Mittwoch, 23. Februar 2011

Die Begünstigten

So heißt eine Familie, die MM, der sonst nur Politiker kritisiert, aufrichtig hasst. Der Sohn der Familie geht mit unseren großen Jungs in die Schule. Nomen est Omen. Großes Haus, wie aus einem Disney-Film. Die Garage ist so groß wie unser gesamter Wohnraum im alten Haus. Ein Volvo, ein jeepartiger Suzuki (für die Schiausflüge). Woher das Geld kommt, weiß man nicht, aber es gibt Gerüchte. Der Mann verkauft etwas, was nur wenige Menschen brauchen, man kann sich nicht recht vorstellen, dass man dadurch zu wirklich viel Geld kommt. Und die jeweiligen Familien sind nicht sonderlich reich.
Mein Freund der Schriftsteller denkt jetzt, ich schreibe wieder über Neid. Aber es ist komplizierter. Zum einen, weil ich die Eltern (die Kinder nicht, die sind schrecklich) eigentlich sympathisch finde und ich gerne möchte, dass sie eine weiße Weste haben, statt undurchsichtige Machenschaften zu wittern. Zum anderen finde ich den Mann so attraktiv, dass ich schlucken muss, wenn ich ihn sehe.
Einmal im Jahr findet im Märchenhaus die Geburtstagsparty des Sohnes statt, bei dem sich dann mehr als die Hälfte der Dorfbevölkerung einfindet. Herr Begünstigt, in Jeans und weißem Hemd, Brusthaar angedeute, kleine Goldektte kommt mit einer Bierflasche in der Hand durch den Garten mit englischem Rasen auf mich zu. Er lächelt, er sieht aus wie die Hochglanzvariante des Obermaurers. So eine kleine Bierflasche hätte ich jetzt auch gerne, aber bitte nicht als die Mutter der beiden Jungs da, sondern als Janis Joplin, deren Motorbike vor der Tür steht. Er bietet mir auch kein Bier an. Ich bin abgekämpft und schlecht frisiert, er sieht ebenfalls müde aus (es wäre schön, wenn er sich wegen mir verzehrt hätte, aber wahrscheinlicher ist, dass er Drogen nimmt). Er befragt mich zum Fortschritt unserer Bauarbeiten. Wie oft kann man eigentlich luachelnd sagen, dass man wie auf dem Campingpatz lebt? Er sagt, wenn er gewusst hätte, was auf ihn zukommt, hätte er nie ein Haus gebaut, er würde es auch nie mehr tun, es sei denn, er bräuchte nichts zu tun, außer den Schlüssel in Empfang zu nehmen. Ich denke, er hat ohnehin nicht viel anderes getan. Ich weiß, was es bedeutet, ein Haus zu bauen oder zu renovieren. Das machen Maurer, keine normal sterblichen Menschen. Und allein um diese Maurer und anschließend Installateure und Elektriker zu leiten, braucht man übermenschliche Kräfte und vor allem eine Menge Geld. Sein Haus ist fertig, unseres wird noch JAHRE unfertig sein. Er sagt, sie würden uns besuchen kommen. Ich möchte aufschreien vor Hysterie, MM schreit tatsächlich auf, vor Entsetzen, als ich es ihm später erzähle. Herr Begünstigt küsst mich auf die Wangen. Er riecht nach Schweiss und Zigaretten, alles dezent, aber doch überraschend. Sein Sohn riecht nach Parfum und ist immer perfekt. Darüberhinaus beherrscht er ein erstaunlich großes Vokabular an Schimpfwörtern, schlägt sich wie ein wildgewordenes Kalb mit Mitschülern und weint, wenn er eine schlechte Note bekommt. Ein seltsames, keineswegs sympathisches Kind. Mein großer Sohn bebt manchmal vor Wut über den Stöpsel. Der Stöpsel mischte sich schon vor Jahren unangenehm in unsere familiäre Ausgeglichenheit. Beim ersten Schulausflug, den meine Jungs absolvierten, hatte ich ihnen kein Geld mitgegeben. Ich war Schulausflugsnovizin und wusste nicht, dass beim Souvenirladen in den Bergen der Kaufrausch ausbricht. Der Stöpsel hatte dem Rallyefahrer 10 Euro geliehen, die dieser in wertloses Zeug verwandelte. Das Resultat waren Tränen und Wut. Die Kinder hatten es gut gemeint, der Rallyefahrer hatte für alle Familienmitglieder Kämme, Zahnstocherbehälter und aus Holz geschnitzte Riesenbleistifte gekauft, der große Sohn weinte, weil ihm die Lehrerinnen ein Spielzeugauto gekauft hatten, das er eigentlich nicht annehmen wollte, weil er schon wusste, dass mich diese Aktionen nicht begeistern. Der Fehler lag bei mir, ich hätte es wissen müssen, ich hätte die Kinder nicht nur mit Broten, Zuckerln und Fruchtsäften, sondern auch mit Geld ausstatten sollen, Am nächsten Tag musste ich dem Stöpsel seine zehn Euro zurückgeben. Ich fragte ihn, wieviel Geld er denn dabei gehabt hätte, wenn er zehn Euro verleihen konnte. Er war damals sieben Jahre alt und sagte nonchalant: "Einiges".
Frau Begünstigt ist nett und verbindlich. Sie geht mit ihrem Sohn und ihrer Tochter schwimmen und wirkt jugendlich. Jede Ritze ihres Hauses ist perfekt. Frau Begünstigt hat eine Tätowierung auf der linken Wade. Der Stil ihrer Kleidung passt weder zu ihrem Mann, noch zu ihrem Haus und auch nicht zu ihrem Auto. Letztens hat sie ihre Kinder in einem zyklamfarbigen Hausanzug abgeholt. Stöpsel Begünstigt war einmal bei uns zu Besuch, die Mutter schenkte uns selbst gemachte Marmelade und ein für Kinder geeignetes Buch über den Gebrauch von Internet. Ich möchte mit Frau Begünstigt Marmelade einkochen, aber gleichzeitig möchte ich, dass Tochter Begünstigt, die in der Garage mit dem Feuerzeug Luftpolsterfolie anzündet, gleich das ganze Feenhaus abfackelt. Ich ärgere mich über mich selbst, dass ich Frau Begünstigt zur Elternvertreterin gewählt habe, da sie dafür nämlich nichts tut, ausser wichtig dreinzuschauen. Zum Schulschluss wird sie Geld für ein Geschenk einsammeln. Meine Freundin hat mir erzählt, sie hätte sich einmal an sie als Elternsprecherin gewandt, worauf Frau Begünstigt zur Direktorin gesagt hätte, dass Frau XY ein Problem hätte. Das hätte meine Freundin Frau XY auch selbst tun können. Die Lehrerinnen sind dem Kind Stöpsel Begünstigt gegenüber sehr nett, wie mir meine Söhne immer überrascht erzählen, da sein Benehmen nicht unbedingt Nettigkeit hervorrufen muss. Am Jahresende finden die Sportspiele in der Schule statt, dann hängt der nette Herr Begünstigt den Kindern ein von ihm gesponserte Medaille um den Hals.
Gestern musste ich Einsicht in das Halbjahreszeugnis der großen Söhne nehmen. Während ich das tat, schlug sich der Rallyefahrer ein Cut über dem rechten Auge, weil er in der Schulhalle ausrutschte und mit dem Kopf auf eine Tischkante schlug. Frau Begünstigt holte Eis, um es auf die Verletzung zu legen und half mir mit Desinfektionsspray aus. Wieso passt bei denen nichts zusammen? Wieso mag ich die Frau und hasse das Kind? Wieso begehre ich den Mann und finde das Haus über alle Maßen unsexy? Was steckt hinter dem zur Schau gestellten Neu-Reichtum?
Mann Begünstigt ist nicht nur Schifahrer, sondern auch Radfahrer. Vielleicht ist seine Sportbegeisterung ja nicht seltsam (wieso arbeitet er denn nicht ununterbrochen, um das Geld anzukarren?) sondern der Grund für seinen Erfolg? Langer Atem einfach. Wie ein Insekt fährt er mit seinem perfekt professionellen bunten Helm und seinen muskulösen Beinen rasch auf der Superstrada. Ich kann nicht hinschauen. Das passt jetzt zum Haus. Die Kurve meiner Erregung stürzt ins Bodenlose. Nichts wie weg. Ich steige aufs Gas und brause an dem Wesen im stromlinienförmigen Raddress vorbei.
Der Rallyefahrer hätte deshalb so ein verheerend schlechtes Zeugnis, erklären mir seine Lehrer und Lehrerinnen, weil er sich nicht konzentrieren könne, da er damit beschäftigt sei, seine zahlreichen Verehrerinnen zu unterhalten. Libidinöse Zerstreuungen scheinen bei uns in der Familie zu liegen.

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