Dienstag, 29. November 2011

wie man wegen 28 euro 88 in tilt kommen kann

Default. Höre ich jetzt immer im Radio.Ist das der Ausgangspunkt? Kann mich jemand dorthin versetzen? Es handelt sich aber auch um Bankrott, komisch, nicht? Ich möchte meinen Mann anrufen und ihn bitten, mir zu sagen, dass ich toll bin und dass er mich liebt. Ich möchte mein Freundin anrufen und sie bitten, mich übers Telefon an der Hand zu halten. Aber ich weiß, es ist kindisch, denn was sie mir sagen, kann ich mir selbst auch sagen. Ich suche seit einem halben Tag eine rechnung über 28 Euro und 88 Cent. Sie ist nämlich wieder aufgetaucht, die Rechnung, auf der ich schon unter Anleitung meiner mit mir ausmistenden Freundin geschrieben habe: muss ich das bezahlen? Ist das schon bezahlt?
Ich weiß es noch immer nicht. Aber auf der Suche nach der Antwort sind immer neue Zettel aufgetaucht, nicht eingeordnete Rechnungen aus dem Jahre Schnee, Mäppchen, Hüllen, Adventkalender, Kontoauszüge, Versicherungsverträge, Fahrscheine, Flugbilettes, Kuverts mit Rechnungen,Blocks mit Mensatickets, Einkaufslisten, Gebrauchsanleitungen. Oh mein Gott. Wie kann man nur so schlampig sein.
Ich habe bereits mit der Institution, die das Geld eintreibt, telefoniert. Aber da die Rechnung nicht auf mich ausgestellt ist, kann ich nicht erfahren, ob die Rechnung bezahlt wurde. Zu der Frau, die die Rechnung eigentlich bezahlen müsste, die Vorbesitzerin unseres Hauses, möchte ich nicht gehen, denn ich glaube, danach bräuchte ich eine Stunde mit einem Gesprächstherapeuten, die mich mehr als 28 Euro 88 kostet. Mein Kopf hat sich eckig geformt, ich spüre das ganz genau. Ich habe einen Kopf wie Sponge-Bob, nur ist meiner weiß und ganz unten steht, bitte in diese Zeile nichts schreiben.
Es geht um die Müllabfuhr aus dem Jahre 2009. Seufz.
Ich rufe es in die Welt hinaus: Leute, ordnet eure Sachen, hier, jetzt, sofort. Wartet nicht eine Sekunde länger, wenn ihr nicht wollt, dass eure Schultern schmerzen, es in eurem eckigen Kopf dröhnt und ich wegen der vergleichsweise geringen Summe von 28 Euro 88 weinen möchtet.
Ich möchte auch nicht weinen, weil ich diese Summe nicht bezahlen kann, sondern weil ich nicht weiß, ob ich sie bereits bezahlt habe, andernfalls, warum ich sie nicht bezahlt habe und vor allem wo die Originalrechnung ist, denn bei der aktuellen handelt es sich bereits um eine Mahnung. Sponge-Bob-Ich hat eine tiefe Falte quer über den ganzen schachtelförmigen Schädel.
Tief durchatmen.
Geh an die frische Luft, sagt die Stimme, die zu der gehört, die ich bis heute Morgen war. Geh an die frische Luft. Und kauf einen Schredder. Und dann zurück an den Start.

Montag, 21. November 2011

Mit den Kids im Kino

Unter Schock. Schlechter Tag. Schlechtester Tag. Am Rande der Depression. Das überzogene Konto zieht die Mundwinkel bis zu den Schuhsohlen.
Und das wäre alles weniger schlimm, wenn ich nicht gestern diesen entsetzlichen Schmarrn gesehen hätte.
"Ich bin die einzige Alte", flüstere ich dem Rallyefahrer zu. "Nein," sagt er, da ist noch eine Dicke am Rand unserer Reihe."
Abgesehen von der Dicken und mir sind alle zwischen 12 und zwanzig (nur das Kind ist zu klein), vor allem Mädchen mit langen Haaren und dann noch ein paar Jungs mit gezupften Augenbrauen.

Ich bin in "Breaking Dawn" gelandet, dem brandneuen Teil der "Twilight Saga". Bella heiratet Edward, den Vampir.
Nach drei Minuten beglückwünsche ich mich zu meinem Stoizismus. MM hätte sich bereits aus dem Kino geschlichen. Aber der ist in weiser Voraussicht nicht mitgekommen.
Die Mädchen vor mir unterdrücken spitze Schreie, als Bella auftritt und halten sich an den Händen.
Warum will Bella unbedingt den Vampir heiraten und ganz stark sein und alles aushalten? Sie wird das schaffen, verspricht sie. Sie ist 18.
Sie tut sich schwer in den hochhackigen Hochzeitsschuhen zu gehen und schlüpft erleichtert in ihre flachen Tennisschuhe von All Star.
Edward taucht auf. Ihr Gesichtsausdruck möchte von unendlicher zärtlicher Liebe sprechen. Ich bekomme Beklemmungen, weil ich es nicht verstehen kann. Was hat der Mann Liebenswertes? Er ist Vampir und schaut so aus, als hätte er permanente Sorgen und/oder Zahnschmerzen.
Gut, trotz blutbefleckter Alpträume heiratet sie ihn (sie hat während des Gangs zum Altar ein Haar im Mundwinkel, was mich fast rasend macht. Hat das während der Aufnahmen niemand gesehen? Ist das Sinnbild für ihr verklärtes Inneres, dem solche Äußerlichkeiten nichts anhaben können?). Ich denke, meine Jungs werden spätestens in der Pause gehen wollen. Das Kind ist fasziniert, weil ihm Hochzeiten gefallen. Die ganze Action dauert unendlich. Endlich tauchen die Wölfe auf, der einzige Grund, warum ich nicht zu weinen beginne, denn das sind alles hübsche Jungs, Indianer oder zumindest sehen sie ao aus und als Wölfe grummeln sie dann böse vor sich hin und fletschen die Zähne. Außerdem gibt es viele tiefe Wälder zu sehen und in einem steht das schöne, warm erleuchtete Haus der Vampire mit viel Holz und vielen Büchern.
Möglicherweise handelt es sich um einen Film über Magersucht, denn Bella muss nach vollzogenem ehelichen Beischlaf (musste sie deshalb heiraten? Nicht der einzige Punkt, in dem der Film an das 18. Jahrhundert erinnert) bald erbrechen, ist binnen zwei Wochen wahnsinnig schwanger (mit einem Dämon) und wird ganz ganz, ja fast schon geschmacklos dünn. Das ist ihr aber egal, weil sie ist ja sonst so stark und will natürlich das Kind behalten.
Im letzten Drittel des Films wird das Kind aus dem Bauch geholt (dieser wird nicht wieder zugenäht, und dann wundert man sich, dass Bella stirbt) und Bella stirbt. Edward, der Vampir, macht eine etwa zehnminütige Herzmassage, die auch kräftigeren Menschen die Eingeweide zerstört hätte und injiziert ihr schließlich sein Gift. Dazwischen heulen zum Glück die Wölfe.
Bella setzt sich innerlich wieder zusammen, man sieht Makroaufnahmen oder zumindest Als-Ob-Makroaufnahmen, in denen Blut herumflitzt und ich denke sehnsüchtig an CSI. Bella wird wieder fleischig und immer schöner.
Zum Schluss schlägt sie die Augen auf, welche rot geworden sind, wie die der Vampire.
Wir warten auf den zweiten Teil.

Ich möchte mir sehr gerne einen Orden für besonders vorbildliche Mutterschaft verleihen, weil ich mir diesen Film mit meinen Kindern (die übrigens zu meiner Überraschung nicht das Kino verlassen wollten) angesehen habe.

Zu Hause (oh Glück, ich durfte aus dem Kino nach Hause kommen!) sage ich zu MM, dass Jane Austens "Stolz und Vorurteil" ein feministisches Frühwerk gegen diese Scheiße ist. Und plopp, eine minimale Recherche im Internet bringt es ans Tageslicht: Die Autorin der Twilight-Saga, Stephanie Meyer ist eine Verehrerin von Jane Austen.

Ich hoffe nun sehr, dass das Kind seine Fragerei zum Thema Geburt einstellt. Diese blutige Sequenz ist nicht nur für Neunjährige verstörend. Vielleicht wurde Bella ja auch schnell zugenäht und ich habe gerade aus Grausen gerade nicht hingeschaut.

Aber im Internet zu diesem Schwachsinn zu recherchieren fettet mein onto auch nicht auf und wenn meine Laune nicht bald besser wird, befürchte ich, dass ich mich wie Jacob in einen zähnefletschenden Wolf verwandeln werde. Und wer wird mein erstes Opfer sein?

Donnerstag, 17. November 2011

Der geheime Freund

Da ich zur Zeit nicht aus Gründen der Arbeit an meinen Schreibtisch gefesselt bin, mache ich die unglaublichsten Dinge: Ich gehe auf die Gemeinde und gebe dem Bürgermeister (zumindest seinem Büro) bekannt, dass das Kind keinen Fisch ist und bitte am Freitag in der Schulmensa was anderes bekommen soll, was, ist nicht so wichtig. Ich gebe das Formular zur Volksbefragung ab. Ich bezahle die Rechnung der Müllabfuhr. Ja, tatsächlich. Keine Mahnung. Ich gebe die Bons für die Gratisschulbücher in der kleinen Buchhandlung ab. Ich betreibe small talk mit allen Nachbarn. Ich bin nicht beleidigt, als der alte Herr, der mit seinem Leinensack und seinem Stock auf der Straße wandert, auf meine Frage: "Wo gehen sie denn hin?" mit "Wer SIND sie?" antwortet. "Ich bin die, die ihre Kinder immer zum Schulbus bringt, ich wohne da unten." Aha.
Das Leben ist so fröhlich geworden, seit wir dann doch recht unspektakulär "Bye bye Silvio" gesungen haben.
Ich ordne die Rechnungen vom E-Werk ein und lösche tausende E-mails. Das verringert zwar nicht den materiellen Mist, aber angeblich befreit es den Geist. Und mein Geist fühlt sich schon beängstigend frei an.
Gestern abend sage ich beim Essen: "Ich hatte heute einen wirklich guten Tag, ich habe meinen Drucker nach mehr als einem Jahr zum Funktionieren gebracht und den Impfpass vom Hund gefunden." "Ich auch!" ruft das Kind sofort. "Ich war super in der Schule und auch super in der Tanzschule!" Dem Rallyefahrer bleibt die Hand mit der Karotte, die er gerade in den Mund schieben wollte, in der Luft stehen, er wirft seinem großen Bruder einen Blick zu, der sagen will: "Super in der Schule? Was redet der da? Hoffentlich fragt mich jetzt keiner, ob ich auch super in der Schule war." MM und ich schauen uns auch atemlos an. Ist das Kind übergeschnappt? Das Kind ist NIE super in der Schule. Die Lehrerin beschwert sich über das Kind. Das Kind stopft vergnügt Auberginenomelett in den Mund. Vielleicht ist seine Überzeugung so stark, dass eines Tages auch die Lehrerin glaubt, dass er super ist? Alle beginnen vorsichtig wieder zu atmen.

Die Nächte sind lang und sternenklar. Ich möchte nicht mehr auf dem Dach liegen und mir von einem nicht näher definierten Prinzen durchs Haar streichen lassen. Gestern hat MM zum ersten Mal eingeheizt und das war mir weitaus sympathischer als der Prinz da draußen auf seinem Pferd, der sicher eine ganz kalte Nase hat. Obwohl ich mir natürlich immer noch wünsche, dass der platonische Verehrer mich anruft und sagt: "WIE machst du das alles?!", bin ich mit dem Wünschen sehr vorsichtig geworden. Ich habe nämlich eine sms bekommen. Ich habe schon gemerkt, dass eine mir unbekannte Nummer versucht, mich zu erreichen, aber ich habe zu Hause keinen Mobilfunkempfang, was gut und schlecht und auf jeden Fall gewöhnungsbedürftig ist, und ich empfange sms, wenn ich die Kinder zum Schulbus bringe. Und da schreibt die unbekannte Nummer: "Wo bist du gestern morgen hingefahren, mit dem Auto deines Mannes?" Dann kommt ein komisches Wort mit vielen "o"s und "c"s, ich interpretiere es als unschön. Dann schreibt er: Buona notte, amis. Na zumindest das ist nett.
Erst bin ich erschrocken. Wo bin ich denn hingefahren mit dem Auto meines Mannes? Als ich mir selbst "nirgendwohin" antworte, kommt mir der Verdacht, dass es sich um einen Scherz handelt. Jungs im Schulbus, die Tanten anrufen. Das haben wir auch gemacht: "Guten Tag, sie haben 1000 Rollen Klopapier gewonnen, hahahaha," klick.
Dann denke ich, jemand hat die Nummer falsch eingegeben. Amis ist sicher amico segreto, der geheime Freund. Ich möchte ihn nicht, nein danke. Das ist die Kehrseite der Medaille, die Rückseite der Verehrung. Das Ansprüche erheben.
Ich beneide sie nicht, die heimliche Geliebte, die sich rechtfertigen muss, wenn sie das Auto ihres Mannes benutzt. Hoffentlich sagt er ihr wenigstens, wie wahnsinnig großartig sie ist, und wie toll sie alles macht.