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Dienstag, 21. Mai 2013

Leo und ich

Die schwierigen Tage nenne ich jetzt: Tage der Horizonterweiterung. Während sich meine Kinder dauernd zweifelhafte Pop-Songs ins Ohr blasen, höre ich die Klassiker der Literatur. Das macht geduldig. Ich habe David Copperfield gehört, was nachhaltige Folgen auf meinen Gemütszustand hinterlassen hat und mich in Lebensgefahr gebracht hat, da ich während einer langen Autofahrt so sehr über Doras Tod weinen musste, dass ich die entgegenkommenden Autos kaum wahr nehmen konnte. Und jetzt "Krieg und Frieden". Pause. Pause. Pause. Krieg und Frieden. Krieg und Frieden. Krieg und Frieden. Krieg und Frieden. Ich hab das nie gelesen. Gibt es jemanden, der das getan hat?
Aber jetzt kann ich es hören, Eierphone sei Dank. Hätte es mein Leben verändert, wenn ich es früher gewusst hätte, was der Leo Tolstoj für einer ist? Wohl kaum, denn ich glaube, dass es erst jetzt, wo ich nicht mehr forever young bin, in mein Hirnkastel dringen kann. Also während der Fürst Andrej stirbt (hat der Tolstoj schon mal so was erlebt? MM sagt, er hätte Interviews gemacht, wie meint MM das? Der Tolstoj mit einem kleinen Diktiergerät, oder wie?), habe ich einen sehr anstrengenden Tag weil nämlich die Autobusfahrer streiken und zwar zu Recht, denn die Region Kalabrien hat beschlossen, die Hälfte ihres öffentlichen Verkehrs nicht mehr zu bezahlen. An  dieser Stelle möchte ich laut und anhaltend lachen. Ich bin ein echter Fan des öffentlichen Verkehrs, obwohl es in unserer Familie zwangsweise zwei Autos gibt. Die Hauptstadt der Region Kalabrien heißt Catanzaro und ist mit öffentlichen Verkehrmitteln praktisch unerreichbar. Das weiß ich, weil ich nämlich ein Tablet, das Garantie hat, umtauschen will und alle dazu berechtigten Geschäfte befinden sich in dieser unsäglichen Stadt in die nur frühmorgens (sehr früh morgens) Busse fahren und wenn man aus diesen Bussen steigt, muss man über Straßen gehen, die Google maps nicht für Fußgäger vorsieht. Wenn ich dann dort gehen würde, dann wäre ich eine dieser wunderlichen Personen, über die man lange nachdenkt, wenn man sie am Straßenrand wanken sieht. Also im aktuellen Fall will ich aber gar nicht nach Catanzaro, ich habe beschlossen, dass ich in Rom viel eher und leichter vorbeikomme, in diesem Fall will ich einfach in unserer Provinzhauptstadt arbeiten.
Bevor ich den Bus betrete, ruft MM an und sagt, ich soll mich wegen dem Streik erkundigen. Habe ich an dieser Stelle schon einmal geschrieben, dass alle meine Kinder immer schon das Wort Streik (sciopero) schreiben, verstehen und interpretieren konnten? Das Wort equilateral (gleichseitig) ist vergleichsweise anspruchsvoll für sie. Also erkundige ich ich wegen dem Streik. Streik? sagt der Busfahrer auf seine Art unwillig. Consorzio Autolinee streikt, die Buslinie, mit der ich fahre, nicht. Ok. In der Stadt lässt er uns aber früher aussteigen, weil der Autobusbahnhof besetzt ist und den Fahrgästen schwant Böses. Ich plaudere mit einem netten Fahrer und sage zum Schluss noch "speriamo bene" (hoffen wir Gutes). Die gute Hoffnung lasse ich aber fahren, als ich ins Büro der Busgesellschaft gehe, um mich zu erkundigen. Der Mann dort ist nahe an einem Kollaps und mir wird die Tragweite von 52 Prozent bewusst, die will die Region nämlich nicht mehr zahlen. Ich erfahre, dass der Streik vom Consorzio Autolinee ausgegangen ist und dass sich andere Busfahrer angeschlossen haben, aber welche und für wie lange wisse man nicht und außerdem hänge das von ihrer Gewerkschaft ab. Gewerkschaft, das Wort zergeht auf der Zunge. Ich bin nicht böse.
Ich will auch einmal pro Stunde in die Provinzhauptstadt fahren können und nicht nur alle 2 Stunden oder zum doppelten Preis.
Aber wie komme ich nach meiner Arbeit wieder nach Hause? Als ich auf dem Busbahnhof vorbeischaue, sagt mir eine Frau Carabiniere, dass dies ein "sciopero ad oltranza" sei. Offenbar geht der Streik, bis eine Übereinkunft erzielt wird. Ich habe noch die Hoffnung, dass einer der Fahrer nicht mitmacht, der, der seinen Autobus zum richtigen Zeitpunkt vor mich hinstellen wird. Aber alle Autobusfahrer sitzen in ihren hellblauen Hemden in einem kleinen Lokal, das "Tavola calda" (warme Küche) verspricht und manch einer schaut auf einen vielversprechenden Teller mit Gnocchi con sugo (e basilico). Ich gehe zur nächsten Haltstestelle und warte gemeinsam mit ein paar Leuten, zufälligerweise aus dem selben Ort wie ich, obwohl der Bus ca. 110 km zurücklegt. Nein, da kommt kein Bus. Also gehen wir zum Bahnhof. Das geht eine Zeit lang ganz gut und dann über in einen Weg neben einer Baustelle entlang an lieblos gestutzten Dornen. Ich verspreche, dass ich hier nicht meine ganz persönliche Beziehung zu den italienischen Staatsbahnen schreiben werde. Aber ich schwöre, es wird hier auch noch Raum finden.
Das Eierphone dient nun nicht mehr dazu, Fürst Andrejs langsamen Tod zu erzählen, sondern zur Organisation eines Mittagessens für das Kind, das eigentlich mit mir eine Pizza hätte essen sollen und zur Verschiebung eines wichtigen Zahnarzttermins. Und dann verschiebt sich der Horizont: aus dem Zug schaut unser Dorf auf eine Art mondän aus und es gibt wunderbare Strände. Das ist einfach die richtige Distanz.
Der Schaffner gestikuliert bedrohlich: Es ist alles seine Schuld. Nein nicht die des Schaffners, die von Berlusconi, un venditore di fumo, eines Rauchverkäufers, heiße Luft würde man bei mir zu Hause sagen.
Ja, aber das Problem ist das Klonen, denn in der Region Kalabrien sitzt nicht das berlusce Wesen, sondern ein fescher junger Mann namens Scopelliti und wie man sich denken kann, wurde der gewählt. Und wenn Pierre in "Krieg und Frieden" auszieht, um Napoleon zu erschießen, wünsche ich mir, jemand würde zumindest das Regionsparlament besetzen.

Samstag, 11. Mai 2013

Pazienza

heißt auf italienisch Geduld und wird häufig gebraucht. Seit vielen Jahren versuche ich zu verstehen, ob Pazienza heißt: "Man muss Geduld haben, dann werden sich alle Probleme lösen.", oder ob Pazienza heißt: "Da kann man halt nichts machen."
Wenn ich zwei Mal pro Jahr das Zugticket in die große Stadt kaufe, wappne ich mich mit viel Pazienza. Ich muss dazu auf einen 20 Minuten entfernten Bahnhof fahren und ich weiß schon, dass ich das mehrmals tun muss, denn es klappt nie beim ersten Mal, aber immer passiert auf diesem Bahnhof etwas, was wert wäre, aufgeschrieben zu werden. Diesmal handelt es sich um den Aushang, den ich vor dem unbesetzten Schalter finde: Dieser Ticketverkauf ist vom 7.- 10.5 von 13:43 - 20:57 geöffnet. Da bekommt man Lust zu rechnen, stimmts? Und es ist tatsächlich keiner da um 12 Uhr. Es handelt sich um einen Aushang der Ferrovie dello stato, also kann man auch keinen abwesenden Schalterbeamten beschuldigen. Aber der Bahnhof ist groß, sonst wäre ich ja nicht hier. Kleinere Bahnhöfe sind ja schon lange mit nicht funktionierenden Self-Service-Ticket-Maschinen ausgestattet. Immerhin habe ich damit gerechnet und bin nicht weiter beunruhigt.
Ich will die frei gewordene Zeit nutzen und die Fotos von der Tanzveranstaltung im letzten Jahr abholen. Bezahlt sind sie schon, muss ich zu meiner Ehrenrettung sagen. Ich fahre eine Straße hinauf und bleibe vor großen Betonblöcken stehen. Dahinter befindet sich ein großer Erdhaufen, der auf die Straße gerutscht ist. Aha, daher kam mir das kleine Auto mit der erinnerungswürdigen Aufschrift "Nannini", das vor dem Bahnhof an mir vorbeigefahren ist, kurz darauf wieder entgegen. Noch einer, der nicht automatisch wusste, dass diese Straße gesperrt ist. Kein Schild weist auf die nicht benutzbare Straße hin. Wozu auch, wenn man davor steht merkt man es ohnehin und so eilig wird man's schon nicht haben, oder?
Auf einem Umweg gelange ich doch zum Fotografen. Sein Geschäft ist ein enger, langer Schlauch, in dem gerade zwei Personen nebeneinanders stehen können, wenn sie sich kennen. Unbekannte Kunden stehen hintereinander. Vor mir steht einer, zu dem der gutaussehende, wenn auch in die Jahre gekommene Fotograf, Tonino genannt, soeben sagt: "Das ist ein Grund! Mein Vater, dem INDAP (ich glaube, das ist die staatliche Pensionsstelle) 200 Euro Pension gibt und er sitzt im (pantomimische Darstellung eines Rollstuhls, der mit 80 kmh dahin fetzt)." Wofür das ein Grund ist, weiß ich noch nicht, aber als der andere Kunde den Laden verläßt, nachdem ich böse geschaut habe und Tonino mich auch böse angeschaut hat, erfahre ich es: "Man braucht ein Maschinengewehr. Finden Sie nicht?" sagt Tonino, während er die Fotos sucht. Da bin ich aber ganz seiner Meinung. "Ja, manchmal schon." sage ich zurückhaltend. Ich kann ihm ja jetzt nicht sagen, dass ich eine Pumpgun will, ich weiß nicht, auf wessen Seite er steht. "Anders geht's nicht mehr." Er durchsucht erfolglos die Reihen an Kuverts, die da lagern und ich bekomme Herzklopfen. Nicht meine schon bezahlten Fotos nicht finden, bitte! Er unterbricht seine Suche und wendet sich mir zu. "Ich sage nicht, dass der Mann, der auf die Carabinieri geschossen hat, recht hat." Aha, es gab also einen inspirierenden Vorfall. "Nein", sage ich. Soll ich sagen, dass Carabinieri auch nur Menschen sind? Tonino nimmt mir die Entscheidung ab und sagt: "Ich sage auch nicht, dass man wirklich schießen soll, aber man muss ihnen Angst machen. Timore!" Ich nicke. Ich habe Angst, dass er meine Fotos nicht findet. Mir ist immer noch nicht klar, wem er Angst machen will. "Wir Bürger sollten uns vereinigen und Gewehre nehmen. (Hat er gesagt "unsere" Gewehre?) Und dann stellen wir die Politiker in einer Reihe auf. Und dann werden wir ja sehen, ob sich die Polizei vor sie oder hinter sie stellt. Wenn sie sich vor sie stellt, dann heißt das: Krieg!" Ich nicke wie einer von diesen Spielzeughunden, die in den 70er Jahren auf den Autoablagen standen und ununterbrochen den Kopf auf und abbewegten. "Aber dann müsste man ihnen einen Katheter ansetzen!" sagt Tonino verächtlich. Wieso wechselt er das Thema jetzt zum Krankenhaus, denke ich, dann verstehe auch ich. Ich lache. Das feuert Tonino an: "Windeln muss man ihnen anlegen, weil sie sich anmachen werden vor Angst!" Ich weiß immer noch nicht wer, die Politiker oder die Polizei, aber ziemlich wahrscheinlich beide. "Die Carabinieri," sagt er und blättert wieder in den Kuverts herum, nachdem wir ein paar Varianten des Namens der Kinder durchgegangen sind, "die Carabinieri halten auf der Autobahn LKWs auf und konfiszieren Computer. Die behalten sie dann selber und geben sie ihren Kindern. Oder in der Schule. Zuerst bekommen die Professoren und ihre Kinder. Und wenn ich sage: und meine Kinder? Leider nichts mehr da." Klingt nach Albanien, stimmt aber wahrscheinlich.
Er hat die Fotos gefunden und knallt sie mir vor die Nase. Sie waren unter einer originellen Version des Vornamens des Kindes eingeordnet. Die Fotos sind gut, er ist ein guter Fotograf und jetzt macht er wieder das Zeichen des Durchladens eines Gewehrs. "Man kann nur schießen, sage ich. Habe ich nicht recht? Und dabei bin ich Demokrat!" Jetzt, wo ich die Fotos habe, mache ich mir Sorgen, dass ich den Autobus in die Provinzhauptstadt verpasse. Ich nicke jetzt rascher, in der Hoffnung, dass ich so schneller aus dem Laden komme. Aber Tonino weiht mich nun ein: "In unserer Stadt gibt es 2800 Grillini, Sie wissen schon, die Grillo gewählt haben. Ich sage zu ihnen: wenn wir unser großes Fest habe, warum stellen wir uns nicht schweigend auf die Straße, um zu protestieren. Aber nein, da ziehen sie sich lieber für 200 Euro, und wer weiß, wann sie die bekommen, eine Verkehrshilfe-Jacke an und pfeifen die Autos herum. Nichts haben sie gemacht. Also wundern Sie sich nicht, wenn ich finde, man kann hier Probleme nur mehr mit dem Gewehr lösen. Wie in Amerika." Auweia, jetzt hat er mir mein Argument, sollte ich aufgefordert werden, zu sprechen, aus dem Mund genommen und ich muss aufhören zu nicken. "Demokratisch, wie in Amerika. Mit der Waffe in der Hand, aber demokratisch." In seinen Ausführungen stellt er gerade Indianer und Weiße mit großen Gesten gegenüber, als ein alter Mann mit einem adretten blauen Blazer den Laden betritt. Am Revers trägt er eine Nadel, die für etwas steht, das Toninos Aufmerksamkeit erregt. "Donnerwetter, wie elegant..." beginnt er den Alten in ein Gespräch zu ziehen. Ich bin nicht beleidigt. "Arrivederci!" rufe ich fröhlich und laufe erleichtert auf die Straße. Das nächste Mal schießen wir in Gedanken weiter, Tonino.
Dem ist eindeutig die Pazienza abhanden gekommen.

Übrigens ist am Sonntag Muttertag und anlässlich dessen hat das Kind in seiner Klasse mir ein Zeugnis ausgestellt. Ich habe unverhofft gute Noten bekommen, vor allem die Bestnote in Sportlichkeit und Autofahren freut mich, für Geduld habe ich aber nur die Note 9 statt 10. Neben der Wertung hat das Kind eine Frau mit zu Berge stehendem Haar gezeichnet, aus deren Kopf Rauchschwaden dringen. Die Augen sind extrem vergößert, ich nehme an, es handelt sich um die Illustration des Satzes: Die Augen quollen aus ihren Höhlen. Ich trage dieses Urteil mit Fassung und immenser Pazienza.


Freitag, 30. November 2012

Licht am Horizont?

 Vor dem Supermarkt sitzt ein Bettler, vielleicht ein Rom, ein älterer Mann mit einem Organetto, mit dem er aber nur ein paar Töne und kein Melodie erzeugt. "Giovane Signora!" sagt er zu mir, "Geben sie mir auch nur 10 Cent, per la santa morte di Dio." 10 Cent für den heiligen Tod Gottes? "Gott ist doch gar nicht tot!" will ich zu ihm sagen und dann besinne ich mich eines Besseren. Ausgerechnet ich will mich da theologisch ins Zeug legen? Ein paar Mal muss ich an ihm vorbeigehen, immer bin ich sehr mit meinen eigenen Gedanken beschäftigt und ich will auch nicht für das Begräbnis von Gott zahlen, obwohl er seine Forderung jetzt auf 5 Cent reduziert hat. Jetzt, wo die Kaufkraft erlahmt ist, wird alles billiger, ihr werdet schon sehen!

Mittwoch, 14. November 2012

siamo arrivati alla frutta

Das ist typisch für die Italiener, dass sie alles mit dem Essen in Verbindung bringen. Wenn sie sagen, dass sie jetzt wirklich dem Ende entgegen gehen, dann sagen sie, dass sie beim Obst angelangt sind, also am Ende eines Mahls. Dessert gibt es dann keines, aber immerhin bis zum Obst reicht es. Jetzt kann man sich fragen, ob das wirklich so gesund ist, sich nach der Pasta und dem Secondo noch einen Apfel reinzuhauen, aber es ist so, sie essen nach dem Mittagessen und nach dem Abendessen ein Stück Obst und bei dem sind sie jetzt wieder mal angelangt und ich auch, weil ich ja auch da lebe, was mir täglich komischer vorkommt.

Die Provinzen, also diese vielen Flächen, die die Regionen, die unsere geliebte Toskana, Veneto und Umbrien und was weiß ich bis zum unbekannten Kalabrien sind, segmentieren, haben ein Oberhaupt, sein Name spielt glaub ich keine Rolle, und der hat gesagt, dass die Provinzen kein Geld mehr haben und dass sie deshalb die Schulen im Winter nicht mehr heizen werden.

Eine meiner ehemaligen Studentinnen, heute Freundin auf facebook, schreibt was das für ein Scheißland ist, und was das in Europa verloren hat oder so ähnlich, und damit hat sie natürlich völlig recht. Jemand anders postet, dass man auch im Parlament die Heizung abschalten könne, was auch keine schlechte Idee ist. Dass es heute Ausschreitungen bei den Demos gegeben hat wundert nicht.

Die Italiener delekieren sich jetzt also an ihrer letzten Erdbeere und lassen anschließend ihre Kinder mit Mütze und Schal und rotgefroreren Nasen in der Klasse sitzen. Wo Frau Professor mit Pelzmantel und Rauhreif vor dem Mund über die Flächen und die Umfänge von Dreiecken spricht. Und hier zeigt sich wieder, dass es in Wirklichkeit zwei Italien gibt, denn in einem, dem im reichen Norden, sind die Kinder erstens wirklich vom Kältetod bedroht und zweitens ist es dort sehr ungewöhnlich, dass so drastische Reaktionen gezeigt werden und man wird sehen, ob das geht, dass die Kinder nicht schön temperiert werden. Im anderen, das unterhalb von Rom beginnt und ganz bestimmt in Neapel stattfindet und bei uns seine höchste Ausformung erlebt, holt diese Drohung eigentlich niemandem hinter dem Ofen (wie passend) hervor. Öfen werden zum Glück nur in kurzen Zeiten des Jahres gebraucht und dass die Kinder unter erbärmlichen Umständen lernen, ist an der Tagesordnung. Die Eltern geben den Kindern Klopapier, Wasser und Seife mit. Und über den von einem Satiriker ironisch verbrämten Spruch der ehemaligen Unterrichtsministerin Gelmini: "Der Staat hat kein Geld für Toilettenpapier, wir bitten, die Kinder bereits defäkiert in die Schule zu schicken!" können wir nicht herzlich lachen, sondern nur die Stirn runzeln. Ja eh.

Und bei uns, wo jetzt die Carabinieri und die Nas, diese Hygienepolizei, die ich bei mir daheim auch immer fürchte, in die Schule gekommen, in die zusammengelegte, von der wir glauben, dass sie nie mehr geteilt wird, und haben festgestellt, dass man so nicht essen kann. Dann war ein paar Tage Feuer auf dem Dach und nun isst man so wie früher. In der Klasse. Auf den Schulbänken. Wenn dann nicht geheizt wird, dann wird halt nicht geheizt, das haben wir an vielen Tagen auch gehabt, ohne dass das im Radio gesagt wurde und es jemand öffentlich verkündet hätte. Die Eltern werden sich nicht zusammen tun, um die Heizungsrechnung der Schule zu begleichen, weil viele nicht mal ihre eigenen Rechungen zahlen können, ich nehme an, wir werden uns am Samstag morgen auf dem Markt begegnen, wo wir Mützen und Anoraks einkaufen.Und am besten fingerlose Handschuhe, mit denen können die Kinder besser schreiben. Und als Jause geben wir ihnen Tee im Thermos mit, oder einfach Mandarinen, denn wir sind ja "arrivati alla frutta".

Freitag, 2. November 2012

Manchmal

wenn ich abends kurz vor neun mit MM in der Küche stehe, im Ofen ein Blätterteigkuchen mit Ricotta und Mangold, und ihm sage, dass ich Neuigkeiten über die Schule des Kindes habe, nämlich dass die Carabinieri und die NAS (Nucleo Antisofisticazione), die die Hygiene kontrollieren, in der Schule waren, weil die Mütter aus der einen Schule, die Mütter (?) der anderen Schule, die übergangsweise in der Schule A einquartiert wurden, weil die Schule B renoviert wird, geklagt haben, weil die Kinder aus der Schule B den Kindern aus der Schule A den Speisesaal der Mensa rauben, weil sie dort eine Klasse untergracht haben und also die Carabinieri und die NAS festgestellt haben, dass es in der Schule nicht möglich ist, unter hygienischen Umständen zu essen, worauf der Bürgermeister gemeint hat, dann gibt es also ab Montag keine Mensa und meine Freundin, die mir das erzählt hat, sagte, dann müssen die Eltern ihre Kinder mittags von der Schule holen, ihnen zu Hause was zu essen geben und sie dann wieder in die Schule bringen, die ja bis vier Uhr dauert, was sie aber sicher nicht machen würde und dass im übrigen die Lehrerin bei der Versammlung, bei der ich nicht war, weil ich von dieser Lehrerin bitte nichts mehr hören möchte, gesagt hätte, dass diese Klasse eine hervorragende sei und sie in der Mittelschule nicht getrennt werden würde, denn die Kinder würden sich gegenseitig positiv beeinflussen und ich sage zu MM, dass die Lehrerin im Land der Feen lebe, denn ob eine Klasse getrennt wird oder nicht, hängt nicht davon ab, ob sie das will oder nicht, sondern einzig und allein davon, welchen Stundenplan die Eltern wählen, nämlich 30 oder 40 Stunden und mir MM sagt, er verstehe meine Philosophie der Lehrerin gegenüber nicht und ich antworte, ich hätte gar keine Philosophie, ich würde nur Fakten aufzählen, und dann später, wenn wir den Blätterteigkuchen mit den beiden großen Kindern essen, denn das Kind ist beim Halloweenfest eben bei der Freundin, die mich mit diesen besorgniserregenden Neuigkeiten versorgt hat, der große Sohn sagt, er hätte nicht verstanden, ob er für das Treffen mit dem Autor eines politisch wertvollen Kinderbuches, das gegen die Mafia spricht, ein Haus zeichnen solle, ein großes, oder einen Comix, und ich sage, dann glaube ich, dass ich die Lehrerin anrufen muss und er sagt, danke, das glaube ich auch, dann wünsche ich mir, dass ich irgendwen anrufen und sagen kann: "Hol mich hier raus". Aber wer sollte das sein?

Samstag, 9. Juni 2012

Nett sein ist fad

Ich glaube, es ist, weil ich mich nicht mehr aufregen will. Weil ich beschlossen habe, ein freundlicher Mensch zu sein, der die Decke auf dem Sofa zurechtrückt und nicht gegen das Sofa treten will, weil keiner da ist, der die Ordnung auf dem Sofa zerstört und nicht wieder instand gesetzt hat, dem man mitteilen könnte, dass diese Destruktion System hat und das Ziel sei wohl die Zerstörung meiner geistigen Gesundheit oder wie?
So ist das, manchmal hat man Phasen, in denen man ganz lieb ist. Dann weiß man nicht mehr, was man schreiben soll. Ich bemühe mich redlich, irgendwie das Abgründige aus mir herauszuholen: Sex und Drugs und Rock'n'Roll. Oh mein Gott, da ist nichts. Seit Tagen denke ich nach, was ich über das Sexualverhalten der Italiener schreiben könnte, in der Hoffnung das würde eine verborgene Quelle an Adrenalin erschließen. Nichts. Es interessiert mich nicht. Die Vorstellung, dass, wenn ich beim Spaziergang mit dem Hund an unserem zur Zeit recht romantisch mit Wein überwachsenem Wasserbecken im Gemüsegarten vorbeikomme, dort ein Mann stehen würde, die maximale Mischung aus Virilität, Intelligenz und frischem Atem, erfüllt mich mit Sorge. Es könne zu lange dauern, ihm zu erklären, dass ich nach Hause muss, denn nach Wäsche aufhängen und Kinder aufwecken, muss ich dringend Kaffee trinken und wenn die Zeit reicht, ein paar Seiten in Margaret Atwoods Buch "Blind Assassin" lesen. (Ist es, weil die Ich-Erzählerin über 80 ist, dass ich mich auch so fühle?) Ich mache mir Sorgen um mich selbst.

Die Schule ist vorbei und sogar die Tanzaufführung und ich vergebe allen, die mir bis zu diesem Zeitpunkt unsäglich auf die Nerven gegangen sind. (Halt, der Frau, die heimlich Kinder taufen lässt, nicht!)

Der Eingangsbereich unseres Hauses, ein schöner alter Raum, der bis jetzt ein hoffnungsloses Wirrwarr aus Vorräten, Werkzeugen und Gummistiefeln war, wurde in internationaler Zusammenarbeit in das gelbe Zimmer verwandelt, das jederzeit vom Magazin "Schick im Landhaus" fotografiert werden kann. Ich werde beim Nachhausekommen endlich von der Klarheit empfangen, die ich mir immer gewünscht habe und das Kind wird von keinem Farbkübel mehr fallen, wenn es Äpfel aus dem Regal nimmt. Also kann ich mich jetzt unendlich befreit an den Computer setzen und geile stories schreiben? Nein.
Ich habe mich so bemüht, diese innere Ruhe zu erreichen und meine nähere Umgebung hat mich angefleht, die Zornesader auf meiner Stirn abschwellen zu lassen und jetzt? Hallo, Janis Joplin, where are you? Meine Freundin, die sagt, ich lese zu viele amerikanische blogs hat sicher recht. Das Mantra, das ich mir so oft vorgemurmelt habe, überwuchert nun mein Sein: Talk less. Es wächst über mich wie ein Rosenstrauch und wird erst zu "Talk nothing" und dann zu "Be totally mute". Auch traurig, oder?

Wenn ich das Wort "Monti" höre, schaue ich still auf meine im Schoß zusammengefalteten Hände und dann suchen meine Augen den Türrahmen, unter den ich mich stelle, wenn die Stärke der Erdbeben die zwei Komma irgendwas, die hier täglich in der Umgebung sind, überschreitet.

Das Kind möchte sein offenbar von Mäusen zerfressenes Plastikplanschbecken aufblasen. Ich klebe mit Gaffer-Tape. Der Rallyefahrer ist entzückt, denn mit diesem Klebeband wird den Leuten in den Filmen immer der Mund zugeklebt und wenn man es wegreißt, tut es weh. Ist das bei mir auch der Fall? Hab ich so was? Kann man es mir wegreißen, auch wenn es schmerzhaft ist?
Meine Versuche, die Löcher in dem billigen Klumpert zu flicken fruchten nicht viel, aber das Kind ist entschlossen und beruhigt mich: "Wir machen es wie die Philosophen, wir probieren es einfach so lang, bis es geht." Ich sag's ja immer, die Schule verwirrt die Kinder nur. Und mich verwirrt die Abwesenheit der Schule, denn auf wen lenke ich meine Hassattacken?

Also Sex holt mich nicht hinter dem Buch hervor, zumindest nicht der verbotene, Drugs sind schon lange keine Möglichkeit für mich, hemmungsloses Betrinken geht auch nicht, sonst würden die Kinder am nächsten Morgen die eiskalte Milch aus dem Kühlschrank trinken, sie warten nur darauf. Und Rock'n'Roll? Der hat am ehesten noch Zugang zu den verborgenen Teilen meiner Seele, jetzt in Form von Hip Hop. Und wenn die Worte "Shit" und "Fuck" vorkommen dann drehe ich das Autoradio gleich ganz laut, ich kann das nämlich auch, bis die Boxen zittern, ihr peinlichen 20-jährigen, kapiert? Und übrigens, Janis: Mir hat der Lord auch keinen Mercedes Benz gekauft und das Colour-TV hab ich selbst bezahlt. Wenn ich so denke, dann komme ich schon noch zu dem Räudigen in mir hinunter und wenn ich noch ein wenig daran arbeite, beginne ich auch wieder zu bellen.

Dienstag, 6. März 2012

Männer, Mäuse, Fernseher und Roberto Saviano

Bitte mir soll jetzt niemand mehr erzählen, ich könne 10 Stunden pro Woche Freizeit haben, wenn ich den Fernseher nicht aufdrehe. Ich schaue seit fast fünf Jahren nicht fern und obwohl wir seit ein paar Wochen eine Antenne montiert haben, bleibe ich meiner lieben TV-Abstinenz treu. Ich möchte aber gerne wissen, wo die ca. 2000 Stunden Freizeit sind, die ich mir auf diese Art erwirtschaftet habe. Sind die auf einem Schweizer Konto geheim angelegt?

Jedesmal wenn ich vor Vorfreude sabbernd einen Artikel im Internet anklicke, der mir Freizeit verspricht, dann steht das vom Fernsehen drin. So eine Langeweile! Ich werde mich jetzt nur noch mit Artikeln beschäftigen, in denen um den garantierten Nervenzusammenbruch geworben wird.

Während ich, nachdem die Kinder schlafen gegangen sind, versuche zwei Worte zu tippen, gibt sich MM dem TV-Rausch hin. Manchmal ruft er mich und ich gestehe, dass die reality show "Masterchef" auch für mich attraktiv ist, noch dazu, wo mein großer Sohn sagt, ich könne da auch mitmachen. Das sagt er aber vielleicht nur, weil wir gestritten haben und er meinte, ich wolle mich einfach über ihn aufregen, weil ich das halt einfach will und ich behauptet habe, dem sei ganz und gar nicht so, er rege mich schlicht wegen seines extremen Widerstands gegen meine Bestrebungen, ihm englische Worte zu entlocken, auf. Ich denke, er wollte danach etwas Positives sagen.

Gestern habe ich den Fernseher noch bewusster gemieden, denn ich habe mitbekommen, dass eine Sendung zum Thema "No TAV", gegen die Hochgeschwindigkeitstrasse für die Eisenbahn im Val di Susa im Piemont lief. Vor ein paar Tagen ist ein Aktivist, der aus Protest auf einen Hochspannungsmasten geklettert war, wohin ihm ein Polizeibeamter gefolgt war, um ihn zum Absteigen zu bewegen, von diesem Mast gestürzt und wurde anschließend in ein sogenanntes pharmakologisches Koma versetzt. Er ist außer Lebensgefahr.

In der Sendung wurde auch erwähnt, dass Sig. Bossi meinte, der Norden werde den Ministerpräsidenten Monti zu Fall bringen. Er hat zudem gesagt, dass Monti sein Leben riskiere. Ich glaube nicht, dass er "ermorden" sagen wollte, wie das heute kolportiert wird, aber nichtsdestotrotz regt es mich zu Phantasien von standesrechtlichen Erschießungen an. Auf twitter schreiben die Leute lustige Kommentare zu Bossis Sprüchen. Unter anderem schlägt jemand vor, Bossi solle bei einem Rülpswettbewerb mitmachen, den würde er sicher gewinnen und dann sei er zu etwas nütze. Ich möchte Sig. Monti keineswegs verteidigen.

MM hat die Sendung nicht gut getan. Er fühle sich so schlecht, wie noch nie zuvor, sagte er, und er war tatsächlich ganz ungut grün im Gesicht.

Ich weiß, man sollte alles wissen, aber ich muss mich schützen, denn ich weiß manches schon zu gut.
Und das Mindeste, was ich als Reaktion gerne tun würde, ist eine Runde Ohrfeigen austeilen. Schallende. Ich würde hier in der Nähe bei der Mathematiklehrerin des Kindes anfangen und dann weiter nach Rom fahren, ins Parlament und dann nach Mailand, wer weiß, ob ich dann noch weiter in den Norden käme.

Umarmen hingegen möchte ich nicht so viele Menschen, einen aber auf jeden Fall: Roberto Saviano. Er schreibt, dass jenseits von TAV Ja weil Anbindung an Europa und TAV Nein, weil Zerstörung der Umwelt, die Hochgeschwindigkeitsstrecke ein gefundenes Fressen für die Mafia ist, die dort ihre Firmen einsetzen kann, um sich zu bereichern und dass weder Frankreich noch Italien die Mittel haben, dieses Vorgehen unter Kontrolle zu bringen.
Grande Roberto. Und ja, Intelligenz ist erotisch.

Donnerstag, 16. Juni 2011

Moments of Glory

Es gibt Momente, von denen man weiß, sie sind nur jetzt und morgen ist alles wieder genauso wie immer. Charlotte Wolff hat ein Buch mit dem Titel: "Augenblicke verändern uns mehr als die Zeit" geschrieben, aber ich zweifle an dieser Aussage. Für mich sind es Fenster aus der Zeit, aus denen wir auf etwas schauen, was auch möglich ist. So ein Moment ist, wenn man das Resultat des Referendums erfährt, das Quorum ist erreicht und es fühlt sich an, wie wie wenn etwas Neues beginnen würde, eine vielversprechende Reise. Doch sie sind alle noch da, die schrecklichen Politiker und Journalisten und gleich sagen sie Dinge ohne Fundament.

Ein anderer Moment ist der, als auf einer dunklen Bühne das Licht angeht und dort steht ganz allein das Kind und beginnt mit strahlendem Lächeln trotz ewiger Zahnlücke entfesselt zu tanzen. Schluck. "Monday, Tuesday, Happy Days" heißt es in der wohlbekannten Melodie. Die kleinen Mädcchen kommen dazu, das Kind mimt Fonzie aus der Fernsehserie "Happy Days". Später ist es beim klassischen Ballett als Don Quijote in einem wunderbaren kleinen Kostüm zu sehen, in dem es aussieht wie ein Torero. Es gibt Zwischenapplaus, als er das leichteste der kleinen Mädchen in den Armen hält. Ihre Arme und Beine sind ballerinenartig gestreckt in der Luft. Davor Atemlosigkeit. Ich bin sicher, dass 500 Personen das Gleiche denken wie ich: "Jetzt lässt er sie fallen!"

Die vielen Fahrten in die Ballettschule sausen durch meinen Kopf, die vielen Male, die ich das Kind in die Strumpfhose gequetscht habe. Der Groll über Maria Assunta. Die vielen Kalorien in Form von Schleckern, die man dem Kind unmittelbar nach der Tanzstunde in den Mund stopfen muss, weil es sont augenblicklich schlecht gelaunt ist. Es hat sich gelohnt. Das ist ein anderes Kind, das ist ein Teil des Kindes, ein wunderbarer Teil des Kindes, der morgen nicht mehr da sein wird.

Unbekannte Menschen raunen: Wer ist denn dieses Kind?

Mein großer Sohn raunt auch: Das Kind tanzt wirklich gut, nicht wahr Mamma?

Wie eine Perle taucht der Moment langsam in den Ozean, versinkt und bleibt eine Erinnerung.

Am nächsten Tag werfen sich die Brüder bereits wieder Morddrohungen an den Kopf. Und ich hasse die Strumpfhose.

Dienstag, 7. Juni 2011

Referendum

Am 11. Juni hätte der Meilenstein der Geschichte des Theaters südlich der Alpen stattfinden sollen: Die Schulaufführung von "I promessi sposi", in der meine großen Kinder Don Rodrigo und L'Innominato geben. Aber: "Es findet ja das Referendum statt" blafft mich die Direktorin vor ein paar Wochen auf das Datum befragt an. Ich schrecke zurück. Referendum? Habe ich das einberufen? Müssen meine Kinder zu einem Referendum? Nein, die Schule ist Wahllokal ("Sie haben uns den 10., 11. und blabla genommen!" beschwert sich die Direktorin. So eifrige Lehrer gibt es selten.) Am 11. Juni ist offiziell Schulschluss. Meine Kinder werden die Aufführung am 19. haben und an jedem Tag, an dem die Schule weder vorbereitet wird, noch als Wahllokal dient, noch wieder geputzt wird, proben, proben, proben. Außerdem werden sie, da sie in diesem Jahr Null Turnstunden hatten, Jugendspiele abhalten (da dürfen sie dann endlich laufen!). Aber es werden, anlässlich der feierlichen Begehung von 150 Jahren Einheit Italiens, Spiele sein, wie anno dazumal. Sackhüpfen. Für uns heißt das: Jutesäcke besorgen (neben den Theaterkostümen). Erstaunlicherweise gibt es keine Jutesäcke mehr. Aber die weißen, geflochtenen Plastiksäcke, in denen heutzutage Tierfutter transportiert wird, will der Herr Lehrer nicht.
In diesen Tagen muss ich oft an einen Satz von Hans Magnus Enzensberger denken: "Das Gegenteil von gut ist gut gemeint". Ich kann diesen Satz aber nicht ins Italienische übersetzen und daher versteht MM meine Genialität (nämlich die, Enzensberger zu zitieren) nicht.
MM freut sich auf den 12. Juni. Er wird früh aufstehen, frühstücken und anschließend zum Referendum gehen. Er wird einen Trendsetter abgeben. Befragt werden die Menschen, ob die Verwaltung des Wassers in öffentlicher Hand bleiben soll (soll es nämlich nicht, und man muss ein bereits bestehendes Gesetz außer Kraft setzen), ob Italien atomfrei bleiben soll (soll es nämlich nicht) und ob man Politikern Gerichtsprozesse machen darf (was nämlich aus Gründen der Immunität nicht gehen soll). Das Referendum ist also nicht nur eine Möglichkeit der Bürger, Stellung zu beziehen, sondern durchaus dringlich für die, die nicht wünschen, dass Herrn Berlusconis Freunde unser Trinkwasser verwalten und verkaufen, dass Herrn Berlusconis Freunde Atomkraftwerke bauen und Herr Berlusconi selbst sich vor Gericht nicht verteidigen muss. Unumgänglich für eine Bewertung des Referendums ist die Teilnahme von 50% aller Wahlberechtigten plus eine Person, das sogenannte Quorum, das erreicht werden muss. Es wäre zu schön. Sarebbe troppo bello!

Donnerstag, 7. April 2011

Nihil nisi bene

Da die Reihe der Dinge, die mich aufregen, unübersichtlich lange geworden ist und ich nicht weiß, womit ich beginnen soll, entschließe ich mich, die schönen Dinge aufzuzählen, da dies, wie man weiß, schnell getan ist.
Äh.
Die kleinen Schafe, Lämmer genannt, springen hinter ihrer Schafmama auf der Wiese. Ich sehe sie, wenn ich auf dem Balkon die Wäsche aufhänge. Die Sonne scheint.
Zu Ostern werden sie geschlachtet, aber das gehört nicht mehr zu meinem Thema. Jetzt sind sie glücklich. Es war mir nicht klar, dass Lämmer die entzückendsten Tierchen der Welt sind.
Die meisten Bäume blühen und man kann den Blättern beim Wachsen zusehen. Man sollte sich die Zeit nehmen.
Das Kind sagt: "Weißt du, dass du normal bist?" Das freut mich unglaublich. Es meint allerdings nur meinen Bauchumfang. Es steht nämlich vor der Entscheidung, magersüchtig oder nicht zu werden. Müssen Neunjährige sich mit Körpermaßen beschäftigen?
Doch nicht vom Thema abschweifen.
Die Schafe blöken beherzt.
Es ist mir gelungen, die Treppe freizuräumen. Keine Schachteln mehr auf der Treppe. Die Faschingskostüme sind verstaut. Meine Familie merkt es! Das Haus sieht ordentlicher aus. Vielleicht muss ich schon bald meine spritzige Nachbarin nicht mehr davon abhalten, einzutreten.
Heute werde ich eine Bank abräumen, auf der seit Wochen eine riesige Schachtel steht, deren Inhalt ich nicht mehr genau kenne. Auf der Schachtel liegen ein ungebrauchter Polster und eine Schreibtischunterlage. MM kann nicht glauben, dass ich das Zeug wirklich irgendwo verstaue. Er denkt, er wird die Schachtel einfach an einem anderen Ort wieder finden. Oder er hat Angst, ich schmeiße stilschweigend alles weg. Tatsächlich lebe ich mit einem schwarzen Müllsack, den ich täglich wechsle. Es macht Spaß, Dinge wegzumschmeißen, und ich frage auch manchmal nach. Was ich ohne nachzudenken wegschmeißen würde, ist die italienische Regierung. Mein Lieblingswort seit gestern ist: Ostruzione, Obstruktion. Und ich meine damit nicht die Verschleimung meiner Atemwege, sondern "ein Verhalten in der Politik, das politische Vorgänge behindert", wie es bei Wikipedia heißt. Die Opposition betreibt Ostruzione, da im Parlament der "processo breve", der kurze Prozess beschlossen werden soll. Dadurch würden die Prozesse, die dem italienischen Premierminister zu Ehren veranstaltet werden, ausgelöscht werden. Und dabei geht es nicht nur um Ruby, sondern auch um seinen Medienkonzern. Neun Minuten kurz war der Prozess von gestern, die nächste Folge sehen wir am 31. Mai. Gezeigt hat sich Herr Berlusconi nicht. Dafür ist Herr Berlusconi nun Bürger von Lampedusa oder wird es demnächst. Um der Insel, die sich einem großen Flüchtlingsstrom ausgesetzt sieht, zu helfen, hat er dort eine Villa gekauft, die er vorher im Internet gesehen hat. Vor einigen Jahren erzeugte eine Gruppe von kabarettisten Barbie-artige Puppen, die Berlusconi als Arbeiter oder als Verkäufer darstellten, denn Belusconi ist immer das, womit er sich beschäftigen muss. Heißt das Populismus? Nun kann man die "Berlusconi ist Lampedusaner"-Puppe hinzufügen. Der Arbeiter-Präsident ist Insulaner geworden. Meinen Prosecco, den ich für den 6. April eingekühlt hatte, hab ich jedenfalls geöffnet. Einfach so. Grund ist mir keiner eingefallen.
Roberto Saviano hat eine Liste des Glücks geschrieben. Vielleicht ist sie länger als meine. Ich werde sie jetzt lesen.

Dienstag, 8. März 2011

Signor Berlusconi geht zum Zahnarzt,

dort befindet er sich 4 Stunden unter dem Messer. Seine Kaufähigkeit muss wieder hergestellt werden, da er vor etwa einem Jahr in Milano von einem klarerweise geistig nicht zurechnungsfähigem Menschen mit einem schweren Gegenstand auf die Wange geschlagen worden war. Am Abend trifft er in seiner Villa in Arcore (mit diesem Namen verbindet man heute automatisch Unsittliches) Signor Bossi, seines Zeichens Leader der Lega Nord. Sie sprechen Wichtiges.

Mir selbst wurde vor einer Woche ein infektiöser Backenzahn extrahiert. Ich lag 15 Minuten auf dem Behandlungsstuhl und war etwa 20 Minuten lang fröhlich, was mit der Betäubung zusammen hängen mag. Sobald ich die Zahnklinik verlassen hatte, begann ich zu weinen und als ich endlich zu Hause angekommen war, brach ich an MMs Brust in veritables Schluchzen aus.

Deshalb ist es gut, dass Herr Berlusconi Italiens Ministerpräsident ist und nicht ich.

Donnerstag, 24. Februar 2011

Computerlogbuch Nummer 102

Schnee liegt auf den Bergen über Sant'Angelo, dem Dorf am einen Horizont. Am anderen Horizont ist das Meer. Der Rallyefahrer hat ein richtig blaues Auge und ich bin froh, dass er vor Zeugen gegen den Tisch gefallen ist, denn die zeitliche Koinzidenz des schlechten Zeugnisses und des Hämatoms unter und über dem Auge, hätte mir auch die Carabinieri ins Haus bringen können.
MM antwortet auf die Frage, ob ich eine Kiste mit etwa hundert leeren Fotofilmdosen wegschmeissen kann mit "Nein." Vielleicht möchte er einmal eine Skulptur basteln, eine Installation wie Nam June Paik, denke ich. Ich überlage, meinen Jugendfreund, den berühmten Fotografen anzurufen, und ihn um praktischen Rat zu bitten. Oder meine Freundin, die mich in psychologischen Dingen coacht.
Zum Glück habe ich ohnehin eine Hochphase, was Charakterstärke betrifft: der Rallyefahrer hat kein lautes Wort über sein Zeugnis gehört, nur einen langen Monolog zum Thema: "Die Entscheidung liegt bei dir." Das ist vielleicht auch seelische Grausamkeit, aber der Effekt auf den Elfjährigen war eine halbe Stunde tiefer Schlaf im Auto und beim Erwachen der Satz: "Ich habe mich entschlossen, zu lernen."
Also habe ich auch MM nicht gegen die Brust getrommelt, habe ihm nicht gesagt, dass er verrückt ist und mein Leben ruiniert, sondern habe mir einfach gedacht: "ICH transportiere diese Scheisskiste nicht." Ralph Waldo Emerson schreibt: "Once you make a decision, the universe conspires to make it happen." Normalerweise glaube ich nicht an universelle Konspirationen, aber es gefiel mir, dass unsere Organsation des täglichen Lebens sich dahingehend veränderte, dass MM an den nächsten beiden Tagen die Transporte übernimmt und seine leeren Filmdosen selbst ins Auto hebt und wieder auslädt. Meine Freundin sagt, man darf den Irren nicht ihren Wahnsinn rauben, sonst verlieren sie ihren Reiz. Ok.

Berlusconi telefoniert mit Gaddafi.
Am 6. April findet der Prozess gegen ihn statt. Wieviele Tage sind das noch?
Er wird nicht zurücktreten, er wird sich etwas einfallen lassen. Und hätte man bis vor wenigen Tagen noch gelaubt, das nur in Italien ein Politiker, der des Amtsmissbrauchs und der Prostitution Minderjähriger angeklagt ist, nicht zurücktritt, aber es könnte sich um eine Art Trendsetting handeln. Der deutsche Verteidungsminister muss auch nicht wegen seiner Cut&Copy Doktorarbeit zurücktreten, wenn Berlusconi es nicht tut. Vor ein paar Wochen ergötzte ich mich noch an der Vorstellung, Angela Merkel werde mit ein paar 16-Jährigen Boys im Bett erwischt und sie würde nicht gleich zurücktreten, sondern zuerst sagen, das sei alles nur linke Propaganda und dann: so lange sie lebe, werde sie eben Freude am Sex haben, so what? Heute bin ich mir nicht mehr so sicher, dass nicht auch das passieren könnte.
Es ist beängstigend, dass Menschen, die sich lieber nicht von einem Mann regieren lassen, der einer Minderjährigen 85.000 Euro gibt, wie sich der Chef der demokratischen Partei ausdrückt (endlich ein vernünftiger Satz von ihm!), als verklemmte Moralapostel hingestellt werden. Dass man über Sex im Alter und Schlüssellöcher spricht, statt über Lügen, Missbrauch und Korruption. Dass wir uns alle an das, was passiert gewöhnen.
Und es ist bestärkend, dass eine Million Menschen auf die Straße gehen, um zu sagen: "Es reicht". Auch wenn dann viele (darunter auch Regimekritiker) sagen: Ja, aber bitte es ist nicht die Straße, die unser politische Leben entscheidet, nicht "La Piazza" wählt eine Regierung. Nein, "La Piazza" wählt nicht, aber wie man an Tunesien und Ägypten sieht, kann die "Piazza" jedoch abwählen.

Freitag, 11. Februar 2011

Zeit des Röchelns und Grunzens

In den kältesten Tagen des Jahres wird in unserer Umgebung traditionell das Hausschwein geschlachtet. Ein Jahr lang wurde das hübsche Tier gefüttert und gepflegt, dann wird es meistens durch einen Schnitt in den Hals (wer sein Tier weniger gern leiden lässt, erschießt es) getötet. Schweine sind nicht blöd, sie wissen, dass es zu Ende geht und auf dem weg zur Schlachtbank schreien sie entsetzlich und bäumen sich auf.
An diese Tatsache erinnert mich MM heute morgen um 6 Uhr 20, als ich sage, ich werde ab nun den Beginn der Radionachrichten mehr hören und er solle mich bitte anrufen, wenn Berlusconi zurückgetreten sei.
Ich kann nicht mehr. Ich kann ihn nicht mehr hören. Seine Schreie. Seine lang anhaltenden Schreie. Vor ein paar Wochen noch hat er beim Leben seiner Kinder geschworen, er hätte nie eine Frau für Sex bezahlt, heute sagt er, er sei ein Sünder, aber gegen ihn sei ein Staatsstreich im Gange. Hier würden Methoden angewendet, wie in der DDR (nicht wie bei der Gestapo wohlgemerkt). Gestern morgen will er den Staat verklagen (den Staat, tatsächlich), abends entschuldigt er sich dafür. Umberto Eco bezeichnet ihn als schizophren, das gefällt MM, aber mir erscheint das ein Euphemismus. Wer sind seine Coaches, seine Berater? Sind das dieselben wie die von Mubarak? Ist er deshalb auf den Schmäh mit Ruby gekommen? Dass er sie durch einen persönlichen Anruf aus dem Polizeigewahrsam holen musste, weil sie die Nichte von Mubarak sei? Das italienische Parlament hat tatsächlich dafür gestimmt, dass der Premierminister aus diesem Grund heraus einen Amtsmissbrauch begangen hätte, also keinen Amtsmissbrauch, sondern die Verhinduerung einer diplomatischen Krise und die Untersuchungsrichter daher von einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss ersetzt werden müssen. Entweder sie halten ihn für einen Idioten oder sie wissen, dass er ein Lügner ist und lügen gerne mit ihm. Das ist die italienische Regierung.
"Ma io non lo so. Ma! Non lo so io!" höre ich das Kind manchmal mit vorwurfsvollem bis empörtem Ton sagen. Das hat er leider von mir übernommen. "Also ich weiß nicht. Also wirklich. Ich kann das einfach nicht verstehen!"

Mittwoch, 2. Februar 2011

Wuthering Heights

Kurz nachdem wir von der Schule nach Hause kommen, schaut mich mein großer Sohn betreten an: "Ähm, wusstest du, dass das Dach weg ist?" Ich gehe nach oben, ich denke, es sind ein paar Dachschindeln durch den seit Tagen über uns hinweg fegenden Sturm vom Dach gerutscht.
Unser Dach besteht aus mehreren Teilen: ein Flachdach, ein mit Dachschindeln gedecktes Halbdach, und eine Art Kajüte, aus der man auf das Flachdach steigt.
Das von den Maurern wunderbar gezimmerte Dach der Kajüte ist aus den Angeln gehoben. Die Holzbalken sitzen nicht mehr in ihren Mauereinfassungen sondern zehn Zentimeter weiter oben. Der Wind fegt ins Haus. Ich werde ganz ruhig. Ich gehe zum Telefon. Ich rufe MM an. 15 Minuten später ruft der Rallyefahrer: "Mamma, die Maurer sind da!" Ich sage: "Mach das Fenster auf, sprich mit ihnen!" Ich suche die Schlüssel, um sie von hinten ins Haus zu lassen, da sind sie aber schon durch das Fenster im Kinderzimmer gestiegen. Der Obermaurer, den ich letztes Jahr so vereehrt habe und der jetzt die Persona non grata Nummer eins in meinem Leben ist, weil jegliches Geld, das ich verdiene, vom Gebiss seiner Frau verschlungen wird, drückt mit seiner staubigen Hand die meine: "Signora, wie geht's?" Letztes Jahr waren wir wärmer miteinander, aber vielleicht liegt es auch am Lüftchen, das in unser Haus weht. "Naja, schauen Sie mal!" deute ich auf diesen Art Deckel, der nicht mehr auf seinem Topf sitzt. "Madonna" ruft der Obermaurer, Sohn Mirko schnäuzt sich bedeutungsvoll. Ich gehe das Sugo auf dem Herd umrühren. Eigentlich ist es so wie immer. Die Maurer sind im Haus.

Der Obermaurer erklärt mir den Schlachtplan: Das Dach wird mit Seilen befestigt, damit es nicht davon fliegen kann. In die Verankerungen kann es nicht gedrückt werden, denn bei diesem Wind könne man nicht auf dem Dach arbeiten. Schaut er mich dabei vorwurfsvoll an? Sein Heiligenschein ist wieder da. Sicherheit geht vor. Ich wünsche mir, er ist wirklich der gute Mensch, für den ich ihn halte. Jetzt spiele jedoch ich meinen Trumpf aus: Haben sie denn damals Bolzen verankert? Ich sage nicht, dass MM den Architekten angerufen hat, und dieser die Frage gestellt hat, nonchalant benutze ich das Wort "Tirafondi", als hätte auch ich ein Architekturstudium abgeschlossen. Ja, sagen sie eifrig, aber das sei eben das Problem, der Wind hätte die Bolzen aus der Mauer gerissen. Daher könne man das Dach eigentlich auch nicht einfach wieder reindrücken, denn da seien ja die Bolzen. Die kann man aber nicht mehr verwenden, die sind jetzt ausgeleiert. In wirklichkeit ist ein größerer Eingriff vonnöten, sie würden ein Gerüst aufbauen und das Ganze von Aussen lösen, aber erst sobald schönes Wetter sei.

Hm, sage ich, und hole meine Kinder zum Essen. "Müssen wir zahlen?" sagt mein großer Sohn nach bedächtigem Schweigen. Ich liebe ihn. "Nein," antworte ich, "das Dach haben sie gemacht, wir können nichts dafür, dass es beim ersten Wind abhebt." Der Rallyfahrer kichert:"Er hat gesagt: Mamma mia che ventaccio!" Der Rallyefahrer liebt alle Worte die mit -"accio" enden, da es sich um ein Pejorativsuffix handelt. Aber es stimmt, der Wind ist wirklich ungewöhnlich stark. In den Wetternachrichten wird er als Wind mit Windstärke 6 (46km/h) auf der Beaufort-Skala beschrieben, mit Böen. Ich finde ihn allerdings als Sturm mit Windstärke 9 besser definiert: "Äste brechen, kleinere Schäden an Häusern, Ziegel und Rauchhauben werden von Dächern gehoben, Gartenmöbel werden umgeworfen und verweht, beim Gehen erhebliche Behinderung." Aber gut, die von den Wetternachrichten messen den Wind im Ort und nicht auf unserem Hügel.

Während wir unsere Spaghetti essen, hämmert es über unseren Köpfen, ein vertrautes Geräusch. Ich bin aufgeregt und habe rote Backen. Schließlich gelingt es den Maurern doch, die Dachbalken wieder in die Vertiefungen in den Mauern zu drücken. "Ich habe einen Moment Windstille ausgenutzt und konnte das Dach mit meinem Gewicht runterdrücken." sagt der Obermaurer mit wissenschaftlichem Ernst. Ich möchte lachen, darüber, wie er stolz die Worte "mit meinem Gewicht" ausspricht, dünn wie er ist. Ich lache nicht, schließlich sind wir keine Freunde mehr.
Ein kleiner Spalt ist geblieben, das Dach wurde mit Holzbalken und Seilen verankert. Die Seile ächzen, es klingt, als wären wir auf einem Schiff. Zum Glück sind wir auf dem Land und nicht auf dem Meer.

Ich glaube, der Maurer wird bald vorbeikommen und schauen, wie es seiner Konstruktion geht. Hoffentlich legt sich der Wind. In den Wetternachrichten heißt der Wind "moderato" und ab morgen "debole". Was ist für die eigentlich stürmisch?
Wenn man von der Beschreibung des Windes ausgeht, ist auch in Italien alles noch recht moderat. Und meinen Spumante, den ich für den Rücktritt des Premierministers eingekühlt habe, habe ich bereits getrunken. Danach bin ich gleich in den Supermarkt gegangen und habe zwei weitere Flaschen gekauft, ich bin stets gerüstet, auch wenn der Premier in unserem kleinen Zweikampf, von dem niemand etwas weiß, immer der Gewinner zu sein scheint. Er scherzt auf Festen, ich hänge am Computer und am Radio. Ein Journalist vom Corriere della sera sagt, man wird ihm Beihilfe zur Prostitution Minderjähriger nicht nachweisen können, Amtsmissbrauch aber sehr wohl. Was wird eigentlich danach sein? Was werden wir mit den Trümmern machen? Durchatmen, sich besinnen: wo waren wir eigentlich stehen geblieben?

Mittwoch, 26. Januar 2011

Roberto Saviano trinkt einen Schluck Wasser

Roberto Saviano bekam eine Laurea honoris causa (eine Ehrendoktorwürde) in Rechtswissenschaften an der Universität von Genua verliehen. Er widmete diesen Titel den Mailänder Staatsanwälten Ilda Bocassini, Pietro Forno und Antonino Sangermano.Er sagt, diese würden schwierige Tage erleben, nur weil sie ihr Handwerk ausübten. Die drei Richter betreuen die Ermittlungen im sogenannten "Fall Ruby", demzufolge der italienische Premierminister des Amtsmissbrauchs und der Beihilfe zur Prostitution Minderjähriger verdächtigt wird. Marina Berlusconi, die Inhaberin des Verlags Mondadori, bei dem Saviano seine Bücher veröffentlicht, und Tochter des Premierministers kommentierte diese Widmung mit den Worten, es würde ihr Schrecken einjagen, dass ein Mensch wie Saviano, der immer erklärt hätte, für die Freiheit und die Würde des Menschen zu kämpfen, diese Werte nun mit Füßen trete.
Ich denke, Saviano ist einer der wenigen Menschen in diesem Land, die wirklich frei sind. (im Geiste, versteht sich, schließlich muss er immer mit Bewachern unterwegs sein.)
Und jetzt wird er bei einem anderen Verlag veröffentlichen.
Ich sehe mir seine Widmung auf YouTube an. Am besten gefällt mir, dass er nach seiner Rede einen großen Schluck Wasser nimmt.

Mittwoch, 19. Januar 2011

Die letzten Tage

MM sagt gestern abend: "Vielleicht schaffen wir es diesmal". Ich weiß sofort, was er meint. "Ihn loszuwerden?" versichere ich mich.
Diesmal hat Herr B. auch den Vatikan vergrämt.
Ich habe den Prosecco eingekühlt, wobei - das wäre eine Flasche Champagner wert. Darf auch teuer sein.
Und jetzt halte ich mich stets in der Nähe eines Radiogerätes auf, um es sofort zu wissen, wenn er zurücktritt.

Montag, 17. Januar 2011

Ziviler Ungehorsam: der Schulbus

Seit wir unsere Zelte im wahrsten Sinne des Wortes hier aufgeschlagen haben, fährt das Kind mit dem Schulbus zur Schule und wieder nach Hause. Das gelbe Gefährt löst für uns einige Probleme, da die Brüder des Kindes 45 Autominuten entfernt in die Schule gehen. An vielen Tagen ist der Schulbus und sein Fahrer unser Babysitter, dann stoppen wir morgens, wenn ich alle drei Kinder im Auto habe den Schulbus, der den Hügel hochfährt, das Kind springt in den Bus und fährt wieder hoch, in den Weiler über uns, dort werden zwei Kinder abgeholt, dann fahren sie in die Schule und nehmen auf dem Weg noch ein paar andere Kinder mit. So kommt das Kind nach 50 Minuten Fahrt im Schulbus in der zehn Minuten entfernten Schule an, aber manchmal ist das die einzige Möglichkeit, denn um 7 Uhr 15 kann man nur wenigen Personen sein Kind anvertrauen, mir sollte man kein zusätzliches bringen. Im besten Fall kann ich zu Hause arbeiten und während MM die großen Kinder zum öffentlichen Autobus mitnimmt, bringe ich das Kind zu Fuß zum Schulbus, der dann bereits mit den zwei verschlafenen Kindern aus dem Weiler nach unten fährt. Das ist dann um 7 Uhr 50, recht human. Der Schulbusfahrer heisst Daniele und ist der erste fremde Mensch, den ich morgens zu Gesicht bekomme und ich habe es gut getroffen: er ist jung, relativ gut aussehend (natürlich ein Mann ohne Unterleib, ich habe ihn noch nie außerhalb des Schulbusses gesehen)und spricht freundlich und nie zu viel. Am Nachmittag wird das Kind wieder mitgenommen und springt nach 40 Minuten Schulende wieder aus dem Bus. Das ist für einen Weg von zehn bis fünfzehn Minuten zwar eine stattliche Zeit, aber es ist mir klar, dass auch andere Kinder nach Hause wollen. Zwei Tage in der Woche muss ich zu meinem großen Unbehagen das Kind selbst von der Schule abholen, denn dann endet auch die Mittelschule zur selben Zeit und das Kind kommt erst nach 17 Uhr nach Hause und da um 17 Uhr 20 der Ballettunterricht (sic!) beginnt, bleibt mir trotz aller verzweifelter Versuche, das Kind in 30 Sekunden anzuziehen und die Autofahrt auf drei Minuten zu verkürzen, keine Wahl: wenn ich will, dass das Kind mehr als zur Hälfte seine Ballettstunde absolviert, muss ich mich unter all die aufgeregten Mütter mischen und mein Kind vor den drängenden Autofahreren weg und zu unserem (weit weg geparkten) Auto drängen.

Der Schulbus kostet 15 Euro pro Monat pro Familie, nächstes Jahr werde ich frohlockend (und so Gott will, wie meine Schwiegermutter sagen würde), drei Kinder für 15 Euro im Monat chauffieren lassen. Nun ist es aber so, dass die Eltern der Kinder, die diesen Service nutzen, beschlossen haben, den Schulbus nicht zu bezahlen. Wie es zu dieser Entscheidung kam, weiß ich nicht, vielleicht ist das bereits im Vorjahr passiert. Als ich zufällig im Oktober einen Aushang an der Schule sah, der zur Einzahlung dieser 15 Euro aufforderte, eilte ich als pflichtbewusste Mutter auf die Gemeinde, um meinen Tribut zu leisten. Die Prozedur war höchst kompliziert und zeitaufwändig (die Person, bei der ich zahlte, musste auch erst einen anderen Menschen fragen, ob man denn wirklich zahlen muss, denn offensichtlich hätte es eine diesbezügliche Versammlung gegeben). Eine halbe Stunde nach Abwicklung dieses Verfahrens, bei dem mir die Dame versicherte, dass ich mein Geld rückerstatttet bekäme, sollte die Gemeinde beschließen, die Kostenpflicht für den Schulbus aufzuheben, bekam ich einen Anruf, dass ich zurückkehren sollte, die Dame hätte nämlich in diesem weitschweifigen Verfahren vergessen, mich den Antrag unterzeichnen zu lassen, den ich zur Beförderung des Kindes gestellt hätte. Ich holte gerade das Kind vom Balettunterricht ab und die Mutter eines anderen tanzenden Kindes riet mir, die Sache ein anderes Mal oder gar nicht zu beenden. Ich wollte aber auch nicht ein anderes Mal die Sache erledigen und fuhr also mit dem Kind wieder den Berg hoch in die Kerngemeinde. Dort stellte sich heraus, dass die Dame, um meine Nummer ausfindig zu machen, ihre Kusine (unsere Nachbarin) angerufen hatte, diese wiederum hatte keine Telefonnummer von uns und war zu uns nach Hause gegangen, wo ihr meine großen Kinder freundlicherweise meine Mobilnummer aushändigten. Aus irgendeinem Grund war es der Dame wichtig, mich diesen Antrag unterzeichnen zu lassen. Sie versicherte mir am Ende auch, dass, wenn immer ich etwas bräuchte, ich mich an sie wenden könne.
Ich glaube, das ist jetzt der Fall.
Im Oktober habe ich nämlich das letzte Mal den Schulbus bezahlt, da ich mich nicht als Streikbrecherin gebärden wollte. Ein aufgebrachter Vater hatte mir erklärt, dass es sich um die Pflichschule handle, dass die Gemeinde also nicht verlangen könne, dass wir für den Transport der Kinder zahlen. Dieser Gedankengang überraschte mich, also eigentlich war ich über mich selbst überrascht, ich hätte nämlich gedacht, dass es MEINE Pflicht sei, das Kind in die Schule zu schicken. Ein anderes Argument, nicht zu zahlen war, dass der Service nicht ausreichend ausgestattet sei und man verlange eine "Gouvernante", die sich um die Kinder kümmere. (Die müsste dann die pädagogische Funktion des Schulbusfahrers übernehmen, die mir folgendermaßen übermittelt wurde:
Das Kind: "Jetzt weiß ich, wer unser Italien ruiniert: die aus der Mittelschule!"
Ich: "Wieso, was machen sie?"
Das Kind: "Sie schmeißen Kaugummipapier aus dem Fenster und brüllen und bleiben nicht sitzen!"
Ich: "Und was sagt Daniele dazu?"
Das Kind: "Dass er sie umbringt, wenn sie sich nicht ordentlich aufführen!".)

Tatsächlich sehen wir auf der Fahrt in die andere Schule in anderen Orten völlig überfüllte Schulbusse, in denen die Kinder stehen oder an die Scheiben gequetscht sind, in anderen Schulbussen werden den Mitschülern Schuhe ausgezogen und durch die Reihen geworfen. Ich nenne sie die "Schulbusse des Schreckens".
Das Argument der Gouvernante ist also nicht von der Hand zu weisen. Ein weiterer Grund, den Schulbus nicht zu bezahlen ist, dass die Kinder so spät nach Hause kommen, da es einen Schulbus zu wenig gäbe und sie daher einen anderen Hügel hochfahren müssten, bevor sie zu unserem Hügel kommen.
In Wirklichkeit ist es aber glaube ich eher die ungezügelte Lust der Menschen, sich an der Gemeinde für alles zu rächen. Bei mir hieße das: die nicht angebotene Mülltrennung, die mangelhafte Versorgung mit Wasser. Interessanterweise wird das Geld für das Wasser von einer Agentur eingetrieben, die das Recht auf Exekution hat. Damit ist nicht die standesrechtliche Erschießung gemeint, sondern der Exekutor, der den Fernseher mitnimmt. Man schließt daraus, dass in den letzten Jahren die Bewohner ihre Wasserrechnung nicht bezahlt hatten.
Vor einigen Tagen wurde bei unseren Nachbarn eine Verständigung von einem Gemeindebematen für uns abgegeben, dass wir den Schulbus bis 25. Januar einzahlen sollten. Ich weiss nicht, was passiert, wenn wir das nicht tun. Am Samstag durfte ich, da das Kind diesmal bei einer Geburtstagsfeier eingeladen war, mehr zum Thema Schulbus erfahren. Die Mutter des gastgebenden Kindes sagte zu mir: "Jetzt wollen die Leute auch für den schulbus nichts bezahlen." Sie muss gemerkt haben, wie meine Lider nach oben schnellten. "Ich weiß nicht, ob Sie bezahlt haben oder nicht..." fuhr sie fort. Sie wollte wohl sagen: das geht mich nichts an, ich hingegen wollte gleich ein coming out feiern: "Ich habe nur einmal bezahlt, aber dann wollte ich den Leuten nicht in den Rücken fallen...." Wir sind uns einig. Wobei ich nicht ganz sicher bin, ob sie sich mit sich selbst einig ist. Sie hat jedenfalls auch einmal bezahlt und obwohl sie findet, dass der Schulbus auch 50 Euro wert sei, wird sie ihn nicht bezahlen. Und zwar unter anderem, weil sich der Bürgermeister bei einer zum Thema einberufenen Versammlung nicht hat blicken lassen. Ach dieser Bürgermeister! Die Zahlungsaufforderung haben alle bekommen, nicht nur die paar armen Deppen, die bezahlt haben. Laut der Mutter beim Geburtstagsfest vier Familien: wir, sie, die Familie aus dem Weiler und noch eine andere Familie. Laut Aussage der Dame auf der Gemeinde viel mehr: tatsächlich ist der Schulbusausweis des Kindes mit der Nummer 22 versehen. Wieviele Kinder tatsächlich den Service nutzen, weiß ich nicht, aber der Tenor der anderen Mütter im allgemeinen ist doch ein wenig so, dass die Kinder einfach arm seien, die mit dem Schulbus fahren müssen (weil ihre Eltern böse sind, unfähig oder finanzielle Probleme haben). Wenn ich erzähle, dass ich das Kind mit dem Schulbus quäle, informiere ich meine Gesprächspartner immer gleich, dass das Kind einmal geweint hat, als ich es selbst in die Schule brachte (weil es nämlich gern mit dem Schulbus fährt und am liebsten als erster, weil es sich dann den Platz ganz vorne aussuchen kann.)

Was soll ich also tun? Ich zittere vor Angst bei der Vorstellung, dass das Kind nicht mehr mit dem Schulbus fahren kann, weil sich Daniele den Ausweis zeigen lässt, noch schlimmer: der Schulbus wird eingestellt, weil er nicht mehr leistbar ist. Gleichzeitig will ich jede Art von Widerstand gegen die Obrigkeit unterstützen. Ich habe schon mit dem Gedanken gespielt, Daniele zu fragen, ob er kein Geld bekomme, wenn ich nicht bezahle, diese Idee aber als infantil und kokett klassifiziert.
Der Vater der Kinder aus dem Weiler hat für den Schulbus gekämpft, die Familie muss also bezahlen, sonst sind sie ihren Schulbus wieder los, und die nächsten in der geografischen Abfolge sind dann wir. Wenn die Kinder aus Difesa krank sind, was oft vorkommt (sicher weil sie immer so früh aufstehen müssen und so lange mit dem Bus fahren), kommt Daniele extra für UNS!

In Wirklichkeit denke ich, der Kampf gegen die Gemeinde gehört effizient und nicht über Umwege geführt. Der Schulbus ist eine gute Sache und in Zeiten der Krise ist es klar, dass er nicht gratis ist, eigentlich sind 15 Euro für drei Kinder nicht besonders viel, denn wie die Mutter des Geburtstagskindes bemerkt: so viel zahlen wir auch für den Treibstoff. Doch die aufgeregte Demonstrantin in mir wittert Aufruhr und möchte diesen nicht verpassen.