Mittwoch, 21. April 2010

Splendid Isolation

In den letzten zweieinhalb Wochen hat es bis auf die Sonntage keinen einzigen Tag gegeben, an denen ich nicht mindestens 12 Stunden gearbeitet hätte. Ich frage mich, was mit den verbleibenden 8 - 12 Stunden geschehen ist, denn geschlafen habe ich die nicht. Fahrzeit darf man nicht unterbewerten. Die Zeit, in der ich auf einem interessant riechenden Markt ein Vollkornkipferl einkaufe. In meiner Abwesenheit scheinen meine ohnehin großartigen Kinder zu radikal von der Gesellschaft abweichenden kleinen Monstern mutiert zu sein. MM, der immerhin einsieht, dass er seit einem halben Jahr kein Frühstück mehr zubereitet hat (weil er ja die Aufgabe hatte, die Renovierung unseres Hauses aus nächster Nähe zu beobachten), kämpft mit den Naturgewalten und erzählt, dass der Rallyefahrer ihn höflich daran erinnert, dass er nur jeden zweiten Tag einen Saft zur Schuljause geben soll, auf dass dieser Saft nicht zu Ende gehe. So macht es nämlich die Mamma. Über Umwege erfährt MM, dass Kindergeburtstage stattfinden, aber die Kinder nicht einmal anmelden, dorthin gehen zu wollen, weil sie offenbar wissen, dass Papa schon mit der täglichen Routine seine Mühe hat und ihm alle Extras ersparen wollen. Und kleine Geschenke für Schulkolleginnen besorgen kann er wahrscheinlich auch nicht. Sie weisen ihnen darauf hin, dass er gesagt hat, er lasse sie nicht mehr am Computer spielen, wenn sie nicht auf Zuruf aufhören könnten, als er sie an den Computer schickt (er muss nämlich das Haus verlassen, um zum Tod der Schwiegermutter meiner Schwägerin zu kondolieren und es gibt keinen besseren spontanen Babysitter als den Computer). Meine Kinder gehen nicht auf den Schulausflug, weil MM findet, von fünf Uhr morgens bis zehn Uhr abends unterwegs zu sein sei nicht vergnüglich für unsere Kinder. In ihrer Schule sind nämlich stets Projekte angesagt und eines heißt:"Wir und die Institutionen". Meine Kinder hätten also nach Reggio Calabria fahren müssen, um bei einer Sitzung der Regionalregierung teilzunehmen (würg), anschließend den Stretto von Messina mit der Fähre überqueren (haben sie schon mit uns gemacht, wichtig, bevor der Zwerg seine Brücke baut...), um dann in Messina Mittag zu essen und in ein Museum zu gehen. Der Zeichenlehrer erlaubt sich, sich in unsere persönlichen Angelegenheiten zu mischen und weist MM darauf hin, dass der Besuch dieses Museums für unseren zeichnerisch hochbegabten Sohn wichtig wäre. Gelangweilt erwidert MM, dass unser begabtes Kind bereits in Wien mehrmals das kunsthistorische Museum besucht hätte und daher nicht zwingend diese Reise nach Messina antreten müsse. Er sagt nicht, dass unsere Kinder dauernd Kunstbücher anschauen (wegen den Nackten auf den Gemälden nämlich). Und er sagt auch nicht, dass er diese Schulausflüge hasst, weil die Kinder nichts essen und trinken können, weil sie dauernd im Autobus sitzen, in dem man nichts essen und trinken darf und weil sie an allem aus Zeitnot vorbeirennen, was MM am allermeisten hasst. Unsere Kinder sind nicht sonderlich betroffen, weil zufälligerweise (?) die Eltern ihrer besten Freunde die Sache ähnlich zu sehen scheinenn, die Kids machen sich einen netten Tag in der Schule. Am nächsten Tag gehen die Kinder, die auf dem ausflug waren, natürlich nicht in die Schule, weil sie fix und fertig sind, ein Alptraum für berufstätige Eltern.
Gestern schaffe ich es, zwei Stunden mit meiner Freundin zu sprechen und wir reden über den sozialen Druck, der auf uns als Eltern lastet. Wenn unsere Kinder die einzigen sind, die weder ein Nintendo, noch ein Mobiltelefon besitzen. Heute denke ich, dass ich anders als alle anderen sein wollte, seit ich elf oder zwölf bin, warum ist es so schwierig auszuhalten, dass meine Kinder auch anders sind. Weil ich schuld daran bin? Weil sie wie alle anderen sein wollen? Wollen sie das wirklich?
Meine Kinder fragen mich, ob sie im neuen Haus sehen können, was auch die anderen Kinder im Fernsehen sehen. Ich frage sie, ob sie irgendeine Fernsehsendundung für Kinder nicht kennen würden. "Ja!" (Hoffnung). Ich sage nein, wir werden auch dort nicht fernsehen, aber nicht, weil das Fernsehen nicht funktioniert, sondern weil wir fernsehen nicht super finden. Aha. Naja. Unsere Kinder sind umgeben von Kindern mit Playstations. haben nahezu unbeschränkten Zugang zum Fernseher der Oma. Aber das sind Ausnahmesituatonen. Und wie sie den Saft zur Schuljause nicht jeden Tag wollen, würden sie auch nicht jeden Tag fernschauen wollen (sie wissen es nur nicht). Was sie jeden Tag wollen, ist mit allen zusammen zu Abend essen und mit dem Hund spazieren gehen. Kein Kind, das eine öffentliche Schule besucht, ist ein medialer Kaspar Hauser. Noch wissen meine Kinder nicht, dass sie ihren Schulkollegen um Lichtjahre voraus an Lebenserfahrung sind, dass sie viele viele Kilometer mehr als die anderen zurückgelegt haben. Dass es ein Privileg ist, dass MM sie täglich aus De Amicis Roman "Cuore" (1886?)lesen lässt, statt ihnen ein Nintendo zu kaufen. Sie finden es nicht toll, aber sie sind uns auch nicht böse dafür.
(In Wirklichkeit sind eh alle Eltern gegen exzessives Fernsehen, elektronische Spielgefährten und bedingungsloser Teilnahme an allem. Sie trauen es sich nur nicht zu sagen. Ihren Kindern zu sagen.)

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