Donnerstag, 24. Februar 2011

Computerlogbuch Nummer 102

Schnee liegt auf den Bergen über Sant'Angelo, dem Dorf am einen Horizont. Am anderen Horizont ist das Meer. Der Rallyefahrer hat ein richtig blaues Auge und ich bin froh, dass er vor Zeugen gegen den Tisch gefallen ist, denn die zeitliche Koinzidenz des schlechten Zeugnisses und des Hämatoms unter und über dem Auge, hätte mir auch die Carabinieri ins Haus bringen können.
MM antwortet auf die Frage, ob ich eine Kiste mit etwa hundert leeren Fotofilmdosen wegschmeissen kann mit "Nein." Vielleicht möchte er einmal eine Skulptur basteln, eine Installation wie Nam June Paik, denke ich. Ich überlage, meinen Jugendfreund, den berühmten Fotografen anzurufen, und ihn um praktischen Rat zu bitten. Oder meine Freundin, die mich in psychologischen Dingen coacht.
Zum Glück habe ich ohnehin eine Hochphase, was Charakterstärke betrifft: der Rallyefahrer hat kein lautes Wort über sein Zeugnis gehört, nur einen langen Monolog zum Thema: "Die Entscheidung liegt bei dir." Das ist vielleicht auch seelische Grausamkeit, aber der Effekt auf den Elfjährigen war eine halbe Stunde tiefer Schlaf im Auto und beim Erwachen der Satz: "Ich habe mich entschlossen, zu lernen."
Also habe ich auch MM nicht gegen die Brust getrommelt, habe ihm nicht gesagt, dass er verrückt ist und mein Leben ruiniert, sondern habe mir einfach gedacht: "ICH transportiere diese Scheisskiste nicht." Ralph Waldo Emerson schreibt: "Once you make a decision, the universe conspires to make it happen." Normalerweise glaube ich nicht an universelle Konspirationen, aber es gefiel mir, dass unsere Organsation des täglichen Lebens sich dahingehend veränderte, dass MM an den nächsten beiden Tagen die Transporte übernimmt und seine leeren Filmdosen selbst ins Auto hebt und wieder auslädt. Meine Freundin sagt, man darf den Irren nicht ihren Wahnsinn rauben, sonst verlieren sie ihren Reiz. Ok.

Berlusconi telefoniert mit Gaddafi.
Am 6. April findet der Prozess gegen ihn statt. Wieviele Tage sind das noch?
Er wird nicht zurücktreten, er wird sich etwas einfallen lassen. Und hätte man bis vor wenigen Tagen noch gelaubt, das nur in Italien ein Politiker, der des Amtsmissbrauchs und der Prostitution Minderjähriger angeklagt ist, nicht zurücktritt, aber es könnte sich um eine Art Trendsetting handeln. Der deutsche Verteidungsminister muss auch nicht wegen seiner Cut&Copy Doktorarbeit zurücktreten, wenn Berlusconi es nicht tut. Vor ein paar Wochen ergötzte ich mich noch an der Vorstellung, Angela Merkel werde mit ein paar 16-Jährigen Boys im Bett erwischt und sie würde nicht gleich zurücktreten, sondern zuerst sagen, das sei alles nur linke Propaganda und dann: so lange sie lebe, werde sie eben Freude am Sex haben, so what? Heute bin ich mir nicht mehr so sicher, dass nicht auch das passieren könnte.
Es ist beängstigend, dass Menschen, die sich lieber nicht von einem Mann regieren lassen, der einer Minderjährigen 85.000 Euro gibt, wie sich der Chef der demokratischen Partei ausdrückt (endlich ein vernünftiger Satz von ihm!), als verklemmte Moralapostel hingestellt werden. Dass man über Sex im Alter und Schlüssellöcher spricht, statt über Lügen, Missbrauch und Korruption. Dass wir uns alle an das, was passiert gewöhnen.
Und es ist bestärkend, dass eine Million Menschen auf die Straße gehen, um zu sagen: "Es reicht". Auch wenn dann viele (darunter auch Regimekritiker) sagen: Ja, aber bitte es ist nicht die Straße, die unser politische Leben entscheidet, nicht "La Piazza" wählt eine Regierung. Nein, "La Piazza" wählt nicht, aber wie man an Tunesien und Ägypten sieht, kann die "Piazza" jedoch abwählen.

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