Mann kann seine Schulden nicht bezahlen." Sie schließt das Fenster und sagt zu ihrem Mann: "So, sei ganz ruhig, jetzt kann ER nicht schlafen."

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