Montag, 24. Dezember 2018

Beauty lies in the eyes of the beholder

Die Datti war krank und konnte nicht nach Italien fliegen zu Weihnachten.
Der Körper der Datti hat sich mit undurchschaubaren Kombinationen an Viren und Bakterien geplagt, was das Hirn der Datti relativ weich gemacht hat, weswegen ihr alles wurscht war. Ein herrlicher Zustand, würde einem dabei jemand alle paar Stunden das gesamte Bettzeug wechseln.

Jetzt habe ich kein Fieber mehr und bilde mir ein, mein Hirn sei schon wieder ein bisschen kompakter. Bereit, jemanden belehren zu wollen, favourite pastime. Doch nein! Das Fieber hat den Effekt des "Ist mir doch wurscht" hinterlassen und entgegen meines ursprünglichen Impulses schreie ich nicht: "Behaltet euch eure Weihnachtswünsche, Leute!".

Nein, nach den Tagen des Herumwälzens in verschwitzten Leintüchern und der daraus resultierenden Weihnachtsabstinenz sehe ich mich verändert. Mein Haar ist grauer. Meine Hosen (jetzt ausse ausm Pyjama!) sitzen lockerer. Meine Toleranz ist größer!

Während die alte Datti noch grantelt und sagt: "Konsumwahnsinn. Ausgegrenzte Menschen. Geht's olle scheißn.", sagt die neue Datti: "Ok, ich habe begriffen, es geht um eine Tradition. Wer es will, kann es tun, wer nicht, kann zu Hause bleiben. An den Jesus denkt eh schon die längste Zeit keiner mehr in echt."

Gestern war in Ö1 eine Sendung, in dem Redakteure über ihr Weihnachten berichtet haben, dabei hat eine Frau ihren Bruder interviewt, der am Heiligen Abend immer allein zu Hause bleibt, weil er Weihnachten eigentlich nicht leiwand findet. Das Gute an diesem Tag sei für ihn, dass er still sei.

Das kann ich bestätigen. Ich als genötigte Weihnachstdissidentin habe ein Time-Out von allem. Das Kind ist nach Italien geflogen, es ist gerettet. Alle anderen sowieso. Ich kann das Buch fertig lesen, das ich im Januar 2018 begonnen habe. Es war nicht das einzige Buch, wie ich zu meiner Ehrenrettung betonen möchte, aber ich habe es immer wieder unterbrochen, 4321 von Paul Auster. In der Paperback-Ausgabe immerhin 1070 Seiten.

Ich kann nachdenken, über das, was ich nächstes Jahr machen will. Und was nicht (mehr).

Ich kann das Fenster mit der Nummer 24 vom Adventkalender des Kindes aufmachen und den Schokoladeweihnachtsmann essen. Ich hoffe, der noch grummelnde Bauch wird es verzeihen. Und das Kind auch.

Ich kann nachdenken, über das, was in diesem Jahr passiert ist. Und das ist nicht wenig. Darüber kann ich sogar dankbar sein. Wenn ich will.

Ich plädiere durchaus für einen Tag mit seiner Familie. Nichts gegen Weihnachten. Aber ich plädiere noch viel mehr für einen Tag mit sich alleine. Eben, zum Thema - besinnlich. Also wie wäre es, wenn - nein, ich weiß, man kann die Tradition nicht mehr ändern. Und die Kinder bekommen gerne Geschenke.

Und komischerweise bleiben einem die allein verbrachten Abende mehr in Erinnerung als die in Gesellschaft. All meine Sylvester verschwimmen ineinander. Den einzigen, den ich alleine verbracht habe, erinnere ich, als wäre es gestern gewesen. Am Mariahilfberg bei Gutenstein. Von all meinen Weihnachten bleibt eine unvollständige Rückschau. Während ich jetzt schon weiß, dass dieser erstmals allein verbrachte Heilige Abend besonders bleiben wird. Vielleicht ist er der erste von vielen? Vielleicht macht er unbändige Lust auf ein Familienfest im nächsten Jahr?
Vielleicht ist es auch der letzte, wer weiß?

Als Gefühl bleibt immer die Erinnerung an etwas Klares, Neues. An den potenziell nächsten Tag mit dem neuen, lang ersehnten Spielzeug, dem Schlummerle, der Puppenküche, der Barbie. Den Büchern von Hanni und Nanni und Bullerbü. Jetzt beginnt das Leben. Und dann noch Ferien, genug Zeit zum Spielen. Zum Lesen. Zum Schifahren auf dem Konstantinhügel. (in Wikepedia steht, dass der Konstantinhügel ein 7 m hohe Erhebung im Wiener Parter ist, das macht mich fast hysterisch...).

Irgendwann habe ich dieses Klare, Neue, zu vermissen begonnen. Ich habe begriffen, dass ich mich wahnsinnig auf Weihnachten gefreut habe, dass ich am Ende aber einfach müde war und nicht erfrischt. Und dass das Leben nicht mehr am nächsten Morgen neu begann.

Es sollte so sein am nächsten Tag: Man ist aufgewacht und war ausgeruht. Und man konnte spielen, mit den Sachen, die man sich so sehr gewünscht hatte. Man hatte keine anderen Verpflichtungen.

Meine Mutter, deren Kindheit von Kälte und Not geprägt war, wie ich ihren Erzählungen entnehmen kann, hatte eine Puppe. Ich glaube aus Holz und aus Stoff. Im Laufe eines Jahres war diese Puppe derangiert und zerstört und zu Weihnachten fand meine Mutter, das kleine Mädchen, das sie damals war, das kleine Mädchen, das sie heute wieder ist, die Puppe repariert unter dem Christbaum.
Dafür taugt Weihnachten.

Meine Mutter ist sehr großzügig mit ihren Weihnachtsgeschenken.

Sie hat auch noch eine andere Weihnachtsgeschichte. Ihr Vater, ein passionierter Pfeifenraucher, bekam zu Weihnachten immer Tabak geschenkt, der dann für ein Jahr anhielt. In seinem 88. Lebensjahr sagte er zu meiner Mutter, dem jüngsten seiner 12 Kinder, sie brauche keinen Tabak mehr zu schicken, er werde zu Weihnachten nicht mehr rauchen. Und tatsächlich sei er gestorben. Meine Mutter meinte, so werde es auch bei ihr sein, denn wie alle Menschen sucht sie Zusammenhänge in ihrem chaotischen Dasein.
Doch vor ein paar Tagen ist meine Mutter 88 geworden und als ich sagte: "Das hast du hinter dir, jetzt kannst du auch 90 werden", lachte sie ihr spitzbübisches Kleines-Mädchen-Lachen.

Weihnachten ist doch immer unverhofftes Glück. Oder lang ersehntes Glück. Oder Klarheit. Ausgeruhtheit. Ein Tag in einer Schneelandschaft. Der Wunsch und Wille etwas Neues zu beginnen.

Weihnachten kommt aus einer Erinnerung. Glücklich, wer eine solche hat, noch glücklicher, wenn diese gut ist.