Freitag, 28. Mai 2010

was mir fehlt

Mir fehlt mein Blick aufs Meer, verstellt vom Oleander im alten Haus, mir fehlt der Blick aufs Meer, verstellt von einer Eiche im neuen Haus.
Mir fehlen die Kinder, der Kleine, der verständnisvoll antwortet: Ich geb dir meine Brüder, wenn ich sage: ich wollte dich nur kurz grüßen, ich arbeite; der Mittlere, der sagt: Ciao Mamma, ciaociaociao; und der Große, der mit rauchiger Stimme sagt, "Ja, Mamma!", wenn ich sage: in einer Woche komm ich wieder.
Mir fehlt die theatralische Aufregung der Italiener, die mir keine Angst macht, im Gegensatz zu der manchmal beunruhigenden Aufregung der Menschen, mit denen ich meine Muttersprache teile.
Mir fehlt selbstverständlich der Mann, der geht, denn hier gibt es keine gehenden Männer, hier gibt es wenig interessante Männer, eigentlich überhaupt wenig Männer.
Mir fehlt, dass endlich einmal einer sagt: Mach dir keine Sorgen, das machen wir schon. Auch wenn das in Italien heißt: Machen sie sich keine Sorgen, rufen sie in zwei Wochen wieder an.
Mir fehlt MM, der sagt: Ich bitte dich, sag: Signorsi, mach es wie Terence Hill, der sich auch immer als Trottel ausgibt. Es geht vorbei. (Meine Freundin hier fragt, warum ich mich nicht besser abgrenzen kann...)
Mir fehlt mein Familienleben, mein Autoradio, mein rosa Zimmer, in dem ich schreibe, die Bar "Lo scoglio", in deren Nähe es einen echten Felsen im Meer gibt, mir fehlt unsere Babysitterin, die bald in einer Ferienkolonie am Meer arbeiten wird, in die man seine Kinder um acht Uhr morgens bringen kann und um drei wieder abholen, wenn sie nach einem Vormittag am Meer todmüde sind. Denn wie soll man sonst 13 Wochen Ferien hinter sich bringen? Während ich in deutschsprachiger Zone noch kein einziges kurzärmeliges Hemd gebraucht habe, muss MM sich fragen, ob er unseren kleinen Sohn nächste Woche überhaupt noch in die Schule schickt, da in der Woche vor den Ferien (ja, Ferien, Sommerferien), nur noch wenige Kinder (die mit den grauslichen berufstätigen Eltern) in die Schule gehen.
Mir fehlt die Gartenschere mit den blauen Griffen, mir fehlt der Küchenkasten mit der vielen De Cecco Pasta drin, mir fehlt das Basilikum, das MM bereits gepflanzt hat.
Mir fehlt der schwebende Friede im Haus, wenn alle Kinder schlafen.
Mir fehlt die Phantasie. Mir fehlt die Kraft.
Mir fehlt, dass ich auf der Terrasse die Augen zusammenkneifen muss, wenn ich die Wäsche aufhänge, oder eine Sonnenbrille aufsetzen muss. Mir fehlt der Platz mit der spektakulären Aussicht aufs Meer im Ort, in dem ich die Tickets für die Mensa meiner Kinder kaufe, und in dessen Bar ich mich regelmäßig ärgere, dass mein großer Sohn sich immer das teuerste Eis aussucht. Mir fehlt, mich über meinen großen Sohn zu ärgern. Ich hoffe, dass es meinem großen Sohn auch fehlt, sich über mich zu ärgern.
Mir fehlt die Abzweigung von der größeren Nebenstraße auf unsere kleinere Nebenstraße, im Schatten der Olivenbäume. Mir fehlen die Berge hinter dem Kopf. Mir fehlt der bunte Markt am Samstag vormittag in unserem neuen Ort, dort, wo ich eine Buchhandlung eröffnen will, mit meinen Kindern, die sich ernsthaft bereit erklärt haben: Wir helfen dir Mamma, wir ordnen die Bücher ein. MM fragt sich, warum ich nichts mehr verdienen will.
Mir fehlen die Bahnstationen mittags, wenn es heiß ist, und man auf Züge wartet, die schäbig sind, weil wir im Süden wohl nichts anderes verdienen.
Mir fehlt das Bedürfnis, mich mit der italienischen Regierung anlegen zu wollen, statt mit meinen Arbeitskollegen.

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