Montag, 13. Dezember 2010

kollektive Bestrafungen

Vor einigen Wochen verlangten meine grossen Kinder von mir je 50 Cent, da sie das Tagebuch von Anna ersetzen mussten, das von unbekannten Vandalen zerstoert worden war. Jedes Kind in der Klasse musste 50 Cent zahlen. Ich wunderte mich sehr und fragte mich, ob ich auch alle zerstoerten und verlorenen Dinge der letzten Jahre in Rechnung stellen koennte. Ich sagte, wenn die Lehrerin Geld von mir will, soll sie mir das schreiben. Normalerweise sind meine Kinder nicht sonderlich schlau und einfallsreich wenn es um betruegerische Aktionen geht, aber man weiss nie. Die Lehrerin schrieb, sie wolle 50 Cent pro Kind fuer ein zerstoertes Tagebuch. Ich nahm mir vor, die Lehrerin zu fragen, ob sie die Eltern bestrafen wolle oder welche Lehre die Kinder aus dieser finanziellen Beteiligung der Eltern genau ziehen sollen. Dazu kam es aber natuerlich nie, ich hatte jedoch die Gelegenheit mit der Elternsprecherin darueber zu sprechen. Ich fragte sie, was mit diesem Tagebuch los sei. "Ach das!" Sie gestand mir, dass sich ihr Sohn weigerte, die 50 Cent zu zahlen, weil er nicht mal wisse, worum es da ging. Sie habe beschlossen, heimlich die 50 Cent fuer ihn zu bezahlen.
Nun erzaehlt mir der Rallyefahrer, waehrend wir gemeinsam eine Buecherkiste schleppen, dass vielleicht alle in der Klasse bestraft werden, wenn sich der Uebeltaeter nicht stelle, der Maria Rita in einem Brief geschrieben habe, sie stinke wie eine Wanze. Ich bin erleichtert: "Du warst das sicher nicht", sage ich zum Rallyefahrer, "du weisst ja nicht, wie man Wanze schreibt." "Tu puzzi come una ghifa" buchstabiert das Kind, aber er weiss es sicher erst seit dem Vorfall, denn wir nennen die gruenen fliegenden Wanzen "Stinker", da ausser MM niemand der hiesigen Sprache derart maechtig ist, so tief in die Ausdreucke der Flora und Fauna vorzudringen. Ich weiss, dass die Stinker "Jifa" im Dialekt heissen, seit ich Tomaten anbaue, die dann eben von der Jifa befallen werden. Fuer Maria Rita tut es mir leid. Der anonyme Taeter hat auch ihr Brot auf den Boden geworfen oder davon abgebissen, das wurde mir nicht ganz klar. Der Rallyefahrer ist sicher kein Freund von Maria Rita. Vielleicht hat er sich den schrecklichen Satz diktieren lassen? Mein grosser Sohn kann es auch nicht gewesen sein, denn die Zeitspanne, in der er diesen Satz schreibt, ist so gross, dass er unmoeglich so lange unbeobachtet sein konnte. Ich tippe auf eine eifersuechtige Rivalin. Was aber tun, wenn wirklich eine kollektive Bestrafung angewandt wird? In diesem Land, in dem der Ministerpraesident das Demokratieverstaendnis von einem ugandischen Machthaber hat, sind wir ohnehin kollektiv bestraft.

Mein Freund, der Schriftsteller raet mir, mich in den Gemeinderat meines neuen Orts waehlen zu lassen und so das Muellproblem selbst in die Hand zu nehmen. Nachdem ich das Kind zum Schulbus gebracht habe, denke ich darueber nach. Der Wind weht und ich denke, was ich alles hier veraendern moechte. Ich moechte ein Fahrverbot vor der Schule erwirken, das ist nicht so abwegig, im alten Ort ist das auch so. Hier hingegen herrscht bei Schulschluss ein unglaubliches Chaos aus im Schrittempo fahrenden Autos, rennenden Kindern und kreischenden Muettern. Ich bin dabei so verkrampft, dass ich unter den ersten sein werde, die unter einem Auto landen. Ich hasse es und ich stelle mir vor, wie das Fahrverbotsschild aufgestellt wird und mich am Tag danach ein aufgebrachter Elternteil, der sein Kind unbedingt vor der Schule ins Auto setzen muss, mit einer Lupara abknallt. Ich muss es anders machen. "Ich werde der Lehrerin sagen, dass ich das Kind spaeter von der Schule abholen werde, denn ich fuehle mich in diesem Verkehrswahnsinn nicht sicher, das werde ich sagen, soll ich mich aufregen oder cool bleiben?" frage ich MM spaeter. "Wieso machst du es nicht einfach, ohne darueber zu reden?" antwortet er. Ich schweige. "So werden wir die Welt nie veraendern!" gebe ich zu bedenken. "Warten wir halt bis morgen." sagt er. Ich hasse ihn, aber gleichzeitig bin ich froh, dass er nicht so ist, wie ich, das wuerde ich auch nicht aushalten. Besser, das Kind kommt mit dem Schulbus heim, aber das ist leider nicht immer moeglich.

Vor einigen Tagen fand hier die Carabinieri-Aktion Overloading statt, bei der insgesamt 77 Personen festgenommen werden, die im Verdacht stehen, einer kriminellen Organisation anzugehoeren und im Drogenhandel taetig zu sein. 23 davon waren aus unserem Ort. Sogar einer aus Difesa war dabei, dem Weiler oberhalb unseres Ortsteils. Seit Tagen fliegen Helikopter ueber unseren Koepfen. Einem Artikel im Internet entnehme ich, dass in den Bergen oberhalb unseres Orts 1900 indische Hanfpflanzen beschlagnahmt wurden, die im Auftrag eines Boss gepflanzt wurden. Der Ertrag kam den Familien von Inhaftierten zu Gute.

Ich sage zu MM, ich werde mich mal mit dem Abgeordnten fuer den Muell in Verbindung setzen. MM meint, dass in Orten wie unseren es besser sei, gleich mit dem Buergermeister zu reden. Am Samstag sehe ich ihn, er spricht anlaesslich einer Darbietung von Clowns im Stadttheater. Er ist sehr jung und er langweilt mich gleich. Er verspricht, dass nach Weihnachten die Ex-Miss-Italia und andere Kuenstler im Stadttheater auftreten werden. Ich werfe MM einen Blick zu, der sagen soll: Na hoffentlich sind die anderen Kuenstler auf dem Niveau der Miss Italia.
Ich denke, das wird schwierig mit der Muelltrennung. Der Wind weht immer noch und ich habe Zahnschmerzen.
Auf dem Huegel gegenueber ziehen Rauchschwaden. Ich denke an einen Satz, den ich eines Morgens im Radio gehoert habe, vielleicht von Saviano, bei dem es um die Feuer in der Landschaft um Neapel geht. Die Feuer, von den Muellhaufen, die verbrannt werden. Sie sehen schoen aus, zitiert der Radiosprecher. "Nur schade, dass sie Dioxin erzeugen."

Donnerstag, 25. November 2010

Die Versammlung

Anlaesslich des wunderbaren Projekts, das meine Kinder bis 17 Uhr in der Schule fest haelt, lud die Direktorin der Schule die Eltern zu einer Versammlung. Allein das Wort "Assemblea" loest bei mir die Hoffnung auf politische Unruhe aus und nur allzu gern organisiere ich den Tag so, dass ich zur Versammlung gehen kann. 33 Kinder aus zwei Klassen sollen an dem Projekt teilnehmen und es sind auch recht viele Muetter relativ puenktlich da, kein Vater. Auf einer Art Podium sitzt die Direktorin, flankiert von einem Lehrer und drei Lehrerinnen. Sie stellt kurz das Projekt vor, es geht um Mathematik. Das Projekt nimmt einen Umfang von 50 Stunden in Anspruch, was bedeutet, dass die Kinder, zusaetzlich zu den zwei Tagen, an denen sie in der Schule essen, weitere drei Tage nachmittags in der Schule bleiben muessen. Ab jetzt geht es nur noch um Wurstbrote. Die Direktorin sagt, die Eltern werden nun aufgerufen und sollen ja zum Projekt sagen und ja, wenn sie Mensaservice wollten. Das nehme allerdings viel Zeit in Anspruch, gibt die Direktorin zu bedenken. Ein Raunen geht durch die Menge. Die Direktorin hebt die Stimme: die Mehrheit entscheide. "Nein, Maestra, keine Mensa!" ruft eine Mutter. Hinter mir wird eine Stimme laut: "Also wenn es Mensa gibt, dann kann ich mein Kind nicht schicken, mein Kind isst nicht in der Mensa." "Anna kann nicht jeden Tag Pasta essen!" ruft eine andere Mutter. "Mein Sohn darf nicht so viele Wurstbrote essen!" kommt es aus einem anderen Eck. Die Stimmung wird aufgeheizt. "Du? Was meinst du?" sagt die Mutter vom Schulfreund zu mir. Ich sage, dass alles Vor- und Nachteile hat. Ich gebe nicht zu, dass ich so gemein waere, meine Kinder fuer 1,50 Euro jeden Tag der gesundheitsgefaehrdenden Mensa auszusetzen. Die Stimme hinter mir wird gellend, ich kenne die Stimme, sie gehoert einer Frau, die ich bis vor 30 Sekunden als meine Freundin bezeichnet haette. Jetzt finde ich sie bizarr: "Kann ich meinem Sohn etwas kochen und mitgeben?" "Una Cotoletta!" kommt die Loesung von einer anderen Seite. Die Dirketorin wackelt mit ihren langen Ohrringen: "Bitte geben Sie ihm mit, was sie wollen, wir Lehrer haben keine Zeit, zu kochen, wir sind auch den ganzen Tag hier, wir geben uns mit Panino, Mortadella und Mozzarella zufrieden..." will sie den beunruhigten Muettern Mut machen. "Wir koennten alle gemeinsam Pizza bestellen!" will die Elternvertreterin schlichten. "Aber das ist doch auch trocken!" wirft eine andere Mutter ein. Spaeter denke ich, dass die Kinder alle Suppe zu Mittag essen muessen. Alle reden durcheinander: " Pizza, Pasta asciutta, Panino, Polpette, Dolci!". Eine Mutter ruft: "Wir bringen ab und zu einen Kuchen!" Sie freut sich ueber ihre gelungene Meldung. Hinter mir gibt meine Freundin nicht auf: "Aber wenn es Mensa gibt, kann ich meinen Sohn mit nach Hause nehmen? Mein Sohn isst nicht in der Mensa!" Sie findet kein Gehoer, das Podium diskutiert mit anderen Frauen ueber das Essen. Sie wiederholt lautstark mehrmals ihre Anfrage. Wie will sie denn das machen, sie ist doch auch berufstaetig, frage ich mich. Sie sagt immer, sie will ihn holen. "Ist nicht die Mensa besser, als ein verschimmeltes Kotelett?" fragt mich die Mutter des Schulkollegen hinter vorgehaltener Hand. "Das verschimmelt doch, wenn du es am Vorabend machst." Ich spuere, wie ich Atemnot bekomme. Die Zeit laueft davon, ich habe nur eine Stunde davon. Ich will weder abends noch morgens kochen, ich sehe mich schon Pizza fuer 33 Kinder einkaufen, ich bekomme die Panik. Die Panik haben hier alle. Meine Freundin will immer noch wissen, ob sie ihr Kind mittags abholen kann, falls es Mensaservice gibt. Die Direktorin sagt: "Warten Sie ab, die Mehrheit entscheidet." "Ich will doch nur wissen, was ich tun soll!" schreit sie mittlerweile gellend. Ich weiss, dass sie ebenso muede ist wie ich. Wenn ich reden wuerde, wuerde sich meine Stimme wahrscheinlich auch ueberschlagen. Die Direktorin klopft mit dem Stift auf den Tisch. Wahrscheinlich findet sie die Muetter der Schueler noch unertraeglicher als die Schueler. Sie beginnt, die Muetter abzufragen. Zum Projekt sagen alle ja, zur Mensa nein. Als ich an der Reihe bin, sagt sie selbst zum Thema Mensa "Ja, oder?". Ich bin uberrascht und fuehle mich wie eine Streikbrecherin, wieso weiss sie, dass ich fuer die Mensa bin? Haelt sie mich fuer einen Kibbuznik oder die Mensa fuer eine Art Volkskueche? Im Endeffekt wird nicht mehr ueber die Mensa gesprochen, denn alle haben sich fuer das Panino entschieden. Eine Mutter sorgt noch fuer Aufsehen, denn sie meint, sie muesse ihr Kind ja wohl gezwungenermassen zum Projekt schicken. "Nein," sagt die Direktorin, "das ist hier kein Gefaengnis." Die Mutter wendet sich ab, will sie ihre Traenen verbergen? "Ich bin nicht dafuer, dass die Kinder den ganzen Tag in der Schule sind." sagt sie verschaemt. Ich denke, dann lass ihn halt zu Hause, und bekomme Herzklopfen, aus Angst, das von mir so geliebte Projekt koennte jetzt zertruemmert werden. Der Lehrer sagt: "Kommen sie, Signora, geben sie ihrem Herzen einen Stoss!", aber die Mutter ist skeptisch. Ihr Sohn ist der kluegste in der Klasse. Hat sie Angst, er wuerde seine Intelligenz verlieren, wenn er mehr als 5 Stunden in der Schule bliebe? Vielleicht sollte ich meine Kinder nachmittags zu ihr schicken? Die Direktorin will wissen, ob es sonst noch Fragen gibt, eine Mutter meint: "Brauchen die Kinder Hefte?" Ich finde diese Frau intelligent. Die Direktorin wirkt muede, sie sagt, ja, kariert. Dann bekreuzigt sie sich und sagt: "Mit der Hilfe Gottes werden wir dieses Projekt schaffen."
Danach stellt der Lehrer seine geplanten Bildungsreisen vor. Da legen sie wieder los, die Muetter. Die vor mir fragt, ob die Eltern auch mitfahren duerfen, weil die Reiseziele so toll sind (Magna Grecia: Sizilien - Agrigent und Syrakus). Es wirkt ein wenig wie ein Angebot an den Lehrer, der sagt: "Sperren sie ihre Pizzeria halt einmal ein paar Tage zu und machen sie eine Reise!" Hinter mir wird meine Freundin aktiv: "Francesco faehrt sicher auf keine Bildungsreise mit!" Eh klar, da wuerde er vermutlich verhungern.
Eine Woche nach der Versammlung, aus der ich schliesslich gehetzt weglaufe, um das Kind von der Schule abzuholen, frage ich die grossen Kinder, ob sie eigentlich in der Mensa haetten essen wollen."NEIN!" kommt es ohne Zweifel. Sie essen naemlich neben ihren Wurstbroten die guten Sachen, die meine Freundin fuer Francesco kocht.

Mittwoch, 24. November 2010

Lieblingsthema Schule

Was Saviano erzaehlt hat, geht mir nicht aus dem Kopf und ich muss immer an die Kinder denken, die in den Schulen in Crotone sitzen, in die der Giftmuell eingebaut ist. Vielleicht sind die Gebaeude ja geschlossen, was die Situation verbessern wuerde. Um mich zu beruhigen, denke ich an die Witze des Komikers Corrado Guzzanti, der ebenfalls in der Sendung "Vieni via con me" aufgetreten ist und dort eine Liste der Sprueche zum Besten gab, "die der Sendung nicht helfen werden". Einer von diesen war: "Der italienische Staat hat kein Geld fuer das Klopapier in den Schulen, Unterrichtsministerin Gelmini bittet, die Kinder mit bereits entleertem Darm in die Schule zu schicken." Das ist so lustig, weil es wahr ist. Letztes Jahr haben die Elternvertreter ueberlegt, ob sie eine Sammlung machen sollen, um das Klopapier zu kaufen.Im Moment spricht niemand davon, vielleicht hat sich ein privater Spender gefunden, ein lokaler Unternehmer zum Beispiel. Oder es gibt kein Klopapier und meine Kinder sagen nichts, weil sie mit einer Packung Taschentuecher ausgestattet sind? Ich muss nachfragen. Die Kinder gehen ohnehin ungern in der Schule aufs Klo, zumindest nicht, um sich dort zu entleeren. Daher sind zwei unserer drei Klos nach ihrem Heimkommen immer laenger besetzt, das dritte funktioniert entweder nicht, oder ich verteidige es, weil ich dort die Waschmaschine einraeume.
Mir persoenlich hat der Staat in Form der Schule meiner grossen Kinder ein Geschenk gemacht. Die Schule bekam ein Projekt bewilligt, in dem die Kinder 50 Stunden zusaetzlich Mathematik-Unterricht haben und daher bis Weihnachten jeden Tag bis 17 Uhr in der Schule sind. Da mein Leben bis vor 10 Tagen, bis vor dem wundersamen Auftauchen dieses Projekts, ein Kreuzweg war, der aus vormittaeglicher Arbeit und nachmittaeglichen Hausaufgaben bestand, sauge ich nun jede Minute meines Alleinseins begierig in mich auf, denn ab Januar heisst es dann wieder italienische Hausaufgaben korrigieren. Einmal habe ich meinen Sohn zu einer Poesie inspiriert zum Thema: Wenn ich der Herbst waere, mit welchen Farben wuerde ich mich kleiden. Leider strich die Lehrerin mit Rotstift das Gedicht durch und schrieb darunter: Rifare! Noch einmal schreiben. Ausserdem klebte auf dem Italienischheft des Kinds ein rosa Post-It, darauf stand: Der Rallyefahrer stoert, waehrend ich erklaere! Ich finde, das ist ihr Problem, aber ich fuehle mich genoetigt, erstens den Rallyefahrer zur Sau zu machen und am naechsten Tag wie Medea in der Schule einzufahren und die Lehrerin anzupfauchen. Sie sagt, sie mache das nur zu seinem Besten. "Das will ich hoffen". entschluepft es mir.
Daher bin ich dankbar, dass wir eine Zeit lang keine Italienischaufgaben machen muessen. Zum Glueck darf am Wochenende noch Geschichte und Geografie und Naturgeschichte gebueffelt werden, denn so erfahre ich etwas ueber das Steissbein und Alexander den Grossen. Ich druecke den begeisterten Kinder den Film Alexander von Oliver Stone rein und nach drei Minuten Film faellt MM ein, warum der Film von der Kritik mit Unbehagen aufgenommen wurde: er unterstreiche die vermutliche oder erwiesene Homosexualitaet Alexanders. Auweh! "Er hat ihn auf den Mund gekuesst!" stellt das Kind gleich verunsichert fest. "Sei still, das war damals so", ruegt ihn der Rallyefahrer und hoechstwahrscheinlich hat er recht. Das Ende sehe auch ich: Alexander wird in einer psychedelisch anmutenden Szene vom Pferd geworfen, sein Gegner sitzt auf einem sich aufbaeumenden Elefanten, die Bilder sind rot gefaerbt. Danach werden alle krank und die Maenner haben Kajal unter den Augen. Colin Farell als Alexander trinkt Gift und folgt seinem Geliebten Efaistos den Tod. Das Kind sagt: "Jetzt sind sie im Himmel wieder zusammen." Er versteht eben was von Liebe.
In Wikipedia lese ich, dass "Alexander" 2005 eine Art Oscar als schlechtester Film bekommen hat. Naja, manchmal darf man als eifrige Mutter auch daneben greifen.
Jedenfalls kommen nach den Griechen die Roemer im Geschichtebuch und Ben Hur haben wir bereits gesehen.

Dienstag, 23. November 2010

Vieni via con me

Auf der Suche nach einem wischfesten Filzstift (wie heisst denn das auf deutsch eigentlich), komme ich an meinem Computer vorbei. Im rosa Zimmer ist es dunkel, denn nun gibt sich der Sueden den Umwettern hin, die zuvor dem Norden zu schaffen machten. Die Zitronen unterhalb meines Fensters reifen dennoch unbeirrt. Das Baeumchen hat die Zementattacken der Maurer ueberlebt.
Vier Monate lang bin ich taeglich beruflich viele Stunden an meinem Computer gesessen, habe den Rest der Zeit meine Familie betreut und sonst recht wenig von der Welt mitbekommen. Seit einer Woche ist meine Arbeit fertig und ich bin ein Uebersiedlungsunternehmen geworden, das mit maessigem Erfolg schleppend vor sich hin arbeitet. Aber ich hoere nun stundenlang Radio und weiss wieder viel zu viel von dem, was in Italien abgeht. Gestern haben wir sogar fern gesehen, nachdem die Kinder im Bett waren. Auf einem winzigen TV-Geraet mit ausziehbarer Antenne, denn eine Satellitenschuessel oder aehnliches gibt es hier noch nicht. Es gibt naemlich noch die wenigen Momente, in denen die Menschen sagen duerfen, was sie denken, und eine dieser kostbaren Moeglichkeiten ist die Sendung "Vieni via con me" (ein Lied von Paolo Conte) von Fabio Fazio und Roberto Saviano. Wir sehen die Sendung gemeinsam mit 10 Millionen anderer Menschen, ist das nicht schoen? Was gesagt wird, ist nicht schoen, aber es tut gut, dass es gesagt wird. Dass der Berg des Muells, den die kriminellen Organisationen anhauefen, 15800 Meter hoch waere oder ist. Dass was in die Muellhalden um Neapel kommt, aus dem Norden stammt und dass damit Geld verdient wird und zwar viel. Allein 8 Milliarden Euro wurden fuer die Loesung des Problems in den letzten 10 Jahren ausgegeben. Geloest wurde das Problem laut Aussage des italienischen Premierministers nun rasch und effizient. In seiner Phantasie. Die Menschen werden fuer dumm verkauft und krank gemacht.
Wir, die wird nicht in der Gegend von Neapel leben, sondern noch naeher an Afrika, haben fuer unseren ganzen Ortsteil zwei Muelltonnen, die etwa drei Kilometer von unserem Haus entfernt sind. Als ich die Muellabfuhr auf der Gemeinde auf unseren Namen schreiben lassen will, rufe ich zuerst bei den Konsumentenvereinigung an und frage, ob es ein Gesetz gibt, das besagt, wie weit die Muelltonne der Gemeinde von den Buergern entfernt sein darf. Aber diesebezueglich gibt es nur eine Hygieneverordnung der Gemeinde. "Sie zahlen ohnehin weniger", sagt der Mann auf der Gemeinde irritiert. In unserem Ortsteil, der sich ueber einen Huegel erstreckt, muessen die Menschen ihren Mist mit dem Auto zur Tonne fahren. Wer kein Auto hat, bringt den Muell mit dem oeffentlichen kleinen Autobus. Muelltrennung gibt es keine. Es gibt in Sueditalien auch kaum Stellen, an denen man leere Batterien abgeben kann und bei meinen Versuchen, abgelaufene Medikamente in die Apotheke zu bringen, habe ich die Apothekerin in Angst versetzt. Ich denke, sie hat meine Medikamente in ihren Hausmuell geworfen. Natuerlich verbrennen die Menschen ihren Muell. Auf dem Huegel gegenueber unserem Haus sehe ich abends bei gutem Wetter immer eine kleine Rauchfahne, mal vor dem einen Haus, mal vor dem anderen. Ich bringe unsere leeren Weinflaschen zum Altglascontainer in den Ort, wo wir frueher gewohnt haben, ich zahle dort auch noch fuer den Muell, aber es gelingt mir nicht, die Flaschen in den Container zu stopfen. Hier hat schon lange kein Altglastransport stattgefunden.
Jetzt stapeln sich die leeren Weinflaschen neben den Kinderschuhen. Aber die Vorstellung, angesichts der Verwuestung unseres Planeten nur noch Wasser aus dem Krug zu trinken, ist auch nicht angenehm. Wo der ganze Mist hinkommt, weiss ich nicht. Aber als ich letztens hoerte, dass ein Radiopraesentator ein Buch geschrieben hat, in dem er die einzelnen Menschen auffordert, das ihre zur Problemloesung beizutragen und Muell zu trennen, haette ich fast beim Radio angerufen. Aber ich bin keine gute Anruferin. Ich bewundere all diese Menschen, denen Furchtbares angetan wird und die mit fester Stimme erzaehlen, was passiert ist. Ich hingegen habe vor ein paar Tagen bei einer Verkehrskontrolle aus Wut zu heulen begonnen, das habe ich allerdings niemandem erzaehlt. Wenn ich in der Schule anrufen muss, bittet mich MM, an Che Guevara zu denken, der die Revolution mit Zaertlichkeit gemacht hat. Dass MM an den Che denkt, erfuellt dann mich mit Zaertlichkeit, aber am Telefon moechte ich doch schreien, die Lehrerinnen lassen mich allerdings ohnehin nicht zu Wort kommen. Lieber doch im Radio anrufen, dort wird man wenigstens nicht unterbrochen.

Freitag, 22. Oktober 2010

Non è facile

Das Telefon der Dattilografa ist seit 2 Wochen ausser Betrieb und somit auch das Internet. Dabei haette Dattilografa viel zu schreiben. Zum Beispiel, dass wir vier Tage kein Wasser hatten, und dass die Telecom nach zahlreichen Anrufen von mir und dem Besuch eines Technikers heute feststellt, es waere nie ein Schaden gemeldet worden und ich koenne den Schaden nur melden, wenn ich zu Hause sei. Da ich aber zu Hause keinen Mobilfunkempfang habe, werde ich den Schaden, den ich vor zwei Wochen gemeldet habe, theoretisch nie melden koennen. So leben wir unbehelligt von der Aussenwelt in einem Roman von Franz Kafka. Dabei regnet es manchmal und manchmal so stark und so lang, dass Schlammmassen die Strasse versperren. Das sind apokalyptische Bilder, die sich da vor den Augen der Dattilografa auftun, die ihre Kinder auf dem Schulweg das 1x1 abfragt. 8x7 ist 56 und da liegt ein Baum auf der Strasse, 7x7 ist 49, hier rast braunes Wasser Treppen runter. Die Scheibenwischer quietschen.
Das war vor drei Tagen, heute sind noch Aufraeumarbeiten zu sehen, ueberall dort, wo ein betroffenes Gebiet ist, was in unserem neuen Ort zum Gleuck nicht der Fall ist, stehen Wischbesen vor den Tueren, kleine Bagger schaufeln immer noch Schlammberge weg. Geroell ist den Berghang runtergekommen. Alles ist braun. Als ich mit dem Autobus in der Stadt ankomme, bin ich sehr muede und zerknautscht. Du schaust aus, als kaemst du aus dem Krieg, sagt MM. So fuehle ich mich. Ich denke ja schon lange, dass in diesem Land irgendwann ein Buergerkrieg ausbrechen wird und ich glaube, er hat begonnen. In deolizei greift sie an. Hier sind die Schueler der hoeheren Schulen nicht mehr in der Schule, sondern auf der Strasse, an den Schulen haengen Leintuecher, auf denen steht: "Autogestione", Selbstverwaltung.
Auf meiner Autobusfahrt sehe ich unterhalb der Geroellhalde meinen gehenden Mann, halb in einer Muelltonne verschwunden. Es ist das erste Mal, dass ich ihn so sehe. sein Rucksack liegt neben ihm auf dem Boden. Er ist sehr gross, er kann sich auch in eine grosse Muelltonne beugen. "Prima di fare un lungo viaggio, pensa di non tornarci più" sang eben noch Irene Grandi aus dem Radio im Autobus. Bevor du eine lange Reise machst, stell dir vor, nicht mehr zurueck zu kommen. "Non è facile, ma è tutto qui." Es ist nicht leicht, aber es ist alles schon da. Es ist alles schon da. Aber viel ist es nicht.

Freitag, 8. Oktober 2010

Brillant

Freitags darf ich ausser Haus. Dann arbeite ich auswaerts. Als ich nach Hause komme, finde ich die Pasta mehr oder weniger fertig auf dem Tisch und rundherum mehr oder weniger nach mir sehnsuechtige kleine oder grosse Maenner. Bei Tisch sagt MM, er haette jemanden getroffen, der mich sehr gruessen liesse, ich solle raten wer, eine brillante Person. Ich sage: eine Frau oder ein Mann? Eine Frau. "Er hat dich verlassen" kommt es trocken von der Seite des Rallyefahrers, der eben etwa sechs Penne in den Mund steckt. Ich rate. Eine Frau, die MM um den Hals faellt und so brillant ist, zu sagen: wie war noch mal dein Name (?). Ich bezichtige Frauen unseres Bekanntenkreises dieses Schwachsinns. Aber es ist Mathilde. "Er hat dich verlassen." setzt der Rallyefahrer nach. Und schiebt wieder sechs bis sieben Penne in den entspannten Mund. Nein wirklich, Mathilde, Begeisterung.
Ich werde in Kenntnis gesetzt, was Mathilde eben macht. Ich finde Mathilde auch super. Der Rallyefahrer ist von seiner Theorie ueberzeugt, er steht auf mit den Worten: "Hat er dir je gesagt, dass du brillant bist?" traegt seinen Teller in die Kueche, holt einen Apfel, gibt mir ein Messer und sagt: "Bitte schaelen, so wie immer."
Mathilde hat auch zwei Soehne, die sind aber noch klein, sie wird sich noch wundern. In der Schule hat der Rallyefahrer schlechte Noten, weil er die Dinge, die er lernt, verwirrend wiedergibt, bzw. lange ueberhaupt nicht wiedergegeben hat, da er sich von Wiederholungen nicht betroffen fuehlte.
Und muede im Bett liegend sagt er: Ich kann es kaum erwarten, dass Sonntag ist. (Am Samstag ist aber ein Geburstagsfest!)Ich sage: Wieso, was ist am Sonntag? Nichts, antwortet er,dreht sich um und schlaeft ein.

Donnerstag, 7. Oktober 2010

back to the roots

Im neuen Haus, unter neuen Umstaenden, bekomme ich vom Leben draussen noch weniger mit als vorher. Silvio Berlusconi kann mich nicht mehr aergern.Ich fahre taeglich eineinhalb Stunden meine Kinder in die Schule und wieder nach Hause und das Autoradio funktioniert so schlecht, dass wir lieber ueber Zellstrukturen und die Polis der Griechen sprechen. (Oder ueber Computerspiele).
MM, der im Hier und Jetzt arbeitet, erzaehlt von der Donau und ich frage mich, ob ich da noch schreiben soll und darf was ich mir heute unter der Dusche gedacht habe.
Unter der Dusche denke ich an den Herzinfarkt und zwar nicht an meinen, sondern an den, von dem MM sich bedroht fuehlt. Vor ein paar Tagen haben MM und ich etwas, was der Rallyefahrer in einem Moment der Erkenntnis als "Tragoedie" bezeichnet, denn die Griechen hatten eben Komoedien (die kennen wir, da haben wir viele DVDs davon) und Tragoedien,da wo es nichts zu lachen gibt, das haben wir in der Realitaet. Das, was MM und ich hatten, war einfach ein gewaltiger Streit, aus Gruenden, die fuer andere banal sein moegen, denn keiner von uns beiden hat den anderen bei einem ausschweifenden ausserehelichen Sexualleben erwischt, nicht einmal beim Gedanken daran, und keiner wurde der Spiel-, Drogen- oder anderen Sucht verdaechtigt. Der Streit hatte es dennoch so in sich,dass ich bei einem heftigen Geraeusch aus dem oberen Stockwerk doch nachschauen ging, ob mein wuetender Ehemann nun mit einem Herzinfarkt auf dem Boden lag. Denn, und das dachte ich auch unter der Dusche, wir waeren nicht die ersten, die am Hausbau krepieren. MM lag allerdings nicht tot auf dem Boden, sondern auf dem Gaestebett, das er in sein unfertiges Arbeitszimmer gezogen hatte, und las die Zeitung.
Aber mein Onkel Bert ist am Haubau gestorben. Und ploetzlich war mir klar, unter dem heissen Wasser, dass vieles aus dem letzten Jahr mit dem Onkel zu tun hatte, der gestorben war, als ich vielleicht sechs Jahre alt war.
Der Onkel war Pfleger in einer Anstalt gewesen, die wir damals noch bedenkenlos Irrenhaus nannten. Am Sonntag wanderte die kleine Dattilografa mit ihrer Kakaoflasche in der Hand durch das Gelaende, auf dem die Irren mit ihren Lodenmaenteln unterwegs waren. Manche durften auch nicht spazieren gehen, die schrien aus den vergitterten Fenstern. Der Onkel war gross, sehr gross, sehr duenn, freundlich und herzkrank. Er war der Mann von der Tante und hatte vier Soehne, die die kleine Dattilografa zu heiraten gedachte. Zwei davon waren Zwillinge, einer davon wuerde Herr Dattilografa werden. Da der Onkel herzkrank war, hatte er feine rote Aederchen auf den Wangen. Er lachte viel und hatte eine dezente Zahnluecke auf der linken Seite. Aus irgendeinem Grund hatten Onkel und Tante beschlossen, das Gelaende der Irren, wo sie in einem angrenzenden Haus wohnten, zu verlassen, und ein eigenes Haus zu bauen. Das hat der Onkel nicht ueberlebt.
Am Tag nach der "Tragoedie" sage ich zu MM, er soll nicht mehr so viel arbeiten, es ist wurscht, wie lange wir da noch im Zement hausen. Ja, sagt er, er sei muede.
Jetzt muss ich nicht nur immer nachschauen, ob die Kinder noch atmen, sondern auch, ob MM noch am Leben ist.
Und der Onkel hat seinen Doppelgaenger in unserem herzkranken Obermaurer gefunden, der hier ueberall seine Spuren hinterlassen hat. Wer doppelt so viel Geld wie wir in seine Hausrenovierung stecken kann, der hat jetzt entweder ein fertiges Haus oder eben eine Baustelle, auf der er nicht unbedingt leben muss. MM bezeichnet es ein Glueck, dass wir hier sind und alle Maengel selbst kennenlernen koennen und ich glaube, das meint er gar nicht esoterisch. Beim ersten starken Regen haenge ich am Telefon und bruelle: wer ist fuer diesen Swimmingpool vor dem Haus verantwortlich? Ich sehe mich schon mit dem Regenmantel Cape-Fear-artig den Obermaurer abstechen, bis MM mir sagt, ich soll die Blaetter von den Abflussloechern im Boden nehmen. Es gibt also einiges, was ich finde, dass der Obermaurer mit seinem Team nicht so toll gemacht hat, oder zumindest moechte ich ihm gerne einiges unterstellen, aber dennoch freue ich mich immer, wenn ich ihn in seinem roten Lastwagen oder in seinem ebenso roten Fiorino auf der Strasse treffe, denn er ist eben, wie ich seit meiner heutigen Dusche weiss, die Reinkarnation von Onkel Bert. Operieren hat er sich auch noch nicht lassen, komisch, dass die Angst, sich das Brustbein zertruemmern zu lassen, groesser ist, als die Angst, zu sterben. Weil wir uns das Sterben nicht vorstellen koennen, das Zertruemmern aber schon.

Dienstag, 7. September 2010

Promemoria: la conserva

Ende August, Anfang September werden in jedem guten sueditalienischen Haushalt die Tomatensaucevorraete fuer das ganze Jahr angelegt. Frueher waren wir Geringverbraucher und haben aus Freundlichkeit meiner Schwiegermutter bei der Herstellung ihrer 50 Flaschen Salsa geholfen und dafuer die eine oder andere im Lauf des Jahres mitgenommen. Letztes Jahr haben wir bereits 100 kg Tomaten fuer uns verarbeitet und da wir ab Maerz keine Ressourecen mehr hatten, haben wir heuer 150 kg Tomaten fuer 50 Cent pro Kilo bestellt und sind am Sonntag ins Dorf meiner Schwiegermutter gefahren, wo wir sie und den Onkel schon beim Halbieren der wunderbar leuchtend roten Tomaten antrafen. Sie sassen unter einer selbstgebastelten Laube im Schatten. 150 kg Tomaten sind entmutigend viel, aber da sich der Rallyefahrer als tomatenhalbierender Roboter gefiel und unser grosser Sohn durch den Wettbewerb eifrig wurde, schafften wir es, in zweieinhalb Stunden die Tomaten zu halbieren und die fasrigen und harten Teile wegzuschneiden. Der Achtjaehrige war der Tomatenwaescher und warf uns die gewaschenen Tomaten auf eine Art Strohsieb mit einem Geschirrtuc, auf dem die Tomaten abtropften.

Dann kommen die Tomaten in die "Quadrara", einen spektakulaer grossen Topf, der mit Kupfer ausgekleidet ist und aussen ganz schwarz vom Rauch ist, denn er wird aufs offene Feuer gestellt, das meine Schiwegermutter in einer kleinen Art Garage entfachte. Frueher hatte jedes Haus einen "Forno", in dem man das Brot backte und ein Feuer machen konnte, um die Wuerste zu raeuchern. In unserem neuen Haus gibt es diesen Raum, aber wir besitzen weder eine Quadrara, noch eine "Macchinetta" mit Motor, durch die die Tomaten gejagt werden, um anschliessend als Saft herauszurinnen und auch keine Maschine, mit der die Flaschen verkorkt werden.Waehrend die Tomaten mit ein wenig Basilikum in der Quadrara zum Kochen gebracht wurden, spuelten wir die im Lauf des Jahres gesammelten Flaschen (die Flasche der Gassosa, eine Art sueditalienisches Sprite, vom Achtjaehrigen Sprint genannt, eignet sich hervorrragend, man kann die Flaschen aber auch fuer 30 Cent im Consorzio, in dem alles fuer Haushalt und Bauernhof verkauft wird, erstehen), der Onkel stellte den Tomatenfleischwolf zusammen und dann wurden in jeweils kleineren Toepfen die kochend heissen Tomaten aus der Rauecherkammer gebracht und der Rallyefahrer und ich schaufelten sie mit kleinen Kasserolen in den Trichter der Maschine. Der grosse Sohn drehte die Schuessel, in die die Tomatenschalen und die Kerne fielen, damit diese nicht in die Wanne rutschten, in die der rote Tomatensaft stroemte. Diese Reste werden noch einmal durchgepresst, danach den Huehnern als Delikatesse vorgesetzt. Wenn alle Tomaten gepresst sind, was sehr aufregend ist, weil die Maschine sehr laut ist und die Angst, dass irgendwas die Arbeit ruiniert, die Wanne auseinanderbricht , die Sauce uns die Beine verbrueht usw., wird die Sauce wieder mit den kleinen Kasserolen mittels Trichter in die Flaschen gefuellt. An diesem Punkt begann die einzige Krise dieses Tages, denn der grosse Sohn leerte die dampfende Sauce ueber MMs Hand waehrend der Achtjeahrige mit unglaublicher Stetigkeit quengelte, weil er auch die heisse Sauce einfuellen wollte. Da der grosse Sohn die fertigen Flaschen an den naechsten Arbeitsplatz bringen musste, wo MM mit der Kronenkorkenmaschine sass und 90x Klick machte, durfte der Kleine auch abfuellen. Die verkorkten Flaschen wurden in eine Metalltonne "Fusto" gefuellt, die wiederum auf dem (noch anzuzuendenden) Feuer steht, also eigentlich auf einem Metallrost mit Beinen. Wenn genug Flaschen in der Tonne sind (das Befuellen ist die Arbeit meiner Schwiegermutter, die dies mit wissenschaftlicher Genauigkeit ausfuehrt, denn die Flaschen duerfen weder zerbrechen, noch zuviel Platz einnehmen), wird mit einem Schlauch Wasser in die Tonne gefuellt und das Feuer angemacht. Wenn das Wasser in der Tonne kocht, kann man das Feuer ausgehen lassen, am naechsten Tag werdeb die Flaschen dann aus dem Wasser genommen. Erfolg ist, wenn keine Flasche explodiert.
Ich wusch wahrenddessen die tomatenbesudelten Geraetschaften ab und fuehlte das Beduerfnis, mich niederzusetzen.
Um halb zwei Uhr sassen wir dann recht still bei Tisch und assen Pasta al forno, Rigatoni und Auberginen aus dem Ofen, die meine Schwiegermutter "con piacere e come una magara" (mit Vergnuegen und wie eine Hexe) um sechs Uhr morgens zubereitet hatte.
Am naechsten Tag tanzten wir alle am Nachmittag noch einmal an und wollten die Flaschen aus der Tonne heben, das hatte meine Schwiegermutter aber schon (neben der Herstellung von Makkaroni) getan und war anschliessend Feigen pfluecken gegangen.
Meistens weiss ich nicht, ob ich sie fuer diese Aktionen hassen oder lieben soll. Sie ist einfach so.

Jetzt bin ich gespannt, wie lange wir mit 90 Flaschen Tomatensauce auskommen. Nicht alle Flaschen sind 1-Liter-Flaschen, Gassosa ist nur 750 ml. Da der Rallyefahrer Pasta al sugo jeder anderen raffinierten Verfeinerung der Pasta vorzieht und der 13- jaehrige seine 1,70 m aussschliesslich mit Pasta erreicht hat, werde ich im naechsten Fruehjahr wahrscheinlich wieder die "Pelati", geschaelte Tomaten in Dosen kaufen. Jetzt aber sind wir reich und fuer den Winter geruestet und unser Sugo wird wunderbar und nach Sonne schmecken.

Sonntag, 29. August 2010

Mein Leben ist ein Campingurlaub

Freunde von Freunden haben einen Campingurlaub mit ihren Kindern gemacht, das sei sehr bindend, haben sie meinen Freunden erzaehlt. Seit dem 17. August fuehle ich mich auch wie auf Campingurlaub, denn an diesem Tag haben wir die Stockbetten der Kinder und unser zerlegtes Bett ins Auto geschlichtet und sind auf unsere Baustelle uebersiedelt. Prosecco haben wir allerdings erst einmal getrunken.

In unserer Kueche gibt es noch kein Waschbecken, daher waschen wir die Teller in einem grossen weissen Plastikwaschtrog vor dem Haus. Zum Glueck sind der Rallyefahrer und der achtjaehrige passionierte Tellerwaescher und zum Glueck ist das Tellerwaschen bei dreissig Grad im Schatten durchaus entspannend.

Das Wasser fliesst aus einem schwarzen Schlauch, der auf dem Dach installiert ist und den Maurern diente. Morgen kommt angeblich der Installateur, der seit ueber einem Monat das Telefon nicht abgehoben hat und vielleicht schliesst er in diesen Tagen die Geschirrspuelmaschine und das Waschbecken in der Kueche an. Ob dann unser Campingurlaub vorbei sein wird?

Ein Zimmer ist mit einem Laminatboden ausgestattet und ausgemalt, naemlich unser Schlafzimmer, das wir unseren Kindern zur Verfuegung gestellt haben. Der Laminatboden schaut sehr erfreulich aus, Hallelujah! Unser Bett steht auf dem Zementboden. Die Kinder lieben das Zimmer und wollen sich dort permanent aufhalten, was ich ihnen nicht goenne und ich stoere sie mit dem Vorwand, es gaebe Teller zu waschen.

Zweimal taeglich essen wir auf der neuen Terrasse unter der Palme. Heute haben wir zum ersten Mal Plaetze getauscht und ich sah MM vor dem Wein, der sich um die Palme ranken soll (spaeter einmal), dahinter habe ich die provisorischen Bretter der Bruestung innerlich wegretuschiert und ueber das Tal aufs Meer geblickt, auf dem zwei kleine weisse Segelboot fuhren. So stell ich mir einen Campingurlaub vor.

In der Nacht sitzen MM und ich noch draussen und trinken Rotwein aus Plastikbechern, denn Glaeser wollen wir im weissen Waschtrog keine waschen.

Sonntag, 15. August 2010

Robin Hood for President

Das achtjaehrige Kind fragt im Auto: Wer kommandiert eigentlich in Italien? MM und ich antworten wie aus einem Mund: Berlusconi (grrmmlll).
Der Achtjaehrige: Ach, nicht Barack Obama?
Ich: Barack Obama kommandiert in Amerika.
MM: Also eigentlich in den Vereinigten Staaten, aber - in Wirklichkeit auch in Amerika.
Das Kind: Habt ihr ihn gewaehlt?
Ich: Nein!
Das Kind: Warum nicht?
Ich: Papa findet nicht gut was er macht, er hat jemand anders gewaehlt.
Das Kind: Papa, ich finde du haettest Barack Obama waehlen sollen.
MM: Aber in Italien regiert nicht Barack Obama.
Das Kind: Aha. Und was macht Berlusconi?
Ich: Berlusconi beraubt die Armen und gibt den Reichen. Genau das Gegenteil von Robin Hood.
Das Kind: Wenn ich kommandieren wuerde, ich wuerde es so machen: ich wuerde die Reichen berauben und den Armen geben.
Ich denke, in dieser Welt des Raubens koennen wir auch nicht bleiben und sage: in einer idealen Welt muss niemand dem anderen was rauben, weil alle gleich sind.
Das Kind: Sind wir bald da?

Sonntag, 8. August 2010

Ich liebe mich

das muss auch einmal gesagt werden: ich finde, ich bin eine Heldin.
Mein Tag, ein Sonntag übrigens, beginnt mit einigen Fehlentscheidungen. 1) vier weiße Blusen zwar ohne einer schwarzen Bluse in die Waschmaschine zu stecken, dafür aber mit einer braunen Hose, von der ich annehme, dass sie schon so oft gewaschen wurde, dass sie nicht abfärbt. Das tut sie doch und ich stehe vor vier urinfarbenen Blusen. Da ich mir den Luxus dieses Problems öfters leiste, habe ich Entfärber im Haus, löse diesen in 7 Liter Wasser auf und stecke die vier Blusen hinein, worauf sie gleich rosa wirken. Ich denke, ich werde sie schwarz färben müssen oder dunkelblau. Bei der Vorstellung einer dunkelblauen Phase in meinem Leben werde ich ganz aufgeregt.

Fehlentscheidung 2: MM einzureden, er müsse einige Kilos unserer unverhofft reichen Kartoffelernte zu Gnocchi verarbeiten. Anfangs geht alles gut, gemeinsam mit zwei Kindern produzieren wir ungeheure Mengen an Gnocchi, das kostet aber auch ungeheure Mengen an Zeit und am Ende lassen wir die von mir akkurat aufgereihten Gnocchi mit Geschirrtüchern zugedeckt stehen und gehen unseren anderen Plänen nach. Es ist aber August und wir sind in Süditalien und abends finden wir die Gnocchi verklebt und in käseähnlicher Konsistenz vor. Einige Gnocchi finden doch ihren Weg ins kochende Wasser, der Rest in die Mülltonne. So behalten wir unsere Miniportion Gnocchi in bester Erinnerung.

Fehlentscheidung 3: ein Kleid von Laura Ashley, das ich in einem Second Hand Laden erstanden habe und das ich heute zum ersten Mal anziehen will. Nicht zuletzt, weil meine vier weißen Blusen im Entfärberbad liegen. Kommentar Kind 3: so ein schönes Kleid! Kommentar MM: Oh, du siehst dick aus. Kommentar Kind 2 und 1: Du siehst wie eine Oma aus. Ich will das Kleid anbehalten, ich will das Haus verlassen. Es stimmt, ich sehe dick aus, aber wie eine Oma wirklich nicht. MM startet den Motor, mir wird heiß. Das Kleid ist zu eng, die Schultern beginnen dort, wo mein Hals aufhört, ich will aus diesem Kleid wieder raus. MM kommt zurück, die Kinder sitzen im Auto mit dem laufenden Motor. Ich habe nichts anzuziehen. MM schaut in den Kasten und macht Vorschläge. Meine Stimme wird kreissägenartig. Ich will mich in eine alte Hose von MM zwängen, zwecklos. Ich beschließe, meine Jeans anzuziehen, aber mir wird zu heiß. Doch ich weine nicht! Ich ziehe aus dem winzigen Stück Kasten, das meine Garderobe beherbergt, eine Hose von Dolce und Gabbana, die ich seit vier Jahren nicht mehr getragen habe, seit ich mir mit dieser Hose am Körper die Achillessehne gerissen habe. Die Hose ist grau und hat weiße Nadelstreifen. Sie ist unpassend für unsere Fahrt auf die Baustelle. Sohn 1 sagt: du siehst wunderbar aus, so als würdest du gleich im Fernsehen sprechen.
Braucht jemand ein Kleid von Laura Ashley Gr. 38?

Am Abend, nachdem wir zu wenig Gnocchi gegessen haben, manifestiert sich mein meistgefürchteter Albtraum: aus der Waschmaschine kommt Wasser (als ich die vier bereits wieder weißen Blusen spüle). Ich beginne aufzuwischen und finde das teuerste Paar Schuhe, das ich besitze, derart verschimmelt in ihrer Originalschachtel in der Nähe der Waschmaschine, dass ich husten muss. Kann Leder so schnell schimmeln? Stehen sie schon lange im Wasser? Statt zu weinen, wische ich die Schuhe ab und bin davon überzeugt, dass die Schuhe wieder schön sein werden. Ich überlege nur, wie der eindeutige Muffelgeruch je wieder verschwinden soll.
Morgen werde ich früh aufstehen und neben dem Arbeiten die Waschmaschine beobachten.

Und weil ich heute niemanden angeschrien habe und auch nicht mit der Unterlippe gezittert habe, liebe ich mich.

Sonntag, 25. Juli 2010

was es bedeutet, ein haus mit garten zu haben...

...immer dreckige fingernägel zu haben
...immer zu wenig kurze hosen für die kinder zu haben
...nicht genug leute zu kennen, denen man kartoffeln aus der unverhofft reichen ernte schenken könnte
...das unkrautjäten wie ein videospiel zu sehen: ich reiss dich aus, du dreckiger schmarotzer
...zu schwitzen
...zu schwitzen
...zu schwitzen
...in der nacht kochbücher zu lesen und nach rezepten mit mehreren hundert kilo zucchini zu suchen
...jeden tag marmelade einzukochen
...plötzlich kein obst mehr zu finden, da binnen weniger tage alles vom baum gefallen ist
...traurig wuchernden salat zu betrachten
...sich selbst zu den zukünftigen kürbissen sprechen zu hören
...permanent über die nicht vorhandene zeit nachzudenken
...auf den markt gehen zu wollen, um den bauern zu sagen: ihr seid so gut, ihr seid so fleißig, verlangt ruhig mehr geld!
...juckende stellen auf den armen zu finden
...socken zu haben, die so mit unkraut verklebt sind, dass man sie nur noch wegschmeissen kann
...zu den nachbarn zu sagen: guten morgen, schon heiss heute früh nicht wahr?
...sich über ein gewitter zu freuen
...nur zwei mal pasta mit bohnen zu essen, weil die bohnen von wilden schwarzen tieren attackiert wurden
...feststellen, dass niemand in der familie grüne bohnen mag, sie aber wunderbar wachsen
...sich mit dem wasser aus den gießkannen immer wieder von oben bis unten anzuschütten
...schilfrohr für die tomaten zu verstreben
...und auf die tomaten zu warten: venite pomodori, piccoli tesori

Dienstag, 20. Juli 2010

Torino

Oh Torino! Frueher habe ich mich in Maenner verliebt, heute verliebe ich mich in Staedte. Aber du Torino bist die schoenste, die beste, die ernsthafteste und doch heiterste.Und ja, ich werde dich auch im Winter wollen, nicht nur bei den vergleichweise milden 30 Grad, die du heute Abend zu bieten hast.
Als ich in Torino ankomme, habe ich das Gefuehl, hinter jedem der geoeffneten Fenster sitzt ein Mensch, der ein Buch liest, tatsaechlich gibt es viele Buchhandlungen und auch Menschen, die diese betreten. Eine Buchhandlung hat ihren Namen auf einem kleinen Messingschild stehen: "Tempo ritrovato", wiedergefundene Zeit. Am naechsten Tag betrete ich sie, nach gewisser Zeit fragt mich der junge Mann bei der Kassa: "Ha bisogno?". Das fragen sie hier alle: ob du was brauchst. Nein, sage ich, ich will nur schauen. Eigentlich will ich dazu sagen: Ich habe naemlich Zeit. Aber ich habe Angst, dass mich der junge Mann nicht versteht und das wuerde mein gutes Gefuehl fuer die wiedergefundene Zeit verpatzen.
Auf der Strasse hoere ich, wie ein junger Mann zu einem anderen sagt:"Mi piacerebbe essere bravo." Ich waere gerne gut(in etwas). Ich auch.

Donnerstag, 15. Juli 2010

Milano

Wer hätte je gedacht, dass die Stadt Milano einst dazu angetan sein wird, mein Leben zu bereichern und zwar ganz gewaltig. Das Kind muss operiert werden und die dattilografische Familie tritt eine Reise im Autobus an. Eine ungewöhnliche Reiseform, aber ganz lustig. Lustiger als Flughäfen, von denen ich in den letzten Jahren ausreichend hatte, lustiger als verschmutzte Zugtoiletten. In Milano ist es heiss und schön. Von unserem Apartment aus sehen wir den Dom, in demselben Haus befindet sich der einzige Supermarkt in ganz Milano Zentrum, dementsprechend voll ist er mit schönen Menschen, die alle total dem Klischee entsprechen: sie sind gut gekleidet und sehr beschäftigt. Kurz vor Sperrstunde um 20.30 wird es am besten: schöne (alleinstehende?) Männer in noch schöneren Anzügen kaufen Fertigprodukte. Sie sind alle sehr höflich und springen schnell zur Seite, wenn ich mit meinem kleinen Einkaufswagen vorbeipresche. Niemand telefoniert. Manche haben etwas zu kurze Hosen und man kann ihre Strümpfe sehen, die aber niemals weiß sind. Wir besichtigen den Dom und seine Umgebung, entdecken das weltbeste Eis in einer Gelateria namens Grom und sogar der präpubertäre 12-Jährige , der anfangs behauptet, Eis sei immer gleich, gibt zu, dass dieses Eis besser ist als alle anderen, was mich für die Dauer von mittlerweile einer Woche mit ihm und der Welt versöhnt. In einer Buchhandlung in der berühmten Galleria Vittorio Emanuele II kaufen wir Comix von Iron Man, Naruko und ein Barbie-Ausmalbuch, was wiederum meine Kinder für eine Woche glücklich stimmt. All die schönen Bilderbücher und die wertvolle Jugendliteratur haben sie wohlwollend zur Kenntnis genommen und sich anschließend für oben erwähnten Ramsch entschieden.

Das Krankenhaus erreichen wir nach einer pittoresken Fahrt mit der Tram Nr. 12, es trägt den zumindest für mich für ein Kinderspital anheimelnden Namen Buzzi. Das Buzzi ist sensationell. Die Krankenschwestern tragen bunte Arbeitskleidung, auf der Nadel zum Blutabnehmen steckt ein Schmetterling und nach jeder Untersuchung dürfen/sollen die Kindern in das Spielzimmer gehen. Dort sind jede Menge Bücher, anregend geordnetes Spielzeug und zwei nette ältere und junggebliebene Damen, die die Kinder zum (gemeinsamen) Spielen anregen. Auch unsere Kinder, die nur zur Begleitung dabei sind und prophylaktisch angeödet und rabiat werden, dürfen dort das Beste aus sich herausholen. Der Rallyefahrer spielt lange mit einem Jungen im Rollstuhl ein Spiel, bei dem man Personen erraten muss, der große Sohn legt mit einer Betreuerin etwa drei Stunden lang ein Puzzle, das zu untersuchende Kind jauchzt vor Glück über die Spielzeugküche und wir Eltern sitzen fertig und gerührt in einem Eck. Ich denke nur, wie schade es ist, dass manche reichen Leute ihr Geld der Kirche vererben, statt der Organisation ABIO (Amici dei Bambini in Ospedale). Das sind die beiden wesentlichen Erfahrungen von diesem Spitalsaufenthalt: dass Spielen im Spital wichtiger ist als alles andere und dass Eltern alles dafür geben würden, wenn sie sich an Stelle ihes Kindes operieren lassen könnten. Eigentlich würde ich auch den Begriff "Day Hospital" in die Hitliste aufnehmen, aber hier wurde die Ambitioniertheit des Spitals doch ein wenig vom schwankenden und kotzenden Kind in Frage gestellt, dass dann eine Nacht dort blieb. MM übernachtete im Elternbett, dass es in jedem Zimmer gibt und ich meinte eigentlich, ich hätte das schlechtere Los gezogen, als ich lange auf die Tram 12 wartete, die dann in Form eines Holzwaggons aus dem Jahr 1928 kam. Das gefiel mir wiederum: in jeder anderen Stadt muss man extra bezahlen, wenn man in einem historischen Verkehrsmittel fahren will. Der Fahrer, der den Metallhebel drehte stammte eindeutig aus Sizilien, das konnte ich aus der Verwendung des Passato remoto schließen: "...dopo la sfuriata che feci..." erzählte er am Telefon. Ich versuchte immer zu sehen, wo denn dieses Telefon war, und ob er wirklich nur mit einer Hand steuerte. "Angela, du sollst mich nicht hassen..." Das ist die Art von Gespräch, die man nicht bei der Arbeit führen sollte und tatsächlich, nach etwa 15 Minuten war es so weit: "Porca miseria! Ich habe die Umleitung übersehen!" Dann ruft er seine Leitstelle an, bekommt eine Auskunft, nach der er aufsteht und sagt: "Signori, wer nach Via Molise möchte, kommt jetzt mit mir, aber ich muss zurück fahren und umdrehen, wer ins Zentrum will, steigt besser aus." Die Fahrgäste protestieren mit gewählten Worten, schließlich sind wir hier nicht in Napoli. Ich bin in leichter Panik, denn ich kenne mich hier nicht aus, aber zum Glück hat uns dieses ungewöhnliche Schicksal eines sich verfahrenden Tramfahrers an einer Metrostation ereilt. Die Metro gibt mir wieder Auftrieb, denn hier erkennt niemand, aber auch gar niemand, dass ich nicht aus Italien stamme, in diesem Metrowaggon stammt überhaupt niemand aus Italien, sondern aus Spanien, Südamerika, China, Indien, Pakistan usw. usf. Ziemlich müde stöckle ich über Piazza Duomo, wo gerade das Viertelfinale der WM auf einer großen Leinwand übertragen wird. Eben springen die Zuschauer vom Boden auf und jubeln. "Wer hat gewonnen?" frage ich einen Müllarbeiter im Vorbeigehen. "Spanien."

In der kleinen Gasse, in der sich unser Apartment befindet, erschrecke ich, weil ich von irgendwoher "Mamma!" rufen höre. Tatsächlich schauen von oben die Kinder herunter, hoch erfreut, dass sie jemand aus ihrem Fernsehgefängnis um halb elf Uhr abends erlöst. Oder sind sie schon die ganze Zeit am Fenster gestanden? Ich koche alles essbare, was ich finde, das ist nicht viel und schmeckt nicht besonders gut und schaue mir mit ihnen einen Film namens "Blöd und noch blöder" oder so ähnlich an, wobei ich einschlafe. MM erzählt mir am nächsten Tag, er sei mindestens sechs Mal aufgestanden, weil der Tropf des Nachbarkindes immer zu piepsen begann, der Vater dieses dreijährigen Kindes mit Blinddarmoperation aber aus Erschöpfung nicht mehr reagierte. Unser braves Kind schlief von 22 bis 7 Uhr und präsentierte sich später am Tag heimgekehrt mit den Worten: "Ich habe überhaupt nichts gespürt!" Dafür bin ich dankbar - dass er sich an die schlimmste halbe Stunde meines Lebens nicht mehr erinnern kann, als er aus der Narkose aufwachte, bevor das Schmerzmittel zu wirken begann und er brüllte und jammerte, sich die Kanüle von der Hand reißen wollte, im Bett rotierte und immer wieder unbeherrscht an seine Wunde griff. Als mein Rotz auf ihn tropfte, weil ich keine Hand frei hatte, um meine Tränen wegzuschnäuzen und er mich mit der Weisheit der 8-jährigen aufforderte: "Lächle, Mamma!"

Freitag, 2. Juli 2010

Generation unverschämt

Schwarzer Tag für Dattilografa, schwarzer Tag. Im Nebenerwerb oder aus Freundlichkeit helfe ich meiner Kollegin bei einer Prüfung in Deutsch von StudentINNen im ersten Jahr auf der Wirtschaftsfakultät, der Kurs heißt Tourismuswissenschaften und gehört meiner Meinung nach geschlossen. Etwa 85 20 -jährige Menschen drängen sich in einem zu kleinen Hörsaal und wollen nach einem 30-Stunden dauernden Deutschkurs die dazu gehörige Prüfung ablegen, für die sie fünf Credits bekommen. Der Hysterie ist kaum Einhalt zu gebieten. Die Professorin, die einführende Worte spricht, nachdem sie die Studenten ihre Taschen an die Wand stellen hat lassen, wird überhaupt nicht gehört. So wie der Unterricht meistens überhaupt nicht gehört wurde. Diese jungen Menschen sind nämlich hauptberuflich aufgeregt und mit sich selbst beschäftigt. Dann schauen sie sich die Prüfungsblätter an - es handelt sich um einen Test, bei dem Basisaufgaben zu erfüllen sind (Verbkonjugationen, Perfekt, trennbare Verben, Textverständnis, Uhrzeiten), zu dem es ein Skript gab, das alles sehr einfach erklärte und um sehr wenig Geld leicht zu erwerben war - und brechen in geräuschvolle Panik aus. "Silenzio!", rufe ich gebieterisch, "das ist eine Prüfung und keine Gruppenarbeit!" Mein strenger Ton funktioniert anfänglich, aber in der Geschwindigkeit von genialen Laborrattten haben sie sich daran gewöhnt, dass ich eine deutschsprachige Unsympathlerin bin und beginnen sich eng aneinander zu drängen, um voneinander abzuschreiben. Ich setze einige Menschen auf einsam gelegene Plätze, bis mir auch das nicht mehr gelingt. "Wieso ich?" fragen sie, "Wieso nicht?" sage ich, "in dieser Reihe dort gibt es genug Platz, setzen sie sich nach vorne." "Nein," sagt ein junger Mann, "sie haben mich erst einmal ermahnt!" Ich starre ich an. "Haben wir ein Abkommen darüber, wie oft ich sie ermahnen muss?" frage ich ihn. Er ist ein hübscher Junge mit großen Ray Ban Brillen auf der Stirn. "Nein," wiederholt er,"ich setz mich nicht nach vorne, nein." Entschieden schüttelt er den Kopf. Seinen Nachbarn bricht der Schweiß aus, mir auch, meiner ist kalt. Ich spüre, wie die Lust in mit hochsteigt, ihn hochzuziehen und an die Wand zu schmeißen. Ich sage: "Da vorne ist Platz, hier sind zu viele Menschen, sie schummeln." "Nein", sagt er und hält sich innerlich an seiner Bank fest. "Mi pare brutto", das macht keinen guten Eindruck. Ich glaube, dass mir in diesem Moment die Augen aus den Höhlen quellen wie Marty Feldmann. "Vuole sapere che cosa a me pare brutto?" frage ich ihn drohend, ob er wissen will, was bei mir keinen guten Eindruck mache. Ich mache ihm allerding genau gar keinen Eindruck und er klammert sich kopfschüttelnd an seinem Prüfungsblatt fest. Wenn ich nicht handgreiflich werden oder mit übergeordneten Personen drohen will, kann ich nur einlenken. Ich sage: "Wenn ich sie noch einmal reden sehe, gehen sie da nach vor, ohne dass ich noch etwas sagen muss, sind wir uns darüber einig?" Während wir uns darüber einig werden, wurden etwa 200 Informationen zu verschiedenen Grammatikthemen ausgetauscht. Und so geht es weiter. Eine junge Dame, die ich ebenfalls auf einen anderen Platz setzen möchte, da sie angestrengt versucht, sich bei ihrer Nachbarin schlau zu machen, fragt ebenfalls: "Warum ich?" Ich sage." Weil sie sprechen." Sie sagt: "Professor, sie werden mich nicht mehr sprechen sehen." Ich sage laut: "Ich werde sie nicht mehr sprechen sehen? Dann halten sie bitte auch ihre Hand so, dass ich nicht lesen kann, was drauf steht." Das bringt mir Punkte, die will ich aber nicht, weil jetzt wieder neues Geraune ausbricht.
Meine beiden Kolleginnen versuchen auf ihre Art, ebenfalls das beste aus der Situation zu machen, eine gesteht mir nachher, dass sie einfach schallend lachen wollte, was ihr aber nicht möglich war, als sie mich sah. Ich kämpfte zwei Stunden mit dem Gefühl, einfach aufgeben zu wollen und Windmühlen Windmühlen sein zu lassen.
Es ist die Dreistigkeit der Studenten, die mich auf und ab gehen läßt wie einen Kapò. "Verbindet euch mit der Realität", sage ich, "das ist kein Witz und keine Gruppenarbeit, das ist eine Prüfung". "Professo'", sagen sie mitleidig zu mir, wenn ich vor ihnen stehe und verlange, dass sie zumindest in meiner unmittelbaren Präsenz zu schummeln aufhören sollen. Subtext: Führ dich nicht so verkrampft auf, Alte.
Ich bin fassungslos und ich stehe noch beim Abendessen unter Schock. Stunden danach schüttle ich nur den Kopf. Auch meine Kolleginnen sagen, sie hätten so etwas noch nie erlebt. Ich habe schon einige Prüfungen abgehalten, normalerweise sind die Professorinnen am lautesten, denn sie gackern und kichern, während die armen Studenten schwitzen. Heute fand die Rache aller Studenten in Form dieses unbändigbaren Haufens statt.
Ein junger Mann, der seine Prüfung bereits abgegeben hatte, stand an der Tür und starrte interessiert in den Raum. Sein Hemd war ungefähr so groß wie das meines 11-jährigen Sohns. Sein dicker Bauch schaute frech unter dem Hemd hervor. Ich fragte ihn, warum er da stehe, wenn er doch fertig sei. "Professo'... warum kann ich da nicht stehen?" fragte er mit gelassener Überheblichkeit. Ich wollte sagen: "Weil es sich hier um eine Prüfung handelt, du fettgefressenes mickriges kleines Arschloch." Ja, genau das wollte ich sagen, weil diese Art mich daran erinnerte, dass in Italien schnell einer Minister wird, wenn er unter Anklage steht, damit er von der Immunität profitiert. Weil hier alle sagen: Warum kann ich hier nicht stehen? oder: Warum kann ich nicht Minister sein? Oder: Warum werde ich wegen Verbindungen zur Mafia angeklagt? In anderen Ländern gehen Studenten aus dem Raum, wenn sie ihre Prüfung abgegeben haben, in anderen Ländern treten Minister zurück, wenn Unregelmäßigkeiten in ihrem Gebaren festgestellt werden, in Italien werden sie gerade dann und jetzt erst recht Minister.
Und das Wort "Warum" (perchè) schreiben sie (sogar bei der Matura) xke...
Ich habe von Professoren an höheren Schulen gehört, die sich gewisse Klassen nicht mehr zu betreten getrauen. Ich weiß auch, dass besonders strenge Professoren eher respektiert werden. Ich habe auch Angst, aber nicht vor den Studenten, sondern vor mir selbst. Ich habe selten so Lust gehabt, jemanden zu schlagen, wie heute, und dabei hätte ich vor wenigen Monaten noch behauptet, dass es Spaß macht, an einer Uni zu unterrichten.
Den ganzen langen Nachmittag korrigieren wir die rhythmisch gleichen Prüfungsblätter, da ja gruppenweise voneinander abgeschrieben wurde. Manches haben sie einfach schlecht verstanden, kein Wunder bei der Lautstärke. Meine Kollegin ist wild entschlossen, alle Ergebnisse einen Punkt hinabzusetzen, da ja ausnahmslos geschummelt wurde. Eine kleine Rache im Verhältnis zu der Furcht vor der Zukunft, die sich auftut.

Heute denke ich, der gehende Mann ist ein durchgeknallter Mittelschulprofessor, der aus Fassungslosigkeit seine täglichen 30 km geht.

Mittwoch, 23. Juni 2010

Fratelli d'Italia

Die letzten Wochen waren vom Schulschluss, dem damit einhergehenden Wahnsinn und den anschliessenden Ferien bestimmt. Die Ferien dauern bereits eineinhalb von vierzehn Wochen, wieviel Prozent sind das? Da ich mich nach meiner Rückkehr wie eine Vietnam-Veteranin fühlte, die nichts erschüttern kann, nahm ich alle Attacken der Schule gelassen: Mamma, um halb drei müssen wir wieder in die Schule, den Tanz üben - Mamma, morgen ist übrigens keine Schule - Mamma, am Samstag gehen wir Fussball spielen. Wann? Am Vormittag? Am Nachmittag? - Buh? Keine Ahnung.
Ergreifendes Ende aller Unsicherheiten: 1) Schulaufführung, 2) Jugendspiele.
Während der wie immer quälenden Schulaufführung habe ich einen Kloß im Hals - nächstes Jahr werden meine Kinder in der fünften Klasse, der letzten Volksschulklasse in Italien sein und sie werden ein quälend langes Stück einstudieren, sowie englische Sketches wiedergeben, die kein Mensch versteht.
Bei den Jugendspielen trägt unser Sohn die Fahne der Vereinten Nationen und alle Kinder singen die italienische Hymne. Dabei legen sie die rechte Hand auf die Brust. Damit habe ich nicht gerechnet. Unser fahnentragendes Kind legt die Hand unter das Herz, vielleicht schmerzt seine Milz.
Unsere Lieblingsministerin, la Gelmini, die mit ihrem kleinen Vorschlaghammer alle Bildung zertrümmert, beginnend bei der Primarschule und bei der Universität endend, denkt darüber nach, dass die Kinder vielleicht erst im Oktober wieder mit der Schule beginnen könnten. Das halte ich für eine produktive Idee. Bei vier Monaten Ferien kann sich auch die tapferste Frau keinen Babysitter leisten, und macht endlich ihren Arbeitsplatz frei.
Unsere Kinder verbringen ihre Ferien zur Zeit im Auto und fahren mit uns an unseren jeweiligen Arbeitsplatz (solange wir noch einen haben). Dort werden sie vor den Fernseher gesetzt. Heute haben sie den ersten total hedonistischen Ferientag verbracht: Acquapark: Megarutschen und permanente Animation. Anschließendes Koma. Am Ende dieses für mich überaus langweiligen und daher höchst entspannenden Tages unter der Sonne will ich, dass sie mir eine Rutsche empfehlen und während sich der Rallyefahrer und sein großer Bruder an Enthusiasmus überbieten, meint der kleine Sohn besorgt: ich empfehle dir, keine Rutsche zu nehmen, es ist zu gefährlich, geh lieber den langsamen Fluss entlang. Ist das eine Art Entmündigung? Ich nehme die hellblaue und die gelbe Rutsche und das Schlittern im Wasser erinnert mich an etwas: etwas, das lange her ist, als die Gefahr nicht groß genug sein konnte und die Angst immer nur ganz klein war.

Den gehenden Mann haben wir so oft wie noch nie gesehen, in Ermangelung anderer Unterhaltung finden ihn die Kinder wahnsinnig spannend und stellen Vermutungen über ihn an. Momentan ist er ihrer Meinung nach ein Spion, der UNS verfolgt. Wir waren mit ihm im selben Supermarkt, meine kleinen Spione haben beobachtet, dass er ein Bier gekauft hat (ein längliches, mit einem Stier drauf), ich habe beobachtet, dass er tatsächlich eine Regenhose trägt. Mit dem Regen ist es aber jetzt wieder vorbei. Angesprochen habe ich ihn nicht, das erschien mir angesichts seines Rucksack, meines eigenen Einkaufswagens und meiner Kinderschar zu intim.

Unsere Baustelle ist immer noch eine Baustelle und wenn mir das Herz sinken will, dann schlägt mir mein innerer Coach rasch auf die Schulter und ruft dynamisch: ist doch egal, du schaffst das schon. Ich habe bereits einen Schreibtisch und einen Computer übersiedelt, auf dem meine Kinder spielen, wenn sie nicht helfen müssen, kiloweise Pflaumen zu ernten, oder wenn sie nicht abenteuerliche Ritterspiele veranstalten. Die Abwesenheit des Schreibtischs hier versetzt mich in Hochstimmung. Immerhin ca. 0.3 % unseres Haushalts!

Samstag, 5. Juni 2010

trasferimento a casa

Es ist 5 Uhr 37 und es ist vorbei. "Danke für die viele Arbeit und die wenige Freude", sagt der wichtigste Mann meiner Arbeit. Das hat er schön gesagt. Für mich ist es vorbei, Frau Obermaurers Gebiss kann bezahlt werden, uns bleibt nicht viel übrig. Was wird von den vielen "Nie mehr" bleiben, ich weiß es nicht, schon eine Minute nach dem Ende der Arbeit scheint alles halb so schlimm, manches sogar fast schön. Der Flug heim geht morgen nahzu um die gleiche Zeit. Die letzten Tage haben wir im strömenden Regen und im Schlamm verbracht, sind mit einer Chinesenrevolte fertig geworden und mit einigen anderen Widrigkeiten. Tränen habe ich bis zum Schluss keine vergossen, darauf bin ich stolz.
In Italien wartet ein konversationshungriger Student, der mit mir deutsch sprechen will, sowie drei aktivitätshungrige Kinder und ein Mann, der findet, ich solle nicht Konversation mit Studenten betreiben, sondern an unser Haus denken. Ich bin gespannt. Ich würde lieber mein sauer verdientes Geld in den Holzboden stecken, aber ich habe keine Chance. Vor ein paar Wochen erschien mir der Holzboden noch als nebensächlich, und jetzt denke ich: verdammt, muss ich wirklich einen asthmaerzeugenden Billigteppichboden kaufen?
Ich kann mir nicht vorstellen, dass man in einem Teil dieser Welt ohne Regenjacke herumlaufen kann und ich sehe auch meinen gehenden Mann bereits in raschelnder Regenhose gehen. Gleichzeitig habe ich von wenigen Stunden Sonne einen Sonnenbrand im Gesicht. Wenn ich nach Hause komme, werden meine Kinder noch schlafen, vielleicht kann ich dann kurz ihr neues Videospiel auf dem Computer ausprobieren.

Sonntag, 30. Mai 2010

was ich mag

Ich mag den Geruch meiner Wohnung, wenn ich den ganzen Tag die Fenster offen lassen kann.
Ich mag, dass mein Freund der Schriftsteller mir etwas zum Lesen schickt.
Ich mag, dass MM mir schreibt, dass ich allen fehle.
Ich mag mich, wenn ich mich im Spiegel sehe.
Ich bin froh, dass die Wäsche, die sich rot verfärbt hat, sich im Entfärberbad wieder zu Weiß entwickelt.
Ich bin froh, dass es noch einen Sonntag vor dem neuen Arbeitsbeginn gibt. Libertà.
Ich mag es, wenn sich mir bei einem Buch in der Buchhandlung die Haare auf den Unterarmen aufstellen, denn dann weiß ich, dass ich "Paula Spencer" von Roddy Doyle kaufen muss, weil ich schon "Die Frau, die gegen Türen rannte" mochte und weil ich vier Heimaten habe: home is where my heart is, dort wo meine Familie und mein Haus ist, dort, von wo ich komme und wo meine Wohnung ist und dort wo Paula Spencer lebt.
In Roddy Doyles Buch spricht Leanne in den Kühlschrank und ich erinnere mich, dass jemand meinen großen Sohn einmal aufgefordert hat, nicht mit der Seife in seiner Hand, sondern mit mir zu sprechen. Es ist immer gut,wenn jemand die Situation überblickt und es ist nicht immer jemand da, der das tut.

Samstag, 29. Mai 2010

Iguacu

Die dattilografische Familie war nicht immer nur in Italien. Einmal waren wir bei den Wasserfällen von Iguacu im Süden Brasiliens im Länderdreieck Brasilien/Paraguay/Argentinien. Als wir dort waren, war ich von der Angst gepeinigt, meine Kinder könnten ins Wasser fallen und in den gigantischen Wassermassen verschwinden. Jede einzelne Sekunde unseres Aufenthalts hatte ich Angst. Wenn wir weit genug vom Wasser waren, befürchtete ich, die Kinder könnten aus dem offenen Stockautobus stürzen, wenn wir in irgendwelchen Schlangen anstanden, war ich davon überzeugt, die Kinder gingen verloren oder würden entführt. Selbst etwas von den größten Wasserfällen der Erde entfernt, in der kleinen Stadt Foz do Iguacu hatte ich keinen Moment Frieden, denn auch hier drohten mannigfaltige Gefahren, Kinder, die sich im Dunkel verlieren, Kinder, die in den Löchern im unregelmäßigen Pflaster straucheln und hinfallen, Kinder, die im schlimmsten Fall in diesen Löchern für immer verschwinden.
MM hat während meiner mehrtägigen Panikattacke tausende wunderbare Photos gemacht, von denen ich auf keinem einzigen zu sehen bin, die Angst scheint mich weggezaubert zu haben. Annulliert, annihiliert, falls es dieses Wort gibt.

Im Rückblick betrachtet, handelt es sich jedoch um einige der schönsten Tage meines Lebens.

Ich denke nicht: ach, hätte ich mich doch nicht so gefürchtet, ich kann im Nachhinein diese Gefühle wegdenken, sie wie in computergesteuerter Postproduktion bereinigen. Ich denke nicht, ich hätte diese Reise mehr genießen sollen, im Hinterherdenken genieße ich sie. Meine Ängste von damals sind reale Ängste und wertvolle Ängste. Heute wache ich in einem nassgeschwitzten Pyjama auf und habe Ängste wegen meiner Arbeit. Komischerweise habe ich keinen nassgeschwitzten Pyjama, weil ich den Rest meines Lebens Schulden wegen dem Haus haben werde. Ich möchte das Haus umarmen mit langen, sehr langen Armen. Ich möchte den Garten umarmen.

Jeden Tag versuche ich, meine Arbeit zu lieben. Jeden Tag passiert etwas, das mir wie ein Knüppel in die Kniekehlen schlägt und all meine kunstfertig gepflegte kleine Liebe springt davon. Weil ich nicht weiß, wie ich ich sein kann.

Ich wünsche mich ins rosa Zimmer zurück, mit schrecklichen Dingen, die ich dort schreiben muss, mit vier Maurern und drei Elektrikern und zwei Installateuren, die mich am Arbeiten hindern wollen. Lärm ist vergleichsweise harmlos gegen den Druck, unter dem wir bei unserer Arbeit stehen und wir sind wohlgemerkt kein Chirurgenteam. Der Druck hat zum Teil mit Ökonomie und zum anderen Teil mit Psychopathologie zu tun und es ist nicht weiter erstaunlich, dass viele in meinem Berufsbereich nach einiger Zeit Masseure werden wollen, Krankenschwestern oder Altenpfleger.

Während ich in Italien jeden Einkauf als Zeit- und Nervenverschwendung empfinde, gebärde ich mich in einer zweistündigen Phase vor Arbeitsbeginn als Impulskäuferin, kaufe die teuersten Schuhe meines Lebens (obwohl doch Frau Obermaurer mein Gehalt bekommen sollte), denke über den Begriff "feel good" nach und will lieber eine Massage als einen Liebhaber. Das bin nicht ich.

Aber heute hat jemand mit mir gemeinsam einen Kampf gefochten, den wir gewonnen haben und der mich nur an ein Sprichwort denken läßt, das sicher nicht zuvorderst in meinem Wortschatz steht: den wahren Freund erkennt man in der Not. Wow!

Hier beginnen die Vögel beeits wieder zu zwitschern und ich preise die Erfindung von Oropax. (Oder heißt es Ohropax?) Ich preise die Tatsache, in meinem eigenen Bett zu schlafen, auch wenn es sozusagen das Zweitbett ist. Ich preise das Wochenende und den morgigen/heutigen Tag, der mir die Aufnahme eines chinesischen Satzes und hopefully ein Treffen mit meinem ehemaligen Freund bescheren wird.

Ich denke, ich bin eine Schnecke, die ihr Haus auf dem Rücken mit sich führt, eine Schnecke, die eigentlich auf einem Hügel hoch über dem Meer lebt und sich in die Ebene verirrt hat.
Und ich denke an den gehenden Mann und ich komme wieder auf die Frage zurück, die mir meine welterfahrenen Freunde gestellt haben: bist du sicher, dass nicht nur du ihn siehst, hahahaha? Natürlich sehe nicht nur ich ihn, aber vielleicht sehe ich ihn deshalb so oft und so fest, weil ein Teil von ihm ich bin, weil wir beide immer auf dieser SS 18 auf und ab gehen und nachts (vermutlich) in einem Zelt schlafen.

Freitag, 28. Mai 2010

was mir fehlt

Mir fehlt mein Blick aufs Meer, verstellt vom Oleander im alten Haus, mir fehlt der Blick aufs Meer, verstellt von einer Eiche im neuen Haus.
Mir fehlen die Kinder, der Kleine, der verständnisvoll antwortet: Ich geb dir meine Brüder, wenn ich sage: ich wollte dich nur kurz grüßen, ich arbeite; der Mittlere, der sagt: Ciao Mamma, ciaociaociao; und der Große, der mit rauchiger Stimme sagt, "Ja, Mamma!", wenn ich sage: in einer Woche komm ich wieder.
Mir fehlt die theatralische Aufregung der Italiener, die mir keine Angst macht, im Gegensatz zu der manchmal beunruhigenden Aufregung der Menschen, mit denen ich meine Muttersprache teile.
Mir fehlt selbstverständlich der Mann, der geht, denn hier gibt es keine gehenden Männer, hier gibt es wenig interessante Männer, eigentlich überhaupt wenig Männer.
Mir fehlt, dass endlich einmal einer sagt: Mach dir keine Sorgen, das machen wir schon. Auch wenn das in Italien heißt: Machen sie sich keine Sorgen, rufen sie in zwei Wochen wieder an.
Mir fehlt MM, der sagt: Ich bitte dich, sag: Signorsi, mach es wie Terence Hill, der sich auch immer als Trottel ausgibt. Es geht vorbei. (Meine Freundin hier fragt, warum ich mich nicht besser abgrenzen kann...)
Mir fehlt mein Familienleben, mein Autoradio, mein rosa Zimmer, in dem ich schreibe, die Bar "Lo scoglio", in deren Nähe es einen echten Felsen im Meer gibt, mir fehlt unsere Babysitterin, die bald in einer Ferienkolonie am Meer arbeiten wird, in die man seine Kinder um acht Uhr morgens bringen kann und um drei wieder abholen, wenn sie nach einem Vormittag am Meer todmüde sind. Denn wie soll man sonst 13 Wochen Ferien hinter sich bringen? Während ich in deutschsprachiger Zone noch kein einziges kurzärmeliges Hemd gebraucht habe, muss MM sich fragen, ob er unseren kleinen Sohn nächste Woche überhaupt noch in die Schule schickt, da in der Woche vor den Ferien (ja, Ferien, Sommerferien), nur noch wenige Kinder (die mit den grauslichen berufstätigen Eltern) in die Schule gehen.
Mir fehlt die Gartenschere mit den blauen Griffen, mir fehlt der Küchenkasten mit der vielen De Cecco Pasta drin, mir fehlt das Basilikum, das MM bereits gepflanzt hat.
Mir fehlt der schwebende Friede im Haus, wenn alle Kinder schlafen.
Mir fehlt die Phantasie. Mir fehlt die Kraft.
Mir fehlt, dass ich auf der Terrasse die Augen zusammenkneifen muss, wenn ich die Wäsche aufhänge, oder eine Sonnenbrille aufsetzen muss. Mir fehlt der Platz mit der spektakulären Aussicht aufs Meer im Ort, in dem ich die Tickets für die Mensa meiner Kinder kaufe, und in dessen Bar ich mich regelmäßig ärgere, dass mein großer Sohn sich immer das teuerste Eis aussucht. Mir fehlt, mich über meinen großen Sohn zu ärgern. Ich hoffe, dass es meinem großen Sohn auch fehlt, sich über mich zu ärgern.
Mir fehlt die Abzweigung von der größeren Nebenstraße auf unsere kleinere Nebenstraße, im Schatten der Olivenbäume. Mir fehlen die Berge hinter dem Kopf. Mir fehlt der bunte Markt am Samstag vormittag in unserem neuen Ort, dort, wo ich eine Buchhandlung eröffnen will, mit meinen Kindern, die sich ernsthaft bereit erklärt haben: Wir helfen dir Mamma, wir ordnen die Bücher ein. MM fragt sich, warum ich nichts mehr verdienen will.
Mir fehlen die Bahnstationen mittags, wenn es heiß ist, und man auf Züge wartet, die schäbig sind, weil wir im Süden wohl nichts anderes verdienen.
Mir fehlt das Bedürfnis, mich mit der italienischen Regierung anlegen zu wollen, statt mit meinen Arbeitskollegen.

Sonntag, 16. Mai 2010

out italy

steht auf dem Plastikband auf meinem Koffer. Unglaublicherweise bin ich wieder in den deutschsprachigen Raum zurückgekehrt und meinen Koffer hab ich auch. Lust zu arbeiten habe ich keine.

Selten habe ich Italien so geliebt, wie bei diesem intensiven Kurzbesuch. Selten habe ich so wenig Zeit gehabt, mit MM zu sprechen, wie in diesen Tagen. Er hat die Zeit meiner Anwesenheit genutzt, um selbst zu arbeiten. Ich gestehe, dass ich von drei Mal Kinder abholen zwei Mal zu spät gekommen bin, einmal, weil ich die Zeitabläufe nicht mehr einschätzen konnte und zu spät aus dem rosa Zimmer geeilt bin, einmal weil vergessen hatte, dass die Schule am Samstag um 12:45 endet und nicht um 13 Uhr. Auweia. Da alle Lehrer noch versammelt waren und mich fragten, wie es mir gehe, während meine Kinder enthusiastisch endlich ins Auto springen konnten, fragte ich auch höflich, wie es der Schule gehe. "Wir verteidigen uns", sagte der Mathematiklehrer, Maestro Michele. Das hat mir gefallen. Die Mathematiklehrerin hat mein Sohn, der zukünftige Rallyefahrer, in einer der unzähligen von ihm getätigten Personenbschreibungen mit ebenso violetten Haaren wie Kleidern beschrieben, womit er völlig recht hatte, wie ich feststellen konnte. Eine attraktive Frau, ich neige dazu, sie zu bewundern. Aus der Ferne. Aus der Nähe betrachtet das alles MM und ist am Rande des Amoklaufs. Vater mit Pumpgun in Schule. Motiv: wiederholte Änderung des Stundenplans für den Nachmittagsunterricht ohne Vorankündigung.

Unser Haus, unsere Baustelle hat immer noch einen erotischen Effekt auf mich. Ich stehe vor den riesigen Fensterflächen und alles ist ganz still. Keine Maurer hämmern, man hört nur die Vögel zwitschern, den Fluss rauschen und meinen Atem. Ich höre mich schnaufen, so unglaublich finde ich diese Neuigkeit. Ich bin zutiefst zufrieden darüber, dass ich das alles noch so mag. Im rosa Zimmer ist es fast dampfig heiß und es scheint schon ganz lange her, dass ich dort in der Winterjacke mit der Mütze auf dem Kopf schrieb, der Obermaurer an der Tür klopfte und irgendwelche Auskünfte bezüglich Badewannen wollte.

Mit Stefanos Hilfe ist ein respektabler Gemüsegarten entstanden, ich knipse etwa zehn Kürbisblüten ab und denke, das habe ich doch eben erst getan, mit den letzten, im November, und jetzt sind die ersten Blüten schon wieder da, ist der Winter wirklich vorbei?

Am Donnerstag fahre ich viel mit dem Auto hin und her und meine Nervosität wächst, denn einer fehlt zum Appell - wo ist der gehende Mann? Ich fühle mich verlassen, so als hätte man den halben Ort, den ich so mag, weggesprengt, als würde es nun für immer regnen auf meiner Straße. Es ist klar, dass er nicht ein Jahr lang gehen kann, rede ich mir ein, es wird etwas anderes kommen.
Am Freitag nachmittag, als ich (zu spät) mit dem Kind auf dem Rücksitz von einer Schule zur anderen fahre, sehe ich ihn schon von weitem, wie eine bekannte Fata Morgana: er setzt sich eben an einen Tisch einer Bar am Straßenrand. Nicht der schönste aller Orte, aber es scheint sich um seine Stammkneipe zu handeln, denn dort habe ich ihn schon öfter gesehen. Er ist ganz in schwarz gekleidet und auf eine Art privat, ohne Jacke und ohne Rucksack. Tiefe Zufriedenheit breitet sich in meiner Brust aus, wie eine warme Flüssigkeit. Ich bin beruhigt, die Grundfesten meines Lebens sind vorhanden. Meine Kinder sind gesund und lachen viel, mein Auto funktioniert, unser Haus steht noch und im Garten wachsen etwa hundert Pflanzen Lattugasalat. Der Schnittlauch ist wieder aufgetaucht. Und am Tag meiner Abreise leisten MM und ich uns den Luxus, beim Frühstück miteinander zu sprechen. Seine Arbeit zu kennen, meint MM, sei etwas anderes, als sie zu können. Wer gut arbeite, erneuere die Arbeit ständig. Schön formuliert. Eine halbe Stunde später schreie ich ihn aber bereits an, denn ich schaffe es nicht, ein Dokument auszudrucken, weil mein Computer anders (für die Arbeit, grrr!) eingestellt wurde und MM findet, ich soll das lassen und ich finde, er soll mich nicht schlecht behandeln. Ich habe drei Minuten Zeit zu duschen, weil meine Kinder sich freundlicherweise in der Küche die Zähne putzen. Das alles wird in unserem neuen Haus mit den drei Badezimmern nicht passieren. Auch wenn wir nach einem Kostenstand einsehen müssen, dass wir das begehrteste Element aller Erneuerungen weiterhin entbehren werden: wenn wir im nächsten halben Jahr auch essen wollen, werden wir auf den Holzboden verzichten. Ich sehe mich heldinnenhaft überall Fleckerteppiche auflegen. Es ist mir egal, dann muss ich mich wenigstens nicht vor Housewarmingpartys und Kinderfesten fürchten, bei denen Chips in den nagelneuen Boden eingetreten werden. Und wenn wir uns dann den Holzboden leisten können, machen wir das Holzbodeneinweihungsfest und rutschen alle mit Filzpatschen herum.

Dienstag, 11. Mai 2010

nach Hause telefonieren

Wenn ich das Mobiltelefon von MM anwähle, dann kann es passieren, dass gleich mein kleiner Sohn dran ist. "Mamma!" sagt er weinerlich mild, "mi manchi tanto!" "Du mir auch, mein Schatz, aber in 9,7,6,5, je nachdem Tagen komme ich. " Dann muss er Tage zählen, was lange dauert, zu lange, also sagt er: "Kann ich dir was vorsingen?" "Klar!" sage ich. Er beginnt, hält inne. "Kannst du am Ende applaudieren?" "Ja, sicher." Dann singt der achtjährige Knabe mit Inbrunst ein Lied, bei dem es um Eifersucht und Einsicht geht. Dazwischen gibt es eine Pause (in der man bitte nicht fälschlich klatschen soll) und dann kommt: esplode il cuore, distante anni luce fuori da me. Diesen Teil hab ich immer schon merkwürdig gefunden, die Vorstellung, dass ein Herz explodiert - das finde ich nicht schön. Aber das Kind singt schön und dann applaudiere ich. Das Telefon wird augenblicklich an einen großen Bruder weitergegeben. Aber der eine kann nicht, der wäscht ein Auto, also der Rallyefahrer (außer Atem): Ciao Mammina!
D: Ciao Amore, was machst du?
R: Ich spiele Samurai!
D: Mit wem?
R: Alleine.
D: Womit?
R: Mit dem Schwert von Zorro, das du mir gekauft hast.
D: denkt: armes Kind, er bräuchte ein Samuraischwert, mit dem Plastikzeug kann er doch kein Samurai sein. Sagt: Aha.

Dattilografa und der Rallyefahrer sprechen über das nicht angekommene Geschenk der Großmutter und die Pasta al forno, die der Papa kocht (in den Ofen schiebt, die hat nämlich Nonna gebracht), in aufzuckender Eifersucht stelle ich mir vor, wie MM ALLEINE Teigmuscheln mit Ricotta und Spinat füllt, unser gemeinsames Sonntagsvergnügen, bei dem wir uns in Gleichklang bringen und uns wie Marathonläufer fühlen, wenn wir zwei riesige Pfannen vollfüllen. Ich glaube, am besten gefällt MM an unserer üppigen Familie, dass man immer viel kochen kann.

Dann kommt der Autowäscher, der sich ein bisschen wie Jesus vorkommt und beide Autos vom Wüstensand befreit hat. Kurz angebunden am Telefon wie immer. Mir schwant Böses. Sicher Pubertätsschübe. Hoffentlich reg ich mich nicht gleich nach meiner Ankunft auf.

Meine vorübergehende Heimkehr steht unmittelbar bevor, das merke ich daran, dass meine Aufmerksamkeit wieder normale Dimensionen annimmt und ich nicht ausschließlich mit dem Überleben beschäftigt bin.
Heute morgen beim Frühstück konnte ich im Hotel dem Gespräch einer Damenrunde lauschen. Sie sprechen italienisch, aber ich glaube nicht alle Damen sind echte Italienerinnen. Eine laute Stimme fragt: Hast du die Menstruation? Meine Teetasse bleibt in der Luft stehen. Wie bitte? Ich meine, ob du noch menstruierst oder ob du Hormontabletten nehmen musst. Mauschel mauschel mauschel, dann wieder die laute Stimme: Aber die machen doch Krebs! Mir sinkt der Mut.
Ich will ja nicht neugierig sein, sagt die mit der lauten Stimme, aber...in diesem Moment kommt der wichtigste Mann meiner Arbeit und stört meine Tätigkeit als Belauscherin. Beim Rausgehen werfe ich einen raschen Blick auf die Damen. Vielleicht besuchen sie ja einen Konversationskurs zu aktuellen Themen. Ich würde nie einen Satz sagen, wie: ich will ja nicht neugierig sein. Ich bin wahnsinnig neugierig und es fällt mir schwer, keine Fragen in belauschte Gespräche einzuwerfen.

Samstag, 8. Mai 2010

Famous blue raincoat

Nach zehn Stunden Schlaf und erfreulich entspannten Träumen, in denen ich endlich genug Zeit zum Arbeiten habe und meine Nase an der Wange des einzigen Kollegen, den ich bewundere reibe, betrachte ich im Spiegel, während ich meine Fingernägel feile, meine Zähne. Ich denke, dass ich nach dieser Arbeit zur Zahnhygiene gehen werde. Ich denke an die Zahnklinik mit dem Blick aufs Meer und die Insel aus dem Behandlungsstuhl. Ich denke an die Bar, in der ich auf dem Rückweg aus der Zahnklinik einen Aperitif einnehmen werde. Alles ist sonnenbeschienen, fast klebt das Hemd schon auf der Haut, aber eine leichte Brise vom Meer bringt Kühlung. Vielleicht nehme ich die Kinder mit, denn es werden Ferien sein und ich spüre, wie meine Finger ein wenig zusammenkleben vom mit dem Taschentuch aus dem Gesicht gewischten Eis. Ich sehe blau wie Meer und weiß, wie von der Sonne beschienenes Hemd und grün wie das T-shirt meines Sohns. "Deep in the south" steht über meinen Gedanken. Da fällt mir Leonard Cohens Lied "Famous blue raincoat" ein: I hear that you're building your little house - deep in the desert. Früher habe ich dieses Lied immer in der Version von Jennifer Warnes gehört und ich war sie, die mit Pathos Frieden mit einem ihm schließt: I'm glad, that you stood in my way. Wenn Leonard Cohen singt, kenn ich mich nicht mehr ganz aus. Ein Mann ist weggegangen und baut sich ein Haus in der Wüste, hinter sich hat er einen Haufen Chaos hinterlassen (Jane, die Frau vom Sänger, hat er nämlich allein, nur mit einer Haarlocke von sich zurückgelassen, that night when he planned to go clear - ein Mann, der weggeht, um sich über etwas klar zu werden und nie mehr wieder kommt). Jetzt schließt Leonard Cohen mit dem weggegangenen Mann Frieden (my killer, my brother) und die einen wohnen in Clinton Street, New York, der andere eben in der Wüste. Heute morgen, mit dem Blick auf meinen zahnhygienebedürftigen Unterkiefer kommt mir die Erleuchtung, dass ich ER bin, keineswegs die verlassene Frau, die sich aussöhnt, ich bin der mit dem berühmten blauen Regenmantel über der Schulter, der in die Wüste gegangen ist. Wow! Seine Reputation ist zwar nicht gerade nicht die beste (you treated some woman like a flake of your life), aber dass er so bedürfnislos in die Wüste geht, mit einer Rose zwischen den Zähnen und Locken von sich herschenkt... Es macht auch nichts, dass Leonard oder Jennifer singt: "The last time we saw you, you looked so much older." Wen wundert's?

Meine Kinder werden heute von ihrer Tante von der Schule abgeholt, der Kleine, der samstags keine Schule hat, durfte mit ihr in die Schule gehen. Meine Schwägerin ist Religionslehrerin. Die Kluft zwischen uns und ihrem vatikantreuen Stil ist unüberwindbar, breiter als der Stretto di Messina, da könnte nicht mal Berlusconi eine Brücke drüber bauen, auch keine Fähren fahren langsam von einem Ufer zum anderen. Aber MM kann unbehelligt auf unserer Baustelle arbeiten, in unserem Haus, das - und das ist ein Grund, eine Flasche Prosecco zu entkorken - seit gestern Fenster hat!

Mittwoch, 5. Mai 2010

Stille Post

Am Ende dieses zur Hälfte allein verbrachten Tages - wie schön, endlich allein sein! - habe ich Lust, jemandem etwas ins Ohr zu flüstern. Das erstaunt mich sehr, denn ich habe nämlich gar nichts zu sagen. Ich würde also einfach meine Lippen nahe an das Ohr eines anderen Menschen bringen und leise machen: schwschwschwschwschwschww. Ich würde seine Haare an meiner Nase kitzeln spüren und ich würde mir vorstellen, wie mein warmer Atem an sein Ohr dringt und ihm der Kitzel am Hals den Kopf gegen die Schulter drücken lässt. Und er kichern muss. Vielleicht würde er meinem wortlosen Flüstern einen Sinn abringen, so wie beim Stille-Post-Spiel. Er würde eine lange Geschichte hören, die keiner erzählen kann, und die wir alle gerne hören würden. Erst auf einer Holzbank sitzend, an die Wand gelehnt, ein Bein hochgestellt und lachend, dann schlafend und die Geschichte geht weiter, sein/mein/ihr/dein Kopf in meinem/seinem/deinem/ihrem Schoß. Und ein Teil der Geschichte spielt im nächtlichen Wald, damit wir ein wenig erschauern und froh sind, im Warmem und im Licht zu sein.

Dienstag, 4. Mai 2010

Die Liebe in den Zeiten der Cholera

Wie lange ist es her, seit mir mein Freund, der Schriftsteller, dieses Buch ans Herz gelegt hat? Zwanzig Jahre? Gelesen habe ich es vor vier Jahren mit Inbrunst und einem Gips am Unterschenkel. Ein Achillessehnenriss, zwei Monate Gips, 70 Antithrombosespritzen und anschließend zwei Monate Physiotherapie - dann schon mit hundert Jahre Einsamkeit in der Tasche. Schuld war ein ausgelassener Sprung bei "Help me Rhonda" von den Beach Boys. Zwischen der Liebe in den Zeiten der Cholera und den hundert Jahre Einsamkeit lagen ehrlicherweise ein paar Wallandergeschichten. Den kurz danach entstandenen Film "Die Liebe in den Zeiten der Cholera" habe ich mir nicht angeschaut und ich hoffe, es wird mir nie zufällig passieren.

Warum fällt mir das ein? Weil ich einen Moment normales Leben lebe, das heißt, Zeit habe, zu erkennen. Nach 17 Arbeitstagen ohne Unterbrechung mit wenigen Stunden Schlaf liegt ein Tag abseits der Routine vor mir, eingeleitet von der Fahrt im Regen mit einem sportlichen BMW, den meine Kinder lieben würden. Ich denke an die Liebe in den Zeiten der Cholera, weil es darum geht, auszuhalten und weil es um die Libido geht, die Kraft, die es uns erlaubt, auszuhalten. In meiner Arbeit bin ich on the edge. Heute morgen stehe ich nach dem zweiten Mal vier Stunden Schlaf vor dem Spiegel und ich möchte heulen. Wozu das alles? Ich rette hier kein Menschenleben. Und ich liebe meine Arbeit nicht und auch keinen Menschen, der damit verbunden ist. Aber etwas Anarchisches schleicht sich ein, ich tue, was ich tun muss und es ist okay. Eine Frau, mit der ich ein paar Tage gearbeitet habe, schreibt: Danke für deine Freundlichkeit und deine Engelsgeduld. Ist das die Geduld von Florentino Ariza, während derer ihm langsam die Zähne ausfallen?

Als ich im geborgten Sport-BMW durch den Regen fahre kommt die Lösung wie so oft aus dem Autoradio. Heute von Tina Turner: I'm your private dancer, I dance all for money, I do what you want me to do.

Der Rallyefahrer ist heute elf Jahre geworden und es ist mir erst um halb neun Uhr abends eingefallen. Gerade noch rechtzeitig. MM hat es geschafft, 1600km entfernt, eine Torte zu backen. MM is a star, er zeigt den Kindern lustige Videos auf youtube und der kleine Sohn singt schon seit längerer Zeit nur noch ins Telefon. Er singt meine Lieblingslieder (Noemi, per tutta la vita zum Beispiel)von Anfang bis Ende und perfekt. Dann sagt er: Ich geb dir Papa.

Mittwoch, 21. April 2010

Splendid Isolation

In den letzten zweieinhalb Wochen hat es bis auf die Sonntage keinen einzigen Tag gegeben, an denen ich nicht mindestens 12 Stunden gearbeitet hätte. Ich frage mich, was mit den verbleibenden 8 - 12 Stunden geschehen ist, denn geschlafen habe ich die nicht. Fahrzeit darf man nicht unterbewerten. Die Zeit, in der ich auf einem interessant riechenden Markt ein Vollkornkipferl einkaufe. In meiner Abwesenheit scheinen meine ohnehin großartigen Kinder zu radikal von der Gesellschaft abweichenden kleinen Monstern mutiert zu sein. MM, der immerhin einsieht, dass er seit einem halben Jahr kein Frühstück mehr zubereitet hat (weil er ja die Aufgabe hatte, die Renovierung unseres Hauses aus nächster Nähe zu beobachten), kämpft mit den Naturgewalten und erzählt, dass der Rallyefahrer ihn höflich daran erinnert, dass er nur jeden zweiten Tag einen Saft zur Schuljause geben soll, auf dass dieser Saft nicht zu Ende gehe. So macht es nämlich die Mamma. Über Umwege erfährt MM, dass Kindergeburtstage stattfinden, aber die Kinder nicht einmal anmelden, dorthin gehen zu wollen, weil sie offenbar wissen, dass Papa schon mit der täglichen Routine seine Mühe hat und ihm alle Extras ersparen wollen. Und kleine Geschenke für Schulkolleginnen besorgen kann er wahrscheinlich auch nicht. Sie weisen ihnen darauf hin, dass er gesagt hat, er lasse sie nicht mehr am Computer spielen, wenn sie nicht auf Zuruf aufhören könnten, als er sie an den Computer schickt (er muss nämlich das Haus verlassen, um zum Tod der Schwiegermutter meiner Schwägerin zu kondolieren und es gibt keinen besseren spontanen Babysitter als den Computer). Meine Kinder gehen nicht auf den Schulausflug, weil MM findet, von fünf Uhr morgens bis zehn Uhr abends unterwegs zu sein sei nicht vergnüglich für unsere Kinder. In ihrer Schule sind nämlich stets Projekte angesagt und eines heißt:"Wir und die Institutionen". Meine Kinder hätten also nach Reggio Calabria fahren müssen, um bei einer Sitzung der Regionalregierung teilzunehmen (würg), anschließend den Stretto von Messina mit der Fähre überqueren (haben sie schon mit uns gemacht, wichtig, bevor der Zwerg seine Brücke baut...), um dann in Messina Mittag zu essen und in ein Museum zu gehen. Der Zeichenlehrer erlaubt sich, sich in unsere persönlichen Angelegenheiten zu mischen und weist MM darauf hin, dass der Besuch dieses Museums für unseren zeichnerisch hochbegabten Sohn wichtig wäre. Gelangweilt erwidert MM, dass unser begabtes Kind bereits in Wien mehrmals das kunsthistorische Museum besucht hätte und daher nicht zwingend diese Reise nach Messina antreten müsse. Er sagt nicht, dass unsere Kinder dauernd Kunstbücher anschauen (wegen den Nackten auf den Gemälden nämlich). Und er sagt auch nicht, dass er diese Schulausflüge hasst, weil die Kinder nichts essen und trinken können, weil sie dauernd im Autobus sitzen, in dem man nichts essen und trinken darf und weil sie an allem aus Zeitnot vorbeirennen, was MM am allermeisten hasst. Unsere Kinder sind nicht sonderlich betroffen, weil zufälligerweise (?) die Eltern ihrer besten Freunde die Sache ähnlich zu sehen scheinenn, die Kids machen sich einen netten Tag in der Schule. Am nächsten Tag gehen die Kinder, die auf dem ausflug waren, natürlich nicht in die Schule, weil sie fix und fertig sind, ein Alptraum für berufstätige Eltern.
Gestern schaffe ich es, zwei Stunden mit meiner Freundin zu sprechen und wir reden über den sozialen Druck, der auf uns als Eltern lastet. Wenn unsere Kinder die einzigen sind, die weder ein Nintendo, noch ein Mobiltelefon besitzen. Heute denke ich, dass ich anders als alle anderen sein wollte, seit ich elf oder zwölf bin, warum ist es so schwierig auszuhalten, dass meine Kinder auch anders sind. Weil ich schuld daran bin? Weil sie wie alle anderen sein wollen? Wollen sie das wirklich?
Meine Kinder fragen mich, ob sie im neuen Haus sehen können, was auch die anderen Kinder im Fernsehen sehen. Ich frage sie, ob sie irgendeine Fernsehsendundung für Kinder nicht kennen würden. "Ja!" (Hoffnung). Ich sage nein, wir werden auch dort nicht fernsehen, aber nicht, weil das Fernsehen nicht funktioniert, sondern weil wir fernsehen nicht super finden. Aha. Naja. Unsere Kinder sind umgeben von Kindern mit Playstations. haben nahezu unbeschränkten Zugang zum Fernseher der Oma. Aber das sind Ausnahmesituatonen. Und wie sie den Saft zur Schuljause nicht jeden Tag wollen, würden sie auch nicht jeden Tag fernschauen wollen (sie wissen es nur nicht). Was sie jeden Tag wollen, ist mit allen zusammen zu Abend essen und mit dem Hund spazieren gehen. Kein Kind, das eine öffentliche Schule besucht, ist ein medialer Kaspar Hauser. Noch wissen meine Kinder nicht, dass sie ihren Schulkollegen um Lichtjahre voraus an Lebenserfahrung sind, dass sie viele viele Kilometer mehr als die anderen zurückgelegt haben. Dass es ein Privileg ist, dass MM sie täglich aus De Amicis Roman "Cuore" (1886?)lesen lässt, statt ihnen ein Nintendo zu kaufen. Sie finden es nicht toll, aber sie sind uns auch nicht böse dafür.
(In Wirklichkeit sind eh alle Eltern gegen exzessives Fernsehen, elektronische Spielgefährten und bedingungsloser Teilnahme an allem. Sie trauen es sich nur nicht zu sagen. Ihren Kindern zu sagen.)

Dienstag, 20. April 2010

ausrasten

Es gibt doch dieses wissenschaftlich unerklärte Phänomen, dass wenn ein Mensch gähnt, die anderen Menschen auch gähnen müssen. Zu diesem gesellt sich ein neues Phänomen: wenn ein Mensch im öffentlichen Raum zu seinem Mobiltelefon greift, müssen das die anderen auch tun. Vielleicht brummt, vibriert,läutet ja doch ihr Handy? Wenn einer laut telefoniert, wollen das alle anderen auch tun. Sie sind mindestens genauso wichtig, geliebt, gebraucht.
Eine Frau teilt über ihr Mobiltelefon mit, dass sie schon nach Hause gehe und das Kind selbst abholen könne. Die Person am anderen Ende der Leitung (sagt man das heute noch?) könne sich "ausrasten". Es muss sich also um die Oma handeln (eine weibliche Stimme höre ich entfernt), denn die Babysitterin will sich ja nicht ausrasten, die will ja Geld verdienen. Schönes Wort: ausrasten. Ich sehe die Oma, die schon mit dem Hut vor dem Spiegel stand, sich wieder entkleiden, die Schuhe mit einem Seufzer ausziehen und die Füße in den Nylonstrumpfhosen auf die Sofalehne legen. Ausrasten, von den anstrangenden Tätigkeiten. Rasten, inne halten. Sich ausrasten. Nicht: ausrasten. Das, was ich täglich vermeide. Ich raste nicht aus. Ich habe mich unter Kontrolle. Wie kann das ausschauen, ausrasten? Ich sehe meine Zunge anschwellen und aus dem Mund heraus quellen, die Haare stehen mir zu Berge und ich schüttle die nächstbeste Person, hoffentlich nicht die falsche. Möglicherweise schlage ich mit der Hand auf die Tischplatte, das gefällt mir ausgezeichnet, das mache ich auch, wenn mir nicht die Augen hervorquellen, das mache ich ab und zu auch als ausrastende Mutter.
Eigentlich würde ich ja sagen, auszucken und nicht ausrasten. "Gleich zuck ich aus" geht mir leichter von den Lippen. Aber ich muss mich beherrschen, denn wenn ich wirklich auszucken oder ausrasten sollte, dann werde ich mich benehmen, als litte ich unter dem Tourette-Syndrom. Das passiert mir auch manchmal als Mutter und ich hoffe, dass meine Kinder nicht wissen und es nie erfahren werden, was "fottuto" heißt. Sonst tu ich ja immer sehr heilig und wenn mich meine Kinder zum Thema Mittelfinger befragen, dann sage ich: ehrlich gesagt, ich weiß nicht so recht, wo man diesen Finger hinstecken soll, aber den Leuten, denen man ihn zeigt, will man doch nichts wohin stecken, also besser, man verwendet dieses Zeichen gar nicht.

Während ich hier mit dem Zorn hadere, schreibt MM, dass am Monatsende die Fenster kommen und am Telefon erzählt er von Waschbecken und Kloschüsseln. Die Nachbarin ruft ihn an, weil sie ihn schon so lange nicht gesehen hat, was er sehr nett findet. Naja.

Wofür arbeiten wir denn heuer?, fragt ein Kollege, der weiß, dass ich letztes Jahr für den Holzboden gearbeitet habe. Der Holzboden ist leider gar nicht gesichert, denn letztes Jahr wusste ich noch nicht, dass ich eigentlich für den Kloabfluss und die Abdichtungen an den Außenmauern arbeite und in Wirklichkeit fließt das Geld, das ich jetzt verdiene, schlicht und ergreifend in das neue Gebiss von Frau Obermaurer.

Die fehlen mir gar nicht so, die Maurerjungs, aber an den gehenden Mann denke ich oft. Da ich hier mehr Zeitung lese, bin ich überzeugt, dass er einen Selbstversuch macht, den er in einem renommierten Blatt veröffentlichen wird. "Wie ich 10000km gegangen bin, ohne dass mich je jemand angesprochen hat." Oder wie er sich täglich vergiftet oder wie er 2000 Plastiktüten aufgehoben hat, ohne das Müllproblem zu lösen. Es erscheint mir sehr dringend, mit ihm in Kontakt zu treten.

Mittwoch, 14. April 2010

what are we doing here?

es ist nämlich so: ich bin ein weiblicher Hulk, nur trage ich keine violetten Unterhosen. Da ich minderjährige Männer im Haus habe, kenne ich Hulk. Er muss sich sehr konzentrieren, um sich nicht aufzuregen, was ihm nicht immer gelingt, dann sprengt er sein Gewand (außer der violetten Unterhose), der Hals schwillt ihm an und er wirft manch Auto durch die Gegend.
So ist es mir heute auch gegangen: jemand, der findet, er könnte sich an mir abreagieren, reagiert sich an mir ab. Ich sage: "Grüß euch!", statt "Leck mich!" und gehe. Ohne es zu wollen, knalle ich eine Tür auf (weil schon der Hulk in mir wächst und ich überdimensioniert stark werde), da kommt der Mann, den ich 15 Jahre nicht gesehen habe und sieht in einem Moment alles (wahrscheinlich erkennt er es an der grünen Farbe). Er sagt: "Stressig? Du kriegst einiges ab." Ich habe ihn nie geliebt und 15 Jahre lang in schlechter Erinnerung gehabt. Heute liebe ich ihn zum ersten Mal. Ist er im Lauf der Jahre sensibel geworden? Ich sage: "Wird schon." Ich sage es in den regenverhangenen Himmel.

Am Abend telefoniere ich mit meinen Kindern. Ich sage, ich fahre mit drei Kollegen im Auto. Mein ältester Sohn sagt, lass deine Kollegen schön grüßen. Meine Kinder sind sozial so kompetent. Sie sind nicht deppert, sie sind einfach freundlich. Wenn ich denke, ich lass sie jetzt, sie wollen ihren Film sehen (MM schaut sich mit ihnen "Duell" von Steven Spielberg an), dann sagen sie: Halt, wie war dein Tag?

Vor ein paar Jahren hörte ich im Fernsehen, dass Tv-Star X ein Kind bekommen hat und gefragt wurde, was sie sich für ihr Kind wünsche und sie antwortete: dass es schlau wird (che diventi furbo). Schlau heißt aber nicht klug, sondern andere übers Ohr hauen. Dieser Satz ist für mich bis heute die Metapher für die verrottete Welt, in der wir in Italien leben.

Heute denke ich, die soziale Kompetenz ist total unnötig, ich hätte meine Kinder zu Heckenschützen erziehen sollen. Was uns retten könnte, ist ihr Sinn für Ironie. Und dann ist da wieder der eigentliche Schmerz: sie sind nämlich nicht arm, weil ich nicht bei ihnen bin, sondern ich bin arm, weil ich nicht bei ihnen bin, jeder Tag ohne sie ist ein Verlust.

MM sagt, er fahre bereits auf Reserve. Ja, das ist anstrengend: Kakao machen, Gewand heraus legen, Schulbrot machen, Fragen beantworten, in die Schule bringen, abholen, Hausaufgaben, Sorgen, Mitschüler, Fragen beantworten, Geburtstage, spielen, Wäsche waschen, Filme schauen, Spaziergang mit dem Hund, Fragen beantworten, Wäsche waschen, willst du zeichnen, Abendessen kochen, duschen, Abendessen essen, Fragen beantworten, und wie wars in der Schule?, neuer Pyjama, Bett überziehen? Wo sind die Batterien, Knopf annähen, Schuhe stinken, unterschreiben für den Schulausflug, Fragen beantworten, Bett überziehen, Hustentropfen, Tränen trocknen. Was immer vergessen wird: Buntstifte spitzen, Ticket für die Mensa, Bildschirm einstellen für das Computerspiel, zum next level verhelfen und die vielen Fragen, denen man ausweicht.

Was ist, wenn die Hosen zu kurz werden, einer sich das Kinn aufschlägt und ein anderer beschließt, in der Schule nur noch zu singen? Dann kann ich eigentlich nur noch kündigen, wozu ich heute große Lust hätte. Zum Glück sind meine Kinder extrem kooperativ und gehen auch mit zu kurzen Hosen aus dem Haus, schlagen sich kein Kinn auf, gehen schon lange mit Freude in die Schule und singen zu Hause. Und wenn sie in der Schule anfangen zu singen, dann heißt es eben: Man merkt halt schon, dass die Mamma nicht da ist. Solange man nicht merkt, dass die Mutter Hulk ist...

Dienstag, 13. April 2010

I wish I was as fortunate, as fortunate as me

Meinen vierzigsten Geburtstag habe ich in Irland verbracht, weil ich dort vorher nie gewesen war und an einem Ort sein wollte, an dem alle so ausschauen wie ich. Das hat funktioniert. Ich habe in Dublin einen Pullover gekauft, auf dessen Etikett steht: Fisherman - out of Ireland. Das bin ich.

Ich bin aber auch Dirk, der Name, der auf einer Tasse steht, die ich aus einer Ferienwohnung einmal mitgenommen habe.

Lieber bin ich der Fisherman far from home, aber in diesen Tagen bin ich Dirk, was bleibt mir anderes übrig, die Arbeit ist immer noch hassenswert, aber vor lauter Arbeit fällt mir das gar nicht mehr auf. Mein Freund, der Schriftsteller, sagt, mein Job sei lukrativer als Schreiben im rosa Zimmer, aber ich bin mir nicht sicher, ob er auch pornografische Literatur bedacht hat.

Auch mit der Stadt beginne ich mich abzufinden, heute morgen sah ich vor einer U-Bahnstation an einer großen Geschäftsstraße einen Mann mit schwarzer Kleidung und Cowboyhut hingebungsvoll zur Musik aus seinem Walkman tanzen. Er war sehr groß und er tanzte durchaus gut. Im Mund hatte er eine Zigarette stecken, seine Augen waren geschlossen, seine Arme dynamisch nach oben gereckt. Um ihn herum war es leer, er hatte seinen Raum. Ich lächelte und alles war nicht mehr so schlimm. Eigentlich wollte ich zurück gehen, um ihm zu sagen: "Sir, you made my day", aber ich war wie immer in Eile. Ich dachte noch, dass vielleicht alles nicht so schlimm sei und dass ich vielleicht doch noch ein freundlicher Mensch werde. Sogar als meine Kollegin sagte: "So spät heute?!" sagte ich nur gelassen: "Als ich daran dachte, wie spät es heute abend werden wird, hat sich mein Rhythmus verlangsamt." Ich hätte zurück gehen und dem Mann beim Tanzen zusehen sollen.