Freitag, 10. Juli 2015

Alle schreien immer

Allen voran ich, aber noch nicht in der Früh. In der Früh schreit Carolina, die Katze. Sie schreit den ganzen Schmerz ihres ungewöhnlich langen Katzenlebens gegen die Fensterscheibe, sobald es hell wird. Vielleicht verzeiht sie uns seit etwa 17 Jahren nicht, dass sie draußen leben muss. Sie kann nirgends mehr hinauf springen, aber damit der Hund nicht frisst, was sie fressen soll, wird ihr Fressen hoch oben aufgetischt und sie hinaufgehoben. Wenn man sie hochhebt, schreit sie ebenfalls empört und um vorauseilend bevorstehende Misshandlungen abzuwenden. Der Hund bellt auch gerne gegen die Fensterscheibe, aber erst, wenn er menschliche Bewegungen ausnimmt.

Wenn die ersten Menschen das Haus verlassen, kann man auch meine Stimme hören, mitunter, aber immer seltener. Ich bin irgendwie anders geworden, toleranter? Immer läuft jemand zurück, um Vergessenes zu holen. Seit Jahren, obwohl ich am Anfang geschrien habe.

Die Kinder und MM schreien sicher nicht in der Früh, sie sind eher stumm.

Dann bellt der Hund, wenn ich die Hühner aus dem Stall hole. Er findet es tagtäglich unglaublich traurig, nicht dabei sein zu können. Die Hühner schreien auch, auf ihre Art. Eine Zeitlang hat der Hund auch gebellt, weil er spazieren gehen wollte und bitte gerne mit mir. Er hat nicht verstanden, dass ich morgens Kaffee trinken und meine e-mails anschauen muss.

Jetzt ist es ihm zu heiß und er legt sich in den Schatten. Dann schreit mal lange keiner, außer die Nachbarin nach ihrem Hund: "Zora!"

Dann schreien die Schafe wie alte Männer, denen es das Herz zerreißt. Aber auch die sind gerade im Stall wegen der Hitze oder stumm geworden.

Am Abend schreien auch die Frösche und zwar ohrenbetäubend. Unglaubwürdig. Sie klingen wie Geräuschmacher in einem Tonstudio, die Hölzer einander reiben, so dass sie wie Frösche klingen. Und wenn man in der Nähe ist, vibriert das Trommelfell.

Meine Kinder schreien selten. Und eigentlich kaum aus Wut. Manchmal geben sie irgendwelche pienlichen Brunftschreie von sich. Ein Freund von mir hat wohlwollend bemerkt, dass sie nicht laut sind. Ich glaube, sie haben sich ergeben, gegen mich haben sie keine Chance. Aber irgendwie beunruhigt es mich.

Heute habe ich geschrien. Ich habe zum zweiten Mal innerhalb weniger Wochen die Ölwanne des Autos aufgeschlitzt. Ich habe geschluchzt und MM angerufen, um ihm mitzuteilen, dass ich nie wieder einen Fuß in dieses Auto setze. MM hat versucht, mir die Schuld am Leck in der Ölwanne zu geben und nicht der Straße, dem Auto oder dem Leben. Dann habe ich geschrien, dass mir die Stimme weggeblieben ist. Ich kann das eigenlich empfehlen, wenn man keine Stimme mehr hat, erinnert man sich, dass man so geschrien hat und dass das eigentlich ganz unnötig ist. Meine Kinder meinten, dass es mir vielleicht besser ginge, so ohne Stimme, aber nein, so war es nicht. Im Gegenteil, niemand hat sich wehgetan, es ist ganz und gar sinnlos, sich wegen einer kaputten Ölwanne das Haar zu raufen.

Aber traurig macht es schon.

Später habe ich dem Kind zugeraunt: "Was soll ich nur machen?" "Einfach weitermachen." hat er gesagt. Hab ich da einen Therapeuten großgezogen? Was das Finanzielle betrifft, so hat er mir bereits zehnmal sein gesamtes Erspartes  vermachen wollen. Er braucht auch nicht viel. Fernsehen will er und ab und zu ein Heftchen, das er ausgiebig betrachtet. Und Tagebücher braucht er viele und die sind teuer, denn sie sind aufwendig außen verziert und werden von ihm innen auch verziert. Wenn ich ihn davon überzeuge kann, daraus ein Business zu machen, dann sind meine Autoreparaturen kein Problem mehr.

Ich halte mich an die Anweisungen des Kindes und bereite eine Marillenmarmelade vor, mache eine Nektarinenmarmelade, schneide Nektarinen zum Essen auf, wofür mir alle dankbar sind, schneide Gurken zu Salat und Erdäpfeln und Paprikaschoten für Frittata. Das ist keine schlechte Therapie.

Gemeinsam mit MM trifft der Abschleppwagen ein. Das hat MM gut organisiert. Er hat den Mann, der uns das Auto verkauft hat, angeschrien. Wer weiß, wen der anschreit.

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