Donnerstag, 11. März 2010

Kulturelle Fragezeichen

Der Tag beginnt nicht schlecht, die Sechsuhrnachrichten prallen an unseren ausgeschlafenen Gesichtern ab, wie der Regen an unseren Schirmen, die wir für 2-5 Euro bei den Chinesen oder Marokkanern kaufen. Geht einen Tag lang gut, dann wird's löchrig. Ist so. Das andauernde Chaos bei den Listen für die Regionalwahlen. Haha.
Meine Ruhe dauert eine Stunde. Dann bemerke ich, dass die Putzfrau meine Goldkrone weggeschmissen hat. Ich gebe zu, sie war in ein Taschentuch gewickelt. MM sagt höflich, dass ich Mitverantwortung trage. Um sieben Uhr morgens steigt mein Adrenalin schon so sehr, dass ich die Hände aufeinander schlage, was mir in letzter Zeit besonders gefällt, weil es ein Geräusch wie Ohrfeigen macht und schreie:"Wenn sie schon sonst nichts zusammenräumt, soll sie auch keine Taschentücher wegwerfen!" Die Kinder schauen erschrocken und schuldbewusst. Dabei habe ich mir doch so vorgenommen, sie nicht merken zu lassen, dass ich die Putzfrau hasse. Sie gehen nämlich sofort zu ihr und sagen: "Weißt du, meine Mamma ist sehr unzufrieden und regt sich in der Früh auf." "Was soll ich tun, sag mir, was ich tun soll" belle ich mit heiserer Stimme MM an. "Nichts, ab Montag soll sie nicht mehr kommen", sagt MM mit dieser stoischen Ruhe, die mir auch gleich wahnsinnig auf die Nerven geht. "Das geht nicht, denn wenn ich nicht da bin, was machst du dann?" frage ich ihn mit fast überkippender Stimme. So. Jetzt ist nämlich er schuld.
Mit geringer Abweichung in der Wortwahl geht es nun einige Minuten hin und her, mehr Zeit haben wir nicht, denn wir stehen mittlerweile vor den Autos und ich setze mich wütend und vor allem beschämt, dass ich mich so gehen lasse vor den Kindern, ins Auto, der Cholesterinspiegel ist sicher auf 1000, der Herzinfarkt rüstet sich. Höchstwahrscheinlich brauche ich die Goldkrone sowieso nie mehr, der Zahn ist ohnehin kaputt. Die Kinder schweigen vorsichtshalber. Der mutige Rallyefahrer wagt es: "Es tut mir leid, Mamma", zu sagen. Die Armen, es ist nicht leicht, eine cholerische Mutter zu haben. Nach der ersten Abgabe beim Schulbus denke ich, mit nur noch einem Kind im Auto, was mein männliches alter ego, der Supertyp mit den Jeans und dem weißen Hemd gemacht hätte. Bis jetzt weiß ich keine Antwort. Hätte er die Goldkrone von Anfang an an einen sicheren Ort gebracht? In seine Hosentasche? Oder hätte er die Putzfrau auf der Mülldeponie nach der Krone suchen lassen? Hätte er gesagt: sei's drum?

Im Lauf des Tages vergesse ich diese Niederlage, denn besseres steht ins Haus.
Doch dann schließt sich der Kreis und nach einer Meisterleistung an Organisation und einem berauschenden Besuch in der Zahnklinik in einem Ort, der sich wie das St. Moritz Kalabriens präsentiert, kehre ich nach vielen Kilometern am Meer, das sich gebärdet wie der Atlantik in unseren Ort zurück und bleibe vor einem Haus stehen, wo ich den Rallyefahrer vom Spielen mit seinem Schulfreund erlösen möchte. Das Haus ist recht dunkel, ich drücke auf irgendeinen Knopf an der Gegensprechanlage, wissend, dass im Haus nur eine Familie, wenn auch verzweigt, wohnt, tappe im Finstern nach einem Lichtschalter und weiß, dass nur mütterliche Gefühle mich so unerschrocken machen. Von oben ertönt eine wenig liebliche Stimme: "Chi è?" "Ich bin La dattilografa und hole das Kind", rufe ich. "Hä?" "Ich hole das Kind X, es ist bei Y." "Ja, ich sage es meiner Tochter." Über eine andere Art Gegensprechanlage sagt die Dame, dass jemand wegen der Kinder da sei. "Er kommt gleich!" sagt sie danach ungesehen in den Flur zu mir hinunter. Ich bin platt, die einzige Antwort, auf die ich gewartet habe, war "Kommen Sie rauf Signora!", da ich doch meine Existenz legitimiert habe. Hätte ich extra betonen müssen, dass ich die polnische, ukrainische, weißrussische Mutter des Kindes bin und nicht die polnische, ukrainische, weißrussische Babysitterin? Ich bin beschämt. Ich wollte mich doch bei der Mutter bedanken. Ich war doch schon auf einen Kaffee eingestellt. Ich wollte doch die kleinen Zwillinge der Mutter bewundern. Was habe ich denn falsch gemacht? Ich stehe im Flur "come un carciofo", wie eine Artischocke, in meiner Kindheit hat man gesagt: "Wie bestellt und nicht abgeholt." Das Kind kommt mit dem großen Bruder des einladenden Kindes. Ich sage, es soll seine Mutter grüßen. Ich glaub ich spinn. Die sitzt drei Meter über mir und lässt mich nicht hoch.
Das Kind im Auto will nicht alle Nintendo-Spiele preisgeben, mit denen es gespielt hat und versucht Konversation zu betreiben: "Du musst sicher aufs Klo, wenn wir zu Hause sind." "Wieso?"- "Weil du immer aufs Klo musst, wenn du eine längere Reise hinter dir hast." Das stimmt allerdings und ich habe wirklich eine längere Reise hinter mir und am Montag reißen sie mir vielleicht den Zahn, dabei sollte ich doch am Montag mit dem großen Kind einen Herzultraschall machen (der hat nämlich ein Flüstern auf dem Herzen, oder wie das auf deutsch heißen mag), und ich rufe ohnehin MM an und schreie:"Hilfe!" und nun habe ich zum Glück ein Kind, das sich Gedanken über meine Blase macht. Das läßt mich das irritierende Verhalten beim Schulfreund vergessen. Zu MM sage ich:"Mir ist etwas seltsames passiert." MM erkundigt sich auf distanzierte Art, wo das Kind eigentlich war und ob die Mutter zu Hause gewesen sei ("Ja klar, nur der Vater geht abends an verschiedene Orte", antwortet der Rallyefahrer im Pyjama) und sagt: "Ach so die, aber bei denen ist doch nichts normal." Das ist nett. Ich denke also nicht mehr darüber nach.

Unser Badezimmer ist fertig verfliest. Der Obermaurer fände es schön, das hätte er sich nicht erwartet. MM hätte ihm gesagt, schön dürfe es nicht sein, so hätte er es in seinem Bühnenbildstudium gelernt, schön dürfe es erst mit den Requisiten sein. "DU hast mir doch gesagt, ich soll mit dem Obermaurer nicht philosophieren, er würde das nicht verstehen." sage ich unglücklich zu MM, weil ich mir die Ratlosigkeit des armen Obermaurers vorstelle, der ein Bad schön verfliest und an die Zähne seiner Frau denkt. "Doch, das ist okay." sagt MM, "er kann mich für verrückt halten, aber nicht für blöd." Der Obermaurer träumt sicher von unseren weißen Fliesen ohne Schilfgras und ohne Bordüren, "wie man das heute so macht", während ich letzte Nacht träumte, dass der kleine Sohn Matrix-artig in einem Betonloch verschwand und anschließend, dass jemand das rosa Zimmer rosa ausgemalt hatte. Worüber ich sehr überrascht war.

Als ich dann endlich zu Hause wie propheziehen aufs Klo gehe, erschauere ich vor Wohlbefinden: da liegt die Zeitung, die über die korrupte Schweiz schreibt, mit einer Schokolade aus Gold auf dem Titelblatt und dem Titel: "La Svizzera fondente" und ich bin so froh, dass MM sich einen Film mit John Wayne mit den Kindern anschaut und nicht an bestimmte oder verschiedene oder gewisse Orte geht. Und dass bei uns, auch wenn nichts normal ist, eigentlich alles ganz normal ist.

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