Donnerstag, 6. Dezember 2012

A christmas carol

Das Kind und ich warten darauf, dass die großen Jungs ihre Proben für die Weihnachtsaufführung absolvieren. Wir stehen in der Aula der Schule. Auf dem Boden wälzen sich zwanzig bis dreißig Mädchen ohne Musik, erst am Ende ihrer ungelenk wirkenden Bewegungen wird kurz die Musik eingespielt. Ein Musical , „Canto di natale“, „A Christmas Tale“ von Charles Dickens, das ich letztes Jahr nach Weihnachten mit großem Vergnügen gelesen habe. Das Kind schwitzt in der Hand, in der es seine nicht fertig gegessenen, ekelhaft schmeckenden, aber süchtig machenden Käseflips oder -flops verkrampft hält. Wir leiden. Ich starre die Verlobte aus dem Vorjahr an. Nie hat man erfahren, warum diese wunderbare pathetische und sehr theoretische Liebesgeschichte zwischen ihr und dem Rallyefahrer geendet hat, und er wird sehr unwirsch, wenn man darüber sprechen möchte. In Wirklichkeit ist es auch ganz egal, mir zumindest, ich denke nur manchmal, man müsste sich am Seelenleben seiner Kinder interessiert zeigen, was ganz und gar nicht zutrifft. Die großen Jungs sind in einem Zimmer versteckt und ab und zu kommt einer von ihnen extrem lässig und doch unlocker durch die Aula auf mich zugestapft, um Fluchtpläne zu besprechen. Erst der Rallyefahrer, der zum Fußball muss, dann der große Sohn, den die Panik befällt, ich könne ihn vergessen, während ich den Rallyefahrer zum Fußball bringe. Ich gebe ihnen das Kind mit. Der Rallyefahrer öffnet die Tür des Zimmers und schaut heraus, als wäre er der Direktor dieser Schule und ich eine wartende Bittstellerin. „Eine Minute!“ deutet er mir. Ich habe also die Freundlichkeit, zu warten. Das Kind hoffe ich, amüsiert sich in dem Zimmerchen bei den geheimen Proben mehr, als bei der Ansicht dieser traurigen stummen Ballettaufführung.

Die Musiklehrerin kommt an mir vorbei und sie sagt: „Complimenti!“ Einen Moment lang finde ich das ganz normal. Ich nehme an, sie macht mir Komplimente für mein Leben, dafür, dass ich Managerin dieser drei wunderbar aktiven Kinder bin und meine Nachmittage im Auto verbringe, ohne dabei zu schreien, dafür, dass ich einen Ofen beheize, weil uns das Geld für die Heizung ausgegangen ist, dafür, dass ich es in neun von zehn Fällen schaffe, die Kinder mit einem gewaschenen Dress zu ihrem Sport schicke, auch wenn sie dieses vorher föhnen mussten. Dafür, dass meine Kinder in neun von zehn Fällen ihre Hausübungen machen, also sagen wir mal, beim Rallyefahrer in fünf von zehn Fällen, aber dafür hat er andere Qualitäten. Seine Italienischprofessorin findet ihn sympathisch, zum Beispiel. Mir kommt das also nicht komisch vor, dass die Musikprofessorin mir „Complimenti!“ zuraunt und ich lächle freundlich. „Ihre Kinder singen wirklich gut!“ „Aber dann gilt das Kompliment ihnen!“ sage ich. Ich bin enttäuscht, aber ich muss ehrlich zugeben, dass wenn meine Kinder gut tanzen, singen und zeichnen, dann hat das ganz und gar nichts mit mir zu tun, wenn man von meiner Güte absieht, sie das machen zu lassen und wenn es sein muss, ausgiebig, denn ich selbst kann weder das eine noch das andere und zeichnen schon gar nicht. Außerdem muss man ihr überhaupt Komplimente machen, dass sie diese beiden Jungs dazu gebracht hat, den Mund aufzuklappen, und in ein Mikrofon zu röhren, denn sie sind ja dem Leben gegenüber verpflichtet, aus ihrem Mund ausschließlich das Wort „Nichts“ herauszuquetschen. Zumindest zu Hause, auswärts bereichern sie ihren Wortschatz eventuell mit Schimpfwörtern. Manchmal vergessen sie auch kurzzeitig, dass sie pubertieren und sind ganz nett. Diese Musikprofessorin also, hat bereits letztes Jahr den Rallyefahrer zu ekstatischem Flötespiel animiert, was mich lange Zeit denken ließ, sie müsse die Doppelgängerin der wohlgeformten Blonden aus CSI Miami, die mit dem milden Blick und dem ironischen Lächeln, sein. Weit gefehlt. Die Musiklehrerin schaut aus wie die Hexe aus dem Märchenbuch, sie hat zwar keinen Buckel, aber eine Warze auf der Nase. Ok, die Zähne sind ein wenig besser erhalten. Man muss aber gar nicht an eine Hexe denken, denn sie strahlt Energie und etwas aus, das man schwer benennen kann, vielleicht ist es Präsenz, vielleicht Engagement, Interesse, hm, möglichweise sogar Liebe. Sie lacht viel und hat dabei etwas verschwörerisches. Irgendwie hat sie es geschafft, sich mit meinen Kindern zu verbrüdern, die ihr zuliebe jetzt das Gespenst aus der Zukunft und aus der Vergangenheit singen. „Attento Scrooge!“

„Wir haben sie so bearbeiten müssen!“ sagt sie lachend und legt dem großen Sohn die Hand auf den Arm. „Das denk ich mir!“ sage ich, und frag mich, was hier vor sich geht. Eine andere energische Musiklehrerin mischt sich ein und erklärt mir, dass es ihnen vor allem darum ginge, die Jugendlichen, die besonders reserviert seien, dazu zu bringen, sich zu öffnen. Ohje, ich dachte, sie können singen? Offenbar hätten die Knaben dann eine Kommission (ich will jetzt aber nicht wissen, ob die Schulwarte in der Kommission waren, oder kompetentes Personal) beeindruckt. Was mich beeindruckt, ist, dass mein großer Sohn, der wirklich nicht für seine spontane Art bekannt ist, ein bezauberndes Lächeln im Gesicht hat, während die Hand der Lehrerin auf seinem Arm ruht. Und da beginne ich das Geheimnis der als Hexe verkleideten Fee zu erkennen. Sie hat die Kinder einfach ernst genommen. Nicht mehr und nicht weniger. Tutto qua.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen