Meistens habe ich mich als tickende Zeitbombe gefühlt, bereit, loszugehen, wenn das Mass an Provokation voll war. Heute würde ich mich als Selbstmordkommando geschmacklos fühlen. Nachdem ich mehrere Jahre lang nicht anders konnte, als in auswegslosen Situationen mit der flachen Hand auf den Tisch zu schlagen, finde ich auch diese Reaktion auf Missstände nicht mehr angemessen.
Ich bin müde.
Und gleichzeitig bin ich immer noch ein Fass, das permanent vom Überlaufen bedroht ist.
Meine Libido will die Dauben sprengen und auch meine Wut ist gefährlich.
Während ich als jugendliches Pulverfass intellektuell Peace and Love vertreten habe, bin ich als Frau im besten Alter unauffällig und unterschwellig gefährlich, denn mit jedem Tag meines Lebens wächst die Lust, jemandem meine Faust ins Gesicht zu schlagen ins Unermessliche. Ich sehe es vor mir: in Zeitlupe. Ich gebe zu, ich habe viele Boxerfilme gesehen und so wird es sein: meine Faust wird auf irgendjemandes Gesicht aufkleschen und dessen Unterkiefer wird sich verschieben und aus dem Zahnfleisch wird langsam eine bedeutende Menge an Blut schießen. Möglicherweise werden mir die Fingerknöchel weh tun und mein Herz wird heftig klopfen, aber es wird mir gut gehen, ich habe auf diesen Moment gewartet. Ich werde mich verwirklicht haben.
Der andere, mein Opfer, wird auch nicht tot sein, es wird ihm einfach der Schädel weh tun und er wird sich das verdient haben.
In der großen Stadt warte ich nur darauf, dass mich einer anfällt, aus Blödheit oder Verwirrtheit, der wird dann die geballte Wut meiner letzten 50 Jahre abbekommen. Das heißt: Ich habe keine Angst, aber wirklich nicht.
In Italien ist die Gefahr, dass mich jemand physisch bedroht geringer, die diffuse Wut nicht weniger groß. Vielleicht wird in meiner Phantasie nicht einem singulären Feind mit einem einzigen Schlag das Unterkiefer zertrümmert, hier würde ich gerne ein paar kräftige links-und-rechts-Watschen austeilen. In der großen Stadt in Mitteleuropa bieten sich Politiker an, im kleinen mafiösen süditalienischen Zusammenhang kleine mafiöse Kellerratten.
Dies sind meine geheimen großen Ziele: Steigt mir EINMAL auf die Zehen und ich mache euch so klein mit Hut und Feder. Mein Alltag besteht allerdings aus vielerlei kleinen Ärgerlichkeiten und ich möchte meinen Kindern jedoch den Eindruck vermitteln, als hätten sie ein stabiles Elternhaus und nicht eine Mutter, die bei einem auch nur kleinen Auslöser unvermittelt zu Joe Rambo wird. Dieses Gleichgewicht zu erhalten kostet mich viel Kraft, denn in Wirklichkeit bin ich keine stabile Peace and Love Mami, nein, ich BIN Joe Rambo und wehe wenn sie losgelassen.
Nur mein Intellekt kann mich retten und ich versuche es mit Mathematik und Masse.
Statt in die Schule des Kindes zu gehen und
1.) zu protestieren, dass die Musiklehrerin nie da ist
2.) mich aufzuregen, dass die Lehrerin der Klasse, der das Kind aufteilungsweise zugewisen wird, sich nicht durchsetzen und ergo nicht unterrichten kann, weshalb das Kind nun im Auto sitzt und sich den Kopf hält und sagt: "so viel Geschrei"
3.) zum Dirketor zu gehen, um die Mathematiklehrerin, die unlösbaren Probleme mit Prismen und aufgesetzten Pyramiden nicht löst, sondern stattdessen unangekündigt prüft, anzuschwärzen
4.) ebengenannter Mathematiklehrerin eine Psychotherapie ans Herz zu legen, weil sie eine Schularbeit ankündigt und wieder absagt, weil sie sich über etwas aufregt und wir das schon äfter hatten
5.) die Englischlehrerin zu fragen, wieso sie eine Film im Unterricht zeigt, der NICHT in Englisch ist
zähle ich alles an diesem Tag zusammen und das beruhigt mich. Von 1 - 5. Ich habe niemandem eine Ohrfeige gegeben. Ich habe nicht einmal geschrien.
Ich habe vor kurzem einen Film gesehen, in dem ein Mann, der in Afghanistan im Krieg war, unproportional gewalttätig auf einen Angriff reagiert. Eigentlich reagieren die meisten Menschen in Filmen unproportional gewalttätig auf einen Angriff. So wird es auch bei mir sein. Und ich war in keinem Krieg. Zumindest in keinem offiziell anerkannten.
Die andere Seite der Wut ist die Liebe. Ich bin nicht so liebeswütig, wie ich fürchte gewalttätig werden zu können. Schade irgendwie. Aber dennoch unproportional, wenn es um die Liebe geht.
Während bei der Wut zählen hilft, hilft bei der Liebe Masse. Arbeit, Leistung.
Als ich jung war, zählte eben Love and Peace und allesallesalles, nur kein Weichei sein. Heute flehe ich mich an, ein Weichei zu sein. Ich zwinge mich dazu.
Ich sage mir: Alles wird gut, solange du nie zum Telefon greifst und niemandem schreibst, außer höflich. Ich erlege mir Regeln auf.
Die erste lautet: Lies alle Bücher von David Foster Wallace und dann sehen wir weiter.
Das hilft auch ungemein im Falle des Wunsches, jemandem eine in die Goschn haun zu wollen.
Das hätte der David Foster Wallace nicht gemacht. Kraft seines Intellekts hätte er diesen Trieb umgekehrt. Zumindest beschreibt er das in seiner Rede "Das ist Wasser." so. Und ich bewundere ihn dafür.
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Freitag, 1. April 2016
Samstag, 11. Juli 2015
Sommer, die zweite
Um viertel vor zehn verlassen die einstigen Tick, Trick und Track, jetzt Eiche 1, 2 und 3 gemeinsam mit ihrem verhältnismäßig rachitischem Vater das Haus. Abends wohlgemerkt. Unsere Gemeinde ist im Festfieber, der Ortsheilige wird gefeiert. 4 Tage Markt in der Marina, an denen ich immer nur Stühle sehe, aber angeblich gab es mehr, 1 Tag Umzug des Heiligen im Boot mit angeschlossenem Feuerwerk, das sehen wir von unserem Haus aus, dasauf den Hafes geht, leicht angeschlagen, nach der erneuten Zerstörung der Ölwanne des Autos, 1 Tag im oberen Dorf mit Verkostung lokaler Spezialitäten und Organetto und anderen Darbietungen und heute: Eugenio Bennato. Ich merke, dass ich ihn mit seinem Bruder Edoardo verwechselt habe. Hat da nicht einer in meiner Jugend gesungen und habe ich heute nicht gedacht: Na danke, das brauch ich nicht. Aber der da macht auf Taranta Rock und das hätte ich vielleicht doch sehen müssen. Soll ich nun zu Fuß ins Dorf gehen und abgekämpft meine Familie finden, wenn sie gerade heimgeht? Auto hab ich ja keins mehr. Dabei war ich doch vor kurzem noch so zufrieden bei dem Gedanken, dass ich schlafen gehen kann und mich nicht bis um 2 Uhr morgens durchkämpfen muss, auf dem Hauptplatz des Dorfes, wo ich doch nur die flanierenden Eltern der Schulkollegen meiner Kinder treffe. Da kann ich mich im Herbst auch vor die Schule stellen.
MM ist da ganz anders. Er liebt diese Art Freiluftveranstaltungen. Zum Glück für seine Söhne, die ein paar Tage im Jahr von Couchpotatoes zu Platzhirschen mutieren. Ich werde nun zum Kind, das alleine zu Hause bleiben darf, gleich setz ich mich vor den Fernseher und wähle, zum ersten Mal seit Jahren, aus was ich sehen will. MM sagt, er entspannt sich, wenn er die anderen Menschen sieht. MM sagt, er weiß, dass ich diese Menschen erschießen will.
Heute waren wir wegen der kaputten Ölwanne beim Autohändler. Er hat uns davon überzeugt, dass das geringste Übel sei, die Ölwanne zu flicken und andere Reifen zu kaufen, die das Auto höher machen, auf dass ich die Ölwanne nicht mehr aufschlitze. Dann haben wir lang mit der Frau des Autohändlers geredet. Sie hat erzählt, wie sehr sie den Sommer hasst und dass sie sich schon im Mai einkrampft. Das Leben sei so unordentlich im Sommer. Sie müsse, damit ihre Tochter ausgehen kann, abends in eine Bar mit Live-Musik und sie verstehe echt nicht, warum die erst um halb eins mit der Musik beginnen. Ich auch nicht. Die Frau ist eine schicke Frau Anfang vierzig und keine mit geschwollenen Füßen, die es abends nicht mehr schafft. Sie sagt, ihr Mann finde sie langweilig und sie sagt es mit einer Aura, die drauf schließen lässt, dass ihr Mann sie alles andere als langweilig findet, was auch mir die Lizenz gibt, einen Abend allein vor dem Fernseher zu verbringen.
Ich verstehe schon, dass das Leben nachts stattfindet, wo es doch tagsüber flirrend heiß ist. Umgehen kann ich mit dem dennoch nicht.
MM ist da ganz anders. Er liebt diese Art Freiluftveranstaltungen. Zum Glück für seine Söhne, die ein paar Tage im Jahr von Couchpotatoes zu Platzhirschen mutieren. Ich werde nun zum Kind, das alleine zu Hause bleiben darf, gleich setz ich mich vor den Fernseher und wähle, zum ersten Mal seit Jahren, aus was ich sehen will. MM sagt, er entspannt sich, wenn er die anderen Menschen sieht. MM sagt, er weiß, dass ich diese Menschen erschießen will.
Heute waren wir wegen der kaputten Ölwanne beim Autohändler. Er hat uns davon überzeugt, dass das geringste Übel sei, die Ölwanne zu flicken und andere Reifen zu kaufen, die das Auto höher machen, auf dass ich die Ölwanne nicht mehr aufschlitze. Dann haben wir lang mit der Frau des Autohändlers geredet. Sie hat erzählt, wie sehr sie den Sommer hasst und dass sie sich schon im Mai einkrampft. Das Leben sei so unordentlich im Sommer. Sie müsse, damit ihre Tochter ausgehen kann, abends in eine Bar mit Live-Musik und sie verstehe echt nicht, warum die erst um halb eins mit der Musik beginnen. Ich auch nicht. Die Frau ist eine schicke Frau Anfang vierzig und keine mit geschwollenen Füßen, die es abends nicht mehr schafft. Sie sagt, ihr Mann finde sie langweilig und sie sagt es mit einer Aura, die drauf schließen lässt, dass ihr Mann sie alles andere als langweilig findet, was auch mir die Lizenz gibt, einen Abend allein vor dem Fernseher zu verbringen.
Ich verstehe schon, dass das Leben nachts stattfindet, wo es doch tagsüber flirrend heiß ist. Umgehen kann ich mit dem dennoch nicht.
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Freitag, 10. Juli 2015
Alle schreien immer
Allen voran ich, aber noch nicht in der Früh. In der Früh schreit Carolina, die Katze. Sie schreit den ganzen Schmerz ihres ungewöhnlich langen Katzenlebens gegen die Fensterscheibe, sobald es hell wird. Vielleicht verzeiht sie uns seit etwa 17 Jahren nicht, dass sie draußen leben muss. Sie kann nirgends mehr hinauf springen, aber damit der Hund nicht frisst, was sie fressen soll, wird ihr Fressen hoch oben aufgetischt und sie hinaufgehoben. Wenn man sie hochhebt, schreit sie ebenfalls empört und um vorauseilend bevorstehende Misshandlungen abzuwenden. Der Hund bellt auch gerne gegen die Fensterscheibe, aber erst, wenn er menschliche Bewegungen ausnimmt.
Wenn die ersten Menschen das Haus verlassen, kann man auch meine Stimme hören, mitunter, aber immer seltener. Ich bin irgendwie anders geworden, toleranter? Immer läuft jemand zurück, um Vergessenes zu holen. Seit Jahren, obwohl ich am Anfang geschrien habe.
Die Kinder und MM schreien sicher nicht in der Früh, sie sind eher stumm.
Dann bellt der Hund, wenn ich die Hühner aus dem Stall hole. Er findet es tagtäglich unglaublich traurig, nicht dabei sein zu können. Die Hühner schreien auch, auf ihre Art. Eine Zeitlang hat der Hund auch gebellt, weil er spazieren gehen wollte und bitte gerne mit mir. Er hat nicht verstanden, dass ich morgens Kaffee trinken und meine e-mails anschauen muss.
Jetzt ist es ihm zu heiß und er legt sich in den Schatten. Dann schreit mal lange keiner, außer die Nachbarin nach ihrem Hund: "Zora!"
Dann schreien die Schafe wie alte Männer, denen es das Herz zerreißt. Aber auch die sind gerade im Stall wegen der Hitze oder stumm geworden.
Am Abend schreien auch die Frösche und zwar ohrenbetäubend. Unglaubwürdig. Sie klingen wie Geräuschmacher in einem Tonstudio, die Hölzer einander reiben, so dass sie wie Frösche klingen. Und wenn man in der Nähe ist, vibriert das Trommelfell.
Meine Kinder schreien selten. Und eigentlich kaum aus Wut. Manchmal geben sie irgendwelche pienlichen Brunftschreie von sich. Ein Freund von mir hat wohlwollend bemerkt, dass sie nicht laut sind. Ich glaube, sie haben sich ergeben, gegen mich haben sie keine Chance. Aber irgendwie beunruhigt es mich.
Heute habe ich geschrien. Ich habe zum zweiten Mal innerhalb weniger Wochen die Ölwanne des Autos aufgeschlitzt. Ich habe geschluchzt und MM angerufen, um ihm mitzuteilen, dass ich nie wieder einen Fuß in dieses Auto setze. MM hat versucht, mir die Schuld am Leck in der Ölwanne zu geben und nicht der Straße, dem Auto oder dem Leben. Dann habe ich geschrien, dass mir die Stimme weggeblieben ist. Ich kann das eigenlich empfehlen, wenn man keine Stimme mehr hat, erinnert man sich, dass man so geschrien hat und dass das eigentlich ganz unnötig ist. Meine Kinder meinten, dass es mir vielleicht besser ginge, so ohne Stimme, aber nein, so war es nicht. Im Gegenteil, niemand hat sich wehgetan, es ist ganz und gar sinnlos, sich wegen einer kaputten Ölwanne das Haar zu raufen.
Aber traurig macht es schon.
Später habe ich dem Kind zugeraunt: "Was soll ich nur machen?" "Einfach weitermachen." hat er gesagt. Hab ich da einen Therapeuten großgezogen? Was das Finanzielle betrifft, so hat er mir bereits zehnmal sein gesamtes Erspartes vermachen wollen. Er braucht auch nicht viel. Fernsehen will er und ab und zu ein Heftchen, das er ausgiebig betrachtet. Und Tagebücher braucht er viele und die sind teuer, denn sie sind aufwendig außen verziert und werden von ihm innen auch verziert. Wenn ich ihn davon überzeuge kann, daraus ein Business zu machen, dann sind meine Autoreparaturen kein Problem mehr.
Ich halte mich an die Anweisungen des Kindes und bereite eine Marillenmarmelade vor, mache eine Nektarinenmarmelade, schneide Nektarinen zum Essen auf, wofür mir alle dankbar sind, schneide Gurken zu Salat und Erdäpfeln und Paprikaschoten für Frittata. Das ist keine schlechte Therapie.
Gemeinsam mit MM trifft der Abschleppwagen ein. Das hat MM gut organisiert. Er hat den Mann, der uns das Auto verkauft hat, angeschrien. Wer weiß, wen der anschreit.
Wenn die ersten Menschen das Haus verlassen, kann man auch meine Stimme hören, mitunter, aber immer seltener. Ich bin irgendwie anders geworden, toleranter? Immer läuft jemand zurück, um Vergessenes zu holen. Seit Jahren, obwohl ich am Anfang geschrien habe.
Die Kinder und MM schreien sicher nicht in der Früh, sie sind eher stumm.
Dann bellt der Hund, wenn ich die Hühner aus dem Stall hole. Er findet es tagtäglich unglaublich traurig, nicht dabei sein zu können. Die Hühner schreien auch, auf ihre Art. Eine Zeitlang hat der Hund auch gebellt, weil er spazieren gehen wollte und bitte gerne mit mir. Er hat nicht verstanden, dass ich morgens Kaffee trinken und meine e-mails anschauen muss.
Jetzt ist es ihm zu heiß und er legt sich in den Schatten. Dann schreit mal lange keiner, außer die Nachbarin nach ihrem Hund: "Zora!"
Dann schreien die Schafe wie alte Männer, denen es das Herz zerreißt. Aber auch die sind gerade im Stall wegen der Hitze oder stumm geworden.
Am Abend schreien auch die Frösche und zwar ohrenbetäubend. Unglaubwürdig. Sie klingen wie Geräuschmacher in einem Tonstudio, die Hölzer einander reiben, so dass sie wie Frösche klingen. Und wenn man in der Nähe ist, vibriert das Trommelfell.
Meine Kinder schreien selten. Und eigentlich kaum aus Wut. Manchmal geben sie irgendwelche pienlichen Brunftschreie von sich. Ein Freund von mir hat wohlwollend bemerkt, dass sie nicht laut sind. Ich glaube, sie haben sich ergeben, gegen mich haben sie keine Chance. Aber irgendwie beunruhigt es mich.
Heute habe ich geschrien. Ich habe zum zweiten Mal innerhalb weniger Wochen die Ölwanne des Autos aufgeschlitzt. Ich habe geschluchzt und MM angerufen, um ihm mitzuteilen, dass ich nie wieder einen Fuß in dieses Auto setze. MM hat versucht, mir die Schuld am Leck in der Ölwanne zu geben und nicht der Straße, dem Auto oder dem Leben. Dann habe ich geschrien, dass mir die Stimme weggeblieben ist. Ich kann das eigenlich empfehlen, wenn man keine Stimme mehr hat, erinnert man sich, dass man so geschrien hat und dass das eigentlich ganz unnötig ist. Meine Kinder meinten, dass es mir vielleicht besser ginge, so ohne Stimme, aber nein, so war es nicht. Im Gegenteil, niemand hat sich wehgetan, es ist ganz und gar sinnlos, sich wegen einer kaputten Ölwanne das Haar zu raufen.
Aber traurig macht es schon.
Später habe ich dem Kind zugeraunt: "Was soll ich nur machen?" "Einfach weitermachen." hat er gesagt. Hab ich da einen Therapeuten großgezogen? Was das Finanzielle betrifft, so hat er mir bereits zehnmal sein gesamtes Erspartes vermachen wollen. Er braucht auch nicht viel. Fernsehen will er und ab und zu ein Heftchen, das er ausgiebig betrachtet. Und Tagebücher braucht er viele und die sind teuer, denn sie sind aufwendig außen verziert und werden von ihm innen auch verziert. Wenn ich ihn davon überzeuge kann, daraus ein Business zu machen, dann sind meine Autoreparaturen kein Problem mehr.
Ich halte mich an die Anweisungen des Kindes und bereite eine Marillenmarmelade vor, mache eine Nektarinenmarmelade, schneide Nektarinen zum Essen auf, wofür mir alle dankbar sind, schneide Gurken zu Salat und Erdäpfeln und Paprikaschoten für Frittata. Das ist keine schlechte Therapie.
Gemeinsam mit MM trifft der Abschleppwagen ein. Das hat MM gut organisiert. Er hat den Mann, der uns das Auto verkauft hat, angeschrien. Wer weiß, wen der anschreit.
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Dienstag, 16. Juni 2015
Sommer
Die Schulferien haben in Italien offiziell begonnen und der einzige kritische Moment des Schuljahrs, als die Ministerin für Unterricht und Forschung angekündigt hatte, es werde künftig nur noch einen Monat Ferien geben, liegt bereits vergessen zurück. Nein, Mütter und Väter, auch heuer werden die Schüler 13,5 Wochen Ferien haben und rechnet man dazu, dass die meisten seit Anfang Juni die Schule nicht mehr besuchen, 15 Wochen. Für uns sind es 14 Wochen, denn ein paar Tage kann man auch mit wenigen Mitschülern spielen, wenn man klein ist, oder die letzte Prüfung machen, wenn man größer ist. Nur mit jenen herumhängen, die nicht noch mehr Fehlstunden haben können, muss man dann nicht. Ich sehe dieser sommerlichen Unendlichkeit mit einer Mischung aus Gelassenheit und aufkeimender Panik entgegen. In den vergangenen Jahren habe ich mich gut gerüstet mit Sommercamps, Monaten, in denen der nicht richtig begriffene Stoff aufgeholt und in Mammas Büro gelernt wurde und langen Aufenthalten in der großen Stadt. Heuer ist nichts geplant. Denn man kann mit jungen Menschen, die fast 18, 16 und 13 sind, nicht mehr so leicht verreisen. Zumindest nicht als ihre Mutter. Es ist auch ein bisschen Trotz, denn der Ex-Rallyefahrer, nun Fußballer, hat letzten Sommer gesagt, er wolle nicht mehr in die große Stadt fahren. In Wirklichkeit hat es ihm dort gut gefallen, aber ich bin dennoch ein bisschen beleidigt und vielleicht ist eine Pause wirklich nicht das schlechteste.
Noch sind alle entspannt und ich bin verwundert. Sollte mein jahrelanges säuerliches Vorgeben eines Rhythmus doch etwas gefruchtet haben? Nein, kein elektronisches Gerät vor dem Mittagessen. Du kannst lesen. Welche Hausarbeit willst du verrichten, bevor du die Playstation aufdrehst?
Jetzt sage ich nichts mehr und alle zeichnen am Vormittag. Natürlich haben sie dabei Kopfhörer auf, aber sie sind immerhin nicht im Netz. Ich habe in meinem ganzen Leben nicht so viel gezeichnet wie meine Kinder an einem Tag. Nach dem Mittagessen geht es dann ins hedonistische Technikvergnügen. Und wenn dann noch Energie übrig bleibt, ans Meer. Dieser Zustand wird auch nicht ewig dauern. Denn irgendwann werden wir die Zeugnisse abholen und wenn diese positiv sind, wovon ich ausgehe, nachdem ich in den letzen Monaten laut gebellt habe, wenn Wünsche an mich heran getragen wurden, die anstatt des oder zeitlich vor dem Ausbessern des katastrophalen Halbjahrzeugnis, erfüllt werden sollten, wird man hier beginnen, einen Auto-Führerschein und einen Mofa-Führerschein zu machen.
Ich bin überhaupt verwundert, denn die Pubertät scheint etwas Intermittierendes zu sein. Der Fußballer spricht wieder. Zum Beispiel erzählt MM von einem Fall eines geschiedenen Paars, das eine Tochter hat. Die Mutter ist Veganerin und der Vater hat die Mutter verklagt, weil sie die Tochter nicht richtig ernährt. "Wie glaubt ihr, hat der Richter entschieden?" fragt MM. "Sie kommt in eine andere Familie", vermutet der Fußballer. Ich starre ihn fassungslos an. Er hat eine Stimme. Er hat das erste Mal seit zwei Jahren seinen Kopf vom Teller weggehoben. Vielleicht wünscht er es dem Mädchen, in eine andere Familie zu kommen, so wie er es sich vielleicht in den letzten zwei Jahren selbst gewünscht hat. Aber jetzt ist er 16, hat sich seine Balottelli-Frisur abschneiden lassen und lächelt manchmal.
Das Mädchen muss übrigens nach einem ausgewogenen Diätplan ernährt werden, in dem von allem etwas vorgesehen ist.
Das Kind hingegen wehrt sich, in die Pubertät einzutreten, zumindest, was meine Rolle betrifft. Seinem Vater gegenüber ist Schnauben die einzige Kommunikation, zu mir ist er sehr lieb und kindisch und erzählt mir, dass Katy Perry in ihrer Garderobe vor jedem Auftritt eine Kiste eines Biers, dessen Name ich vergessen habe, gekühlt, versteht sich, haben möchte, eine Kiste Mineralwasser, 3 Flaschen gekühlten Pinot grigio und rote und rosa Blumen. Ich bezeuge offenbar so viel Interesse (ehrlich gesagt am Pinot grigio), dass er am nächsten Tag wieder berichtet:
- Mamma, ich habe dir doch erzählt, was Katy Perry in ihrer Garderobe will, aber jetzt sag ich dir, was Miley Cyrus bestellt: 102 rote Rosen und 102 weiße Rosen.
- Was? sage ich, meinst du 200 rote und 200 weiße?
- Nein, 102.
Von einem Moment auf den anderen bekomme ich einen Anflug von dem, was man in meiner Jugend "Blutrausch" genannt hat. Eigentlich weiß ich nicht, ob einem dann das Blut in den Adern kocht, so dass einem der Hals schwillt, oder ob man im Rausch solange auf jemanden einschlägt, bis man Blut sieht. Auf jeden Fall würde ich gerne beide Sängerinnen mit dem Kopf zusammenstoßen.
- Ich finde das manisch, sage ich ungeduldig. Ich will sagen: ich finde das obszön.
- Wieso? fragt das Kind erschrocken.
- Stell dir vor, du würdest zu mir sagen, ich soll dir 102 Blumen ins Zimmer stellen, aber es müssen 102 sein.
Das kommt ihm auch komisch vor. Mein Kind weiß, dass es Leute gibt, die nichts zu essen haben, ich muss es ihm nicht sagen. Ich weiß auch, dass ich in seinem Alter Rod Stewart verehrt habe und der hat sich wahrscheinlich noch was ganz anderes als Blumen in die Garderobe stellen lassen.
Ich nehme weiter die Wäsche ab und stecke die orangen und roten Wäscheklammern in einen Sack. Das Kind trollt sich wieder, sicher Gossip lesen.
Noch sind alle entspannt und ich bin verwundert. Sollte mein jahrelanges säuerliches Vorgeben eines Rhythmus doch etwas gefruchtet haben? Nein, kein elektronisches Gerät vor dem Mittagessen. Du kannst lesen. Welche Hausarbeit willst du verrichten, bevor du die Playstation aufdrehst?
Jetzt sage ich nichts mehr und alle zeichnen am Vormittag. Natürlich haben sie dabei Kopfhörer auf, aber sie sind immerhin nicht im Netz. Ich habe in meinem ganzen Leben nicht so viel gezeichnet wie meine Kinder an einem Tag. Nach dem Mittagessen geht es dann ins hedonistische Technikvergnügen. Und wenn dann noch Energie übrig bleibt, ans Meer. Dieser Zustand wird auch nicht ewig dauern. Denn irgendwann werden wir die Zeugnisse abholen und wenn diese positiv sind, wovon ich ausgehe, nachdem ich in den letzen Monaten laut gebellt habe, wenn Wünsche an mich heran getragen wurden, die anstatt des oder zeitlich vor dem Ausbessern des katastrophalen Halbjahrzeugnis, erfüllt werden sollten, wird man hier beginnen, einen Auto-Führerschein und einen Mofa-Führerschein zu machen.
Ich bin überhaupt verwundert, denn die Pubertät scheint etwas Intermittierendes zu sein. Der Fußballer spricht wieder. Zum Beispiel erzählt MM von einem Fall eines geschiedenen Paars, das eine Tochter hat. Die Mutter ist Veganerin und der Vater hat die Mutter verklagt, weil sie die Tochter nicht richtig ernährt. "Wie glaubt ihr, hat der Richter entschieden?" fragt MM. "Sie kommt in eine andere Familie", vermutet der Fußballer. Ich starre ihn fassungslos an. Er hat eine Stimme. Er hat das erste Mal seit zwei Jahren seinen Kopf vom Teller weggehoben. Vielleicht wünscht er es dem Mädchen, in eine andere Familie zu kommen, so wie er es sich vielleicht in den letzten zwei Jahren selbst gewünscht hat. Aber jetzt ist er 16, hat sich seine Balottelli-Frisur abschneiden lassen und lächelt manchmal.
Das Mädchen muss übrigens nach einem ausgewogenen Diätplan ernährt werden, in dem von allem etwas vorgesehen ist.
Das Kind hingegen wehrt sich, in die Pubertät einzutreten, zumindest, was meine Rolle betrifft. Seinem Vater gegenüber ist Schnauben die einzige Kommunikation, zu mir ist er sehr lieb und kindisch und erzählt mir, dass Katy Perry in ihrer Garderobe vor jedem Auftritt eine Kiste eines Biers, dessen Name ich vergessen habe, gekühlt, versteht sich, haben möchte, eine Kiste Mineralwasser, 3 Flaschen gekühlten Pinot grigio und rote und rosa Blumen. Ich bezeuge offenbar so viel Interesse (ehrlich gesagt am Pinot grigio), dass er am nächsten Tag wieder berichtet:
- Mamma, ich habe dir doch erzählt, was Katy Perry in ihrer Garderobe will, aber jetzt sag ich dir, was Miley Cyrus bestellt: 102 rote Rosen und 102 weiße Rosen.
- Was? sage ich, meinst du 200 rote und 200 weiße?
- Nein, 102.
Von einem Moment auf den anderen bekomme ich einen Anflug von dem, was man in meiner Jugend "Blutrausch" genannt hat. Eigentlich weiß ich nicht, ob einem dann das Blut in den Adern kocht, so dass einem der Hals schwillt, oder ob man im Rausch solange auf jemanden einschlägt, bis man Blut sieht. Auf jeden Fall würde ich gerne beide Sängerinnen mit dem Kopf zusammenstoßen.
- Ich finde das manisch, sage ich ungeduldig. Ich will sagen: ich finde das obszön.
- Wieso? fragt das Kind erschrocken.
- Stell dir vor, du würdest zu mir sagen, ich soll dir 102 Blumen ins Zimmer stellen, aber es müssen 102 sein.
Das kommt ihm auch komisch vor. Mein Kind weiß, dass es Leute gibt, die nichts zu essen haben, ich muss es ihm nicht sagen. Ich weiß auch, dass ich in seinem Alter Rod Stewart verehrt habe und der hat sich wahrscheinlich noch was ganz anderes als Blumen in die Garderobe stellen lassen.
Ich nehme weiter die Wäsche ab und stecke die orangen und roten Wäscheklammern in einen Sack. Das Kind trollt sich wieder, sicher Gossip lesen.
Freitag, 7. März 2014
CSI Calabria, Folge 2: Hühner
Seit ein paar Tagen legen die Hennen keine Eier, eines oder maximal zwei. Bis zu diesem Zeitpunkt war ich bereit, jedes erdenkliche Loblied auf die Hennen zu singen. Ja wirklich, oft hatte ich das uralte Lied: "Ich wollt ich wär ein Huhn" im Kopf, wenn ich ihnen ihren geschroteten Mais zum Fressen brachte. Oder die Salatabfälle. Oder die Kürbisschalen. "Meine Braven, ihr seid ja so brav!" rief ich ihnen zu, wenn ich die Eier aus dem zum Legen vorgesehen Teil des Hühnerhauses holte. MM und ich rühmten uns unserer psychologisch einwandfreien Hühnerbetreuung, die uns jeden Tag 5-6 Eier bescherte. "Unsere Hennen sind wirklich clever." sagte ich zu ihm und er meinte: "Ich glaube, das alle Tiere, wie ihre Besitzer sind." Stolz auf unsere Hühner, die nicht so blöd sind, wie die meiner Nachbarin und nur phasenweise Eier legen. Unsere Hennen haben Auslauf, sie werden geliebt, sie werden gepflegt. Sie werden sogar gestreichelt. Und nun das. Keine Eier mehr. Sollten unsere Hennen einfach so sein, wie alle anderen? "Al risposo"? In einer Phase des Ausruhens.
Meine Schwiegermutter hat eine Henne, die weiß ist. Sie hat auch einen Hahn. Über den grausamen Hahn hören wir immer schreckliche Geschichten und über die dumme weiße Henne auch. Die Henne fliegt immer weg und legt keine Eier. Mein Schwager hat ihr bereits die Flügel gestutzt, aber auch das hilft nichts. Sie scheint, wenn ich den Erzählung richtig folge, über eine Einzäunung zu fliegen, weil sie ihre Eier dann an unverdächtigen Orten ablegt. Also legt sie doch Eier. Ich glaube ja ein bisschen, dass all dieses Gejammer um die nicht eierlegenden Hennen dafür sorgen soll, dass ich großzügig und mitfühlend meine Eiervorräte teile. Was wirklich nicht besonders aufopfernd ist, denn wir haben viele Eier. Aber nun schrumpft unser Vorrat auf etwa 40 Eier und ich bekomme Angst, ich muss Eier kaufen, bei den Nachbarinnen einen Vorschuss verlangen, oder in jedem Fall sparen. Dabei esse ich eigentlich kaum Eier, um meine Gesundheit nicht zu sehr auf die Probe zu stellen, drei heranwachsende Knaben können allerdings große Mengen an Frittata verzehren. Und MM hat sich den Luxus gegönnt, eine Sachertorte nach einem der zahlreichen Originalrezepte zu backen und hat dafür 12 Eier verwendet. Die Torte war sehr gut, konnte aber nur in homöopathischen Dosen genossen werden. Meine Schwiegermutter spricht immer davon, dass sie das Huhn umbringen wird, tut es aber doch nie.
Und jetzt? Brauchen wir auch einen Hahn? Was ist passiert, warum werden von einem Tag auf den anderen keine Eier gelegt? Es gab keinen Wetterwechsel, das Wetter ist auch eher als mild zu bezeichnen. Da haben die Hühner schon mehr gefroren und dennoch Eier gelegt. Das Futter wurde nicht gewechselt, im Gegenteil, das Kind hat den Hühnern stundenlang Klee zugesteckt und sich daran ergötzt, wie schnell sie diesen verschlingen. Hat sie das verstört, die Hühner? Wollen sie keinen Klee? Wollen sie mehr Klee? Hat das Kind anschließend heimlich die Hühner gequält? Eine blonde Henne betreibt mobbing gegen eine schwarze Henne, eindeutig, das würde erklären, warum die schwarze Henne keine Eier legt? Aber die blonde? MM fragt mich, ob ich den Hennen Wasser gebe. Ich glaube, er verdächtigt mich, Tierquälerei zu betreiben, so wie das Kind verdächtige. MM geht an den Strand um weiße, längliche Steine zu suchen, die schönsten Exemplare legt er ihnen auf den Nistplatz. Nichts. Ein Steinei, wird verächtlich weggeschoben, das andere angeschissen. Wer oder was könnte den harmonischen Alltag unserer Hennen so stören? Sie sind psychologisch verstört, das ist klar, denn unsere wunderbaren Tiere sind nicht wie die anderen, sie sind sensibel, aber nicht in einer Ruhepause. "Wozu braucht ihr eine Ruhepause?" frage ich sie, während sie vergnügt im Hühnerhof herumstolpern. Ich bin enttäuscht, ich gebe es zu. Sie sind wie alle anderen. Ich kann meine Schwiegermutter verstehen. Diese Hennen taugen nichts.
Betrübt fügen wir uns in unser Schicksal. Auch wir haben Hennen, die keine Eier legen. Am Morgen, als das Wetter schön ist, grüße ich meine Nachbarin und wie immer beglückwünschen wir uns wegen dem schönen Wetter. Eigentlich will ich ihr zurufen: Es muss jetzt immer schön bleiben, denn meine armen Hühner haben aufgehört, Eier zu legen, aber ich halte mich zurück. Sie geht gerade selbst ihr Hühnerhaus öffnen, und ich möchte nicht, dass sie mir sagt, ihre Hühner würden aber sehr viele Eier legen und sich womöglich verpflichtet fühlte, mir Eier zu geben.
Am Nachmittag putze ich das Hühnerhaus. Wie immer mache ich einen Rundgang in Gummstiefeln durch den Hühnerauslauf. "Hast du überall geschaut?" fragen MM und ich uns jeden Tag. "Jaja, nichts." Auf dem Grau der Erde liegen ein paar braune dornige Äste, die MM um den Hühnerauslauf abgeschnitten hat, sie sind trocken, grün ist es nur außerhalb der Umzäunung für die Hühner. Da sehe ich plötzlich unter diesen Ästen Eier liegen, perfekt harmonierend mit den graubraunen Farbtönen ihrer Umgebung. Etwas mit Schlamm besudelt, denn schließlich liegen diese Eier hier nicht seit einer Stunde. Es sind unglaublich viele Eier, die da ordentlich zusammenliegen. Eines liegt auf dem Weg. Ich hebe es rasch auf, bevor ich es zertrete und schaue mich um, es ist als hätte es diese Eier vom Himmel geregnet, was schwer möglich ist. Ich habe Arbeitshandschuhe an und kann meine Hände in den schmalen Hohlraum zwischen den dornigen Ästen und der Erde schieben und hole 28 Eier darunter hervor, die ich in die Schüssel lege, in der der Gemüseabfall war, den ich den Hennen gebracht habe. Meine Laune hebt sich in Lichtgeschwindigkeit. "Ihr seid brave Hennen!" rufe ich ihnen zu und sie kämpfen vergnügt mit den Zichorienblättern, die ich ihnen auf den Boden geworfen habe. Was sie dazu bewogen hat, ihr Nest auszusiedeln, wissen wir nicht, aber ich nehme an, dass sie eigenwillig sind, wie alle Lebewesen und manchmal Abwechslung suchen. Wer weiß, was sie als nächstes vorhaben.
Meine Schwiegermutter hat eine Henne, die weiß ist. Sie hat auch einen Hahn. Über den grausamen Hahn hören wir immer schreckliche Geschichten und über die dumme weiße Henne auch. Die Henne fliegt immer weg und legt keine Eier. Mein Schwager hat ihr bereits die Flügel gestutzt, aber auch das hilft nichts. Sie scheint, wenn ich den Erzählung richtig folge, über eine Einzäunung zu fliegen, weil sie ihre Eier dann an unverdächtigen Orten ablegt. Also legt sie doch Eier. Ich glaube ja ein bisschen, dass all dieses Gejammer um die nicht eierlegenden Hennen dafür sorgen soll, dass ich großzügig und mitfühlend meine Eiervorräte teile. Was wirklich nicht besonders aufopfernd ist, denn wir haben viele Eier. Aber nun schrumpft unser Vorrat auf etwa 40 Eier und ich bekomme Angst, ich muss Eier kaufen, bei den Nachbarinnen einen Vorschuss verlangen, oder in jedem Fall sparen. Dabei esse ich eigentlich kaum Eier, um meine Gesundheit nicht zu sehr auf die Probe zu stellen, drei heranwachsende Knaben können allerdings große Mengen an Frittata verzehren. Und MM hat sich den Luxus gegönnt, eine Sachertorte nach einem der zahlreichen Originalrezepte zu backen und hat dafür 12 Eier verwendet. Die Torte war sehr gut, konnte aber nur in homöopathischen Dosen genossen werden. Meine Schwiegermutter spricht immer davon, dass sie das Huhn umbringen wird, tut es aber doch nie.
Und jetzt? Brauchen wir auch einen Hahn? Was ist passiert, warum werden von einem Tag auf den anderen keine Eier gelegt? Es gab keinen Wetterwechsel, das Wetter ist auch eher als mild zu bezeichnen. Da haben die Hühner schon mehr gefroren und dennoch Eier gelegt. Das Futter wurde nicht gewechselt, im Gegenteil, das Kind hat den Hühnern stundenlang Klee zugesteckt und sich daran ergötzt, wie schnell sie diesen verschlingen. Hat sie das verstört, die Hühner? Wollen sie keinen Klee? Wollen sie mehr Klee? Hat das Kind anschließend heimlich die Hühner gequält? Eine blonde Henne betreibt mobbing gegen eine schwarze Henne, eindeutig, das würde erklären, warum die schwarze Henne keine Eier legt? Aber die blonde? MM fragt mich, ob ich den Hennen Wasser gebe. Ich glaube, er verdächtigt mich, Tierquälerei zu betreiben, so wie das Kind verdächtige. MM geht an den Strand um weiße, längliche Steine zu suchen, die schönsten Exemplare legt er ihnen auf den Nistplatz. Nichts. Ein Steinei, wird verächtlich weggeschoben, das andere angeschissen. Wer oder was könnte den harmonischen Alltag unserer Hennen so stören? Sie sind psychologisch verstört, das ist klar, denn unsere wunderbaren Tiere sind nicht wie die anderen, sie sind sensibel, aber nicht in einer Ruhepause. "Wozu braucht ihr eine Ruhepause?" frage ich sie, während sie vergnügt im Hühnerhof herumstolpern. Ich bin enttäuscht, ich gebe es zu. Sie sind wie alle anderen. Ich kann meine Schwiegermutter verstehen. Diese Hennen taugen nichts.
Betrübt fügen wir uns in unser Schicksal. Auch wir haben Hennen, die keine Eier legen. Am Morgen, als das Wetter schön ist, grüße ich meine Nachbarin und wie immer beglückwünschen wir uns wegen dem schönen Wetter. Eigentlich will ich ihr zurufen: Es muss jetzt immer schön bleiben, denn meine armen Hühner haben aufgehört, Eier zu legen, aber ich halte mich zurück. Sie geht gerade selbst ihr Hühnerhaus öffnen, und ich möchte nicht, dass sie mir sagt, ihre Hühner würden aber sehr viele Eier legen und sich womöglich verpflichtet fühlte, mir Eier zu geben.
Am Nachmittag putze ich das Hühnerhaus. Wie immer mache ich einen Rundgang in Gummstiefeln durch den Hühnerauslauf. "Hast du überall geschaut?" fragen MM und ich uns jeden Tag. "Jaja, nichts." Auf dem Grau der Erde liegen ein paar braune dornige Äste, die MM um den Hühnerauslauf abgeschnitten hat, sie sind trocken, grün ist es nur außerhalb der Umzäunung für die Hühner. Da sehe ich plötzlich unter diesen Ästen Eier liegen, perfekt harmonierend mit den graubraunen Farbtönen ihrer Umgebung. Etwas mit Schlamm besudelt, denn schließlich liegen diese Eier hier nicht seit einer Stunde. Es sind unglaublich viele Eier, die da ordentlich zusammenliegen. Eines liegt auf dem Weg. Ich hebe es rasch auf, bevor ich es zertrete und schaue mich um, es ist als hätte es diese Eier vom Himmel geregnet, was schwer möglich ist. Ich habe Arbeitshandschuhe an und kann meine Hände in den schmalen Hohlraum zwischen den dornigen Ästen und der Erde schieben und hole 28 Eier darunter hervor, die ich in die Schüssel lege, in der der Gemüseabfall war, den ich den Hennen gebracht habe. Meine Laune hebt sich in Lichtgeschwindigkeit. "Ihr seid brave Hennen!" rufe ich ihnen zu und sie kämpfen vergnügt mit den Zichorienblättern, die ich ihnen auf den Boden geworfen habe. Was sie dazu bewogen hat, ihr Nest auszusiedeln, wissen wir nicht, aber ich nehme an, dass sie eigenwillig sind, wie alle Lebewesen und manchmal Abwechslung suchen. Wer weiß, was sie als nächstes vorhaben.
Donnerstag, 6. März 2014
La sofferenza è finita
Ich stehe unter einem Olivenbaum und reiße an ein paar abgeschnittenen
Eichenästen herum, mit den kleinen Ästchen will ich den Ofen
anheizen. Es ist regnerisch, windig, es ist Faschingsdienstag, die
Kinder sind zu Hause. An diesen Tagen, an denen kein richtiger Feiertag
ist, aber viele Kinder beschließen, nicht in die Schule zu gehen, müssen
auch meine Kinder nicht in die Schule gehen, weil die Gefahr groß ist,
dass sie a) anrufen und heimgehen wollen, b) anrufen und sagen, die
Mensa kocht nicht für so wenige Kinder, c) nicht anrufen, aber nur zu
viert mit der Frau Professor sind und anschließend übel gelaunt für einen
ganzen Abend. Ein Mann und eine Frau kommen des Wegs, die Frau ist die
Mutter einer Nachbarin, einer, die MM verehrt, weil sie so gut Traktor
fahren kann, der Mann könnte der Bruder sein. Er wirkt ein wenig, als wäre
er auf Freigang aus einem Irrenhaus, er trägt eine Wollmütze, eine
Boxerjacke und eine Trainingshose. Leider schaue ich etwa genauso
aus wie er, außer der Boxerjacke, so schick bin ich nicht, ich trage eine ausgeleierte Strickjacke von MM. Er sagt: "Signora, was machen
sie da?" "Ich sage, ich mache Kleinholz, um den Ofen einzuheizen." Mir
kommt das nicht komisch vor, ich antworte ihm wie einem Kind. Die Mutter
der Nachbarin sagt peinlich berührt zu dem Mann, von dem ich meine, er
sei ihr Sohn: "Die Signora wohnt da." Oh, das freut ihn und er stellt
mir noch einige Fragen, die ich diplomatisch beantworte. Dann frage ich:
"Und sie? Machen einen Besuch?" " Er ist gestorben." sagt die Mutter
der Traktorfahrerin. Sie deutet mit dem Kinn auf das Nachbarhaus unter
mir. Er, der mit dem Kinn angedeutete, ist der Opa. Ohje. Ich weiß, dass
er krank war. Der Opa ist ein Herr, der gar nicht alt wirkte, obwohl er
jetzt 82 war. Ich würde sagen, er hatte keine Falten. Ich würde sagen,
er sah jünger aus, als seine Kinder. Als wir in unser Haus zogen und viel
im Garten arbeiteten, ging er mit einem Stock aus seinem Haus und setzte
sich auf einen Sessel vor die Garage. Ich denke, wir haben ihm viel
Unterhaltung geboten, aber auch die Natur anzuschauen war nicht
schlecht. Olivenbäume, Gras, unsere ungeschickten Tomaten- und
Bohnenpflanzunzen. Schilfrohr, Feigenbäume. Hunde, die durchs Gras laufen,
Wasser, das in unseren Brunnen rinnt. Orangenbäume, Mandarinenbäume und
ganz oben Zitronenbäume. So weit konnte er vielleicht nicht sehen. Wir
grüßten einander, plauderten miteinander und er war da, wie das Haus da
war. Später kam er nicht mehr aus dem Haus, vielleicht taten ihm die
Beine zu sehr weh, er saß in einem Sessel vor dem Fernseher im Haus.
Jahrelang. Ab und zu kamen wir auf Besuch, er sah immer faltenfrei aus
und schaute ein wenig gelangweilt auf den Fernseher. Auf Befragen
erzählte er, wie es ihm ging und zeigte violette Stellen an seinen
Beinen. Mir tat es leid, dass er nicht mehr vor der Garage saß. Das habe
ich ihm aber nicht gesagt, so wie man mit alten kranken Menschen
eigentlich nicht redet, sondern nur deutlich sichtbar nickt oder den
Kopf schüttelt, um ihnen zu verstehen zu geben, dass man sie versteht,
auch wenn das zum Teil nicht wahr ist, oder man es auf
dezentere Art ebenfalls mitteilen könnte. Das letzte Mal habe ich ihn im
Januar gesehen und ich habe vergessen, mich zu verabschieden. Das war
mir sehr peinlich. Ich habe ihn einfach übersehen, in seinem Stuhl vor
dem Fernseher, während ich mit seiner Schwiegertochter plauderte. Dabei
hat er noch einen Kaffee getrunken, einen starken, süßen Kaffee, den
auch ich serviert bekommen habe. Was er wohl gedacht hat? Er muss sich
als Möbelstück gefühlt haben. Ein Möbelstück, dass seiner Familie zur
Last fällt, weil es sich nicht alleine bewegt und weil es schmutzt.
Ein Möbelstück, dass die Nachbarn nicht grüßen, wenn sie das Haus
verlassen, weil sie ihm den Rücken zuwenden und man keine Möbelstücke
grüßt.
Ich gehe nach Hause und rufe MM an. Ich sage: "Was muss ich tun? Ich gehe hin und küsse alle und dann gehe ich wieder." "Nein," ruft MM, "küss nicht alle. Küss nur die Familie. Die anderen solltest du nicht einmal grüßen." Ein bisschen Erfahrung habe ich ja, mit diesen Totenwachen. Aber nur ein bisschen. Normalerweise steht mir meine Schwiegermutter bei und sagt mir, was ich tun soll. Aber heute muss ich alleine gehen. Ich wechsle die Kleidung und gehe. Das Haus steht offen, an der Stelle an der normalerweise ein sehr langer Tisch steht, steht der Sarg. Rundherum sind zur Zierde Ständer aufgestellt, aber es sind keine Kerzenständer. Sie sind blank poliert. Hinter dem Sarg steht ein Paravent mit einem riesigen Jesusbild. Jesus hat Augenbrauen in perfekter Form und schaut mit blauen Augen milde und kühl auf die Leiche unseres Nachbarn. Dieser wiederum liegt wie eine Puppe aus dem Wachsfigurenkabinett in seinem Sarg, die Knie angezogen. Vielleicht sind seine Beine vom vielen Sitzen so geworden. Er hat die Augen geschlossen und schaut ernst. Ich kann nicht glauben, dass er tot ist, sicher wird er gleich die Augen aufschlagen. Rechts und links vom Sarg sind Sofas und Stühle aufgebaut, auf einer Seite sitzen Männer, auf der anderen die Frauen, als erste die Oma, die Frau vom Nachbarn. Ich gehe auf den Sarg zu. Ich stelle mich links vom Sarg, betrachte die Leiche und mache ein Kreuzzeichen, weil mir das angebracht scheint. Ich drehe mich zur Witwe und umarme sie und küsse sie. Sie weint, sie wirkt wie ein kleines Mädchen. Sie ist sehr klein und sie wird immer kleiner. Sie hat schon zwei Herzoperationen gehabt und schnauft beim Gehen und beim Reden, aber sie hat ein herzliches Lachen, hat mir schon viele Eier geschenkt und wartet im Sommer auf mich, damit ich die Maulbeeren unter ihrem Baum einsammle, die dort im Überfluss vorhanden sind. Die anderen alten Damen beachte ich, wie mit MM besprochen, nicht.
Ich stelle mich zur Tür, wie in der Kirche, dort stehe ich auch gerne bei der Tür, damit ich unauffällig verschwinden kann, wenn es unerträglich wird. Aber seit ich Messen als beobachtende Forschungsperson besuche, sind sie nie unerträglich. Der Sohn des Opas kommt aus dem Inneren des Hauses durch eine Tür, ich nenne seinen Namen, sage, es tut mir leid, beuge mich zu ihm hinunter und küsse ihn. In dieser Familie sind alle Personen winzig. "Naja, was soll man machen." sagt er, irgendwie abwehrend, nicht mich, sondern die Trauer. Auf dem Sofa ist noch Platz, er zieht mich stark an. Ich setze mich, ach ist es schön, ein wenig auszuruhen, in der Stille, den Blick vom Toten zu den Lebenden schweifen zu lassen, getrost denken zu können, denn dies ist ein Moment der Andacht. Leute kommen. Eine Gruppe von Personen betritt den Raum mit dem Sarg, sie gehen auf die rechte Seite des Toten, berühren ihn an der Stirn, an den gefalteten Händen, murmeln, küssen ihre Hände. Das habe ich offenbar falsch gemacht: linke Seite, nicht berührt, kein Kuss auf die eigenen Finger. Aber diesen Brauch finde ich ohnehin nicht sonderlich nachahmenswert. Oft sehe ich, dass die Menschen, wenn sie an einer Kultstätte, einer Kirche oder einem Friedhof vorbeikommen, die Lippen bewegen, ein Kreuz schlagen und dann ihren Daumen küssen. Auch MM kann mir nicht erklären, weshalb sie das tun und ich finde es peinlich, jemand anders zu fragen, auf jeden Fall bin ich immer froh, wenn ich das sehe, dass meine Kinder aus dem Religionsunterricht ausgeschrieben sind (auch wenn sie ihn besuchen, aber das ist eine andere Geschichte), denn die Tatsache, dass man als gläubiger Mensch seine eigenen Hände küsst, kommt mir überheblich und unappetitlich vor. Eine relativ junge Frau ist unter den Neuankömmlingen und sie sagt etwas zur Leiche. Sie wiederholt ihre Worte dem Sohn gegenüber: "La sofferenza è finita." "Das Leiden ist zu Ende." Das finde ich gut, aber gleichzeitig auch unangemessen. Was weiß sie denn vom Leiden des Opas. Vielleicht hat er ja in Momenten auch Freude am Leben gehabt. Ich denke das, was ich immer denke, wenn ich an den Tod denke und an das Leben, an das Alter. Meine Gedanken sind äußerst einfach und es geht immer darum, dass es einen Tagesablauf gibt und dass die alten Menschen, die nicht mehr selbst gehen können, an die Sonne geschoben werden müssen. Ich schaue die Oma an und ein neuer Gedanke kommt mir in den Sinn, nämlich dass das die Ehe ist, dass wir uns das nicht so vorgestellt haben, aber am Ende kann es sein, dass der Geliebte wie ein Kind zu behandeln ist und dass man ihm die Windeln wechselt. Ich weiß das, denn die Oma hat es mir erzählt, sie hat gesagt, dass sie immer die Wäsche vom Opa wascht und sie hat auch immer seine Unterhosen auf einem Zaun aufgehängt. Das habe ich immer ein wenig komisch gefunden, denn sonst ist auf dem Zaun keine Wäsche aufgehängt, also der Rest der Wäsche der Familie scheint an einem Platz zu trocknen, der für die Nachbarn nicht zugänglich ist. Vielleicht meint die Frau ja, dass das Leiden der Familie ein Ende hat, das Leiden im Sinne der Mühe, die die Pflege eines alten, kranken Menschen bereitet. Ich schaue die Frau an, ich bemühe mich, sie nicht anzustarren. Ich glaube, dass das Leben als Ganzes für sie Leiden ist und dass es endet, wenn der Mensch seinen Weg nach oben antritt. Das meine ich aus ihren Gesten und Worten erkennen zu können. Sie setzt sich neben mich. Sie ist geruchsfrei. Etwas fällt ihr ein und sie fragt, ob etwas gelesen wurde. Man wiederholt die Frage für die Oma, sie hört schlecht. Sie fährt wie aus dem Schlaf hoch und zuckt die Achseln. Sie wirkt sehr allein. Kann sein, dass sie ihrem Mann gesagt hat, was er zu tun hat, aber ich glaube, dass sie jetzt verlassen ist. Die Frau neben mir zieht einen Rosenkranz aus der Tasche und beginnt. "Ave Maria, piena di grazie..." Sie wird gebeten, sich neben die Oma zu setzen, weil die ja nichts hört. Eine ältere Dame setzt sich neben mich. Anfangs ist es ganz lustig, dem Rosenkranz zuzuhören, irgendwann stellt sich ein Moment der Leere im Kopf ein, keine Gedanken mehr, es ist eine Meditation, ich weiß, warum sie das machen, aber sie müssen auch wieder damit aufhören, irgendwann wird ihnen die Luft ausgehen. Ich frage mich, wie oft man bei einem Rosenkranz ein Ave Maria beten muss und versuche den Rhythmus in dem Singsang zu erkennen, aber es gelingt mir nicht. Ich möchte mich im Sofa zurücklehnen, aber es kommt mir unhöflich vor. Mir tut das Kreuz weh. Ich starre auf den Teppich. Das Beten hört nicht auf. Ich höre es rauschen, ich höre das Nichts in meinem Kopf. Die Frau neben mir bittet Jesus, er möge sie vom Feuer des Winters befreien. Wieso? Ist es nicht angenehm im Winter ein Feuer zu haben? Beim vierten oder fünften Mal, als diese Bitte ausgesprochen wird, komme ich zu dem Schluss, dass es das Feuer der Hölle sein muss, Inferno, nicht Inverno. Ich denke an die Kinder, die alleine zu Hause sind und sicher Spiele auf ihren Mobiltelefonen spielen. Ich wünsche mir, sie mögen kommen, damit ich gehen kann. Während des Beten kann ich nicht gehen, also wünsche ich dringend ein Ende herbei. Ich bemerke, dass die Frau mit dem Rosenkranz die Gebete zäsiert, in dem sie eine Anzahl der Mysterien von Jesus Christus erwähnt. Sie ist beim vierten. Wenn ich nur wüsste, wieviele es gibt. Nun sieht die Rosenkranz-Dramaturgie vor, dass man aufsteht, das mache ich nur allzu gerne, denn so kann ich meine schmerzenden Glieder strecken. Nichts und niemand wird mich dazu bringen, mich noch einmal auf dieses unbequeme Sofa zu setzen. Die Traktorfahrerin wird gebeten, etwas zu lesen, damit die Frau mit dem Rosenkranz darauf sagen kann: "Prega per noi." Also scheint es sich um Fürbitten zu handeln. "Prega per noi!" stößt sie immer wieder ungeduldig hervor. "Muss ich weiterlesen?" fragt die Traktorfahrerin an einer Stelle, es ist eine normale Frage, aber dennoch erinnert sie mich an meine Kinder, wenn sie nicht mehr lernen wollen. Ja, sie muss weiterlesen. Ich verliere langsam die Geduld, aber da kommt es: das fünfte Mysterium, der Tod Jesu. Danach kann es doch wohl nichts mehr geben. Zum Glück fällt mir in diesem Moment die Auferstehung nicht ein. Und es ist wirklich vorbei. Man macht ein Kreuzzeichen. Ich auch. Ich stehe noch ein wenig herum und tue so, also wäre ich unschlüssig. In Wirklichkeit weiß ich genau, dass ich gehen werde. Ich hätte gerne gesehen, wie die anderen sich beim Verlassen des Hauses benehmen, aber keiner geht, also gehe ich grußlos, was glaube ich ok ist, also was soll ich auch sagen: "Wir sehen uns dann auf dem Friedhof, Leute"? Ich grüße auch nicht mehr den Toten und es ist mir egal, ob die Leute über mich reden. Ich rede nämlich auch über sie und zu Hause verrate ich, dass die Frau neben mir Winter statt Hölle gesagt hat. Der Fußballer fragt, ob ein Sarg teuer ist und ich erzähle ihm alles über Särge, was ich weiß und setze hinzu, dass ich verbrannt werden möchte. Bevor ich ihm einen konkreten Auftrag geben kann, bittet er mich, nicht mehr über den Tod zu sprechen.
Ich gehe nach Hause und rufe MM an. Ich sage: "Was muss ich tun? Ich gehe hin und küsse alle und dann gehe ich wieder." "Nein," ruft MM, "küss nicht alle. Küss nur die Familie. Die anderen solltest du nicht einmal grüßen." Ein bisschen Erfahrung habe ich ja, mit diesen Totenwachen. Aber nur ein bisschen. Normalerweise steht mir meine Schwiegermutter bei und sagt mir, was ich tun soll. Aber heute muss ich alleine gehen. Ich wechsle die Kleidung und gehe. Das Haus steht offen, an der Stelle an der normalerweise ein sehr langer Tisch steht, steht der Sarg. Rundherum sind zur Zierde Ständer aufgestellt, aber es sind keine Kerzenständer. Sie sind blank poliert. Hinter dem Sarg steht ein Paravent mit einem riesigen Jesusbild. Jesus hat Augenbrauen in perfekter Form und schaut mit blauen Augen milde und kühl auf die Leiche unseres Nachbarn. Dieser wiederum liegt wie eine Puppe aus dem Wachsfigurenkabinett in seinem Sarg, die Knie angezogen. Vielleicht sind seine Beine vom vielen Sitzen so geworden. Er hat die Augen geschlossen und schaut ernst. Ich kann nicht glauben, dass er tot ist, sicher wird er gleich die Augen aufschlagen. Rechts und links vom Sarg sind Sofas und Stühle aufgebaut, auf einer Seite sitzen Männer, auf der anderen die Frauen, als erste die Oma, die Frau vom Nachbarn. Ich gehe auf den Sarg zu. Ich stelle mich links vom Sarg, betrachte die Leiche und mache ein Kreuzzeichen, weil mir das angebracht scheint. Ich drehe mich zur Witwe und umarme sie und küsse sie. Sie weint, sie wirkt wie ein kleines Mädchen. Sie ist sehr klein und sie wird immer kleiner. Sie hat schon zwei Herzoperationen gehabt und schnauft beim Gehen und beim Reden, aber sie hat ein herzliches Lachen, hat mir schon viele Eier geschenkt und wartet im Sommer auf mich, damit ich die Maulbeeren unter ihrem Baum einsammle, die dort im Überfluss vorhanden sind. Die anderen alten Damen beachte ich, wie mit MM besprochen, nicht.
Ich stelle mich zur Tür, wie in der Kirche, dort stehe ich auch gerne bei der Tür, damit ich unauffällig verschwinden kann, wenn es unerträglich wird. Aber seit ich Messen als beobachtende Forschungsperson besuche, sind sie nie unerträglich. Der Sohn des Opas kommt aus dem Inneren des Hauses durch eine Tür, ich nenne seinen Namen, sage, es tut mir leid, beuge mich zu ihm hinunter und küsse ihn. In dieser Familie sind alle Personen winzig. "Naja, was soll man machen." sagt er, irgendwie abwehrend, nicht mich, sondern die Trauer. Auf dem Sofa ist noch Platz, er zieht mich stark an. Ich setze mich, ach ist es schön, ein wenig auszuruhen, in der Stille, den Blick vom Toten zu den Lebenden schweifen zu lassen, getrost denken zu können, denn dies ist ein Moment der Andacht. Leute kommen. Eine Gruppe von Personen betritt den Raum mit dem Sarg, sie gehen auf die rechte Seite des Toten, berühren ihn an der Stirn, an den gefalteten Händen, murmeln, küssen ihre Hände. Das habe ich offenbar falsch gemacht: linke Seite, nicht berührt, kein Kuss auf die eigenen Finger. Aber diesen Brauch finde ich ohnehin nicht sonderlich nachahmenswert. Oft sehe ich, dass die Menschen, wenn sie an einer Kultstätte, einer Kirche oder einem Friedhof vorbeikommen, die Lippen bewegen, ein Kreuz schlagen und dann ihren Daumen küssen. Auch MM kann mir nicht erklären, weshalb sie das tun und ich finde es peinlich, jemand anders zu fragen, auf jeden Fall bin ich immer froh, wenn ich das sehe, dass meine Kinder aus dem Religionsunterricht ausgeschrieben sind (auch wenn sie ihn besuchen, aber das ist eine andere Geschichte), denn die Tatsache, dass man als gläubiger Mensch seine eigenen Hände küsst, kommt mir überheblich und unappetitlich vor. Eine relativ junge Frau ist unter den Neuankömmlingen und sie sagt etwas zur Leiche. Sie wiederholt ihre Worte dem Sohn gegenüber: "La sofferenza è finita." "Das Leiden ist zu Ende." Das finde ich gut, aber gleichzeitig auch unangemessen. Was weiß sie denn vom Leiden des Opas. Vielleicht hat er ja in Momenten auch Freude am Leben gehabt. Ich denke das, was ich immer denke, wenn ich an den Tod denke und an das Leben, an das Alter. Meine Gedanken sind äußerst einfach und es geht immer darum, dass es einen Tagesablauf gibt und dass die alten Menschen, die nicht mehr selbst gehen können, an die Sonne geschoben werden müssen. Ich schaue die Oma an und ein neuer Gedanke kommt mir in den Sinn, nämlich dass das die Ehe ist, dass wir uns das nicht so vorgestellt haben, aber am Ende kann es sein, dass der Geliebte wie ein Kind zu behandeln ist und dass man ihm die Windeln wechselt. Ich weiß das, denn die Oma hat es mir erzählt, sie hat gesagt, dass sie immer die Wäsche vom Opa wascht und sie hat auch immer seine Unterhosen auf einem Zaun aufgehängt. Das habe ich immer ein wenig komisch gefunden, denn sonst ist auf dem Zaun keine Wäsche aufgehängt, also der Rest der Wäsche der Familie scheint an einem Platz zu trocknen, der für die Nachbarn nicht zugänglich ist. Vielleicht meint die Frau ja, dass das Leiden der Familie ein Ende hat, das Leiden im Sinne der Mühe, die die Pflege eines alten, kranken Menschen bereitet. Ich schaue die Frau an, ich bemühe mich, sie nicht anzustarren. Ich glaube, dass das Leben als Ganzes für sie Leiden ist und dass es endet, wenn der Mensch seinen Weg nach oben antritt. Das meine ich aus ihren Gesten und Worten erkennen zu können. Sie setzt sich neben mich. Sie ist geruchsfrei. Etwas fällt ihr ein und sie fragt, ob etwas gelesen wurde. Man wiederholt die Frage für die Oma, sie hört schlecht. Sie fährt wie aus dem Schlaf hoch und zuckt die Achseln. Sie wirkt sehr allein. Kann sein, dass sie ihrem Mann gesagt hat, was er zu tun hat, aber ich glaube, dass sie jetzt verlassen ist. Die Frau neben mir zieht einen Rosenkranz aus der Tasche und beginnt. "Ave Maria, piena di grazie..." Sie wird gebeten, sich neben die Oma zu setzen, weil die ja nichts hört. Eine ältere Dame setzt sich neben mich. Anfangs ist es ganz lustig, dem Rosenkranz zuzuhören, irgendwann stellt sich ein Moment der Leere im Kopf ein, keine Gedanken mehr, es ist eine Meditation, ich weiß, warum sie das machen, aber sie müssen auch wieder damit aufhören, irgendwann wird ihnen die Luft ausgehen. Ich frage mich, wie oft man bei einem Rosenkranz ein Ave Maria beten muss und versuche den Rhythmus in dem Singsang zu erkennen, aber es gelingt mir nicht. Ich möchte mich im Sofa zurücklehnen, aber es kommt mir unhöflich vor. Mir tut das Kreuz weh. Ich starre auf den Teppich. Das Beten hört nicht auf. Ich höre es rauschen, ich höre das Nichts in meinem Kopf. Die Frau neben mir bittet Jesus, er möge sie vom Feuer des Winters befreien. Wieso? Ist es nicht angenehm im Winter ein Feuer zu haben? Beim vierten oder fünften Mal, als diese Bitte ausgesprochen wird, komme ich zu dem Schluss, dass es das Feuer der Hölle sein muss, Inferno, nicht Inverno. Ich denke an die Kinder, die alleine zu Hause sind und sicher Spiele auf ihren Mobiltelefonen spielen. Ich wünsche mir, sie mögen kommen, damit ich gehen kann. Während des Beten kann ich nicht gehen, also wünsche ich dringend ein Ende herbei. Ich bemerke, dass die Frau mit dem Rosenkranz die Gebete zäsiert, in dem sie eine Anzahl der Mysterien von Jesus Christus erwähnt. Sie ist beim vierten. Wenn ich nur wüsste, wieviele es gibt. Nun sieht die Rosenkranz-Dramaturgie vor, dass man aufsteht, das mache ich nur allzu gerne, denn so kann ich meine schmerzenden Glieder strecken. Nichts und niemand wird mich dazu bringen, mich noch einmal auf dieses unbequeme Sofa zu setzen. Die Traktorfahrerin wird gebeten, etwas zu lesen, damit die Frau mit dem Rosenkranz darauf sagen kann: "Prega per noi." Also scheint es sich um Fürbitten zu handeln. "Prega per noi!" stößt sie immer wieder ungeduldig hervor. "Muss ich weiterlesen?" fragt die Traktorfahrerin an einer Stelle, es ist eine normale Frage, aber dennoch erinnert sie mich an meine Kinder, wenn sie nicht mehr lernen wollen. Ja, sie muss weiterlesen. Ich verliere langsam die Geduld, aber da kommt es: das fünfte Mysterium, der Tod Jesu. Danach kann es doch wohl nichts mehr geben. Zum Glück fällt mir in diesem Moment die Auferstehung nicht ein. Und es ist wirklich vorbei. Man macht ein Kreuzzeichen. Ich auch. Ich stehe noch ein wenig herum und tue so, also wäre ich unschlüssig. In Wirklichkeit weiß ich genau, dass ich gehen werde. Ich hätte gerne gesehen, wie die anderen sich beim Verlassen des Hauses benehmen, aber keiner geht, also gehe ich grußlos, was glaube ich ok ist, also was soll ich auch sagen: "Wir sehen uns dann auf dem Friedhof, Leute"? Ich grüße auch nicht mehr den Toten und es ist mir egal, ob die Leute über mich reden. Ich rede nämlich auch über sie und zu Hause verrate ich, dass die Frau neben mir Winter statt Hölle gesagt hat. Der Fußballer fragt, ob ein Sarg teuer ist und ich erzähle ihm alles über Särge, was ich weiß und setze hinzu, dass ich verbrannt werden möchte. Bevor ich ihm einen konkreten Auftrag geben kann, bittet er mich, nicht mehr über den Tod zu sprechen.
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Sonntag, 23. Februar 2014
Abfall
Heute Nacht habe ich einen Albtraum gehabt. Ich musste an etwas arbeiten, dabei befand ich mich in einer Bar. Andere Leute waren auch da. Ich durfte mich nicht bewegen, bis diese Arbeit fertig war. Da kommt der Schwiegersohn von unseren Nachbarn (der mir immer schon unsympathisch war) und hält meinen Daumen fest, bis es mir weh tut und ich mich doch bewegen muss, obwohl ich das nicht hätte sollen. Ich bin wütend. Der Typ lacht. Schnitt. Ein Raum mit mehreren Personen, darunter der Schwiegersohn unserer Nachbarn. Ich sage: "Bist du Alex?", schon ziemlich empört. "Nein." sagt er. Klar ist er das, obwohl es ziemlich dunkel ist. Und ich frage: "Kennst du ihn, wo ist er?" "Kenn ich nicht, weiß ich nicht." Und lacht. Die anderen Typen um ihn herum lachen auch. Ich sage: "Du bist Alex und du hast mir am Daumen weh getan." An die letzte Szene erinnere ich mich nicht mehr genau, mehrere Männer waren in einem Raum, es war noch vor dem Morgengrauen und alle lachen (mich aus) und schieben große Geldscheine herum. Im Traum denke ich, dass sie von der Mafia sind, und bin recht entsetzt.
Ich weiß, warum ich das geträumt habe, auch wenn die Wege des Unterbewusstseins unergründlich wie die des Herrn sind. In Kalabrien wird seit zwei Wochen der Müll nicht mehr abtransportiert, denn die Mülldeponie(n) sind überfüllt und geschlossen. Alex arbeitet bei der Müllabfuhr unserer Gemeinde.
Bis gestern habe ich den Umstand, dass der Müll nicht mehr abgeholt wird, mit Stoizismus und Hoffnung ausgehalten. Jeden Tag, wenn ich aus dem Haus gehe, hoffe ich, dass der unsympathische Alex und seine Kumpels die Berge von weißen, schwarzen, blauen und gelben Müllsäcken aufgeladen und weggefahren hat. Jeden Tag wappne ich mich aufs Neue mit Geduld und in unserem Vorzimmer stapeln sich auch schon ein paar Säcke, weil es mir keine Freude macht, diese traurigen Müllberge zu vergrößern.
Von der Staatsstraße biegt man auf eine kleine, steile Straße, um in unseren Ortsteil zu gelangen. Am Eingang in diese Straße stehen drei Mülltonnen, eine für Papier, eine für Glas und Plastik und die dritte für den Restmüll. Zum Thema Mülltrennung in unserer Gemeinde könnte ich viele und erstaunlich skurille, insgesamt aber traurige Dinge schreiben. Die Behälter quellen schon bald über und die Müllsäcke liegen auf der Straße. Nach ein paar Tagen hat man mit dem Auto schon ein wenig Schwierigkeiten, in der Kurve nicht in den Müllberg zu fahren und natürlich sind viele Säcke aufgegangen und wer interessiert ist, kann den Inhalt studieren.
Gestern, als ich nach einem Ausflug in die Stadt, in der die Situation ähnlich ist, nur dass dort Menschen mit klapprigen Transportern vor den Müllbergen stehen bleiben und in unglaublicher Geschwindigkeit und mit großer Geschicklichkeit Metallteile aus dem Müll holen und diese in ihr Auto laden, nach Hause fahre, ist der wabernde Müll weg. Einen Moment freue ich mich, aber dann sehe ich, dass er einfach geschmolzen ist und zwar im wahrsten Sinne des Wortes. Was ich befürchtet habe, ist passiert: Jemand hat den Müll angezündet. Schwarz verkohlte Stummel sind noch zu sehen, es stinkt. Bis zu uns hinauf rieche ich den nassen verbrannten Dreck, das Dioxin, aber vielleicht bilde ich es mir nur ein.
Vielleicht war es derjenige, der dem Bürgermeister vor ein paar Wochen eine Gewehrkugel geschickt hat, mit einer Grußbotschaft in Blockbuchstaben. Vielleicht war es ein wilder Anrainer, der mit seinem Auto den Müll berührte, was ihn mit Abscheu erfüllte.
Ich erkläre MM in grellen Farben wie ich den Bürgermeister anrufen und ihm alles schildern werde. Der Inhalt des Satzes: "Jetzt sind wir aufs Land gezogen und leben weniger gesund als in einer smogreichen Stadt wie Mailand und ihre Mülltrennung, die sollten sie jetzt überdenken, aber subito, sie Scharlatan." formuliere ich mehrmals geistreich um. MM sagt: "Aber das weiß er doch." "Woher soll er das wissen? Ich muss es ihm sagen!" gebe ich, entflammt wie der Müll vor ein paar Stunden, zurück. "Also spätestens die Feuerwehr wird es ihm sagen." Die Feuerwehr. Wir sind nicht allein. Es gibt noch ein paar Institutionen.
Ich finde auch, dass der Bürgermeister dem Alex, der jetzt zu Hause sitzt, und etwas tut, das ich nicht ganz genau wissen möchte, weil es sicherlich öd und ekelhaft ist, den Auftrag geben sollte, den Müll wenigstens ansprechend zu arrangieren und schon mal vorzubereiten, dass er ihn doch hoffentlich einmal wegbringen wird, bevor er sich in kleinen Stücken über unseren gesamten Lebensbereich ausbreitet. Ob Alex sein Gehalt weiter bezahlt bekommt? In einer normalen Welt müsste er das, aber von dieser normalen Welt sind wir momentan ziemlich weit entfernt.
Ich weiß, warum ich das geträumt habe, auch wenn die Wege des Unterbewusstseins unergründlich wie die des Herrn sind. In Kalabrien wird seit zwei Wochen der Müll nicht mehr abtransportiert, denn die Mülldeponie(n) sind überfüllt und geschlossen. Alex arbeitet bei der Müllabfuhr unserer Gemeinde.
Bis gestern habe ich den Umstand, dass der Müll nicht mehr abgeholt wird, mit Stoizismus und Hoffnung ausgehalten. Jeden Tag, wenn ich aus dem Haus gehe, hoffe ich, dass der unsympathische Alex und seine Kumpels die Berge von weißen, schwarzen, blauen und gelben Müllsäcken aufgeladen und weggefahren hat. Jeden Tag wappne ich mich aufs Neue mit Geduld und in unserem Vorzimmer stapeln sich auch schon ein paar Säcke, weil es mir keine Freude macht, diese traurigen Müllberge zu vergrößern.
Von der Staatsstraße biegt man auf eine kleine, steile Straße, um in unseren Ortsteil zu gelangen. Am Eingang in diese Straße stehen drei Mülltonnen, eine für Papier, eine für Glas und Plastik und die dritte für den Restmüll. Zum Thema Mülltrennung in unserer Gemeinde könnte ich viele und erstaunlich skurille, insgesamt aber traurige Dinge schreiben. Die Behälter quellen schon bald über und die Müllsäcke liegen auf der Straße. Nach ein paar Tagen hat man mit dem Auto schon ein wenig Schwierigkeiten, in der Kurve nicht in den Müllberg zu fahren und natürlich sind viele Säcke aufgegangen und wer interessiert ist, kann den Inhalt studieren.
Gestern, als ich nach einem Ausflug in die Stadt, in der die Situation ähnlich ist, nur dass dort Menschen mit klapprigen Transportern vor den Müllbergen stehen bleiben und in unglaublicher Geschwindigkeit und mit großer Geschicklichkeit Metallteile aus dem Müll holen und diese in ihr Auto laden, nach Hause fahre, ist der wabernde Müll weg. Einen Moment freue ich mich, aber dann sehe ich, dass er einfach geschmolzen ist und zwar im wahrsten Sinne des Wortes. Was ich befürchtet habe, ist passiert: Jemand hat den Müll angezündet. Schwarz verkohlte Stummel sind noch zu sehen, es stinkt. Bis zu uns hinauf rieche ich den nassen verbrannten Dreck, das Dioxin, aber vielleicht bilde ich es mir nur ein.
Vielleicht war es derjenige, der dem Bürgermeister vor ein paar Wochen eine Gewehrkugel geschickt hat, mit einer Grußbotschaft in Blockbuchstaben. Vielleicht war es ein wilder Anrainer, der mit seinem Auto den Müll berührte, was ihn mit Abscheu erfüllte.
Ich erkläre MM in grellen Farben wie ich den Bürgermeister anrufen und ihm alles schildern werde. Der Inhalt des Satzes: "Jetzt sind wir aufs Land gezogen und leben weniger gesund als in einer smogreichen Stadt wie Mailand und ihre Mülltrennung, die sollten sie jetzt überdenken, aber subito, sie Scharlatan." formuliere ich mehrmals geistreich um. MM sagt: "Aber das weiß er doch." "Woher soll er das wissen? Ich muss es ihm sagen!" gebe ich, entflammt wie der Müll vor ein paar Stunden, zurück. "Also spätestens die Feuerwehr wird es ihm sagen." Die Feuerwehr. Wir sind nicht allein. Es gibt noch ein paar Institutionen.
Ich finde auch, dass der Bürgermeister dem Alex, der jetzt zu Hause sitzt, und etwas tut, das ich nicht ganz genau wissen möchte, weil es sicherlich öd und ekelhaft ist, den Auftrag geben sollte, den Müll wenigstens ansprechend zu arrangieren und schon mal vorzubereiten, dass er ihn doch hoffentlich einmal wegbringen wird, bevor er sich in kleinen Stücken über unseren gesamten Lebensbereich ausbreitet. Ob Alex sein Gehalt weiter bezahlt bekommt? In einer normalen Welt müsste er das, aber von dieser normalen Welt sind wir momentan ziemlich weit entfernt.
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Dienstag, 21. Mai 2013
Leo und ich
Die schwierigen Tage nenne ich jetzt: Tage der Horizonterweiterung. Während sich meine Kinder dauernd zweifelhafte Pop-Songs ins Ohr blasen, höre ich die Klassiker der Literatur. Das macht geduldig. Ich habe David Copperfield gehört, was nachhaltige Folgen auf meinen Gemütszustand hinterlassen hat und mich in Lebensgefahr gebracht hat, da ich während einer langen Autofahrt so sehr über Doras Tod weinen musste, dass ich die entgegenkommenden Autos kaum wahr nehmen konnte. Und jetzt "Krieg und Frieden". Pause. Pause. Pause. Krieg und Frieden. Krieg und Frieden. Krieg und Frieden. Krieg und Frieden. Ich hab das nie gelesen. Gibt es jemanden, der das getan hat?
Aber jetzt kann ich es hören, Eierphone sei Dank. Hätte es mein Leben verändert, wenn ich es früher gewusst hätte, was der Leo Tolstoj für einer ist? Wohl kaum, denn ich glaube, dass es erst jetzt, wo ich nicht mehr forever young bin, in mein Hirnkastel dringen kann. Also während der Fürst Andrej stirbt (hat der Tolstoj schon mal so was erlebt? MM sagt, er hätte Interviews gemacht, wie meint MM das? Der Tolstoj mit einem kleinen Diktiergerät, oder wie?), habe ich einen sehr anstrengenden Tag weil nämlich die Autobusfahrer streiken und zwar zu Recht, denn die Region Kalabrien hat beschlossen, die Hälfte ihres öffentlichen Verkehrs nicht mehr zu bezahlen. An dieser Stelle möchte ich laut und anhaltend lachen. Ich bin ein echter Fan des öffentlichen Verkehrs, obwohl es in unserer Familie zwangsweise zwei Autos gibt. Die Hauptstadt der Region Kalabrien heißt Catanzaro und ist mit öffentlichen Verkehrmitteln praktisch unerreichbar. Das weiß ich, weil ich nämlich ein Tablet, das Garantie hat, umtauschen will und alle dazu berechtigten Geschäfte befinden sich in dieser unsäglichen Stadt in die nur frühmorgens (sehr früh morgens) Busse fahren und wenn man aus diesen Bussen steigt, muss man über Straßen gehen, die Google maps nicht für Fußgäger vorsieht. Wenn ich dann dort gehen würde, dann wäre ich eine dieser wunderlichen Personen, über die man lange nachdenkt, wenn man sie am Straßenrand wanken sieht. Also im aktuellen Fall will ich aber gar nicht nach Catanzaro, ich habe beschlossen, dass ich in Rom viel eher und leichter vorbeikomme, in diesem Fall will ich einfach in unserer Provinzhauptstadt arbeiten.
Bevor ich den Bus betrete, ruft MM an und sagt, ich soll mich wegen dem Streik erkundigen. Habe ich an dieser Stelle schon einmal geschrieben, dass alle meine Kinder immer schon das Wort Streik (sciopero) schreiben, verstehen und interpretieren konnten? Das Wort equilateral (gleichseitig) ist vergleichsweise anspruchsvoll für sie. Also erkundige ich ich wegen dem Streik. Streik? sagt der Busfahrer auf seine Art unwillig. Consorzio Autolinee streikt, die Buslinie, mit der ich fahre, nicht. Ok. In der Stadt lässt er uns aber früher aussteigen, weil der Autobusbahnhof besetzt ist und den Fahrgästen schwant Böses. Ich plaudere mit einem netten Fahrer und sage zum Schluss noch "speriamo bene" (hoffen wir Gutes). Die gute Hoffnung lasse ich aber fahren, als ich ins Büro der Busgesellschaft gehe, um mich zu erkundigen. Der Mann dort ist nahe an einem Kollaps und mir wird die Tragweite von 52 Prozent bewusst, die will die Region nämlich nicht mehr zahlen. Ich erfahre, dass der Streik vom Consorzio Autolinee ausgegangen ist und dass sich andere Busfahrer angeschlossen haben, aber welche und für wie lange wisse man nicht und außerdem hänge das von ihrer Gewerkschaft ab. Gewerkschaft, das Wort zergeht auf der Zunge. Ich bin nicht böse.
Ich will auch einmal pro Stunde in die Provinzhauptstadt fahren können und nicht nur alle 2 Stunden oder zum doppelten Preis.
Aber wie komme ich nach meiner Arbeit wieder nach Hause? Als ich auf dem Busbahnhof vorbeischaue, sagt mir eine Frau Carabiniere, dass dies ein "sciopero ad oltranza" sei. Offenbar geht der Streik, bis eine Übereinkunft erzielt wird. Ich habe noch die Hoffnung, dass einer der Fahrer nicht mitmacht, der, der seinen Autobus zum richtigen Zeitpunkt vor mich hinstellen wird. Aber alle Autobusfahrer sitzen in ihren hellblauen Hemden in einem kleinen Lokal, das "Tavola calda" (warme Küche) verspricht und manch einer schaut auf einen vielversprechenden Teller mit Gnocchi con sugo (e basilico). Ich gehe zur nächsten Haltstestelle und warte gemeinsam mit ein paar Leuten, zufälligerweise aus dem selben Ort wie ich, obwohl der Bus ca. 110 km zurücklegt. Nein, da kommt kein Bus. Also gehen wir zum Bahnhof. Das geht eine Zeit lang ganz gut und dann über in einen Weg neben einer Baustelle entlang an lieblos gestutzten Dornen. Ich verspreche, dass ich hier nicht meine ganz persönliche Beziehung zu den italienischen Staatsbahnen schreiben werde. Aber ich schwöre, es wird hier auch noch Raum finden.
Das Eierphone dient nun nicht mehr dazu, Fürst Andrejs langsamen Tod zu erzählen, sondern zur Organisation eines Mittagessens für das Kind, das eigentlich mit mir eine Pizza hätte essen sollen und zur Verschiebung eines wichtigen Zahnarzttermins. Und dann verschiebt sich der Horizont: aus dem Zug schaut unser Dorf auf eine Art mondän aus und es gibt wunderbare Strände. Das ist einfach die richtige Distanz.
Der Schaffner gestikuliert bedrohlich: Es ist alles seine Schuld. Nein nicht die des Schaffners, die von Berlusconi, un venditore di fumo, eines Rauchverkäufers, heiße Luft würde man bei mir zu Hause sagen.
Ja, aber das Problem ist das Klonen, denn in der Region Kalabrien sitzt nicht das berlusce Wesen, sondern ein fescher junger Mann namens Scopelliti und wie man sich denken kann, wurde der gewählt. Und wenn Pierre in "Krieg und Frieden" auszieht, um Napoleon zu erschießen, wünsche ich mir, jemand würde zumindest das Regionsparlament besetzen.
Aber jetzt kann ich es hören, Eierphone sei Dank. Hätte es mein Leben verändert, wenn ich es früher gewusst hätte, was der Leo Tolstoj für einer ist? Wohl kaum, denn ich glaube, dass es erst jetzt, wo ich nicht mehr forever young bin, in mein Hirnkastel dringen kann. Also während der Fürst Andrej stirbt (hat der Tolstoj schon mal so was erlebt? MM sagt, er hätte Interviews gemacht, wie meint MM das? Der Tolstoj mit einem kleinen Diktiergerät, oder wie?), habe ich einen sehr anstrengenden Tag weil nämlich die Autobusfahrer streiken und zwar zu Recht, denn die Region Kalabrien hat beschlossen, die Hälfte ihres öffentlichen Verkehrs nicht mehr zu bezahlen. An dieser Stelle möchte ich laut und anhaltend lachen. Ich bin ein echter Fan des öffentlichen Verkehrs, obwohl es in unserer Familie zwangsweise zwei Autos gibt. Die Hauptstadt der Region Kalabrien heißt Catanzaro und ist mit öffentlichen Verkehrmitteln praktisch unerreichbar. Das weiß ich, weil ich nämlich ein Tablet, das Garantie hat, umtauschen will und alle dazu berechtigten Geschäfte befinden sich in dieser unsäglichen Stadt in die nur frühmorgens (sehr früh morgens) Busse fahren und wenn man aus diesen Bussen steigt, muss man über Straßen gehen, die Google maps nicht für Fußgäger vorsieht. Wenn ich dann dort gehen würde, dann wäre ich eine dieser wunderlichen Personen, über die man lange nachdenkt, wenn man sie am Straßenrand wanken sieht. Also im aktuellen Fall will ich aber gar nicht nach Catanzaro, ich habe beschlossen, dass ich in Rom viel eher und leichter vorbeikomme, in diesem Fall will ich einfach in unserer Provinzhauptstadt arbeiten.
Bevor ich den Bus betrete, ruft MM an und sagt, ich soll mich wegen dem Streik erkundigen. Habe ich an dieser Stelle schon einmal geschrieben, dass alle meine Kinder immer schon das Wort Streik (sciopero) schreiben, verstehen und interpretieren konnten? Das Wort equilateral (gleichseitig) ist vergleichsweise anspruchsvoll für sie. Also erkundige ich ich wegen dem Streik. Streik? sagt der Busfahrer auf seine Art unwillig. Consorzio Autolinee streikt, die Buslinie, mit der ich fahre, nicht. Ok. In der Stadt lässt er uns aber früher aussteigen, weil der Autobusbahnhof besetzt ist und den Fahrgästen schwant Böses. Ich plaudere mit einem netten Fahrer und sage zum Schluss noch "speriamo bene" (hoffen wir Gutes). Die gute Hoffnung lasse ich aber fahren, als ich ins Büro der Busgesellschaft gehe, um mich zu erkundigen. Der Mann dort ist nahe an einem Kollaps und mir wird die Tragweite von 52 Prozent bewusst, die will die Region nämlich nicht mehr zahlen. Ich erfahre, dass der Streik vom Consorzio Autolinee ausgegangen ist und dass sich andere Busfahrer angeschlossen haben, aber welche und für wie lange wisse man nicht und außerdem hänge das von ihrer Gewerkschaft ab. Gewerkschaft, das Wort zergeht auf der Zunge. Ich bin nicht böse.
Ich will auch einmal pro Stunde in die Provinzhauptstadt fahren können und nicht nur alle 2 Stunden oder zum doppelten Preis.
Aber wie komme ich nach meiner Arbeit wieder nach Hause? Als ich auf dem Busbahnhof vorbeischaue, sagt mir eine Frau Carabiniere, dass dies ein "sciopero ad oltranza" sei. Offenbar geht der Streik, bis eine Übereinkunft erzielt wird. Ich habe noch die Hoffnung, dass einer der Fahrer nicht mitmacht, der, der seinen Autobus zum richtigen Zeitpunkt vor mich hinstellen wird. Aber alle Autobusfahrer sitzen in ihren hellblauen Hemden in einem kleinen Lokal, das "Tavola calda" (warme Küche) verspricht und manch einer schaut auf einen vielversprechenden Teller mit Gnocchi con sugo (e basilico). Ich gehe zur nächsten Haltstestelle und warte gemeinsam mit ein paar Leuten, zufälligerweise aus dem selben Ort wie ich, obwohl der Bus ca. 110 km zurücklegt. Nein, da kommt kein Bus. Also gehen wir zum Bahnhof. Das geht eine Zeit lang ganz gut und dann über in einen Weg neben einer Baustelle entlang an lieblos gestutzten Dornen. Ich verspreche, dass ich hier nicht meine ganz persönliche Beziehung zu den italienischen Staatsbahnen schreiben werde. Aber ich schwöre, es wird hier auch noch Raum finden.
Das Eierphone dient nun nicht mehr dazu, Fürst Andrejs langsamen Tod zu erzählen, sondern zur Organisation eines Mittagessens für das Kind, das eigentlich mit mir eine Pizza hätte essen sollen und zur Verschiebung eines wichtigen Zahnarzttermins. Und dann verschiebt sich der Horizont: aus dem Zug schaut unser Dorf auf eine Art mondän aus und es gibt wunderbare Strände. Das ist einfach die richtige Distanz.
Der Schaffner gestikuliert bedrohlich: Es ist alles seine Schuld. Nein nicht die des Schaffners, die von Berlusconi, un venditore di fumo, eines Rauchverkäufers, heiße Luft würde man bei mir zu Hause sagen.
Ja, aber das Problem ist das Klonen, denn in der Region Kalabrien sitzt nicht das berlusce Wesen, sondern ein fescher junger Mann namens Scopelliti und wie man sich denken kann, wurde der gewählt. Und wenn Pierre in "Krieg und Frieden" auszieht, um Napoleon zu erschießen, wünsche ich mir, jemand würde zumindest das Regionsparlament besetzen.
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Samstag, 11. Mai 2013
Pazienza
heißt auf italienisch Geduld und wird häufig gebraucht. Seit vielen Jahren versuche ich zu verstehen, ob Pazienza heißt: "Man muss Geduld haben, dann werden sich alle Probleme lösen.", oder ob Pazienza heißt: "Da kann man halt nichts machen."
Wenn ich zwei Mal pro Jahr das Zugticket in die große Stadt kaufe, wappne ich mich mit viel Pazienza. Ich muss dazu auf einen 20 Minuten entfernten Bahnhof fahren und ich weiß schon, dass ich das mehrmals tun muss, denn es klappt nie beim ersten Mal, aber immer passiert auf diesem Bahnhof etwas, was wert wäre, aufgeschrieben zu werden. Diesmal handelt es sich um den Aushang, den ich vor dem unbesetzten Schalter finde: Dieser Ticketverkauf ist vom 7.- 10.5 von 13:43 - 20:57 geöffnet. Da bekommt man Lust zu rechnen, stimmts? Und es ist tatsächlich keiner da um 12 Uhr. Es handelt sich um einen Aushang der Ferrovie dello stato, also kann man auch keinen abwesenden Schalterbeamten beschuldigen. Aber der Bahnhof ist groß, sonst wäre ich ja nicht hier. Kleinere Bahnhöfe sind ja schon lange mit nicht funktionierenden Self-Service-Ticket-Maschinen ausgestattet. Immerhin habe ich damit gerechnet und bin nicht weiter beunruhigt.
Ich will die frei gewordene Zeit nutzen und die Fotos von der Tanzveranstaltung im letzten Jahr abholen. Bezahlt sind sie schon, muss ich zu meiner Ehrenrettung sagen. Ich fahre eine Straße hinauf und bleibe vor großen Betonblöcken stehen. Dahinter befindet sich ein großer Erdhaufen, der auf die Straße gerutscht ist. Aha, daher kam mir das kleine Auto mit der erinnerungswürdigen Aufschrift "Nannini", das vor dem Bahnhof an mir vorbeigefahren ist, kurz darauf wieder entgegen. Noch einer, der nicht automatisch wusste, dass diese Straße gesperrt ist. Kein Schild weist auf die nicht benutzbare Straße hin. Wozu auch, wenn man davor steht merkt man es ohnehin und so eilig wird man's schon nicht haben, oder?
Auf einem Umweg gelange ich doch zum Fotografen. Sein Geschäft ist ein enger, langer Schlauch, in dem gerade zwei Personen nebeneinanders stehen können, wenn sie sich kennen. Unbekannte Kunden stehen hintereinander. Vor mir steht einer, zu dem der gutaussehende, wenn auch in die Jahre gekommene Fotograf, Tonino genannt, soeben sagt: "Das ist ein Grund! Mein Vater, dem INDAP (ich glaube, das ist die staatliche Pensionsstelle) 200 Euro Pension gibt und er sitzt im (pantomimische Darstellung eines Rollstuhls, der mit 80 kmh dahin fetzt)." Wofür das ein Grund ist, weiß ich noch nicht, aber als der andere Kunde den Laden verläßt, nachdem ich böse geschaut habe und Tonino mich auch böse angeschaut hat, erfahre ich es: "Man braucht ein Maschinengewehr. Finden Sie nicht?" sagt Tonino, während er die Fotos sucht. Da bin ich aber ganz seiner Meinung. "Ja, manchmal schon." sage ich zurückhaltend. Ich kann ihm ja jetzt nicht sagen, dass ich eine Pumpgun will, ich weiß nicht, auf wessen Seite er steht. "Anders geht's nicht mehr." Er durchsucht erfolglos die Reihen an Kuverts, die da lagern und ich bekomme Herzklopfen. Nicht meine schon bezahlten Fotos nicht finden, bitte! Er unterbricht seine Suche und wendet sich mir zu. "Ich sage nicht, dass der Mann, der auf die Carabinieri geschossen hat, recht hat." Aha, es gab also einen inspirierenden Vorfall. "Nein", sage ich. Soll ich sagen, dass Carabinieri auch nur Menschen sind? Tonino nimmt mir die Entscheidung ab und sagt: "Ich sage auch nicht, dass man wirklich schießen soll, aber man muss ihnen Angst machen. Timore!" Ich nicke. Ich habe Angst, dass er meine Fotos nicht findet. Mir ist immer noch nicht klar, wem er Angst machen will. "Wir Bürger sollten uns vereinigen und Gewehre nehmen. (Hat er gesagt "unsere" Gewehre?) Und dann stellen wir die Politiker in einer Reihe auf. Und dann werden wir ja sehen, ob sich die Polizei vor sie oder hinter sie stellt. Wenn sie sich vor sie stellt, dann heißt das: Krieg!" Ich nicke wie einer von diesen Spielzeughunden, die in den 70er Jahren auf den Autoablagen standen und ununterbrochen den Kopf auf und abbewegten. "Aber dann müsste man ihnen einen Katheter ansetzen!" sagt Tonino verächtlich. Wieso wechselt er das Thema jetzt zum Krankenhaus, denke ich, dann verstehe auch ich. Ich lache. Das feuert Tonino an: "Windeln muss man ihnen anlegen, weil sie sich anmachen werden vor Angst!" Ich weiß immer noch nicht wer, die Politiker oder die Polizei, aber ziemlich wahrscheinlich beide. "Die Carabinieri," sagt er und blättert wieder in den Kuverts herum, nachdem wir ein paar Varianten des Namens der Kinder durchgegangen sind, "die Carabinieri halten auf der Autobahn LKWs auf und konfiszieren Computer. Die behalten sie dann selber und geben sie ihren Kindern. Oder in der Schule. Zuerst bekommen die Professoren und ihre Kinder. Und wenn ich sage: und meine Kinder? Leider nichts mehr da." Klingt nach Albanien, stimmt aber wahrscheinlich.
Er hat die Fotos gefunden und knallt sie mir vor die Nase. Sie waren unter einer originellen Version des Vornamens des Kindes eingeordnet. Die Fotos sind gut, er ist ein guter Fotograf und jetzt macht er wieder das Zeichen des Durchladens eines Gewehrs. "Man kann nur schießen, sage ich. Habe ich nicht recht? Und dabei bin ich Demokrat!" Jetzt, wo ich die Fotos habe, mache ich mir Sorgen, dass ich den Autobus in die Provinzhauptstadt verpasse. Ich nicke jetzt rascher, in der Hoffnung, dass ich so schneller aus dem Laden komme. Aber Tonino weiht mich nun ein: "In unserer Stadt gibt es 2800 Grillini, Sie wissen schon, die Grillo gewählt haben. Ich sage zu ihnen: wenn wir unser großes Fest habe, warum stellen wir uns nicht schweigend auf die Straße, um zu protestieren. Aber nein, da ziehen sie sich lieber für 200 Euro, und wer weiß, wann sie die bekommen, eine Verkehrshilfe-Jacke an und pfeifen die Autos herum. Nichts haben sie gemacht. Also wundern Sie sich nicht, wenn ich finde, man kann hier Probleme nur mehr mit dem Gewehr lösen. Wie in Amerika." Auweia, jetzt hat er mir mein Argument, sollte ich aufgefordert werden, zu sprechen, aus dem Mund genommen und ich muss aufhören zu nicken. "Demokratisch, wie in Amerika. Mit der Waffe in der Hand, aber demokratisch." In seinen Ausführungen stellt er gerade Indianer und Weiße mit großen Gesten gegenüber, als ein alter Mann mit einem adretten blauen Blazer den Laden betritt. Am Revers trägt er eine Nadel, die für etwas steht, das Toninos Aufmerksamkeit erregt. "Donnerwetter, wie elegant..." beginnt er den Alten in ein Gespräch zu ziehen. Ich bin nicht beleidigt. "Arrivederci!" rufe ich fröhlich und laufe erleichtert auf die Straße. Das nächste Mal schießen wir in Gedanken weiter, Tonino.
Dem ist eindeutig die Pazienza abhanden gekommen.
Übrigens ist am Sonntag Muttertag und anlässlich dessen hat das Kind in seiner Klasse mir ein Zeugnis ausgestellt. Ich habe unverhofft gute Noten bekommen, vor allem die Bestnote in Sportlichkeit und Autofahren freut mich, für Geduld habe ich aber nur die Note 9 statt 10. Neben der Wertung hat das Kind eine Frau mit zu Berge stehendem Haar gezeichnet, aus deren Kopf Rauchschwaden dringen. Die Augen sind extrem vergößert, ich nehme an, es handelt sich um die Illustration des Satzes: Die Augen quollen aus ihren Höhlen. Ich trage dieses Urteil mit Fassung und immenser Pazienza.
Wenn ich zwei Mal pro Jahr das Zugticket in die große Stadt kaufe, wappne ich mich mit viel Pazienza. Ich muss dazu auf einen 20 Minuten entfernten Bahnhof fahren und ich weiß schon, dass ich das mehrmals tun muss, denn es klappt nie beim ersten Mal, aber immer passiert auf diesem Bahnhof etwas, was wert wäre, aufgeschrieben zu werden. Diesmal handelt es sich um den Aushang, den ich vor dem unbesetzten Schalter finde: Dieser Ticketverkauf ist vom 7.- 10.5 von 13:43 - 20:57 geöffnet. Da bekommt man Lust zu rechnen, stimmts? Und es ist tatsächlich keiner da um 12 Uhr. Es handelt sich um einen Aushang der Ferrovie dello stato, also kann man auch keinen abwesenden Schalterbeamten beschuldigen. Aber der Bahnhof ist groß, sonst wäre ich ja nicht hier. Kleinere Bahnhöfe sind ja schon lange mit nicht funktionierenden Self-Service-Ticket-Maschinen ausgestattet. Immerhin habe ich damit gerechnet und bin nicht weiter beunruhigt.
Ich will die frei gewordene Zeit nutzen und die Fotos von der Tanzveranstaltung im letzten Jahr abholen. Bezahlt sind sie schon, muss ich zu meiner Ehrenrettung sagen. Ich fahre eine Straße hinauf und bleibe vor großen Betonblöcken stehen. Dahinter befindet sich ein großer Erdhaufen, der auf die Straße gerutscht ist. Aha, daher kam mir das kleine Auto mit der erinnerungswürdigen Aufschrift "Nannini", das vor dem Bahnhof an mir vorbeigefahren ist, kurz darauf wieder entgegen. Noch einer, der nicht automatisch wusste, dass diese Straße gesperrt ist. Kein Schild weist auf die nicht benutzbare Straße hin. Wozu auch, wenn man davor steht merkt man es ohnehin und so eilig wird man's schon nicht haben, oder?
Auf einem Umweg gelange ich doch zum Fotografen. Sein Geschäft ist ein enger, langer Schlauch, in dem gerade zwei Personen nebeneinanders stehen können, wenn sie sich kennen. Unbekannte Kunden stehen hintereinander. Vor mir steht einer, zu dem der gutaussehende, wenn auch in die Jahre gekommene Fotograf, Tonino genannt, soeben sagt: "Das ist ein Grund! Mein Vater, dem INDAP (ich glaube, das ist die staatliche Pensionsstelle) 200 Euro Pension gibt und er sitzt im (pantomimische Darstellung eines Rollstuhls, der mit 80 kmh dahin fetzt)." Wofür das ein Grund ist, weiß ich noch nicht, aber als der andere Kunde den Laden verläßt, nachdem ich böse geschaut habe und Tonino mich auch böse angeschaut hat, erfahre ich es: "Man braucht ein Maschinengewehr. Finden Sie nicht?" sagt Tonino, während er die Fotos sucht. Da bin ich aber ganz seiner Meinung. "Ja, manchmal schon." sage ich zurückhaltend. Ich kann ihm ja jetzt nicht sagen, dass ich eine Pumpgun will, ich weiß nicht, auf wessen Seite er steht. "Anders geht's nicht mehr." Er durchsucht erfolglos die Reihen an Kuverts, die da lagern und ich bekomme Herzklopfen. Nicht meine schon bezahlten Fotos nicht finden, bitte! Er unterbricht seine Suche und wendet sich mir zu. "Ich sage nicht, dass der Mann, der auf die Carabinieri geschossen hat, recht hat." Aha, es gab also einen inspirierenden Vorfall. "Nein", sage ich. Soll ich sagen, dass Carabinieri auch nur Menschen sind? Tonino nimmt mir die Entscheidung ab und sagt: "Ich sage auch nicht, dass man wirklich schießen soll, aber man muss ihnen Angst machen. Timore!" Ich nicke. Ich habe Angst, dass er meine Fotos nicht findet. Mir ist immer noch nicht klar, wem er Angst machen will. "Wir Bürger sollten uns vereinigen und Gewehre nehmen. (Hat er gesagt "unsere" Gewehre?) Und dann stellen wir die Politiker in einer Reihe auf. Und dann werden wir ja sehen, ob sich die Polizei vor sie oder hinter sie stellt. Wenn sie sich vor sie stellt, dann heißt das: Krieg!" Ich nicke wie einer von diesen Spielzeughunden, die in den 70er Jahren auf den Autoablagen standen und ununterbrochen den Kopf auf und abbewegten. "Aber dann müsste man ihnen einen Katheter ansetzen!" sagt Tonino verächtlich. Wieso wechselt er das Thema jetzt zum Krankenhaus, denke ich, dann verstehe auch ich. Ich lache. Das feuert Tonino an: "Windeln muss man ihnen anlegen, weil sie sich anmachen werden vor Angst!" Ich weiß immer noch nicht wer, die Politiker oder die Polizei, aber ziemlich wahrscheinlich beide. "Die Carabinieri," sagt er und blättert wieder in den Kuverts herum, nachdem wir ein paar Varianten des Namens der Kinder durchgegangen sind, "die Carabinieri halten auf der Autobahn LKWs auf und konfiszieren Computer. Die behalten sie dann selber und geben sie ihren Kindern. Oder in der Schule. Zuerst bekommen die Professoren und ihre Kinder. Und wenn ich sage: und meine Kinder? Leider nichts mehr da." Klingt nach Albanien, stimmt aber wahrscheinlich.
Er hat die Fotos gefunden und knallt sie mir vor die Nase. Sie waren unter einer originellen Version des Vornamens des Kindes eingeordnet. Die Fotos sind gut, er ist ein guter Fotograf und jetzt macht er wieder das Zeichen des Durchladens eines Gewehrs. "Man kann nur schießen, sage ich. Habe ich nicht recht? Und dabei bin ich Demokrat!" Jetzt, wo ich die Fotos habe, mache ich mir Sorgen, dass ich den Autobus in die Provinzhauptstadt verpasse. Ich nicke jetzt rascher, in der Hoffnung, dass ich so schneller aus dem Laden komme. Aber Tonino weiht mich nun ein: "In unserer Stadt gibt es 2800 Grillini, Sie wissen schon, die Grillo gewählt haben. Ich sage zu ihnen: wenn wir unser großes Fest habe, warum stellen wir uns nicht schweigend auf die Straße, um zu protestieren. Aber nein, da ziehen sie sich lieber für 200 Euro, und wer weiß, wann sie die bekommen, eine Verkehrshilfe-Jacke an und pfeifen die Autos herum. Nichts haben sie gemacht. Also wundern Sie sich nicht, wenn ich finde, man kann hier Probleme nur mehr mit dem Gewehr lösen. Wie in Amerika." Auweia, jetzt hat er mir mein Argument, sollte ich aufgefordert werden, zu sprechen, aus dem Mund genommen und ich muss aufhören zu nicken. "Demokratisch, wie in Amerika. Mit der Waffe in der Hand, aber demokratisch." In seinen Ausführungen stellt er gerade Indianer und Weiße mit großen Gesten gegenüber, als ein alter Mann mit einem adretten blauen Blazer den Laden betritt. Am Revers trägt er eine Nadel, die für etwas steht, das Toninos Aufmerksamkeit erregt. "Donnerwetter, wie elegant..." beginnt er den Alten in ein Gespräch zu ziehen. Ich bin nicht beleidigt. "Arrivederci!" rufe ich fröhlich und laufe erleichtert auf die Straße. Das nächste Mal schießen wir in Gedanken weiter, Tonino.
Dem ist eindeutig die Pazienza abhanden gekommen.
Übrigens ist am Sonntag Muttertag und anlässlich dessen hat das Kind in seiner Klasse mir ein Zeugnis ausgestellt. Ich habe unverhofft gute Noten bekommen, vor allem die Bestnote in Sportlichkeit und Autofahren freut mich, für Geduld habe ich aber nur die Note 9 statt 10. Neben der Wertung hat das Kind eine Frau mit zu Berge stehendem Haar gezeichnet, aus deren Kopf Rauchschwaden dringen. Die Augen sind extrem vergößert, ich nehme an, es handelt sich um die Illustration des Satzes: Die Augen quollen aus ihren Höhlen. Ich trage dieses Urteil mit Fassung und immenser Pazienza.
Mittwoch, 30. Januar 2013
Un vero disastro
Keine Angst, das ist nur die Bewertung des Grammatiktests meiner großen Söhne. Ein echtes Desaster.
Da wollte die Lehrerin wohl das sein, was man auf italienisch "spiritoso" nennt. Ironisch? Geistreich?
Manchmal muss ich an eine Episode denken, die aus der Zeit stammt, als ich eine junge Studentin am Institut der Theaterwissenschaft war und in einem Seminar über eine Theorie berichtete, die meiner Meinung nach eine gewisse Gefahr in sich barg. "Kollegin", sagte der Seminarleiter (und ich denke, das beste, was einem an der Universität passieren kann, ist, Kollegin genannt zu werden). "Kollegin, gefährlich ist, wenn das Dach jetzt über uns einstürzt, aber diese Theorie kann nicht gefährlich sein." Ich habe ihn gehasst, den Seminarleiter, denn ich war ungefähr 19 Jahre alt, und es war wirklich ziemlich viel gefährlich rund um mich. In den vielen Jahren, die seitdem vergangen sind, habe ich in regelmäßigen Abständen an dieses Ereignis denken müssen und durch den Grammatiktest meiner Kinder kam es zur Katharsis.
Und ich habe es geschafft, ganz gegen mein dringendes Bedürfnis, mich total und unaufhaltsam aufzuregen, beim Abendessen einfach zu sagen: "Kinder, was eure Lehrerin da meint, scheint mir ein bisschen übertrieben. Wenn unser Hügel im Meer versinkt, dann ist es ein Desaster. Wenn unser Garten auf das Haus unseres Nachbarn Vincenzo rutscht, dann ist es ein Desaster. Wenn ihr nicht imstande seid, einen Satz zu analysieren, dann ist das zwar ein Problem, aber ein Desaster ist es nicht." Meine Kinder sind überrascht und verwirrt.
Selbst MM ist überrascht und verwirrt.
Am nächsten Tag frage ich die Kinder, ob die Lehrerin jetzt ihre Drohung wahr gemacht hat und mich in die Schule bestellt hat, aber sie sagen "Nein, sie hat nur gesagt, wenn wir uns nicht mehr anstrengen, wird sie uns nicht mehr beachten." Ich sage: "Da hat sie wohl die falschen Worte gewählt, denn das wäre euch ja mehr als nur recht, wenn sie euch nicht beachten würde. " Meine Kinder grinsen belustigt. "Sie meinte aber, wenn ihr euch nicht mehr anstrengt, werdet ihr sitzen bleiben. Das wollte sie sagen." Meine Kinder sind nicht mehr belustigt. Wenn schon schwarze Pädagogik, dann aber richtig. Wenn schon schlechte Noten, dann schlechte Noten, aber keine witzigen Ausdrücke. Danke.
Da wollte die Lehrerin wohl das sein, was man auf italienisch "spiritoso" nennt. Ironisch? Geistreich?
Manchmal muss ich an eine Episode denken, die aus der Zeit stammt, als ich eine junge Studentin am Institut der Theaterwissenschaft war und in einem Seminar über eine Theorie berichtete, die meiner Meinung nach eine gewisse Gefahr in sich barg. "Kollegin", sagte der Seminarleiter (und ich denke, das beste, was einem an der Universität passieren kann, ist, Kollegin genannt zu werden). "Kollegin, gefährlich ist, wenn das Dach jetzt über uns einstürzt, aber diese Theorie kann nicht gefährlich sein." Ich habe ihn gehasst, den Seminarleiter, denn ich war ungefähr 19 Jahre alt, und es war wirklich ziemlich viel gefährlich rund um mich. In den vielen Jahren, die seitdem vergangen sind, habe ich in regelmäßigen Abständen an dieses Ereignis denken müssen und durch den Grammatiktest meiner Kinder kam es zur Katharsis.
Und ich habe es geschafft, ganz gegen mein dringendes Bedürfnis, mich total und unaufhaltsam aufzuregen, beim Abendessen einfach zu sagen: "Kinder, was eure Lehrerin da meint, scheint mir ein bisschen übertrieben. Wenn unser Hügel im Meer versinkt, dann ist es ein Desaster. Wenn unser Garten auf das Haus unseres Nachbarn Vincenzo rutscht, dann ist es ein Desaster. Wenn ihr nicht imstande seid, einen Satz zu analysieren, dann ist das zwar ein Problem, aber ein Desaster ist es nicht." Meine Kinder sind überrascht und verwirrt.
Selbst MM ist überrascht und verwirrt.
Am nächsten Tag frage ich die Kinder, ob die Lehrerin jetzt ihre Drohung wahr gemacht hat und mich in die Schule bestellt hat, aber sie sagen "Nein, sie hat nur gesagt, wenn wir uns nicht mehr anstrengen, wird sie uns nicht mehr beachten." Ich sage: "Da hat sie wohl die falschen Worte gewählt, denn das wäre euch ja mehr als nur recht, wenn sie euch nicht beachten würde. " Meine Kinder grinsen belustigt. "Sie meinte aber, wenn ihr euch nicht mehr anstrengt, werdet ihr sitzen bleiben. Das wollte sie sagen." Meine Kinder sind nicht mehr belustigt. Wenn schon schwarze Pädagogik, dann aber richtig. Wenn schon schlechte Noten, dann schlechte Noten, aber keine witzigen Ausdrücke. Danke.
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Montag, 28. Januar 2013
Musik
"Music was my first love, and it could be my last", sang Barry Manilow, als er noch (gemeinsam mit Rod Stewart) der einzige Mann in meinem Leben war. Das war auch ungefähr die Zeit, als ich in mein Tagebuch schrieb: "Solange es Wein und Musik gibt, werde ich mir nicht das Leben nehmen." Und so ist es auch viele Jahre später, trotz Wirtschaftskrise.
Wobei sich das mit der Musik natürlich verändert hat. Über den orangen Philips-Plattenspieler versus you tube brauchen wir hier nicht zu reden, kommen wir lieber gleich zur Sache und das ist die mit der Mittelschule mit dem musikalischen Schwerpunkt, man erinnert sich tralalalala, die Söhne spielen Schlagzeug und singen und es gibt ein Orchester und eine königliche Musiklehrerin. Jetzt muss ich auch das Kind in diese Schule einschreiben und das Kind soll ein Instrument auswählen. Das Kind ist, auch das weiß man, ein wahrer Nonkonformist und geht nicht Fußball spielen sondern in klassischen Tanz. Das Kind kündigt bereits vor der Vorstellung der Instrumente an, dass es gedenkt, Harfe zu lernen. HARFE? Nein, das Kind hat nur einen Scherz gemacht. Sagt es.
Ich gehe mit dem Kind zur Präsentation der Instrumente und wo etwa 50 Kinder mit glänzenden Augen einer Vorstellung von 8 Musikinstrumenten folgen sollen, sitzen etwa 12 Kinder, dafür kommen mir gleich mehrmals die Tränen. Da gibt es Querflöte, Harfe, Klavier, Oboe, Klarinette, Trompete, Percussion und Geige. Die Lehrer stellen sich vor und ein oder mehrere Schüler geben etwas zum Besten. Die Instrumente werden auch für die nächsten drei Jahre ausgeliehen. Meine Freundinnen in der großen Stadt bekommen große Augen, ich weiß. Meine Freundinnen in der mittelgroßen Gemeinde in Kalabrien sind leicht genervt. Was? Auch noch ein Instrument? Eine Mutter der fünf Kinder aus der Klasse meines Kindes sagt, ihr Sohn sei nur gekommen, um die Instrumente zu sehen, er werde sicher keines spielen, er ginge ja ohnehin schon Fußballspielen. Andere Mütter bringen ihre Kinder nicht, denn wenn diese auch ein Instrument erlernen werden, dann muss ihnen das bitte nicht vorgestellt werden. Man weiß doch, was das ist, oder?
Ich musste hingehen, damit mein Kind sieht, dass es genauso gut Oboe lernen könnte, auch Geige ist nicht schwach, aber das Kind, zwar elektrisiert von der gesamten Darbietung, bleibt bei seiner Entscheidung: es wird Harfe lernen. Da hilft auch nichts, dass der Dirigent, der Freund der Königin, auftritt und sich herausstellt, dass er nicht nur dirigiert, sondern auch Trompete unterrichtet und der Chef der Blasmusikkappelle des Orts ist. Ich denke zwar, dass ich vielleicht Trompete statt Organetto lernen sollte und das Kind ist auch sehr erfreut, dass die beiden Schüler nun "When the saints go marchin' in" blasen, aber das hält ihn nicht davon ab, nach der Darbietung zu sagen: "Ich habe nur eine Frage: können auch Männer Harfe spielen, oder ist das nur was für Frauen." In diesem Moment kommt der Dirigent auf uns zu und ich frage mich erstens, ob er sich an unser aufregendes Erlebnis im Theater erinnert und zweitens, ob ich aus Gründen des allgemeinen Wohlbefindens mich jetzt blitzschnell in den Dirigenten verlieben soll, und da ist er schon in meinem olfaktorischen Bereich und NEIN, das habe ich in der Frischluft vor dem Theater nicht ahnen können: er ist Zigarrenraucher. Er fragt, ob er was für uns tun kann. Danke, aber mein Sohn will Harfe lernen.
Ich mache das Kind mit der Harfelehrerin bekannt. Und das ist Liebe. Ja, es gibt noch einen anderen kleinen Jüngling, der Harfe lernt. Das Kind ist beruhigt. Lehrerin und Kind planen bereits, wie sie mit der Harfe lateinamerikanische Rhythmen zupfen werden. Der Percussionlehrer ist noch dazu der Mann der schönen peruanischen Harfenfrau und im lateinamerikanischen musikalischen Gehirn werden rhythmische Familien-Happenings ausgesponnen.
Ich will heim zu meinem Kassettenrecorder und Barry Manilow. Und ich gestehe: es gab mehr als Barry und Rod. Da waren auch die Bay City Rollers...Ihnen ist es zu verdanken, dass ich auch heute noch davon besessen bin, dauernd einen Rock'n'Roll Love Letter schreiben zu wollen. Das kann ich dann tun, wenn nächstes Jahr gezupft und getrommelt wird.
Wobei sich das mit der Musik natürlich verändert hat. Über den orangen Philips-Plattenspieler versus you tube brauchen wir hier nicht zu reden, kommen wir lieber gleich zur Sache und das ist die mit der Mittelschule mit dem musikalischen Schwerpunkt, man erinnert sich tralalalala, die Söhne spielen Schlagzeug und singen und es gibt ein Orchester und eine königliche Musiklehrerin. Jetzt muss ich auch das Kind in diese Schule einschreiben und das Kind soll ein Instrument auswählen. Das Kind ist, auch das weiß man, ein wahrer Nonkonformist und geht nicht Fußball spielen sondern in klassischen Tanz. Das Kind kündigt bereits vor der Vorstellung der Instrumente an, dass es gedenkt, Harfe zu lernen. HARFE? Nein, das Kind hat nur einen Scherz gemacht. Sagt es.
Ich gehe mit dem Kind zur Präsentation der Instrumente und wo etwa 50 Kinder mit glänzenden Augen einer Vorstellung von 8 Musikinstrumenten folgen sollen, sitzen etwa 12 Kinder, dafür kommen mir gleich mehrmals die Tränen. Da gibt es Querflöte, Harfe, Klavier, Oboe, Klarinette, Trompete, Percussion und Geige. Die Lehrer stellen sich vor und ein oder mehrere Schüler geben etwas zum Besten. Die Instrumente werden auch für die nächsten drei Jahre ausgeliehen. Meine Freundinnen in der großen Stadt bekommen große Augen, ich weiß. Meine Freundinnen in der mittelgroßen Gemeinde in Kalabrien sind leicht genervt. Was? Auch noch ein Instrument? Eine Mutter der fünf Kinder aus der Klasse meines Kindes sagt, ihr Sohn sei nur gekommen, um die Instrumente zu sehen, er werde sicher keines spielen, er ginge ja ohnehin schon Fußballspielen. Andere Mütter bringen ihre Kinder nicht, denn wenn diese auch ein Instrument erlernen werden, dann muss ihnen das bitte nicht vorgestellt werden. Man weiß doch, was das ist, oder?
Ich musste hingehen, damit mein Kind sieht, dass es genauso gut Oboe lernen könnte, auch Geige ist nicht schwach, aber das Kind, zwar elektrisiert von der gesamten Darbietung, bleibt bei seiner Entscheidung: es wird Harfe lernen. Da hilft auch nichts, dass der Dirigent, der Freund der Königin, auftritt und sich herausstellt, dass er nicht nur dirigiert, sondern auch Trompete unterrichtet und der Chef der Blasmusikkappelle des Orts ist. Ich denke zwar, dass ich vielleicht Trompete statt Organetto lernen sollte und das Kind ist auch sehr erfreut, dass die beiden Schüler nun "When the saints go marchin' in" blasen, aber das hält ihn nicht davon ab, nach der Darbietung zu sagen: "Ich habe nur eine Frage: können auch Männer Harfe spielen, oder ist das nur was für Frauen." In diesem Moment kommt der Dirigent auf uns zu und ich frage mich erstens, ob er sich an unser aufregendes Erlebnis im Theater erinnert und zweitens, ob ich aus Gründen des allgemeinen Wohlbefindens mich jetzt blitzschnell in den Dirigenten verlieben soll, und da ist er schon in meinem olfaktorischen Bereich und NEIN, das habe ich in der Frischluft vor dem Theater nicht ahnen können: er ist Zigarrenraucher. Er fragt, ob er was für uns tun kann. Danke, aber mein Sohn will Harfe lernen.
Ich mache das Kind mit der Harfelehrerin bekannt. Und das ist Liebe. Ja, es gibt noch einen anderen kleinen Jüngling, der Harfe lernt. Das Kind ist beruhigt. Lehrerin und Kind planen bereits, wie sie mit der Harfe lateinamerikanische Rhythmen zupfen werden. Der Percussionlehrer ist noch dazu der Mann der schönen peruanischen Harfenfrau und im lateinamerikanischen musikalischen Gehirn werden rhythmische Familien-Happenings ausgesponnen.
Ich will heim zu meinem Kassettenrecorder und Barry Manilow. Und ich gestehe: es gab mehr als Barry und Rod. Da waren auch die Bay City Rollers...Ihnen ist es zu verdanken, dass ich auch heute noch davon besessen bin, dauernd einen Rock'n'Roll Love Letter schreiben zu wollen. Das kann ich dann tun, wenn nächstes Jahr gezupft und getrommelt wird.
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Mittwoch, 2. Januar 2013
2013 mit Bert Brecht
In den letzten Wochen und dann nur mehr Tagen hab ich wieder einmal die Welt nicht verstanden. Nicht nur, dass man alles unter Dach und Fach für ein Weihnachtsfest haben soll, soll man auch einen ruhigen Advent verbringen. Schon mal eine Quadratur des Kreises, wenn man bedenkt, dass alle in diesen letzten Tagen vor Weihnachten noch ihre lang vorbereiteten (und auch nicht im Sommer begonnenen) künstlerisch wertvollen Aufführungen machen und im geringsten Fall einfach in der Schule singen (damit das Gesù Bambino geboren werden kann, wie die Italienischlehrerin des Kindes es leicht geschwächt ausdrückte). Die Charles Dickens Aufführung der großen Kinder war ein wirklicher ungeschmeichelter Erfolg und der Erfolg der Kinder als Sänger und Darsteller und vor allem als Mädchenhelden ganz real. Meine Beanspruchung davor auch. Dazu sagt man Stress, heutzutage.
Das wirklich Unerbittliche aber ist, dass man, ist Weihnachten einmal vorbei, nicht einmal Luft holen kann und schon muss man Blei gießen, um das nächste Jahr positiv zu interpretieren. Den Programmpunkt mit dem Blei haben wir diesmal ausgelassen und den mit dem Sekt auch. Wir haben schlaftrunken ein Feuerwerk aus dem Zug aus gesehen, in der angeblich sehr hübschen Stadt Villach, im österreichischen Bundesland Kärnten. Ich betone das, weil meine Kinder nach dem Weihnachtsferien eine Prüfung in Geografie zum Thema Österreich ablegen müssen und ich betone nun alles, was mit Österreich zu tun hat.
Der Betrug an diesem Jahresende und nicht nur diesem ist, dass unter dem lauten Plopp der Sektkorken und dem beruhigenden Geglitzer der Christbaumkugeln untergeht, dass in meinem Postkasten alle Jahresabrechnungen liegen, die ausgeglichen werden sollen und kaum jemand will mir dabei einen Überschuss auszahlen und nächste Woche alle Mitgliedsbeiträge beglichen werden sollen, die sich auf das neue Jahr beziehen. Diese beiden Monate sind mit Abstand die teuersten im ganzen Jahr. Heute Nacht habe ich schon sehr kindisch davon geträumt, dass Beamte des italienischen Fernsehens Rai hier in unserer ländlichen Gegend Fernsehkonsumenten suchten, die noch nicht den Mitgliedsbeitrag bezahlten. Peinlicherweise habe ich ihnen im Traum gleich gesagt, dass ich zahle, wahrscheinlich wollte ich verhindern, dass sie in mein ungeputztes Haus kommen.
Und in dieser kurzen Zeit, die mir im Monat Dezember zum Denken geblieben ist, habe ich es weder geschafft, das letzte Jahr Revue passieren zu lassen und meine Schlüsse daraus zu ziehen, noch das neue Jahr zu planen und wenn schon nicht gute Vorsätze zu machen, dann doch immerhin mir das eine oder andere Ziel zu setzen. Derer gäbe es ja viele, man müsste sie nur in den richtigen Rahmen stellen.
Ein Ziel ist jedoch gewiss und dazu braucht es kein neues Jahr: ich will mehr schlafen, denn ich krieche, wie man bei mir zu Hause, also in dem Viertel, in dem ich aufgewachsen bin, sagt: am Zahnfleisch daher. Meine Mutter verwendet solche Ausdrücke nicht, dabei sind sie sehr bildlich. Ich bin also sehr müde und manchmal weiß ich nicht mehr was ich gerade tun wollte. Das heißt glaub ich auch Stress.
Und diesen Vorsatz versuche ich jetzt gleich zu realisieren, solange die Schule es mir noch ermöglicht und sofort sprießen kleine grüne Blättchen dort, wo nichts mehr hängt, oder Eiszapfen baumeln. Mein erstes grünes Blättchen sind drei Worte, die mir beim Aufstehen (endlich ausgeschlafen, zum ersten Mal seit einigen Jahren) in den Sinn kommen und sie stammen von Bert Brecht: Tanzen, Singen, Freundlich Sein. Ich weiß, sie stammen aus dem Gedicht "Vergnügungen" und zeigen eine weiche Seite vom Brecht. Ich behaupte das jetzt jedenfalls. Oder hat er Lesen, Singen, Freundlich Sein geschrieben? Nein, ich schau das jetzt nicht nach, nein. Für mich sind es jetzt die drei. Immense Herausforderungen, denn getanzt wird mit dem Körper der Dattilografa ja nicht mehr, wie sie beschlossen hat (und dann zur Über-90-jährigen Party eingeladen wurde oder zum Zumba - NEIN!), aber vielleicht findet sich noch eine Alternative zur überwuzelten Möchtegern-Discoqueen. Im übrigen bleibt mir immer noch die Tarantella. Zum Thema Singen fällt mir auch was ein, aber jetzt muss ich die Kinder wecken und dabei versuchen freundlich zu sein. Und wenn sie beim Frühstück sitzen, schau ich nach, ob der Brecht wirklich getanzt hat.
Das wirklich Unerbittliche aber ist, dass man, ist Weihnachten einmal vorbei, nicht einmal Luft holen kann und schon muss man Blei gießen, um das nächste Jahr positiv zu interpretieren. Den Programmpunkt mit dem Blei haben wir diesmal ausgelassen und den mit dem Sekt auch. Wir haben schlaftrunken ein Feuerwerk aus dem Zug aus gesehen, in der angeblich sehr hübschen Stadt Villach, im österreichischen Bundesland Kärnten. Ich betone das, weil meine Kinder nach dem Weihnachtsferien eine Prüfung in Geografie zum Thema Österreich ablegen müssen und ich betone nun alles, was mit Österreich zu tun hat.
Der Betrug an diesem Jahresende und nicht nur diesem ist, dass unter dem lauten Plopp der Sektkorken und dem beruhigenden Geglitzer der Christbaumkugeln untergeht, dass in meinem Postkasten alle Jahresabrechnungen liegen, die ausgeglichen werden sollen und kaum jemand will mir dabei einen Überschuss auszahlen und nächste Woche alle Mitgliedsbeiträge beglichen werden sollen, die sich auf das neue Jahr beziehen. Diese beiden Monate sind mit Abstand die teuersten im ganzen Jahr. Heute Nacht habe ich schon sehr kindisch davon geträumt, dass Beamte des italienischen Fernsehens Rai hier in unserer ländlichen Gegend Fernsehkonsumenten suchten, die noch nicht den Mitgliedsbeitrag bezahlten. Peinlicherweise habe ich ihnen im Traum gleich gesagt, dass ich zahle, wahrscheinlich wollte ich verhindern, dass sie in mein ungeputztes Haus kommen.
Und in dieser kurzen Zeit, die mir im Monat Dezember zum Denken geblieben ist, habe ich es weder geschafft, das letzte Jahr Revue passieren zu lassen und meine Schlüsse daraus zu ziehen, noch das neue Jahr zu planen und wenn schon nicht gute Vorsätze zu machen, dann doch immerhin mir das eine oder andere Ziel zu setzen. Derer gäbe es ja viele, man müsste sie nur in den richtigen Rahmen stellen.
Ein Ziel ist jedoch gewiss und dazu braucht es kein neues Jahr: ich will mehr schlafen, denn ich krieche, wie man bei mir zu Hause, also in dem Viertel, in dem ich aufgewachsen bin, sagt: am Zahnfleisch daher. Meine Mutter verwendet solche Ausdrücke nicht, dabei sind sie sehr bildlich. Ich bin also sehr müde und manchmal weiß ich nicht mehr was ich gerade tun wollte. Das heißt glaub ich auch Stress.
Und diesen Vorsatz versuche ich jetzt gleich zu realisieren, solange die Schule es mir noch ermöglicht und sofort sprießen kleine grüne Blättchen dort, wo nichts mehr hängt, oder Eiszapfen baumeln. Mein erstes grünes Blättchen sind drei Worte, die mir beim Aufstehen (endlich ausgeschlafen, zum ersten Mal seit einigen Jahren) in den Sinn kommen und sie stammen von Bert Brecht: Tanzen, Singen, Freundlich Sein. Ich weiß, sie stammen aus dem Gedicht "Vergnügungen" und zeigen eine weiche Seite vom Brecht. Ich behaupte das jetzt jedenfalls. Oder hat er Lesen, Singen, Freundlich Sein geschrieben? Nein, ich schau das jetzt nicht nach, nein. Für mich sind es jetzt die drei. Immense Herausforderungen, denn getanzt wird mit dem Körper der Dattilografa ja nicht mehr, wie sie beschlossen hat (und dann zur Über-90-jährigen Party eingeladen wurde oder zum Zumba - NEIN!), aber vielleicht findet sich noch eine Alternative zur überwuzelten Möchtegern-Discoqueen. Im übrigen bleibt mir immer noch die Tarantella. Zum Thema Singen fällt mir auch was ein, aber jetzt muss ich die Kinder wecken und dabei versuchen freundlich zu sein. Und wenn sie beim Frühstück sitzen, schau ich nach, ob der Brecht wirklich getanzt hat.
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Donnerstag, 6. Dezember 2012
A christmas carol
Das Kind und ich warten darauf, dass
die großen Jungs ihre Proben für die Weihnachtsaufführung
absolvieren. Wir stehen in der Aula der Schule. Auf dem Boden wälzen
sich zwanzig bis dreißig Mädchen ohne Musik, erst am Ende ihrer
ungelenk wirkenden Bewegungen wird kurz die Musik eingespielt. Ein Musical , „Canto di natale“, „A Christmas
Tale“ von Charles Dickens, das ich letztes Jahr nach Weihnachten
mit großem Vergnügen gelesen habe. Das Kind schwitzt in der Hand,
in der es seine nicht fertig gegessenen, ekelhaft schmeckenden, aber
süchtig machenden Käseflips oder -flops verkrampft hält. Wir
leiden. Ich starre die Verlobte aus dem Vorjahr an. Nie hat man
erfahren, warum diese wunderbare pathetische und sehr theoretische
Liebesgeschichte zwischen ihr und dem Rallyefahrer geendet hat, und er
wird sehr unwirsch, wenn man darüber sprechen möchte. In
Wirklichkeit ist es auch ganz egal, mir zumindest, ich denke nur
manchmal, man müsste sich am Seelenleben seiner Kinder interessiert
zeigen, was ganz und gar nicht zutrifft. Die großen Jungs sind in
einem Zimmer versteckt und ab und zu kommt einer von ihnen extrem
lässig und doch unlocker durch die Aula auf mich zugestapft, um
Fluchtpläne zu besprechen. Erst der Rallyefahrer, der zum Fußball
muss, dann der große Sohn, den die Panik befällt, ich könne ihn
vergessen, während ich den Rallyefahrer zum Fußball bringe. Ich
gebe ihnen das Kind mit. Der Rallyefahrer öffnet die Tür des
Zimmers und schaut heraus, als wäre er der Direktor dieser Schule
und ich eine wartende Bittstellerin. „Eine Minute!“ deutet er
mir. Ich habe also die Freundlichkeit, zu warten. Das Kind hoffe ich,
amüsiert sich in dem Zimmerchen bei den geheimen Proben mehr, als
bei der Ansicht dieser traurigen stummen Ballettaufführung.
Die Musiklehrerin
kommt an mir vorbei und sie sagt: „Complimenti!“ Einen Moment
lang finde ich das ganz normal. Ich nehme an, sie macht mir
Komplimente für mein Leben, dafür, dass ich Managerin dieser drei
wunderbar aktiven Kinder bin und meine Nachmittage im Auto verbringe,
ohne dabei zu schreien, dafür, dass ich einen Ofen beheize, weil uns
das Geld für die Heizung ausgegangen ist, dafür, dass ich es in
neun von zehn Fällen schaffe, die Kinder mit einem gewaschenen Dress
zu ihrem Sport schicke, auch wenn sie dieses vorher föhnen mussten.
Dafür, dass meine Kinder in neun von zehn Fällen ihre Hausübungen
machen, also sagen wir mal, beim Rallyefahrer in fünf von zehn
Fällen, aber dafür hat er andere Qualitäten. Seine
Italienischprofessorin findet ihn sympathisch, zum Beispiel. Mir
kommt das also nicht komisch vor, dass die Musikprofessorin mir
„Complimenti!“ zuraunt und ich lächle freundlich. „Ihre Kinder
singen wirklich gut!“ „Aber dann gilt das Kompliment ihnen!“
sage ich. Ich bin enttäuscht, aber ich muss ehrlich zugeben, dass
wenn meine Kinder gut tanzen, singen und zeichnen, dann hat das ganz
und gar nichts mit mir zu tun, wenn man von meiner Güte absieht, sie
das machen zu lassen und wenn es sein muss, ausgiebig, denn ich
selbst kann weder das eine noch das andere und zeichnen schon gar
nicht. Außerdem muss man ihr überhaupt Komplimente machen, dass sie
diese beiden Jungs dazu gebracht hat, den Mund aufzuklappen, und in
ein Mikrofon zu röhren, denn sie sind ja dem Leben gegenüber
verpflichtet, aus ihrem Mund ausschließlich das Wort „Nichts“
herauszuquetschen. Zumindest zu Hause, auswärts bereichern sie ihren
Wortschatz eventuell mit Schimpfwörtern. Manchmal vergessen sie auch
kurzzeitig, dass sie pubertieren und sind ganz nett. Diese
Musikprofessorin also, hat bereits letztes Jahr den Rallyefahrer zu
ekstatischem Flötespiel animiert, was mich lange Zeit denken ließ, sie müsse die Doppelgängerin der wohlgeformten Blonden
aus CSI Miami, die mit dem milden Blick und dem ironischen Lächeln, sein.
Weit gefehlt. Die Musiklehrerin schaut aus wie die
Hexe aus dem Märchenbuch, sie hat zwar keinen Buckel, aber eine
Warze auf der Nase. Ok, die Zähne sind ein wenig besser erhalten.
Man muss aber gar nicht an eine Hexe denken, denn sie strahlt Energie
und etwas aus, das man schwer benennen kann, vielleicht ist es
Präsenz, vielleicht Engagement, Interesse, hm, möglichweise sogar
Liebe. Sie lacht viel und hat dabei etwas verschwörerisches.
Irgendwie hat sie es geschafft, sich mit meinen Kindern zu
verbrüdern, die ihr zuliebe jetzt das Gespenst aus der Zukunft und
aus der Vergangenheit singen. „Attento Scrooge!“
„Wir haben sie so
bearbeiten müssen!“ sagt sie lachend und legt dem großen Sohn die Hand
auf den Arm. „Das denk ich mir!“ sage ich, und frag mich, was
hier vor sich geht. Eine andere energische Musiklehrerin mischt sich
ein und erklärt mir, dass es ihnen vor allem darum ginge, die
Jugendlichen, die besonders reserviert seien, dazu zu bringen, sich
zu öffnen. Ohje, ich dachte, sie können singen? Offenbar hätten
die Knaben dann eine Kommission (ich will jetzt aber nicht wissen, ob
die Schulwarte in der Kommission waren, oder kompetentes Personal)
beeindruckt. Was mich beeindruckt, ist, dass mein großer Sohn, der
wirklich nicht für seine spontane Art bekannt ist, ein bezauberndes
Lächeln im Gesicht hat, während die Hand der Lehrerin auf seinem
Arm ruht. Und da beginne ich das Geheimnis der als Hexe verkleideten
Fee zu erkennen. Sie hat die Kinder einfach ernst genommen. Nicht
mehr und nicht weniger. Tutto qua.
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Freitag, 30. November 2012
Licht am Horizont?
Vor dem Supermarkt sitzt ein Bettler, vielleicht ein Rom, ein älterer Mann mit einem Organetto, mit dem er aber nur ein paar Töne und kein Melodie erzeugt. "Giovane Signora!" sagt er zu mir, "Geben sie mir auch nur 10 Cent, per la santa morte di Dio." 10 Cent für den heiligen Tod Gottes? "Gott ist doch gar nicht tot!" will ich zu ihm sagen und dann besinne ich mich eines Besseren. Ausgerechnet ich will mich da theologisch ins Zeug legen? Ein paar Mal muss ich an ihm vorbeigehen, immer bin ich sehr mit meinen eigenen Gedanken beschäftigt und ich will auch nicht für das Begräbnis von Gott zahlen, obwohl er seine Forderung jetzt auf 5 Cent reduziert hat. Jetzt, wo die Kaufkraft erlahmt ist, wird alles billiger, ihr werdet schon sehen!
Montag, 19. November 2012
Der Abschied der Dancing Queen
Jetzt, Houston, haben wir ein echtes Problem, eines nämlich, bei dem man nicht einfach fleißig sein kann, oder vertrauensvoll, sondern eines, das man so leicht nicht lösen kann, und ich glaube, es ist das Alter und sein angemessenes Verhalten diesbezüglich. Ich habe mich schon vor ein paar Monaten von meiner inneren Dancing queen verabschiedet, als ich irgendwo im Vorbeigehen Frauen in meinem Alter ausgelassen tanzen gesehen habe. Das schaut einfach nicht gut aus, I can't help it. Das letzte Mal, als ich mich anschickte, das Tanzbein zu schwingen, auf Ritas Hochzeit, als ich gute Gelegenheit hatte, da sich einige unserer Nachbarn als wirklich coole Discotänzer der 80ies outeten, protestierte das Kind, angeblich, weil ich mir einen Muskelriss zuziehen könne, was mir kurz vorher anlässlich eines Federballspiels passiert war. Ich fand ihn einen großen Spielverderber und dachte, dass mein Moment schon noch kommen wird, aber ich glaube, mein Moment ist vorbei. Zu "I will survive" von Gloria Gaynor sollen sich jetzt junge Frauen zwischen 12 und 28 verrenken. Und was mach ich? In meinem Auto plärrt Eminem und fuckt so around und meine Kinder, die den Sound aus ihren Handies holen, wissen glaub ich, hoffentlich, nicht was da genau los ist und ich weiß auch nicht genau, wie ich das Wort auf italienisch übersetzen soll und ob ich als Mutter das wirklich machen soll. Immerhin sind wir dann ja auch gleich bei den Motherfuckern. Das Auto schaut aus, wie ein Lastwagen der Konzerttournee einer boysgroup mit Schlagzeug und Congas und vor allem den entsprechenden boys. Wenn ich ihre Breakdanceschritte mache, dann kugeln sie auf dem Boden vor Lachen und wenn sie mich dann imitieren, sieht es tatsächlich so aus, als hätte sich ein verkappter Schuhplattler in eine Streetgang verirrt.
Was mach ich jetzt? Das ist wichtig! Als ich ein Mädchen war, wollte ich nicht wachsen, weil ich dachte, ich müsste dann Erwachsenenliteratur lesen, oh Graus. Und jetzt? Jetzt will ich nicht alt werden, weil ich dann nicht mehr in der Disco tanzen kann. Und jetzt soll mir keiner daher kommen und erzählen, ich soll mit dem Ehemann einen Tanzkurs machen, nein, das ist sicher lustig, aber kein Substitut.
So you think you can tell, heaven from hell, blue sky from grey.
Soll man dann bei Gelegenheit am Rand der Tanzfläche stehen und wohlwollend nicken? In der Hand nicht einmal mehr eine Zigarette, sondern maximal ein Glas und das sicher nicht mit interessanten harten Getränken gefüllt. Und wen man soll man anschauen? Menschen, die 20 bis 30 Jahre jünger sind? Help! Soll man über Politik und Wirtschaft sprechen, derweilen getanzt wird? Ich will sterben.
Es ist ein Graus und es kommt mir vor, als könnte man niemandes Hand mehr halten, jetzt, wo man dauernd die schwitzigen Kinderhände gehalten hat. Und immer dann, wenn man auf das glitzernde Wasser schauen könnte, liegt man in Wirklichkeit total erledigt im Bett.
I've been through the desert on a horse with no name, but it felt good to be out of the rain. Haben America einmal gesungen, aber Entschuldigung, so super ist das im Trockenen auch wieder nicht.
Was mach ich jetzt? Das ist wichtig! Als ich ein Mädchen war, wollte ich nicht wachsen, weil ich dachte, ich müsste dann Erwachsenenliteratur lesen, oh Graus. Und jetzt? Jetzt will ich nicht alt werden, weil ich dann nicht mehr in der Disco tanzen kann. Und jetzt soll mir keiner daher kommen und erzählen, ich soll mit dem Ehemann einen Tanzkurs machen, nein, das ist sicher lustig, aber kein Substitut.
So you think you can tell, heaven from hell, blue sky from grey.
Soll man dann bei Gelegenheit am Rand der Tanzfläche stehen und wohlwollend nicken? In der Hand nicht einmal mehr eine Zigarette, sondern maximal ein Glas und das sicher nicht mit interessanten harten Getränken gefüllt. Und wen man soll man anschauen? Menschen, die 20 bis 30 Jahre jünger sind? Help! Soll man über Politik und Wirtschaft sprechen, derweilen getanzt wird? Ich will sterben.
Es ist ein Graus und es kommt mir vor, als könnte man niemandes Hand mehr halten, jetzt, wo man dauernd die schwitzigen Kinderhände gehalten hat. Und immer dann, wenn man auf das glitzernde Wasser schauen könnte, liegt man in Wirklichkeit total erledigt im Bett.
I've been through the desert on a horse with no name, but it felt good to be out of the rain. Haben America einmal gesungen, aber Entschuldigung, so super ist das im Trockenen auch wieder nicht.
Mittwoch, 14. November 2012
siamo arrivati alla frutta
Das ist typisch für die Italiener, dass sie alles mit dem Essen in Verbindung bringen. Wenn sie sagen, dass sie jetzt wirklich dem Ende entgegen gehen, dann sagen sie, dass sie beim Obst angelangt sind, also am Ende eines Mahls. Dessert gibt es dann keines, aber immerhin bis zum Obst reicht es. Jetzt kann man sich fragen, ob das wirklich so gesund ist, sich nach der Pasta und dem Secondo noch einen Apfel reinzuhauen, aber es ist so, sie essen nach dem Mittagessen und nach dem Abendessen ein Stück Obst und bei dem sind sie jetzt wieder mal angelangt und ich auch, weil ich ja auch da lebe, was mir täglich komischer vorkommt.
Die Provinzen, also diese vielen Flächen, die die Regionen, die unsere geliebte Toskana, Veneto und Umbrien und was weiß ich bis zum unbekannten Kalabrien sind, segmentieren, haben ein Oberhaupt, sein Name spielt glaub ich keine Rolle, und der hat gesagt, dass die Provinzen kein Geld mehr haben und dass sie deshalb die Schulen im Winter nicht mehr heizen werden.
Eine meiner ehemaligen Studentinnen, heute Freundin auf facebook, schreibt was das für ein Scheißland ist, und was das in Europa verloren hat oder so ähnlich, und damit hat sie natürlich völlig recht. Jemand anders postet, dass man auch im Parlament die Heizung abschalten könne, was auch keine schlechte Idee ist. Dass es heute Ausschreitungen bei den Demos gegeben hat wundert nicht.
Die Italiener delekieren sich jetzt also an ihrer letzten Erdbeere und lassen anschließend ihre Kinder mit Mütze und Schal und rotgefroreren Nasen in der Klasse sitzen. Wo Frau Professor mit Pelzmantel und Rauhreif vor dem Mund über die Flächen und die Umfänge von Dreiecken spricht. Und hier zeigt sich wieder, dass es in Wirklichkeit zwei Italien gibt, denn in einem, dem im reichen Norden, sind die Kinder erstens wirklich vom Kältetod bedroht und zweitens ist es dort sehr ungewöhnlich, dass so drastische Reaktionen gezeigt werden und man wird sehen, ob das geht, dass die Kinder nicht schön temperiert werden. Im anderen, das unterhalb von Rom beginnt und ganz bestimmt in Neapel stattfindet und bei uns seine höchste Ausformung erlebt, holt diese Drohung eigentlich niemandem hinter dem Ofen (wie passend) hervor. Öfen werden zum Glück nur in kurzen Zeiten des Jahres gebraucht und dass die Kinder unter erbärmlichen Umständen lernen, ist an der Tagesordnung. Die Eltern geben den Kindern Klopapier, Wasser und Seife mit. Und über den von einem Satiriker ironisch verbrämten Spruch der ehemaligen Unterrichtsministerin Gelmini: "Der Staat hat kein Geld für Toilettenpapier, wir bitten, die Kinder bereits defäkiert in die Schule zu schicken!" können wir nicht herzlich lachen, sondern nur die Stirn runzeln. Ja eh.
Und bei uns, wo jetzt die Carabinieri und die Nas, diese Hygienepolizei, die ich bei mir daheim auch immer fürchte, in die Schule gekommen, in die zusammengelegte, von der wir glauben, dass sie nie mehr geteilt wird, und haben festgestellt, dass man so nicht essen kann. Dann war ein paar Tage Feuer auf dem Dach und nun isst man so wie früher. In der Klasse. Auf den Schulbänken. Wenn dann nicht geheizt wird, dann wird halt nicht geheizt, das haben wir an vielen Tagen auch gehabt, ohne dass das im Radio gesagt wurde und es jemand öffentlich verkündet hätte. Die Eltern werden sich nicht zusammen tun, um die Heizungsrechnung der Schule zu begleichen, weil viele nicht mal ihre eigenen Rechungen zahlen können, ich nehme an, wir werden uns am Samstag morgen auf dem Markt begegnen, wo wir Mützen und Anoraks einkaufen.Und am besten fingerlose Handschuhe, mit denen können die Kinder besser schreiben. Und als Jause geben wir ihnen Tee im Thermos mit, oder einfach Mandarinen, denn wir sind ja "arrivati alla frutta".
Die Provinzen, also diese vielen Flächen, die die Regionen, die unsere geliebte Toskana, Veneto und Umbrien und was weiß ich bis zum unbekannten Kalabrien sind, segmentieren, haben ein Oberhaupt, sein Name spielt glaub ich keine Rolle, und der hat gesagt, dass die Provinzen kein Geld mehr haben und dass sie deshalb die Schulen im Winter nicht mehr heizen werden.
Eine meiner ehemaligen Studentinnen, heute Freundin auf facebook, schreibt was das für ein Scheißland ist, und was das in Europa verloren hat oder so ähnlich, und damit hat sie natürlich völlig recht. Jemand anders postet, dass man auch im Parlament die Heizung abschalten könne, was auch keine schlechte Idee ist. Dass es heute Ausschreitungen bei den Demos gegeben hat wundert nicht.
Die Italiener delekieren sich jetzt also an ihrer letzten Erdbeere und lassen anschließend ihre Kinder mit Mütze und Schal und rotgefroreren Nasen in der Klasse sitzen. Wo Frau Professor mit Pelzmantel und Rauhreif vor dem Mund über die Flächen und die Umfänge von Dreiecken spricht. Und hier zeigt sich wieder, dass es in Wirklichkeit zwei Italien gibt, denn in einem, dem im reichen Norden, sind die Kinder erstens wirklich vom Kältetod bedroht und zweitens ist es dort sehr ungewöhnlich, dass so drastische Reaktionen gezeigt werden und man wird sehen, ob das geht, dass die Kinder nicht schön temperiert werden. Im anderen, das unterhalb von Rom beginnt und ganz bestimmt in Neapel stattfindet und bei uns seine höchste Ausformung erlebt, holt diese Drohung eigentlich niemandem hinter dem Ofen (wie passend) hervor. Öfen werden zum Glück nur in kurzen Zeiten des Jahres gebraucht und dass die Kinder unter erbärmlichen Umständen lernen, ist an der Tagesordnung. Die Eltern geben den Kindern Klopapier, Wasser und Seife mit. Und über den von einem Satiriker ironisch verbrämten Spruch der ehemaligen Unterrichtsministerin Gelmini: "Der Staat hat kein Geld für Toilettenpapier, wir bitten, die Kinder bereits defäkiert in die Schule zu schicken!" können wir nicht herzlich lachen, sondern nur die Stirn runzeln. Ja eh.
Und bei uns, wo jetzt die Carabinieri und die Nas, diese Hygienepolizei, die ich bei mir daheim auch immer fürchte, in die Schule gekommen, in die zusammengelegte, von der wir glauben, dass sie nie mehr geteilt wird, und haben festgestellt, dass man so nicht essen kann. Dann war ein paar Tage Feuer auf dem Dach und nun isst man so wie früher. In der Klasse. Auf den Schulbänken. Wenn dann nicht geheizt wird, dann wird halt nicht geheizt, das haben wir an vielen Tagen auch gehabt, ohne dass das im Radio gesagt wurde und es jemand öffentlich verkündet hätte. Die Eltern werden sich nicht zusammen tun, um die Heizungsrechnung der Schule zu begleichen, weil viele nicht mal ihre eigenen Rechungen zahlen können, ich nehme an, wir werden uns am Samstag morgen auf dem Markt begegnen, wo wir Mützen und Anoraks einkaufen.Und am besten fingerlose Handschuhe, mit denen können die Kinder besser schreiben. Und als Jause geben wir ihnen Tee im Thermos mit, oder einfach Mandarinen, denn wir sind ja "arrivati alla frutta".
Freitag, 2. November 2012
Manchmal
wenn ich abends kurz vor neun mit MM in der Küche stehe, im Ofen ein
Blätterteigkuchen mit Ricotta und Mangold, und ihm sage, dass ich
Neuigkeiten über die Schule des Kindes habe, nämlich dass die
Carabinieri und die NAS (Nucleo Antisofisticazione), die die Hygiene
kontrollieren, in der Schule waren, weil die Mütter aus der einen
Schule, die Mütter (?) der anderen Schule, die übergangsweise in der
Schule A einquartiert wurden, weil die Schule B renoviert wird, geklagt
haben, weil die Kinder aus der Schule B den Kindern aus der Schule A den Speisesaal der Mensa rauben, weil sie dort eine Klasse untergracht haben und also die Carabinieri und die
NAS festgestellt haben, dass es in der Schule nicht möglich ist, unter
hygienischen Umständen zu essen, worauf der Bürgermeister gemeint hat,
dann gibt es also ab Montag keine Mensa und meine Freundin, die mir das
erzählt hat, sagte, dann müssen die Eltern ihre Kinder mittags von der
Schule holen, ihnen zu Hause was zu essen geben und sie dann wieder in
die Schule bringen, die ja bis vier Uhr dauert, was sie aber sicher
nicht machen würde und dass im übrigen die Lehrerin bei der Versammlung,
bei der ich nicht war, weil ich von dieser Lehrerin bitte nichts mehr
hören möchte, gesagt hätte, dass diese Klasse eine hervorragende sei und
sie in der Mittelschule nicht getrennt werden würde, denn die Kinder
würden sich gegenseitig positiv beeinflussen und ich sage zu MM, dass
die Lehrerin im Land der Feen lebe, denn ob eine Klasse getrennt wird
oder nicht, hängt nicht davon ab, ob sie das will oder nicht, sondern
einzig und allein davon, welchen Stundenplan die Eltern wählen, nämlich
30 oder 40 Stunden und mir MM sagt, er verstehe meine Philosophie der
Lehrerin gegenüber nicht und ich antworte, ich hätte gar keine
Philosophie, ich würde nur Fakten aufzählen, und dann später, wenn wir
den Blätterteigkuchen mit den beiden großen Kindern essen, denn das Kind
ist beim Halloweenfest eben bei der Freundin, die mich mit diesen
besorgniserregenden Neuigkeiten versorgt hat, der große Sohn sagt, er
hätte nicht verstanden, ob er für das Treffen mit dem Autor eines
politisch wertvollen Kinderbuches, das gegen die Mafia spricht, ein Haus
zeichnen solle, ein großes, oder einen Comix, und ich sage, dann glaube
ich, dass ich die Lehrerin anrufen muss und er sagt, danke, das glaube
ich auch, dann wünsche ich mir, dass ich irgendwen anrufen und
sagen kann: "Hol mich hier raus". Aber wer sollte das sein?
Montag, 11. Juni 2012
Schulaufsatz
Diesen Eintrag veröffentliche ich sozusagen posthum, weil nämlich...eigentlich wollte ich nichts mehr schreiben, in dem ich als garstige Mutter, nicht verlegen um vulgären Wortschatz auftrete, aber...
In Italien endet die Schule bereits am 9. Juni und selbstverständlich meint nun das gesamte Lehrpersonal, man müsse noch mal kräftig aufs Gas steigen. Das ist auch in Ordnung, meine Söhne schleppen sich allerdings kraftlos durch diese Phase und bekommen nur angesichts eines Fußballs Energieanfälle. Kleine dumpfe Stimmchen, die verzagt englische Verben murmeln werden da zu großen Tonerzeugern. Die armen Füße, die über den Wohnzimmerboden langsam vom Tisch zum Schulrucksack schleifen, springen Staub aufwirbelnd dem Ball entgegen. Strahlend umarmt mich der 14-Jährige: "Mamma!" brüllt er in mein Ohr und drückt mich an seine verschwitzte Brust: "Entschuldige wegen vorhin." Ja, sage ich verlegen und schaue in den Sand. Vorhin hat er einen akuten Anfall des Tourette-Syndroms in mir ausgelöst. Vor ein paar Tagen hatte ich es geschafft - die freundliche Dattilografa in mir sagte:"Wenn es dir gelingt, diese Englischhausübung hinter dich zu bringen, ohne mit der Hand auf den Tisch zu schlagen, darfst du am Abend eine Flasche Prosecco öffnen." Nur - der Prosecco, den mir meine Schwägerin gebracht hat, schmeckte nach Tokaiwein, das mag ich nicht. Möglicherweise war es die Abwesenheit der Flasche Prosecco im Kühlschrank, die mich im entscheidenden Moment grob werden ließ. Zuvor war alles gut gegangen. Thema war: Beschreibe den Ort, in dem du wohnst. Seit Wochen wird dieser Aufsatz vor sich her geschoben, als würde es darum gehen, zu beschreiben, wie man sich fühlt, wenn man auf einem Klo sitzt und dann geht plötzlich die Tür auf.
"Mir fällt nichts ein."
"Ich weiß nichts."
"Ich kenne nichts."
Auch ich kenne (da) nichts und beginne, eine Struktur zu entwerfen: Einleitung, Hauptteil, Schluss schreibe ich auf ein Blatt und dazu ein paar Ideen, was man da reinpacken könnte. Ich sage: Eine Seite. Ich stelle den Timer auf 30 Minuten und gehe dem anderen Sohn helfen, der ein wenig eigenständiger beim Schreiben ist, was mich mehr interessiert. Der 14-Jährige kommt einmal vorbei, um mitzuteilen:
"Mir fällt nichts ein."
"Ich weiß nichts."
"Ich kenne nichts."
Dann geht er wieder. Dann kommt er wieder, um zu sagen, dass die 30 Minuten vorbei sind, er also fertig ist. Ich gehe zu ihm. Er hat fünf Zeilen geschrieben. In denen befinden sich Hauptteil, Mittelteil, Schluss in etwa vier Sätzen. Die Orthografie ist originell. Vom anderen Sohn wurde ich in Kenntnis gesetzt, dass es auch eine Fotokopie gibt, auf der historische Fakten zu unserem Ort stehen. Obwohl ich bei geschichtlichen Ereignissen in total unbedeutenden Orten immer ein wenig unruhig werde, scheint unser Ort doch nicht ganz so historienfrei gewesen zu sein und da war sogar der Normannenkönig Robert de Guiscard im Mittelalter und 1086 die Benediktinerpater. Die Mittelschülerin in mir verwebt die geschichtlichen Fakten mit dem, was heute ist und diktiert es dem Sohn.
"Und was fällt dir noch ein?"
"Nichts."
Ich diktiere weiter.
"Und was würdest du noch schreiben?"
"Nichts."
Ich diktiere weiter. Wir nähern uns dem Schluss. Die Lippen des 14-Jährigen hängen fast auf seiner Brust.
"Also was würdest du denn gerne sehen oder kennenlernen?"
"Nichts."
Tourette explodiert.
"Dann schreib doch bitte, sie sollen dich alle am Arsch lecken und du willst nichts wissen von diesem Scheißort."
Bei diesen Worten wird der Rallyefahrer, der sich gerade in breakdancetechnischen Verrenkungen auf dem Boden rollt, aufmerksam.
Mir wird etwas eng im Hals und ich fordere den 14-Jährigen auf, einfach in sein Zimmer zu gehen, wenn es ihn nicht interessiert, er habe meine Grenzen überschritten. Er streikt. Er nützt die Gelegenheit nicht. Das Kind kommt nach Hause. Es versucht sich bemerkbar zu machen. Der 14-Jährige beginnt zu schreiben. Irgendwie beruhigt sich die Situation wieder, aber ich atme immer noch schwer.
Nach kurzer Zeit sind dann alle sehr eifrig. Das Kind spielt eifrig im Bubenzimmer, was auch als Erfolg zu verbuchen ist, denn normalerweise schreit ER, während die anderen lernen. Er hat allerdings nichts mit Tourette zu tun.
Dann bringe ich das Kind in die Tanzstunde. Dann komme ich wieder nach Hause. Dann spielen die Jungs Fußball und sind bester Laune.
Dann, dann! Du sollst nicht immer dann am Anfang des Satzes schreiben hätten meine Lehrer damals mit rot in mein Heft geschrieben.
Was der 14-Jährige am Ende seines Aufsatzes geschrieben hat, weiß ich übrigens nicht. Ich hoffe, es war nicht der Satz, den Tourette angeregt hat.
Der Rallyefahrer gesteht mir, er hätte es toll gefunden, als ich gesagt habe: am Arsch lecken. Ich weiß schon, auf italienisch sagt man das anders.
Nach etwa einer Woche ist der 14-jährige Sohn nach Hause gekommen und hat gesagt, die Prof hätte "Bravo" unter seinen Aufsatz geschrieben. Und hier kommt bitte mein alles überragender Einsatz als Mutter, in dem ich sage: "Na schau, das war doch die Mühe wert." "Ja" sagt er.
In Italien endet die Schule bereits am 9. Juni und selbstverständlich meint nun das gesamte Lehrpersonal, man müsse noch mal kräftig aufs Gas steigen. Das ist auch in Ordnung, meine Söhne schleppen sich allerdings kraftlos durch diese Phase und bekommen nur angesichts eines Fußballs Energieanfälle. Kleine dumpfe Stimmchen, die verzagt englische Verben murmeln werden da zu großen Tonerzeugern. Die armen Füße, die über den Wohnzimmerboden langsam vom Tisch zum Schulrucksack schleifen, springen Staub aufwirbelnd dem Ball entgegen. Strahlend umarmt mich der 14-Jährige: "Mamma!" brüllt er in mein Ohr und drückt mich an seine verschwitzte Brust: "Entschuldige wegen vorhin." Ja, sage ich verlegen und schaue in den Sand. Vorhin hat er einen akuten Anfall des Tourette-Syndroms in mir ausgelöst. Vor ein paar Tagen hatte ich es geschafft - die freundliche Dattilografa in mir sagte:"Wenn es dir gelingt, diese Englischhausübung hinter dich zu bringen, ohne mit der Hand auf den Tisch zu schlagen, darfst du am Abend eine Flasche Prosecco öffnen." Nur - der Prosecco, den mir meine Schwägerin gebracht hat, schmeckte nach Tokaiwein, das mag ich nicht. Möglicherweise war es die Abwesenheit der Flasche Prosecco im Kühlschrank, die mich im entscheidenden Moment grob werden ließ. Zuvor war alles gut gegangen. Thema war: Beschreibe den Ort, in dem du wohnst. Seit Wochen wird dieser Aufsatz vor sich her geschoben, als würde es darum gehen, zu beschreiben, wie man sich fühlt, wenn man auf einem Klo sitzt und dann geht plötzlich die Tür auf.
"Mir fällt nichts ein."
"Ich weiß nichts."
"Ich kenne nichts."
Auch ich kenne (da) nichts und beginne, eine Struktur zu entwerfen: Einleitung, Hauptteil, Schluss schreibe ich auf ein Blatt und dazu ein paar Ideen, was man da reinpacken könnte. Ich sage: Eine Seite. Ich stelle den Timer auf 30 Minuten und gehe dem anderen Sohn helfen, der ein wenig eigenständiger beim Schreiben ist, was mich mehr interessiert. Der 14-Jährige kommt einmal vorbei, um mitzuteilen:
"Mir fällt nichts ein."
"Ich weiß nichts."
"Ich kenne nichts."
Dann geht er wieder. Dann kommt er wieder, um zu sagen, dass die 30 Minuten vorbei sind, er also fertig ist. Ich gehe zu ihm. Er hat fünf Zeilen geschrieben. In denen befinden sich Hauptteil, Mittelteil, Schluss in etwa vier Sätzen. Die Orthografie ist originell. Vom anderen Sohn wurde ich in Kenntnis gesetzt, dass es auch eine Fotokopie gibt, auf der historische Fakten zu unserem Ort stehen. Obwohl ich bei geschichtlichen Ereignissen in total unbedeutenden Orten immer ein wenig unruhig werde, scheint unser Ort doch nicht ganz so historienfrei gewesen zu sein und da war sogar der Normannenkönig Robert de Guiscard im Mittelalter und 1086 die Benediktinerpater. Die Mittelschülerin in mir verwebt die geschichtlichen Fakten mit dem, was heute ist und diktiert es dem Sohn.
"Und was fällt dir noch ein?"
"Nichts."
Ich diktiere weiter.
"Und was würdest du noch schreiben?"
"Nichts."
Ich diktiere weiter. Wir nähern uns dem Schluss. Die Lippen des 14-Jährigen hängen fast auf seiner Brust.
"Also was würdest du denn gerne sehen oder kennenlernen?"
"Nichts."
Tourette explodiert.
"Dann schreib doch bitte, sie sollen dich alle am Arsch lecken und du willst nichts wissen von diesem Scheißort."
Bei diesen Worten wird der Rallyefahrer, der sich gerade in breakdancetechnischen Verrenkungen auf dem Boden rollt, aufmerksam.
Mir wird etwas eng im Hals und ich fordere den 14-Jährigen auf, einfach in sein Zimmer zu gehen, wenn es ihn nicht interessiert, er habe meine Grenzen überschritten. Er streikt. Er nützt die Gelegenheit nicht. Das Kind kommt nach Hause. Es versucht sich bemerkbar zu machen. Der 14-Jährige beginnt zu schreiben. Irgendwie beruhigt sich die Situation wieder, aber ich atme immer noch schwer.
Nach kurzer Zeit sind dann alle sehr eifrig. Das Kind spielt eifrig im Bubenzimmer, was auch als Erfolg zu verbuchen ist, denn normalerweise schreit ER, während die anderen lernen. Er hat allerdings nichts mit Tourette zu tun.
Dann bringe ich das Kind in die Tanzstunde. Dann komme ich wieder nach Hause. Dann spielen die Jungs Fußball und sind bester Laune.
Dann, dann! Du sollst nicht immer dann am Anfang des Satzes schreiben hätten meine Lehrer damals mit rot in mein Heft geschrieben.
Was der 14-Jährige am Ende seines Aufsatzes geschrieben hat, weiß ich übrigens nicht. Ich hoffe, es war nicht der Satz, den Tourette angeregt hat.
Der Rallyefahrer gesteht mir, er hätte es toll gefunden, als ich gesagt habe: am Arsch lecken. Ich weiß schon, auf italienisch sagt man das anders.
Nach etwa einer Woche ist der 14-jährige Sohn nach Hause gekommen und hat gesagt, die Prof hätte "Bravo" unter seinen Aufsatz geschrieben. Und hier kommt bitte mein alles überragender Einsatz als Mutter, in dem ich sage: "Na schau, das war doch die Mühe wert." "Ja" sagt er.
Samstag, 9. Juni 2012
Nett sein ist fad
Ich glaube, es ist, weil ich mich nicht mehr aufregen will. Weil ich beschlossen habe, ein freundlicher Mensch zu sein, der die Decke auf dem Sofa zurechtrückt und nicht gegen das Sofa treten will, weil keiner da ist, der die Ordnung auf dem Sofa zerstört und nicht wieder instand gesetzt hat, dem man mitteilen könnte, dass diese Destruktion System hat und das Ziel sei wohl die Zerstörung meiner geistigen Gesundheit oder wie?
So ist das, manchmal hat man Phasen, in denen man ganz lieb ist. Dann weiß man nicht mehr, was man schreiben soll. Ich bemühe mich redlich, irgendwie das Abgründige aus mir herauszuholen: Sex und Drugs und Rock'n'Roll. Oh mein Gott, da ist nichts. Seit Tagen denke ich nach, was ich über das Sexualverhalten der Italiener schreiben könnte, in der Hoffnung das würde eine verborgene Quelle an Adrenalin erschließen. Nichts. Es interessiert mich nicht. Die Vorstellung, dass, wenn ich beim Spaziergang mit dem Hund an unserem zur Zeit recht romantisch mit Wein überwachsenem Wasserbecken im Gemüsegarten vorbeikomme, dort ein Mann stehen würde, die maximale Mischung aus Virilität, Intelligenz und frischem Atem, erfüllt mich mit Sorge. Es könne zu lange dauern, ihm zu erklären, dass ich nach Hause muss, denn nach Wäsche aufhängen und Kinder aufwecken, muss ich dringend Kaffee trinken und wenn die Zeit reicht, ein paar Seiten in Margaret Atwoods Buch "Blind Assassin" lesen. (Ist es, weil die Ich-Erzählerin über 80 ist, dass ich mich auch so fühle?) Ich mache mir Sorgen um mich selbst.
Die Schule ist vorbei und sogar die Tanzaufführung und ich vergebe allen, die mir bis zu diesem Zeitpunkt unsäglich auf die Nerven gegangen sind. (Halt, der Frau, die heimlich Kinder taufen lässt, nicht!)
Der Eingangsbereich unseres Hauses, ein schöner alter Raum, der bis jetzt ein hoffnungsloses Wirrwarr aus Vorräten, Werkzeugen und Gummistiefeln war, wurde in internationaler Zusammenarbeit in das gelbe Zimmer verwandelt, das jederzeit vom Magazin "Schick im Landhaus" fotografiert werden kann. Ich werde beim Nachhausekommen endlich von der Klarheit empfangen, die ich mir immer gewünscht habe und das Kind wird von keinem Farbkübel mehr fallen, wenn es Äpfel aus dem Regal nimmt. Also kann ich mich jetzt unendlich befreit an den Computer setzen und geile stories schreiben? Nein.
Ich habe mich so bemüht, diese innere Ruhe zu erreichen und meine nähere Umgebung hat mich angefleht, die Zornesader auf meiner Stirn abschwellen zu lassen und jetzt? Hallo, Janis Joplin, where are you? Meine Freundin, die sagt, ich lese zu viele amerikanische blogs hat sicher recht. Das Mantra, das ich mir so oft vorgemurmelt habe, überwuchert nun mein Sein: Talk less. Es wächst über mich wie ein Rosenstrauch und wird erst zu "Talk nothing" und dann zu "Be totally mute". Auch traurig, oder?
Wenn ich das Wort "Monti" höre, schaue ich still auf meine im Schoß zusammengefalteten Hände und dann suchen meine Augen den Türrahmen, unter den ich mich stelle, wenn die Stärke der Erdbeben die zwei Komma irgendwas, die hier täglich in der Umgebung sind, überschreitet.
Das Kind möchte sein offenbar von Mäusen zerfressenes Plastikplanschbecken aufblasen. Ich klebe mit Gaffer-Tape. Der Rallyefahrer ist entzückt, denn mit diesem Klebeband wird den Leuten in den Filmen immer der Mund zugeklebt und wenn man es wegreißt, tut es weh. Ist das bei mir auch der Fall? Hab ich so was? Kann man es mir wegreißen, auch wenn es schmerzhaft ist?
Meine Versuche, die Löcher in dem billigen Klumpert zu flicken fruchten nicht viel, aber das Kind ist entschlossen und beruhigt mich: "Wir machen es wie die Philosophen, wir probieren es einfach so lang, bis es geht." Ich sag's ja immer, die Schule verwirrt die Kinder nur. Und mich verwirrt die Abwesenheit der Schule, denn auf wen lenke ich meine Hassattacken?
Also Sex holt mich nicht hinter dem Buch hervor, zumindest nicht der verbotene, Drugs sind schon lange keine Möglichkeit für mich, hemmungsloses Betrinken geht auch nicht, sonst würden die Kinder am nächsten Morgen die eiskalte Milch aus dem Kühlschrank trinken, sie warten nur darauf. Und Rock'n'Roll? Der hat am ehesten noch Zugang zu den verborgenen Teilen meiner Seele, jetzt in Form von Hip Hop. Und wenn die Worte "Shit" und "Fuck" vorkommen dann drehe ich das Autoradio gleich ganz laut, ich kann das nämlich auch, bis die Boxen zittern, ihr peinlichen 20-jährigen, kapiert? Und übrigens, Janis: Mir hat der Lord auch keinen Mercedes Benz gekauft und das Colour-TV hab ich selbst bezahlt. Wenn ich so denke, dann komme ich schon noch zu dem Räudigen in mir hinunter und wenn ich noch ein wenig daran arbeite, beginne ich auch wieder zu bellen.
So ist das, manchmal hat man Phasen, in denen man ganz lieb ist. Dann weiß man nicht mehr, was man schreiben soll. Ich bemühe mich redlich, irgendwie das Abgründige aus mir herauszuholen: Sex und Drugs und Rock'n'Roll. Oh mein Gott, da ist nichts. Seit Tagen denke ich nach, was ich über das Sexualverhalten der Italiener schreiben könnte, in der Hoffnung das würde eine verborgene Quelle an Adrenalin erschließen. Nichts. Es interessiert mich nicht. Die Vorstellung, dass, wenn ich beim Spaziergang mit dem Hund an unserem zur Zeit recht romantisch mit Wein überwachsenem Wasserbecken im Gemüsegarten vorbeikomme, dort ein Mann stehen würde, die maximale Mischung aus Virilität, Intelligenz und frischem Atem, erfüllt mich mit Sorge. Es könne zu lange dauern, ihm zu erklären, dass ich nach Hause muss, denn nach Wäsche aufhängen und Kinder aufwecken, muss ich dringend Kaffee trinken und wenn die Zeit reicht, ein paar Seiten in Margaret Atwoods Buch "Blind Assassin" lesen. (Ist es, weil die Ich-Erzählerin über 80 ist, dass ich mich auch so fühle?) Ich mache mir Sorgen um mich selbst.
Die Schule ist vorbei und sogar die Tanzaufführung und ich vergebe allen, die mir bis zu diesem Zeitpunkt unsäglich auf die Nerven gegangen sind. (Halt, der Frau, die heimlich Kinder taufen lässt, nicht!)
Der Eingangsbereich unseres Hauses, ein schöner alter Raum, der bis jetzt ein hoffnungsloses Wirrwarr aus Vorräten, Werkzeugen und Gummistiefeln war, wurde in internationaler Zusammenarbeit in das gelbe Zimmer verwandelt, das jederzeit vom Magazin "Schick im Landhaus" fotografiert werden kann. Ich werde beim Nachhausekommen endlich von der Klarheit empfangen, die ich mir immer gewünscht habe und das Kind wird von keinem Farbkübel mehr fallen, wenn es Äpfel aus dem Regal nimmt. Also kann ich mich jetzt unendlich befreit an den Computer setzen und geile stories schreiben? Nein.
Ich habe mich so bemüht, diese innere Ruhe zu erreichen und meine nähere Umgebung hat mich angefleht, die Zornesader auf meiner Stirn abschwellen zu lassen und jetzt? Hallo, Janis Joplin, where are you? Meine Freundin, die sagt, ich lese zu viele amerikanische blogs hat sicher recht. Das Mantra, das ich mir so oft vorgemurmelt habe, überwuchert nun mein Sein: Talk less. Es wächst über mich wie ein Rosenstrauch und wird erst zu "Talk nothing" und dann zu "Be totally mute". Auch traurig, oder?
Wenn ich das Wort "Monti" höre, schaue ich still auf meine im Schoß zusammengefalteten Hände und dann suchen meine Augen den Türrahmen, unter den ich mich stelle, wenn die Stärke der Erdbeben die zwei Komma irgendwas, die hier täglich in der Umgebung sind, überschreitet.
Das Kind möchte sein offenbar von Mäusen zerfressenes Plastikplanschbecken aufblasen. Ich klebe mit Gaffer-Tape. Der Rallyefahrer ist entzückt, denn mit diesem Klebeband wird den Leuten in den Filmen immer der Mund zugeklebt und wenn man es wegreißt, tut es weh. Ist das bei mir auch der Fall? Hab ich so was? Kann man es mir wegreißen, auch wenn es schmerzhaft ist?
Meine Versuche, die Löcher in dem billigen Klumpert zu flicken fruchten nicht viel, aber das Kind ist entschlossen und beruhigt mich: "Wir machen es wie die Philosophen, wir probieren es einfach so lang, bis es geht." Ich sag's ja immer, die Schule verwirrt die Kinder nur. Und mich verwirrt die Abwesenheit der Schule, denn auf wen lenke ich meine Hassattacken?
Also Sex holt mich nicht hinter dem Buch hervor, zumindest nicht der verbotene, Drugs sind schon lange keine Möglichkeit für mich, hemmungsloses Betrinken geht auch nicht, sonst würden die Kinder am nächsten Morgen die eiskalte Milch aus dem Kühlschrank trinken, sie warten nur darauf. Und Rock'n'Roll? Der hat am ehesten noch Zugang zu den verborgenen Teilen meiner Seele, jetzt in Form von Hip Hop. Und wenn die Worte "Shit" und "Fuck" vorkommen dann drehe ich das Autoradio gleich ganz laut, ich kann das nämlich auch, bis die Boxen zittern, ihr peinlichen 20-jährigen, kapiert? Und übrigens, Janis: Mir hat der Lord auch keinen Mercedes Benz gekauft und das Colour-TV hab ich selbst bezahlt. Wenn ich so denke, dann komme ich schon noch zu dem Räudigen in mir hinunter und wenn ich noch ein wenig daran arbeite, beginne ich auch wieder zu bellen.
Sonntag, 13. Mai 2012
Extremly loud and hard to bear
Das ist kein Buchtitel von Jonathan Safran Foer, sondern mein Sonntagvormittag. Extremly loud sind die Mütter, die auf ihre tanzenden Kinder warten, also die auf ihre tanzenden Töchter warten, ich bin die einzige, die einen tanzenden Sohn hat, und schwer auszuhalten sind sie auch. An diesem Sonntagvormittag, noch dazu Muttertag, wow, müssen diese unsere tanzenden Kinder proben, denn der Herr Ballerino von der Opera di Roma schaut sich das an und macht den Supervisor. Eh gut. Wir bekommen einen offiziellen Brief von Lehrerin und Direktorin der Schule, Maria Assunta, in dem sie uns ihren Wunsch mitteilt, eben dieses Ereignis bekanntzugeben, das von 9:30-10:30 dauert. Schon das ist mir zu lang und ich tu mich mit der Mutter von Luigia zusammen. Sie bringt die Kinder hin, ich hole sie ab. Ich habe dabei aber die sogenannte Arschkarte gezogen, denn um 10:30 stehen ein paar Mütter vor dem Tor der Tanzschule und sagen, man höre noch Musik, sicher dauert es noch ein wenig. Ich sage: "Gut, ich fahre tanken". Ich komme vom Tanken wieder. Immer noch Musik. Ich gehe zum Bankomat. Als ich wieder komme, steht dort eine Freundin, die auch auf ihre Tochter wartet, wir besprechen die Zukunft, die hart für uns Mütter der tanzenden Kinder werden wird, vor allem, wenn dies nicht unser Hauptberuf ist. Am 3. Juni ist die große Aufführung. Wir werden uns organisieren. Die Musik verstummt, wir gehen in den ersten Stock hinauf. Der Ballerino von der Opera di Roma kommt mit seinen schmächtigen Hüften die Treppe heruntergeschwebt und sagt: "Sie kommen gleich". Ich möchte sagen: "Erinnern Sie sich, Ballerino, ich bin die Mutter von dem begabten Kind, normalerweise habe ich einen anderen look, aber ich habe mir keine Zeit genommen, die Haare zu föhnen, sonst schaue ich nicht so aus, als käme ich vom Schwimmen." Weg ist er. Lehrerin und Direktorin der Tanzschule Maria Asssunta kommt und sagt, dass das Kind und Luigia noch ein wenig bleiben müssen, sie müssen auch Modern Dance vorführen. Ich rufe Luigias Mutter an. "Ganz ruhig!" sagt sie, offenbar Veteranin auf dem Gebiet. Ich gehe in eine Bar und bestelle einen wohlgemerkt alkoholfreien Aperitif. Als ich bezahle, sagt der Besitzer der Bar wohl so etwas, wie "Schönen Sonntag noch", aber ich verstehe: "Sie sind auch am Sonntag hier!" und fühle mich bemüßigt, ihm zu sagen: "Mein Kind ist in der Tanzschule und so kann ich mir diesen Luxus gönnen." Er ist zwar sichtlich über meine unpassende Antwort überrascht, gibt sich aber keine Blöße und glaubt auch nicht, ich würde mit Luxus den hohen Preis seines Aperitifs meinen, sondern scherzt: "Und Sie tanzen nicht?" Dazu macht er ein paar Tanzschritte, möglicherweise meint er Samba." "Nein!" sage ich und lache. Als ich hinausgehe, finde ich mich unoriginell. Im Nachhinein bin ich froh, dass ich nicht so originell bin, zu sagen, "Aber sicher!", und auf die Theke springe.
Ich gehe wieder zur Tanzschule. Es ist jetzt 11:40, ich weiß echt nicht mehr, was ich tun soll. Ich setze mich in den Warteraum. Dort sitzen 8 Personen. 6 von ihnen sprechen. Die siebte ist eine sehr bescheiden wirkende Frau mit einer extrem hübschen Tochter. Vielleicht ist die bescheidene Frau stumm. Die achte Person ist ein junger Mann, vielleicht ein großer Bruder, der extrem gequält dreinschaut. Ich gebe mir Mühe, ihn nicht zu toppen. Eine von den Frauen ist des Kindes ehemalige Englischlehrerin, die ich bei der Zeugnisverteilung letztes Jahr das erste Mal zu Gesicht bekommen habe, als sie sagte: "Wir haben gesehen, dass das Kind beim Tanzen eine Bombe ist, in Englisch ja nicht so." Eine mögliche Rache an dieser Frau wäre, wenn das Kind in Hollywood auftreten würde. "Hello teacher! Here I am."
Ich rufe Luigias Mutter an, sie hat noch immer kein Problem.
Ich rufe meine großen Kinder an, sie schwören, sie werde auch ohne mich wissenschaftlich arbeiten und eine Chronologie zu Frierdich II erstellen. Ich schwöre im Gegenzug, dass sie nach dem Mittagessen auf dem Computer grausame Spiele spielen dürfen.
Im Vorzimmer der Tanzschule sind die Gesprächsthemen:
1) Wahnsinn, dass wir hier so lange warten müssen.
2a) Wahnsinn, was beim Schulausflug alles passiert ist.
2b) Wahnsinn, das stimmt alles nicht, was beim Schulausflug alles passiert sein soll.
3) Der unvermeidliche Katechismus. "Am Samstag soll meine Tochter zehn Euro mitbringen, denn ein Kind soll getauft werden. Ein armes Kind aus einem armen Land."
3 Variante) Ausgehend vom Katechismus. "Wahnsinn", sagt eine Frau, die mir bis zu diesem Zeitpunkt gar nicht unsympathisch war. "Wahnsinn, wir mussten ein Kind taufen lassen, heimlich. Könnt ihr euch das vorstellen? Die Eltern... naja. Der Priester hat uns Fotos gezeigt. So schön."
Den Bruchteil einer Sekunde befürchte ich, es handelt sich um eines meiner Kinder. "Che tristezza!" sagt die Frau neben mir, wie traurig.
Jetzt kommen endlich die großteils übergewichtigen Töchter der Damen. Dann Luigia. "Ich fahr mit dir!" sagt sie bestimmt. "Ja!" rufe ich begeistert. Das Kind, welches mein Sohn ist, kommt auch. Ich sehe, er ist in Laune, jetzt mit Maria Assuntas Mutter über die Schönheit der Kostüme zu quasseln, die sie da probiert haben, weswegen das alles so lang gedauert hat. "Kinder, wir gehen!" schreie ich mit überkippender Stimme. Alle sind erschrocken. Nichts wie weg, sonst wird da noch wer getauft in der Tanzschule. Heimlich.
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