Donnerstag, 7. Oktober 2010

back to the roots

Im neuen Haus, unter neuen Umstaenden, bekomme ich vom Leben draussen noch weniger mit als vorher. Silvio Berlusconi kann mich nicht mehr aergern.Ich fahre taeglich eineinhalb Stunden meine Kinder in die Schule und wieder nach Hause und das Autoradio funktioniert so schlecht, dass wir lieber ueber Zellstrukturen und die Polis der Griechen sprechen. (Oder ueber Computerspiele).
MM, der im Hier und Jetzt arbeitet, erzaehlt von der Donau und ich frage mich, ob ich da noch schreiben soll und darf was ich mir heute unter der Dusche gedacht habe.
Unter der Dusche denke ich an den Herzinfarkt und zwar nicht an meinen, sondern an den, von dem MM sich bedroht fuehlt. Vor ein paar Tagen haben MM und ich etwas, was der Rallyefahrer in einem Moment der Erkenntnis als "Tragoedie" bezeichnet, denn die Griechen hatten eben Komoedien (die kennen wir, da haben wir viele DVDs davon) und Tragoedien,da wo es nichts zu lachen gibt, das haben wir in der Realitaet. Das, was MM und ich hatten, war einfach ein gewaltiger Streit, aus Gruenden, die fuer andere banal sein moegen, denn keiner von uns beiden hat den anderen bei einem ausschweifenden ausserehelichen Sexualleben erwischt, nicht einmal beim Gedanken daran, und keiner wurde der Spiel-, Drogen- oder anderen Sucht verdaechtigt. Der Streit hatte es dennoch so in sich,dass ich bei einem heftigen Geraeusch aus dem oberen Stockwerk doch nachschauen ging, ob mein wuetender Ehemann nun mit einem Herzinfarkt auf dem Boden lag. Denn, und das dachte ich auch unter der Dusche, wir waeren nicht die ersten, die am Hausbau krepieren. MM lag allerdings nicht tot auf dem Boden, sondern auf dem Gaestebett, das er in sein unfertiges Arbeitszimmer gezogen hatte, und las die Zeitung.
Aber mein Onkel Bert ist am Haubau gestorben. Und ploetzlich war mir klar, unter dem heissen Wasser, dass vieles aus dem letzten Jahr mit dem Onkel zu tun hatte, der gestorben war, als ich vielleicht sechs Jahre alt war.
Der Onkel war Pfleger in einer Anstalt gewesen, die wir damals noch bedenkenlos Irrenhaus nannten. Am Sonntag wanderte die kleine Dattilografa mit ihrer Kakaoflasche in der Hand durch das Gelaende, auf dem die Irren mit ihren Lodenmaenteln unterwegs waren. Manche durften auch nicht spazieren gehen, die schrien aus den vergitterten Fenstern. Der Onkel war gross, sehr gross, sehr duenn, freundlich und herzkrank. Er war der Mann von der Tante und hatte vier Soehne, die die kleine Dattilografa zu heiraten gedachte. Zwei davon waren Zwillinge, einer davon wuerde Herr Dattilografa werden. Da der Onkel herzkrank war, hatte er feine rote Aederchen auf den Wangen. Er lachte viel und hatte eine dezente Zahnluecke auf der linken Seite. Aus irgendeinem Grund hatten Onkel und Tante beschlossen, das Gelaende der Irren, wo sie in einem angrenzenden Haus wohnten, zu verlassen, und ein eigenes Haus zu bauen. Das hat der Onkel nicht ueberlebt.
Am Tag nach der "Tragoedie" sage ich zu MM, er soll nicht mehr so viel arbeiten, es ist wurscht, wie lange wir da noch im Zement hausen. Ja, sagt er, er sei muede.
Jetzt muss ich nicht nur immer nachschauen, ob die Kinder noch atmen, sondern auch, ob MM noch am Leben ist.
Und der Onkel hat seinen Doppelgaenger in unserem herzkranken Obermaurer gefunden, der hier ueberall seine Spuren hinterlassen hat. Wer doppelt so viel Geld wie wir in seine Hausrenovierung stecken kann, der hat jetzt entweder ein fertiges Haus oder eben eine Baustelle, auf der er nicht unbedingt leben muss. MM bezeichnet es ein Glueck, dass wir hier sind und alle Maengel selbst kennenlernen koennen und ich glaube, das meint er gar nicht esoterisch. Beim ersten starken Regen haenge ich am Telefon und bruelle: wer ist fuer diesen Swimmingpool vor dem Haus verantwortlich? Ich sehe mich schon mit dem Regenmantel Cape-Fear-artig den Obermaurer abstechen, bis MM mir sagt, ich soll die Blaetter von den Abflussloechern im Boden nehmen. Es gibt also einiges, was ich finde, dass der Obermaurer mit seinem Team nicht so toll gemacht hat, oder zumindest moechte ich ihm gerne einiges unterstellen, aber dennoch freue ich mich immer, wenn ich ihn in seinem roten Lastwagen oder in seinem ebenso roten Fiorino auf der Strasse treffe, denn er ist eben, wie ich seit meiner heutigen Dusche weiss, die Reinkarnation von Onkel Bert. Operieren hat er sich auch noch nicht lassen, komisch, dass die Angst, sich das Brustbein zertruemmern zu lassen, groesser ist, als die Angst, zu sterben. Weil wir uns das Sterben nicht vorstellen koennen, das Zertruemmern aber schon.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen