Samstag, 8. Mai 2010

Famous blue raincoat

Nach zehn Stunden Schlaf und erfreulich entspannten Träumen, in denen ich endlich genug Zeit zum Arbeiten habe und meine Nase an der Wange des einzigen Kollegen, den ich bewundere reibe, betrachte ich im Spiegel, während ich meine Fingernägel feile, meine Zähne. Ich denke, dass ich nach dieser Arbeit zur Zahnhygiene gehen werde. Ich denke an die Zahnklinik mit dem Blick aufs Meer und die Insel aus dem Behandlungsstuhl. Ich denke an die Bar, in der ich auf dem Rückweg aus der Zahnklinik einen Aperitif einnehmen werde. Alles ist sonnenbeschienen, fast klebt das Hemd schon auf der Haut, aber eine leichte Brise vom Meer bringt Kühlung. Vielleicht nehme ich die Kinder mit, denn es werden Ferien sein und ich spüre, wie meine Finger ein wenig zusammenkleben vom mit dem Taschentuch aus dem Gesicht gewischten Eis. Ich sehe blau wie Meer und weiß, wie von der Sonne beschienenes Hemd und grün wie das T-shirt meines Sohns. "Deep in the south" steht über meinen Gedanken. Da fällt mir Leonard Cohens Lied "Famous blue raincoat" ein: I hear that you're building your little house - deep in the desert. Früher habe ich dieses Lied immer in der Version von Jennifer Warnes gehört und ich war sie, die mit Pathos Frieden mit einem ihm schließt: I'm glad, that you stood in my way. Wenn Leonard Cohen singt, kenn ich mich nicht mehr ganz aus. Ein Mann ist weggegangen und baut sich ein Haus in der Wüste, hinter sich hat er einen Haufen Chaos hinterlassen (Jane, die Frau vom Sänger, hat er nämlich allein, nur mit einer Haarlocke von sich zurückgelassen, that night when he planned to go clear - ein Mann, der weggeht, um sich über etwas klar zu werden und nie mehr wieder kommt). Jetzt schließt Leonard Cohen mit dem weggegangenen Mann Frieden (my killer, my brother) und die einen wohnen in Clinton Street, New York, der andere eben in der Wüste. Heute morgen, mit dem Blick auf meinen zahnhygienebedürftigen Unterkiefer kommt mir die Erleuchtung, dass ich ER bin, keineswegs die verlassene Frau, die sich aussöhnt, ich bin der mit dem berühmten blauen Regenmantel über der Schulter, der in die Wüste gegangen ist. Wow! Seine Reputation ist zwar nicht gerade nicht die beste (you treated some woman like a flake of your life), aber dass er so bedürfnislos in die Wüste geht, mit einer Rose zwischen den Zähnen und Locken von sich herschenkt... Es macht auch nichts, dass Leonard oder Jennifer singt: "The last time we saw you, you looked so much older." Wen wundert's?

Meine Kinder werden heute von ihrer Tante von der Schule abgeholt, der Kleine, der samstags keine Schule hat, durfte mit ihr in die Schule gehen. Meine Schwägerin ist Religionslehrerin. Die Kluft zwischen uns und ihrem vatikantreuen Stil ist unüberwindbar, breiter als der Stretto di Messina, da könnte nicht mal Berlusconi eine Brücke drüber bauen, auch keine Fähren fahren langsam von einem Ufer zum anderen. Aber MM kann unbehelligt auf unserer Baustelle arbeiten, in unserem Haus, das - und das ist ein Grund, eine Flasche Prosecco zu entkorken - seit gestern Fenster hat!

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