Mittwoch, 2. Februar 2011

Wuthering Heights

Kurz nachdem wir von der Schule nach Hause kommen, schaut mich mein großer Sohn betreten an: "Ähm, wusstest du, dass das Dach weg ist?" Ich gehe nach oben, ich denke, es sind ein paar Dachschindeln durch den seit Tagen über uns hinweg fegenden Sturm vom Dach gerutscht.
Unser Dach besteht aus mehreren Teilen: ein Flachdach, ein mit Dachschindeln gedecktes Halbdach, und eine Art Kajüte, aus der man auf das Flachdach steigt.
Das von den Maurern wunderbar gezimmerte Dach der Kajüte ist aus den Angeln gehoben. Die Holzbalken sitzen nicht mehr in ihren Mauereinfassungen sondern zehn Zentimeter weiter oben. Der Wind fegt ins Haus. Ich werde ganz ruhig. Ich gehe zum Telefon. Ich rufe MM an. 15 Minuten später ruft der Rallyefahrer: "Mamma, die Maurer sind da!" Ich sage: "Mach das Fenster auf, sprich mit ihnen!" Ich suche die Schlüssel, um sie von hinten ins Haus zu lassen, da sind sie aber schon durch das Fenster im Kinderzimmer gestiegen. Der Obermaurer, den ich letztes Jahr so vereehrt habe und der jetzt die Persona non grata Nummer eins in meinem Leben ist, weil jegliches Geld, das ich verdiene, vom Gebiss seiner Frau verschlungen wird, drückt mit seiner staubigen Hand die meine: "Signora, wie geht's?" Letztes Jahr waren wir wärmer miteinander, aber vielleicht liegt es auch am Lüftchen, das in unser Haus weht. "Naja, schauen Sie mal!" deute ich auf diesen Art Deckel, der nicht mehr auf seinem Topf sitzt. "Madonna" ruft der Obermaurer, Sohn Mirko schnäuzt sich bedeutungsvoll. Ich gehe das Sugo auf dem Herd umrühren. Eigentlich ist es so wie immer. Die Maurer sind im Haus.

Der Obermaurer erklärt mir den Schlachtplan: Das Dach wird mit Seilen befestigt, damit es nicht davon fliegen kann. In die Verankerungen kann es nicht gedrückt werden, denn bei diesem Wind könne man nicht auf dem Dach arbeiten. Schaut er mich dabei vorwurfsvoll an? Sein Heiligenschein ist wieder da. Sicherheit geht vor. Ich wünsche mir, er ist wirklich der gute Mensch, für den ich ihn halte. Jetzt spiele jedoch ich meinen Trumpf aus: Haben sie denn damals Bolzen verankert? Ich sage nicht, dass MM den Architekten angerufen hat, und dieser die Frage gestellt hat, nonchalant benutze ich das Wort "Tirafondi", als hätte auch ich ein Architekturstudium abgeschlossen. Ja, sagen sie eifrig, aber das sei eben das Problem, der Wind hätte die Bolzen aus der Mauer gerissen. Daher könne man das Dach eigentlich auch nicht einfach wieder reindrücken, denn da seien ja die Bolzen. Die kann man aber nicht mehr verwenden, die sind jetzt ausgeleiert. In wirklichkeit ist ein größerer Eingriff vonnöten, sie würden ein Gerüst aufbauen und das Ganze von Aussen lösen, aber erst sobald schönes Wetter sei.

Hm, sage ich, und hole meine Kinder zum Essen. "Müssen wir zahlen?" sagt mein großer Sohn nach bedächtigem Schweigen. Ich liebe ihn. "Nein," antworte ich, "das Dach haben sie gemacht, wir können nichts dafür, dass es beim ersten Wind abhebt." Der Rallyfahrer kichert:"Er hat gesagt: Mamma mia che ventaccio!" Der Rallyefahrer liebt alle Worte die mit -"accio" enden, da es sich um ein Pejorativsuffix handelt. Aber es stimmt, der Wind ist wirklich ungewöhnlich stark. In den Wetternachrichten wird er als Wind mit Windstärke 6 (46km/h) auf der Beaufort-Skala beschrieben, mit Böen. Ich finde ihn allerdings als Sturm mit Windstärke 9 besser definiert: "Äste brechen, kleinere Schäden an Häusern, Ziegel und Rauchhauben werden von Dächern gehoben, Gartenmöbel werden umgeworfen und verweht, beim Gehen erhebliche Behinderung." Aber gut, die von den Wetternachrichten messen den Wind im Ort und nicht auf unserem Hügel.

Während wir unsere Spaghetti essen, hämmert es über unseren Köpfen, ein vertrautes Geräusch. Ich bin aufgeregt und habe rote Backen. Schließlich gelingt es den Maurern doch, die Dachbalken wieder in die Vertiefungen in den Mauern zu drücken. "Ich habe einen Moment Windstille ausgenutzt und konnte das Dach mit meinem Gewicht runterdrücken." sagt der Obermaurer mit wissenschaftlichem Ernst. Ich möchte lachen, darüber, wie er stolz die Worte "mit meinem Gewicht" ausspricht, dünn wie er ist. Ich lache nicht, schließlich sind wir keine Freunde mehr.
Ein kleiner Spalt ist geblieben, das Dach wurde mit Holzbalken und Seilen verankert. Die Seile ächzen, es klingt, als wären wir auf einem Schiff. Zum Glück sind wir auf dem Land und nicht auf dem Meer.

Ich glaube, der Maurer wird bald vorbeikommen und schauen, wie es seiner Konstruktion geht. Hoffentlich legt sich der Wind. In den Wetternachrichten heißt der Wind "moderato" und ab morgen "debole". Was ist für die eigentlich stürmisch?
Wenn man von der Beschreibung des Windes ausgeht, ist auch in Italien alles noch recht moderat. Und meinen Spumante, den ich für den Rücktritt des Premierministers eingekühlt habe, habe ich bereits getrunken. Danach bin ich gleich in den Supermarkt gegangen und habe zwei weitere Flaschen gekauft, ich bin stets gerüstet, auch wenn der Premier in unserem kleinen Zweikampf, von dem niemand etwas weiß, immer der Gewinner zu sein scheint. Er scherzt auf Festen, ich hänge am Computer und am Radio. Ein Journalist vom Corriere della sera sagt, man wird ihm Beihilfe zur Prostitution Minderjähriger nicht nachweisen können, Amtsmissbrauch aber sehr wohl. Was wird eigentlich danach sein? Was werden wir mit den Trümmern machen? Durchatmen, sich besinnen: wo waren wir eigentlich stehen geblieben?

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