Donnerstag, 17. November 2011

Der geheime Freund

Da ich zur Zeit nicht aus Gründen der Arbeit an meinen Schreibtisch gefesselt bin, mache ich die unglaublichsten Dinge: Ich gehe auf die Gemeinde und gebe dem Bürgermeister (zumindest seinem Büro) bekannt, dass das Kind keinen Fisch ist und bitte am Freitag in der Schulmensa was anderes bekommen soll, was, ist nicht so wichtig. Ich gebe das Formular zur Volksbefragung ab. Ich bezahle die Rechnung der Müllabfuhr. Ja, tatsächlich. Keine Mahnung. Ich gebe die Bons für die Gratisschulbücher in der kleinen Buchhandlung ab. Ich betreibe small talk mit allen Nachbarn. Ich bin nicht beleidigt, als der alte Herr, der mit seinem Leinensack und seinem Stock auf der Straße wandert, auf meine Frage: "Wo gehen sie denn hin?" mit "Wer SIND sie?" antwortet. "Ich bin die, die ihre Kinder immer zum Schulbus bringt, ich wohne da unten." Aha.
Das Leben ist so fröhlich geworden, seit wir dann doch recht unspektakulär "Bye bye Silvio" gesungen haben.
Ich ordne die Rechnungen vom E-Werk ein und lösche tausende E-mails. Das verringert zwar nicht den materiellen Mist, aber angeblich befreit es den Geist. Und mein Geist fühlt sich schon beängstigend frei an.
Gestern abend sage ich beim Essen: "Ich hatte heute einen wirklich guten Tag, ich habe meinen Drucker nach mehr als einem Jahr zum Funktionieren gebracht und den Impfpass vom Hund gefunden." "Ich auch!" ruft das Kind sofort. "Ich war super in der Schule und auch super in der Tanzschule!" Dem Rallyefahrer bleibt die Hand mit der Karotte, die er gerade in den Mund schieben wollte, in der Luft stehen, er wirft seinem großen Bruder einen Blick zu, der sagen will: "Super in der Schule? Was redet der da? Hoffentlich fragt mich jetzt keiner, ob ich auch super in der Schule war." MM und ich schauen uns auch atemlos an. Ist das Kind übergeschnappt? Das Kind ist NIE super in der Schule. Die Lehrerin beschwert sich über das Kind. Das Kind stopft vergnügt Auberginenomelett in den Mund. Vielleicht ist seine Überzeugung so stark, dass eines Tages auch die Lehrerin glaubt, dass er super ist? Alle beginnen vorsichtig wieder zu atmen.

Die Nächte sind lang und sternenklar. Ich möchte nicht mehr auf dem Dach liegen und mir von einem nicht näher definierten Prinzen durchs Haar streichen lassen. Gestern hat MM zum ersten Mal eingeheizt und das war mir weitaus sympathischer als der Prinz da draußen auf seinem Pferd, der sicher eine ganz kalte Nase hat. Obwohl ich mir natürlich immer noch wünsche, dass der platonische Verehrer mich anruft und sagt: "WIE machst du das alles?!", bin ich mit dem Wünschen sehr vorsichtig geworden. Ich habe nämlich eine sms bekommen. Ich habe schon gemerkt, dass eine mir unbekannte Nummer versucht, mich zu erreichen, aber ich habe zu Hause keinen Mobilfunkempfang, was gut und schlecht und auf jeden Fall gewöhnungsbedürftig ist, und ich empfange sms, wenn ich die Kinder zum Schulbus bringe. Und da schreibt die unbekannte Nummer: "Wo bist du gestern morgen hingefahren, mit dem Auto deines Mannes?" Dann kommt ein komisches Wort mit vielen "o"s und "c"s, ich interpretiere es als unschön. Dann schreibt er: Buona notte, amis. Na zumindest das ist nett.
Erst bin ich erschrocken. Wo bin ich denn hingefahren mit dem Auto meines Mannes? Als ich mir selbst "nirgendwohin" antworte, kommt mir der Verdacht, dass es sich um einen Scherz handelt. Jungs im Schulbus, die Tanten anrufen. Das haben wir auch gemacht: "Guten Tag, sie haben 1000 Rollen Klopapier gewonnen, hahahaha," klick.
Dann denke ich, jemand hat die Nummer falsch eingegeben. Amis ist sicher amico segreto, der geheime Freund. Ich möchte ihn nicht, nein danke. Das ist die Kehrseite der Medaille, die Rückseite der Verehrung. Das Ansprüche erheben.
Ich beneide sie nicht, die heimliche Geliebte, die sich rechtfertigen muss, wenn sie das Auto ihres Mannes benutzt. Hoffentlich sagt er ihr wenigstens, wie wahnsinnig großartig sie ist, und wie toll sie alles macht.

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