Montag, 17. Januar 2011

Ziviler Ungehorsam: der Schulbus

Seit wir unsere Zelte im wahrsten Sinne des Wortes hier aufgeschlagen haben, fährt das Kind mit dem Schulbus zur Schule und wieder nach Hause. Das gelbe Gefährt löst für uns einige Probleme, da die Brüder des Kindes 45 Autominuten entfernt in die Schule gehen. An vielen Tagen ist der Schulbus und sein Fahrer unser Babysitter, dann stoppen wir morgens, wenn ich alle drei Kinder im Auto habe den Schulbus, der den Hügel hochfährt, das Kind springt in den Bus und fährt wieder hoch, in den Weiler über uns, dort werden zwei Kinder abgeholt, dann fahren sie in die Schule und nehmen auf dem Weg noch ein paar andere Kinder mit. So kommt das Kind nach 50 Minuten Fahrt im Schulbus in der zehn Minuten entfernten Schule an, aber manchmal ist das die einzige Möglichkeit, denn um 7 Uhr 15 kann man nur wenigen Personen sein Kind anvertrauen, mir sollte man kein zusätzliches bringen. Im besten Fall kann ich zu Hause arbeiten und während MM die großen Kinder zum öffentlichen Autobus mitnimmt, bringe ich das Kind zu Fuß zum Schulbus, der dann bereits mit den zwei verschlafenen Kindern aus dem Weiler nach unten fährt. Das ist dann um 7 Uhr 50, recht human. Der Schulbusfahrer heisst Daniele und ist der erste fremde Mensch, den ich morgens zu Gesicht bekomme und ich habe es gut getroffen: er ist jung, relativ gut aussehend (natürlich ein Mann ohne Unterleib, ich habe ihn noch nie außerhalb des Schulbusses gesehen)und spricht freundlich und nie zu viel. Am Nachmittag wird das Kind wieder mitgenommen und springt nach 40 Minuten Schulende wieder aus dem Bus. Das ist für einen Weg von zehn bis fünfzehn Minuten zwar eine stattliche Zeit, aber es ist mir klar, dass auch andere Kinder nach Hause wollen. Zwei Tage in der Woche muss ich zu meinem großen Unbehagen das Kind selbst von der Schule abholen, denn dann endet auch die Mittelschule zur selben Zeit und das Kind kommt erst nach 17 Uhr nach Hause und da um 17 Uhr 20 der Ballettunterricht (sic!) beginnt, bleibt mir trotz aller verzweifelter Versuche, das Kind in 30 Sekunden anzuziehen und die Autofahrt auf drei Minuten zu verkürzen, keine Wahl: wenn ich will, dass das Kind mehr als zur Hälfte seine Ballettstunde absolviert, muss ich mich unter all die aufgeregten Mütter mischen und mein Kind vor den drängenden Autofahreren weg und zu unserem (weit weg geparkten) Auto drängen.

Der Schulbus kostet 15 Euro pro Monat pro Familie, nächstes Jahr werde ich frohlockend (und so Gott will, wie meine Schwiegermutter sagen würde), drei Kinder für 15 Euro im Monat chauffieren lassen. Nun ist es aber so, dass die Eltern der Kinder, die diesen Service nutzen, beschlossen haben, den Schulbus nicht zu bezahlen. Wie es zu dieser Entscheidung kam, weiß ich nicht, vielleicht ist das bereits im Vorjahr passiert. Als ich zufällig im Oktober einen Aushang an der Schule sah, der zur Einzahlung dieser 15 Euro aufforderte, eilte ich als pflichtbewusste Mutter auf die Gemeinde, um meinen Tribut zu leisten. Die Prozedur war höchst kompliziert und zeitaufwändig (die Person, bei der ich zahlte, musste auch erst einen anderen Menschen fragen, ob man denn wirklich zahlen muss, denn offensichtlich hätte es eine diesbezügliche Versammlung gegeben). Eine halbe Stunde nach Abwicklung dieses Verfahrens, bei dem mir die Dame versicherte, dass ich mein Geld rückerstatttet bekäme, sollte die Gemeinde beschließen, die Kostenpflicht für den Schulbus aufzuheben, bekam ich einen Anruf, dass ich zurückkehren sollte, die Dame hätte nämlich in diesem weitschweifigen Verfahren vergessen, mich den Antrag unterzeichnen zu lassen, den ich zur Beförderung des Kindes gestellt hätte. Ich holte gerade das Kind vom Balettunterricht ab und die Mutter eines anderen tanzenden Kindes riet mir, die Sache ein anderes Mal oder gar nicht zu beenden. Ich wollte aber auch nicht ein anderes Mal die Sache erledigen und fuhr also mit dem Kind wieder den Berg hoch in die Kerngemeinde. Dort stellte sich heraus, dass die Dame, um meine Nummer ausfindig zu machen, ihre Kusine (unsere Nachbarin) angerufen hatte, diese wiederum hatte keine Telefonnummer von uns und war zu uns nach Hause gegangen, wo ihr meine großen Kinder freundlicherweise meine Mobilnummer aushändigten. Aus irgendeinem Grund war es der Dame wichtig, mich diesen Antrag unterzeichnen zu lassen. Sie versicherte mir am Ende auch, dass, wenn immer ich etwas bräuchte, ich mich an sie wenden könne.
Ich glaube, das ist jetzt der Fall.
Im Oktober habe ich nämlich das letzte Mal den Schulbus bezahlt, da ich mich nicht als Streikbrecherin gebärden wollte. Ein aufgebrachter Vater hatte mir erklärt, dass es sich um die Pflichschule handle, dass die Gemeinde also nicht verlangen könne, dass wir für den Transport der Kinder zahlen. Dieser Gedankengang überraschte mich, also eigentlich war ich über mich selbst überrascht, ich hätte nämlich gedacht, dass es MEINE Pflicht sei, das Kind in die Schule zu schicken. Ein anderes Argument, nicht zu zahlen war, dass der Service nicht ausreichend ausgestattet sei und man verlange eine "Gouvernante", die sich um die Kinder kümmere. (Die müsste dann die pädagogische Funktion des Schulbusfahrers übernehmen, die mir folgendermaßen übermittelt wurde:
Das Kind: "Jetzt weiß ich, wer unser Italien ruiniert: die aus der Mittelschule!"
Ich: "Wieso, was machen sie?"
Das Kind: "Sie schmeißen Kaugummipapier aus dem Fenster und brüllen und bleiben nicht sitzen!"
Ich: "Und was sagt Daniele dazu?"
Das Kind: "Dass er sie umbringt, wenn sie sich nicht ordentlich aufführen!".)

Tatsächlich sehen wir auf der Fahrt in die andere Schule in anderen Orten völlig überfüllte Schulbusse, in denen die Kinder stehen oder an die Scheiben gequetscht sind, in anderen Schulbussen werden den Mitschülern Schuhe ausgezogen und durch die Reihen geworfen. Ich nenne sie die "Schulbusse des Schreckens".
Das Argument der Gouvernante ist also nicht von der Hand zu weisen. Ein weiterer Grund, den Schulbus nicht zu bezahlen ist, dass die Kinder so spät nach Hause kommen, da es einen Schulbus zu wenig gäbe und sie daher einen anderen Hügel hochfahren müssten, bevor sie zu unserem Hügel kommen.
In Wirklichkeit ist es aber glaube ich eher die ungezügelte Lust der Menschen, sich an der Gemeinde für alles zu rächen. Bei mir hieße das: die nicht angebotene Mülltrennung, die mangelhafte Versorgung mit Wasser. Interessanterweise wird das Geld für das Wasser von einer Agentur eingetrieben, die das Recht auf Exekution hat. Damit ist nicht die standesrechtliche Erschießung gemeint, sondern der Exekutor, der den Fernseher mitnimmt. Man schließt daraus, dass in den letzten Jahren die Bewohner ihre Wasserrechnung nicht bezahlt hatten.
Vor einigen Tagen wurde bei unseren Nachbarn eine Verständigung von einem Gemeindebematen für uns abgegeben, dass wir den Schulbus bis 25. Januar einzahlen sollten. Ich weiss nicht, was passiert, wenn wir das nicht tun. Am Samstag durfte ich, da das Kind diesmal bei einer Geburtstagsfeier eingeladen war, mehr zum Thema Schulbus erfahren. Die Mutter des gastgebenden Kindes sagte zu mir: "Jetzt wollen die Leute auch für den schulbus nichts bezahlen." Sie muss gemerkt haben, wie meine Lider nach oben schnellten. "Ich weiß nicht, ob Sie bezahlt haben oder nicht..." fuhr sie fort. Sie wollte wohl sagen: das geht mich nichts an, ich hingegen wollte gleich ein coming out feiern: "Ich habe nur einmal bezahlt, aber dann wollte ich den Leuten nicht in den Rücken fallen...." Wir sind uns einig. Wobei ich nicht ganz sicher bin, ob sie sich mit sich selbst einig ist. Sie hat jedenfalls auch einmal bezahlt und obwohl sie findet, dass der Schulbus auch 50 Euro wert sei, wird sie ihn nicht bezahlen. Und zwar unter anderem, weil sich der Bürgermeister bei einer zum Thema einberufenen Versammlung nicht hat blicken lassen. Ach dieser Bürgermeister! Die Zahlungsaufforderung haben alle bekommen, nicht nur die paar armen Deppen, die bezahlt haben. Laut der Mutter beim Geburtstagsfest vier Familien: wir, sie, die Familie aus dem Weiler und noch eine andere Familie. Laut Aussage der Dame auf der Gemeinde viel mehr: tatsächlich ist der Schulbusausweis des Kindes mit der Nummer 22 versehen. Wieviele Kinder tatsächlich den Service nutzen, weiß ich nicht, aber der Tenor der anderen Mütter im allgemeinen ist doch ein wenig so, dass die Kinder einfach arm seien, die mit dem Schulbus fahren müssen (weil ihre Eltern böse sind, unfähig oder finanzielle Probleme haben). Wenn ich erzähle, dass ich das Kind mit dem Schulbus quäle, informiere ich meine Gesprächspartner immer gleich, dass das Kind einmal geweint hat, als ich es selbst in die Schule brachte (weil es nämlich gern mit dem Schulbus fährt und am liebsten als erster, weil es sich dann den Platz ganz vorne aussuchen kann.)

Was soll ich also tun? Ich zittere vor Angst bei der Vorstellung, dass das Kind nicht mehr mit dem Schulbus fahren kann, weil sich Daniele den Ausweis zeigen lässt, noch schlimmer: der Schulbus wird eingestellt, weil er nicht mehr leistbar ist. Gleichzeitig will ich jede Art von Widerstand gegen die Obrigkeit unterstützen. Ich habe schon mit dem Gedanken gespielt, Daniele zu fragen, ob er kein Geld bekomme, wenn ich nicht bezahle, diese Idee aber als infantil und kokett klassifiziert.
Der Vater der Kinder aus dem Weiler hat für den Schulbus gekämpft, die Familie muss also bezahlen, sonst sind sie ihren Schulbus wieder los, und die nächsten in der geografischen Abfolge sind dann wir. Wenn die Kinder aus Difesa krank sind, was oft vorkommt (sicher weil sie immer so früh aufstehen müssen und so lange mit dem Bus fahren), kommt Daniele extra für UNS!

In Wirklichkeit denke ich, der Kampf gegen die Gemeinde gehört effizient und nicht über Umwege geführt. Der Schulbus ist eine gute Sache und in Zeiten der Krise ist es klar, dass er nicht gratis ist, eigentlich sind 15 Euro für drei Kinder nicht besonders viel, denn wie die Mutter des Geburtstagskindes bemerkt: so viel zahlen wir auch für den Treibstoff. Doch die aufgeregte Demonstrantin in mir wittert Aufruhr und möchte diesen nicht verpassen.

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