Dienstag, 17. Mai 2011

volevo sentire la tua voce

Im Autobus sitzt ein Junge vor mir. Er wirkt wie siebzehn, unfrisiert und mit leichtem Bartwuchs. Ich beginne vor mich hinzudämmern, als mich seine Stimme aufschreckt, die unerwartet fest und laut ist: "Störe ich dich?" Es gibt schlimmere Anfänge von Telefonaten. Stille. "Ich hab's mir gedacht. Ich wollte nur deine Stimme hören. Bis später."
Zuerst denke ich, beachtlich, das aus dem Munde eines jungen Mannes. Sowas sagen doch nur Frauen. (Ich habe das einmal auf dem Anrufbeantworter meines damaligen Freundes gehört. Es war aber nicht meine Stimme. Warum auch? Ich war ja da. Die Frau, die nur seine Stimme hören wollte, sprach mich einmal auf der Straße an. Sie teilte mir mit, dass sie ohnehin nur einmal mit meinem Freund geschlafen hätte, und dass sie dann festgestellt hätte, dass es das nicht bringe. Zu meiner Beruhigung.) Diese Reminiszenz bringt mich auf den Gedanken, dass dieses Bedürfnis, die Stimme des anderen zu hören vielleicht gar nicht so nett ist. Wenn die Frau, die er anrief, schwer beschäftigt ist, und er ohnehin weiß, dass sie keine Zeit hat? Vielleicht ist der harmlos wirkende nette Bursche ein Stalker? Mir fällt ein, dass ich immer häufiger im Radio höre, dass junge Männer ihre Freundinnen erstechen, erschießen oder erschlagen, weil diese mit einem anderen zusammen sein wollen und die jungen Männer das nicht ertragen können. Komisch, vor zwanzig oder dreißig Jahren haben wir das alle ertragen. Ich fühlte mich trotz einiger Freiheiten (besser:Frechheiten) nie in Lebensgefahr und selbst die Frau, die nur einmal das enttäuschende Liebeserlebnis mit meinem Gefährten hatte, hat mich zu keinen Handgreiflichkeiten animiert. Was ist das? Ich möchte das wirklich wissen - warum das Leben heute so billig ist. Warum das Leben von Frauen so wenig wert ist. Und warum die Männer dann nicht ohne die Frauen leben können, wenn sie ohnehin umzubringen sind. Ich möchte mich in die Untiefen dieser Seelen begeben. Ich begebe mich zuerst der Einfachheit halber in meine, und da wird es mir schon schwarz vor den Augen.

Montag, 16. Mai 2011

more reading than writing

Genau in dem Moment, in dem ich beschließe, regelmäßigere Blogeintragungen vorzunehmen, geht blogger für Tage in tilt. Da kann die italienische Regierung ausnahmsweise nichts dafür. Während ich vor Schreibdrang zitternd am Schreibtisch sitze und die leicht verzweifelten Tweets der Blogger auf Twitter verfolge, lese ich auch andere blogs, von Menschen, die sich schon eine Domain gesichert haben und nicht so Freizeitblogger wie unsereins sind. Das Ergebnis meiner tagelangen Lektüre stimmt mich sehr unruhig. Ein Mann, der sein blog dem löblichen Vorhaben widmet, einen Marathon zu laufen, ohne Fleisch zu essen, verkündet, dass wir eine Stunde pro Tag mehr Zeit haben werden und also ALLES tun können, wenn wir, wie er, Kabel-TV kündigen. Da ich schon jahrelang keine Art von Fernsehen konsumiere, habe ich meine Stunde pro Tag schon lange einfach bewusstlos konsumiert. Verdammt!
Ich lese auch sehr gerne blogs, die auf irgendeine Weise das Wort simple im Titel tragen. Begierig sauge ich in mich hinein, auf welche elf Arten ich produktiver leben kann, ich bin versucht, mir ein Kleid nähen zu lassen (ich muss ja ohnehin wegen den Theaterkostümen zur Schneiderin), welches ich ein ganzes Jahre lang täglich tragen kann (geht auch verkehrtrum und man braucht 365 Accessoires), ich lese sieben unfehlbare Tipps, um natürlicher und billiger mein Haus zu pflegen, und ich bin maßlos enttäuscht. Außer der Erkenntnis, dass Wasserstoffperoxid Schimmel entfernt, habe ich schon alle Erkenntnisse gehabt, und ich denke, ich muss ein Fernsehteam zu mir einladen, denn produktiver als ich kann man gar nicht sein: ich mache mein Bett, meine Kinder machen das ihre, ich gehe früh schlafen und ich stehe früh auf, ich koche homemade organic food, meinen Kleiderkasten muss ich nicht ausmisten, weil ich ohnehin nichts anzuziehen habe, ich lächle, auch wenn mir nicht danach ist (fake it until you make it) und ich wasche pro Tag eine Ladung Wäsche. Warum bitte funktioniert bei mir nicht, was bei den Amerikaner offenbar hinhaut: A laundry a day keeps CHAOS away. Ich wasche immer weiter, unverdrossen. Eines Tages werde ich genug gewaschen haben und es wird passieren: Es ist kein Chaos mehr da. In der Zwischenzeit kaufe ich eine Domain für mein blog mit dem Titel: das komplizierte Leben oder wie ich monatelang trotz Befolgung aller guten Ratschläge zwischen unausgepackten Kisten saß und mein Garten verwilderte.

Donnerstag, 12. Mai 2011

una casa americana

Letzte Woche fand das Geburstagsfest des Rallyefahrers statt. Da seine Schule 45 Minuten von unserem Haus entfernt liegt, war die Abmachung folgendermaßen: das Auto hat sieben Plätze, er wird 12 und darf vorne sitzen. (Alle Italienier und Italienerinnen finden mich zutiefst suspekt, wenn ich darüber spreche, dass Kinder ab 12 Jahren im Auto vorne sitzen dürfen. Ich denke, sie glauben, dass ich einer Sekte angehöre.) Er informiert fünf Schulfreunde, ich rufe deren Mütter an, hole gemeinsam mit ihm die Jungs am Geburstag ab und bringe sie abends wieder nach Hause. Big Deal for me: keine Mütter. "Das kann ich von Ihnen nicht erwarten, dass Sie Ihr Kind so weit fahren", sage ich geheuchelt demütig am Telefon zu den Eltern. Alle sind froh, nur Frau Begünstigt macht mir fast einen Strich durch die Rechnung: "Kein Problem!" kräht sie, "ich bringe dir alle!" "Nononononono!" sage ich bestimmt.

Als wir auf unser Haus zufahren, sagt einer zum Rallyefahrer: "Ist dein Haus schön?" " Das weiß ich nicht, das musst du entscheiden", sagt der Rallyfahrer mit seiner minimalistischen Lebensphilosophie. Die Jungs purzeln aus dem Auto und rasen auf das Haus zu. Der erste Sturz. Sie umarmen erst den großen Bruder des Rallyefahrers, der den Hausherrn gibt. Dann rennen sie ins Haus. Schreie der Zustimmung. "WOW!" "Es ist riesig" "Es ist wie amerikanisch!". Dann die Bücher. "Schau mal die vielen Bücher!", Ehrfurcht (Grauen?). "Ich glaube, das ist eine Bibliothek!"

Danach mehrere Stunden im Laufschritt, der große Bruder hat die Carrera-Autobahn aufgebaut, sie hat großen Erfolg, der dann von den fernsteuerbaren Jeeps und den Fahrrädern getoppt wird. Nur der große Bruder und sein Freund gebärden sich als die Nerds der Situation.

Alle holen mit Geheul das Kind vom Schulbus ab, der Nerd im Trainingsanzug (Täuschung, es geht nicht ums Trainieren, sondern nur um möglischst geringen Zeitverlust beim Aufsklogehen) droht im Alter von 10 Jahren an einem Herzinfarkt zu sterben. Ja, bei uns geht es bergauf! Die anderen Jungs lassen sich im Schweinsgalopp die Steigung wieder runter.

Spannend wird es erst, als das Kind (mein Kind) Stöpsel Begünstigt stößt, als dieser trotz mehrmaliger Warnung den fernsteuerbaren Jeep durch eine Regenlacke fahren läßt. Stöpsel Begünstigt fliegt also ebenfalls in den Gatsch. Das hätte ich mir nie vom Kind gedacht und in seinem gemeingefährlichem Tun muss es nun neben mir in der Küche sitzen. Ich bereite meditativ Obstsalat zu. Schon lange war mir nicht so langweilig. Irgendwann fragt das Kind, ob es immer noch mein Schatten sein muss und ich befreie es. Es läuft beglückt weg und spielt ekstatisch mit Stöpsel Begünstigt. Ich glaube, ich verstehe nichts von Männerfreundschaften.

Auch dieser Tag geht zu Ende und unter konvulsivischen Hustenanfällen bringe ich die Kinder wieder nach Hause. Ein Kind schläft während der Fahrt und ich bekomme plötzlich Angst. Ich fordere ein anderes Kind auf, das schlafende Kind zu schütteln. Er atmet noch. Zum Glück kommt mein Verhalten den Kindern nicht komisch vor, sie wissen noch nicht, was Neurosen sind.
Ein Kind, das ich abgebe, sagt aufgeregt zu seiner Mutter: "Mamma, es war wunderschön, sie haben ein Haus alla americana!"
Ich schaue ihn liebevoll an. Ich glaube , ich muss mehr fernsehen, um zu verstehen, was er damit meint.

Mittwoch, 11. Mai 2011

Wiederaufnahme

Tatsächlich. Ich habe so lange nicht mehr geschrieben, dass ich die Adresse meines eigenen Blogs nicht mehr weiß. Ich atme durch den Mund. Meine Nase ist verstopft. Und wer weiß, was sonst noch alles. Ich habe etwa zwanzig Minuten Zeit. Das Kind ist zu Hause, da eine pensionierte Lehrerin gestorben ist und alle Lehrerinnen aufs Begräbnis gehen wollen. Daher entfällt nachmittags der Unterricht. Das Kind spielt Hund (Bubu) und besucht die Nachbarn. In zwanzig Minuten geht es zur anderen Schule. Dort proben die großen Kinder fieberhaft "I promessi sposi" für die Schulaufführung, die wahrscheinlich am selben Tag wie die Ballettaufführung des Kindes stattfinden wird. Da fällt mir ein, dass ich mit den Kindern zur Schneiderin muss. Ich dachte, das Stück sei modernisiert worden (schließlich muss sich der Rallyefahrer mit dem Internet verbinden), aber die Kostüme sollen aus 1861 (Einigung Italiens, alles dreht sich heuer um dieses Thema) stammen. Ich habe fast geweint, als ich das erfahren habe. Blöde habe ich zur Direktorin gesagt: Wie soll ich das machen? Als hätte ich gesagt: ich kann keinen Knopf annähen, bzw. brauche ich dazu eine Woche, wie sie sicher an den Schulschürzen meiner Kinder merken und kochen kann ich auch nicht, daher haben meine Kinder immer nur Mortadellabrote mit. Sie sagt kalt: Gehen sie zur Schneiderin und lässt Kopien der Kostüme aus einem Buch machen. Da sind Hemden mit Rüschen und Bundhosen und Jacken mit aufgeschlitzten Ärmeln, das kann man auch nicht als Hobbynäherin nachmachen. Wegen der Schuhe empfiehlt sie mir, zu den Chinesen zu gehen (ich bin da sonst nicht dafür, sagt sie entschuldigend) und China-Schuhe zu kaufen. Liebe Frau Direktor, die China-Schuhe, die Sie und ich in der Jugend getragen haben, gibt es wahrscheinlich seit zwanzig Jahren nicht mehr. All meine Gedanken kreisen um diese Schuhe, um diese Rüschen. Gestern war ein schlimmer Tag, da dem Rallyfahrer zwei Szenen entzogen wurden. Der Rallyefahrer war total beleidigt und ich ehrlich überrascht. Ich war schon überrascht, dass er seinen Text konnte. Ich war auch überrascht, dass die Direktorin sagte, er solle mit mehr "Ausdruck" rezitieren. Ich sagte ihr, da könne ich nichts machen, zu Hause sei er sehr ausdrucksvoll. Eigentlich wollte ich sagen: Das ist ihre Aufgabe, Frau Möchte-Gern-Regisseurin-Trampel. Zu Hause ist es zur praktischen Gewohnheit geworden, dass die Kinder rezitieren, während ich die Wäsche abnehme oder aufhänge. Der Text, den ich einsprechen muss, liegt dann auf dem Wäscheständer. Das hat dazu geführt, dass wir zum ersten Mal, seit wir ohne Putzfrau leben, nur etwa drei Waschmaschinen im Rückstau sind. Jetzt hat der Rallyefahrer kaum mehr Text und mir schwant Böses, was unsere Kleidung betrifft.