Freitag, 22. Oktober 2010

Non è facile

Das Telefon der Dattilografa ist seit 2 Wochen ausser Betrieb und somit auch das Internet. Dabei haette Dattilografa viel zu schreiben. Zum Beispiel, dass wir vier Tage kein Wasser hatten, und dass die Telecom nach zahlreichen Anrufen von mir und dem Besuch eines Technikers heute feststellt, es waere nie ein Schaden gemeldet worden und ich koenne den Schaden nur melden, wenn ich zu Hause sei. Da ich aber zu Hause keinen Mobilfunkempfang habe, werde ich den Schaden, den ich vor zwei Wochen gemeldet habe, theoretisch nie melden koennen. So leben wir unbehelligt von der Aussenwelt in einem Roman von Franz Kafka. Dabei regnet es manchmal und manchmal so stark und so lang, dass Schlammmassen die Strasse versperren. Das sind apokalyptische Bilder, die sich da vor den Augen der Dattilografa auftun, die ihre Kinder auf dem Schulweg das 1x1 abfragt. 8x7 ist 56 und da liegt ein Baum auf der Strasse, 7x7 ist 49, hier rast braunes Wasser Treppen runter. Die Scheibenwischer quietschen.
Das war vor drei Tagen, heute sind noch Aufraeumarbeiten zu sehen, ueberall dort, wo ein betroffenes Gebiet ist, was in unserem neuen Ort zum Gleuck nicht der Fall ist, stehen Wischbesen vor den Tueren, kleine Bagger schaufeln immer noch Schlammberge weg. Geroell ist den Berghang runtergekommen. Alles ist braun. Als ich mit dem Autobus in der Stadt ankomme, bin ich sehr muede und zerknautscht. Du schaust aus, als kaemst du aus dem Krieg, sagt MM. So fuehle ich mich. Ich denke ja schon lange, dass in diesem Land irgendwann ein Buergerkrieg ausbrechen wird und ich glaube, er hat begonnen. In deolizei greift sie an. Hier sind die Schueler der hoeheren Schulen nicht mehr in der Schule, sondern auf der Strasse, an den Schulen haengen Leintuecher, auf denen steht: "Autogestione", Selbstverwaltung.
Auf meiner Autobusfahrt sehe ich unterhalb der Geroellhalde meinen gehenden Mann, halb in einer Muelltonne verschwunden. Es ist das erste Mal, dass ich ihn so sehe. sein Rucksack liegt neben ihm auf dem Boden. Er ist sehr gross, er kann sich auch in eine grosse Muelltonne beugen. "Prima di fare un lungo viaggio, pensa di non tornarci più" sang eben noch Irene Grandi aus dem Radio im Autobus. Bevor du eine lange Reise machst, stell dir vor, nicht mehr zurueck zu kommen. "Non è facile, ma è tutto qui." Es ist nicht leicht, aber es ist alles schon da. Es ist alles schon da. Aber viel ist es nicht.

Freitag, 8. Oktober 2010

Brillant

Freitags darf ich ausser Haus. Dann arbeite ich auswaerts. Als ich nach Hause komme, finde ich die Pasta mehr oder weniger fertig auf dem Tisch und rundherum mehr oder weniger nach mir sehnsuechtige kleine oder grosse Maenner. Bei Tisch sagt MM, er haette jemanden getroffen, der mich sehr gruessen liesse, ich solle raten wer, eine brillante Person. Ich sage: eine Frau oder ein Mann? Eine Frau. "Er hat dich verlassen" kommt es trocken von der Seite des Rallyefahrers, der eben etwa sechs Penne in den Mund steckt. Ich rate. Eine Frau, die MM um den Hals faellt und so brillant ist, zu sagen: wie war noch mal dein Name (?). Ich bezichtige Frauen unseres Bekanntenkreises dieses Schwachsinns. Aber es ist Mathilde. "Er hat dich verlassen." setzt der Rallyefahrer nach. Und schiebt wieder sechs bis sieben Penne in den entspannten Mund. Nein wirklich, Mathilde, Begeisterung.
Ich werde in Kenntnis gesetzt, was Mathilde eben macht. Ich finde Mathilde auch super. Der Rallyefahrer ist von seiner Theorie ueberzeugt, er steht auf mit den Worten: "Hat er dir je gesagt, dass du brillant bist?" traegt seinen Teller in die Kueche, holt einen Apfel, gibt mir ein Messer und sagt: "Bitte schaelen, so wie immer."
Mathilde hat auch zwei Soehne, die sind aber noch klein, sie wird sich noch wundern. In der Schule hat der Rallyefahrer schlechte Noten, weil er die Dinge, die er lernt, verwirrend wiedergibt, bzw. lange ueberhaupt nicht wiedergegeben hat, da er sich von Wiederholungen nicht betroffen fuehlte.
Und muede im Bett liegend sagt er: Ich kann es kaum erwarten, dass Sonntag ist. (Am Samstag ist aber ein Geburstagsfest!)Ich sage: Wieso, was ist am Sonntag? Nichts, antwortet er,dreht sich um und schlaeft ein.

Donnerstag, 7. Oktober 2010

back to the roots

Im neuen Haus, unter neuen Umstaenden, bekomme ich vom Leben draussen noch weniger mit als vorher. Silvio Berlusconi kann mich nicht mehr aergern.Ich fahre taeglich eineinhalb Stunden meine Kinder in die Schule und wieder nach Hause und das Autoradio funktioniert so schlecht, dass wir lieber ueber Zellstrukturen und die Polis der Griechen sprechen. (Oder ueber Computerspiele).
MM, der im Hier und Jetzt arbeitet, erzaehlt von der Donau und ich frage mich, ob ich da noch schreiben soll und darf was ich mir heute unter der Dusche gedacht habe.
Unter der Dusche denke ich an den Herzinfarkt und zwar nicht an meinen, sondern an den, von dem MM sich bedroht fuehlt. Vor ein paar Tagen haben MM und ich etwas, was der Rallyefahrer in einem Moment der Erkenntnis als "Tragoedie" bezeichnet, denn die Griechen hatten eben Komoedien (die kennen wir, da haben wir viele DVDs davon) und Tragoedien,da wo es nichts zu lachen gibt, das haben wir in der Realitaet. Das, was MM und ich hatten, war einfach ein gewaltiger Streit, aus Gruenden, die fuer andere banal sein moegen, denn keiner von uns beiden hat den anderen bei einem ausschweifenden ausserehelichen Sexualleben erwischt, nicht einmal beim Gedanken daran, und keiner wurde der Spiel-, Drogen- oder anderen Sucht verdaechtigt. Der Streit hatte es dennoch so in sich,dass ich bei einem heftigen Geraeusch aus dem oberen Stockwerk doch nachschauen ging, ob mein wuetender Ehemann nun mit einem Herzinfarkt auf dem Boden lag. Denn, und das dachte ich auch unter der Dusche, wir waeren nicht die ersten, die am Hausbau krepieren. MM lag allerdings nicht tot auf dem Boden, sondern auf dem Gaestebett, das er in sein unfertiges Arbeitszimmer gezogen hatte, und las die Zeitung.
Aber mein Onkel Bert ist am Haubau gestorben. Und ploetzlich war mir klar, unter dem heissen Wasser, dass vieles aus dem letzten Jahr mit dem Onkel zu tun hatte, der gestorben war, als ich vielleicht sechs Jahre alt war.
Der Onkel war Pfleger in einer Anstalt gewesen, die wir damals noch bedenkenlos Irrenhaus nannten. Am Sonntag wanderte die kleine Dattilografa mit ihrer Kakaoflasche in der Hand durch das Gelaende, auf dem die Irren mit ihren Lodenmaenteln unterwegs waren. Manche durften auch nicht spazieren gehen, die schrien aus den vergitterten Fenstern. Der Onkel war gross, sehr gross, sehr duenn, freundlich und herzkrank. Er war der Mann von der Tante und hatte vier Soehne, die die kleine Dattilografa zu heiraten gedachte. Zwei davon waren Zwillinge, einer davon wuerde Herr Dattilografa werden. Da der Onkel herzkrank war, hatte er feine rote Aederchen auf den Wangen. Er lachte viel und hatte eine dezente Zahnluecke auf der linken Seite. Aus irgendeinem Grund hatten Onkel und Tante beschlossen, das Gelaende der Irren, wo sie in einem angrenzenden Haus wohnten, zu verlassen, und ein eigenes Haus zu bauen. Das hat der Onkel nicht ueberlebt.
Am Tag nach der "Tragoedie" sage ich zu MM, er soll nicht mehr so viel arbeiten, es ist wurscht, wie lange wir da noch im Zement hausen. Ja, sagt er, er sei muede.
Jetzt muss ich nicht nur immer nachschauen, ob die Kinder noch atmen, sondern auch, ob MM noch am Leben ist.
Und der Onkel hat seinen Doppelgaenger in unserem herzkranken Obermaurer gefunden, der hier ueberall seine Spuren hinterlassen hat. Wer doppelt so viel Geld wie wir in seine Hausrenovierung stecken kann, der hat jetzt entweder ein fertiges Haus oder eben eine Baustelle, auf der er nicht unbedingt leben muss. MM bezeichnet es ein Glueck, dass wir hier sind und alle Maengel selbst kennenlernen koennen und ich glaube, das meint er gar nicht esoterisch. Beim ersten starken Regen haenge ich am Telefon und bruelle: wer ist fuer diesen Swimmingpool vor dem Haus verantwortlich? Ich sehe mich schon mit dem Regenmantel Cape-Fear-artig den Obermaurer abstechen, bis MM mir sagt, ich soll die Blaetter von den Abflussloechern im Boden nehmen. Es gibt also einiges, was ich finde, dass der Obermaurer mit seinem Team nicht so toll gemacht hat, oder zumindest moechte ich ihm gerne einiges unterstellen, aber dennoch freue ich mich immer, wenn ich ihn in seinem roten Lastwagen oder in seinem ebenso roten Fiorino auf der Strasse treffe, denn er ist eben, wie ich seit meiner heutigen Dusche weiss, die Reinkarnation von Onkel Bert. Operieren hat er sich auch noch nicht lassen, komisch, dass die Angst, sich das Brustbein zertruemmern zu lassen, groesser ist, als die Angst, zu sterben. Weil wir uns das Sterben nicht vorstellen koennen, das Zertruemmern aber schon.