Freitag, 26. März 2010

una sola parola: ahime

Zwei Tage hat mich einiges bedrückt. Ich dachte schon, ich muss hundert Fragen stellen. Aber das wäre eine ziemlich Arbeit gewesen: Wer? Was? Wie? Hä? Warum? In echt? usw. usw. Einmal werde ich das machen, aber nicht jetzt. Heute ist wieder Land in Sicht.
Das Kind im Auto auf der Fahrt zur Schule räuspert sich: "Glaubst du, sehen meine Schulkollegen morgens Zeichentrickfilme, bevor sie zur Schule gehen, ja oder nein?" "Nein!" lüge ich unerschrocken. "Doch!" schreit das Kind triumphierend. Aus meiner Brust will jetzt eigentlich der Wortschwall heraus, eine Art Wahlkampfrede gegen das Fernsehen, aber meine Stimme sagt nur belustigt: "Na sowas!" Ich muss eingepuppt sein, vielleicht werde ich ein Schmetterling (ein blauer, wie der aus Alice in Wonderland)
Der Rallyefahrer hat einen Film mit Bruce Lee gesehen und ist danach wie betrunken aufgekratzt, kommt nackt mit seiner Pyjamahose giggelnd aus dem Kinderzimmer und sagt, ich muss das Etikett aus der Hose schneiden. Ich muss immer alle Waschanleitungen aus den Hosen, Leiberln, Hemden schneiden. Ich sage: "Bring die Schere", das macht er aber in seinen Bruce Leeschen Allmachtsgefühlen nicht, sondern schneidet selbst ein Loch in die Hose, die er vor zwei Tagen als Ostergeschenk von einer Freundin bekommen hat. Ich habe mich noch nicht mal bedankt.
Dann muss er schlafen gehen, während seine Brüder noch drei Lieder vom Sanremo-Festival hören und sehen können. Manchmal findet MM etwas pädagogisch wertvoll, was im Fernsehen ist und nimmt es auf. Daher kennen unsere Kinder alle Lieder, die täglich mehrmals aus dem Radio dröhnen, auswendig. Zum Glück singen sie besser als ich. ("Sono un re matto, cambio spesso regole" - ich mache den verrückten König zu einem "re mattone" zu einem Ziegelkönig, was die Kinder sehr erheitert)

Auf unserer Baustelle ist die Treppe verfliest, wie mir mitgeteilt wird. Und es ist passiert, was vorauszusehen war: die Abrechnung des Obermaurers ist zu hoch ausgefallen und zwar, was die Instandsetzung der Mauern betrifft. MM schaut mich an, als ob es ausschließlich meiner Ekstase zu verdanken wäre, dass die Summe das doppelte ausmacht, als gedacht. Deshalb rächt er sich: er erzählt dem Obermaurer, er riskiere die Scheidung, weil seine Frau finde, er sei unfähig, die Arbeiten zu kontrollieren und wie sowas passieren kann. Ich sage: alle Achtung, das nenn ich aber wirklich Pirandello. Am Montag wird es eine Aussprache beim Architekten geben und dazwischen ist Eiszeit.
Und dann wird etwas überbleiben, was ich schon lange befürchtet habe: unser Haus wird keine Farbe bekommen. Zumindest nicht jetzt. Und wir reihen uns in das Gesamtbild der kalabresischen Häuser ein, immerhin ist unser Haus verputzt, viele Häuser sind nicht mal das. Die haben aber innen meistens goldene Türschnallen, das werden wir nicht haben, wenn wir überhaupt Türschnallen haben werden. Ich habe mich damit abgefunden, es ist mir eigentlich sogar egal. Ich werde doch ohnehin ein blauer Schmetterling und ich bin es jetzt so gewohnt, auf einer Baustelle zu agieren, dass ich gar nicht möchte, dass das Haus wirklich fix und fertig wird.

Heute war die Arbeit nicht mehr so schlimm. Ich werde bald für die nächste Arbeit weg fahren und ich möchte mich mit Händen und Füßen an einen Türstock klammern, um nicht weg zu müssen. Blöderweise haben wir im neuen Haus noch keine richtigen Türstöcke.

Ich habe Rilkegedichte vertont gehört und ich denke nun, dass es unter allen Worten nur eines gibt, das wirklich wichtig ist, und das ist: "Ach". Das gibt es auch auf italienisch, da heißt es: ahime, gesprochen ajme. Niemand sagt es je, außer intellektuelle Radiosprecher in ausgesuchten Texten. In der gesprochenen Sprache sagt man eher "minchia", was so viel wie "cazzo" heißt, was wiederum soviel wie Schwanz heißt, womit das männliche Geschlechtsorgan gemeint ist. Angeblich ist es nicht einmal besonders anstößig, weil es wie ein hmhm dauernd verwendet wird. Zumindest in Sizilien. Der Ökonomie halber sagt man einfach:"Miii", wenn einem etwas auf die Nerven geht oder: "ma che miii dici?", was redest du da für einen Scheiß?

ach ach ach ach ach ach ach schreibt La dattilografa mit ihren Möchtegern-Stenotypistinnenhänden. Hoffentlich geht alles gut. Auch bei den Wahlen am Sonntag.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen