Mittwoch, 9. März 2011

Trasferimento concluso

Im letzten Jahrhundert pflegte ich in einer Hand eine Zigarette, in der anderen ein Weinglas zu halten. Ich saß in der kleinen Küche der Mansardenwohnung von MM, der damals nicht mein Ehemann, sondern mein illegitimer Geliebter war, sah ihm beim Zubereiten einer Frittata zu, un sprach mit ihm über Kunst und Politik. Das waren die Abende. Morgens hat niemand meinen zukünftigen Ehemann je vor zehn Uhr an seinem Arbeitsplatz gesehen.

Heutzutage steckt mein Mann seine elektronische Stechkarte, Tesserino genannt, um acht Uhr in den Automaten, um sieben Uhr zwanzig nehmen die Jungs den öffentlichen Autobus in der 30 Minuten entfernten Kleinstadt und wenn das Kind mit mir um 7 Uhr 41 aus dem Haus geht, erreichen wir den Schulbus ohne Keuchen. Über Politik zu reden versuchen wir zu vermeiden, denn morgens heißt das garantiert Verspätung und abends beginnen wir die Stimmen zu heben. Wenn heftige Worte fallen, weiß der Rallyefahrer: ihr sprecht über Politik, stimmt's? Um über Kunst zu sprechen haben wir echt wenig Zeit, aber die Hoffnung, dass das alles wieder kommt, gibt es noch.

15 Jahre lang haben wir nach der Mansardenwohnung in einem Haus auf einem Hügel gewohnt, an dessen Fuß das Meer liegt. Zuerst hatten wir nur eine Ebene dieses Zwei-Familienhauses, später haben wir das obere Stockwerk dazugemietet und dort unser Büro eingerichtet.
Im Lauf der Jahre haben wir daran gedacht, das Haus zu kaufen, statt Miete zu bezahlen, aber der Vermieter wollte das Haus nicht verkaufen, sondern es einmal seinen Kindern vererben. Ebenfalls im Lauf der Jahre haben wir die Mängel der Bausubstanz des Hauses kennen gelernt und wollten es nicht mehr kaufen. Da wollte es der Vermieter plötzlich verkaufen, der Preis, den er sich für das Haus ausgedacht hatte, war so hoch, dass wir gar keine Ausreden erfinden mussten, weshalb wir das Haus nicht mehr kaufen wollten. Aber es war klar, dass wir eine andere Behausung finden mussten und es war klar, dass wir nicht mehr ein Haus mieten wollten, denn das Bedürfnis, Tomaten anzubauen und die Kinder draußen kreischen zu lassen, erforderte mehr als ein Haus, erforderte GRUNDBESITZ! Nach mehr als einem Jahr frustrierender Suche haben wir gefunden, was zu uns passte, haben uns von der Bank für den Erwerb desselben Geld ausgeborgt und anschließend das Haus auf unserem Stück Land fertig gebaut, bzw. renoviert. Im August letzten Sommers hatten wir keine Geduld mehr, zwischen altem und neuem Haus hin und her zu pendeln, haben die Kinderbetten ins einzig fertige Zimmer gestellt, unser eigenes Bett auf den Zementboden und haben behauptet, wir wohnen jetzt hier. Nach und nach haben wir lebensnotwendigen Besitz hierher gebracht. Im alten Haus arbeitete ich weiterhin im Büro. Mitte November schloss ich eine Arbeit ab und widmete mich ab diesem Zeitpunkt dem echten und wahren Auszug. Beinahe täglich ordnete ich Besitz in Kisten und transportierte diese mit dem großen Auto hierher. Seit Mitte November haben wir mindestens vier Mal pro Woche ein Auto voller Kisten ausgeladen. Seit dem Sommer müssen wir überschlagsmässig hundert Autos ein- und ausgeladen haben. Wir konnten den Umzug nicht an einem Wochenende oder binnen einer Woche machen, da wir im neuen Haus nicht die Unterbringungsmöglichkeiten hatten. Wohin mit 300 Bücherkisten, wenn der Boden nicht verlegt ist? Wohin mit der Bekleidung von 5 Menschen, wenn es keinen Kasten gibt? Wohin mit dem Inhalt von zwei Garagen, wenn die neue Garage noch mit Bauschutt voll ist? Amerikanische Internet-Seiten hätten uns strukturierteres Arbeiten empfohlen, but we did it anyway: Unser altes Haus ist seit zwei Wochen LEER. LEER. LEER. So, dass es hallt, so, dass der Boden glänzt. MM hat alle Löcher an der Wand, an denen unsere Regale befestigt waren, vergipst, in letzter Minute hat er sogar noch Fahrradhäken abmontiert.
Die Kinder sind durch das leere, hallende und vor Sauberkeit blinkende Haus gelaufen und haben sich gewundert, dass ihre Betten in einem so kleinen Zimmer Platz hatten. Das einzige, was an uns erinnert, sind einige Spider-Man Aufkleber an einer Wand, die nicht mehr zu entfernen waren. Und mein geliebter, sonnenenergiebetriebener Warmwasserspeicher, den ich nolens volens auf dem Dach lasse. Der Vermieter will ihn zwar finanziell nicht ablösen, aber wir wollen auch keinen Installateur bezahlen, der ihn dort abbaut und hier wieder aufbaut, zumal die Sonnenkollektoren älter als 10 Jahre sind und wie man mir versichert, eventuell nicht mehr lange funktionieren.

An einem Nachmittag letzter Woche, nachdem wir schon einen Satz Schlüssel abgegeben hatten und nur noch Sachen in der Garage hatten, holte ich die Kinder von der Schule und lud mit ihnen in fretta e furia, wie man hier sagt (muss so was heißen wie in rasender Eile) eine Autoladung voller Krims Krams ins Auto: Taucherflossen, Teppichklopfer, Keimautomaten für Sprossen. Mit einem Ohr hörte ich ein entferntes Geräusch wie Wasserrauschen, vielleicht war die Spülung im oberen Klo endgültig kaputt gegangen. Ich hatte keine Zeit und keine Lust, auf die Terrasse zu gehen und nachzuschauen, alles war schon abgeschlossen.
Zwei Tage später kam ich morgens, um eine möglicherweise letzte Fuhr von alten Flaschen und anderen Objekten für mögliche zukünftige Skulpturen meines künstlerisch ambitionierten Ehemanns zu holen und da war wieder das Geräusch - diesmal war es an der Zeit zu handeln. Ich lugte aus dem Klofenster auf die Terrasse im oberen Stockwerk und stürzte sofort auf dieselbige. Aus einer Dichtung der Leitung, die zum Warmwasserspeicher auf dem Dach führt, spritzte energisch Wasser gegen die Wand, der Boden war noch mit Eichenblättern bedeckt (Ich dachte, du hättest hier auch geputzt, sagte MM und zog sich meinen ewigen Hass zu) und nass. Ich schloss den Hauptwasserhahn und rannte nach unten. Was ich befürchtet hatte, war Wirklichkeit: Von der Decke tropfte Wasser auf den Boden im Badezimmer, im Vorzimmer und besonders aus einer Elektroverteilstelle war das Wasser auf den Boden geronnen. Wie üblich griff ich zum Telefon. Ich befahl meiner Stimme, nicht zu zittern. Ich dachte, ich hätte keinen Kubikmeter Putzfetzen mehr, die ich zum Aufwischen der Wassermassen benötigte. MM war cool, er stand ja auch nicht im Wasser. Kannst du nicht mit dem Besen das Wasser in den Garten kehren? fragte er. Zum Glück war der grobe Besen noch da und nach einer halben Stunden Fegen war das Wasser draußen. So viel war es dann auch nicht, dachte ich. Warum ich die Tür zum ehemaligen Kinderzimmer öffnete, weiß ich nicht, vielleicht wollte ich das Fenster öffnen, damit der Boden schneller trocknete. Da habe ich etwas über das Gefälle dieses Hauses gelernt: das Wasser war unter der Tür durch ins Kinderzimmer geronnen. Ein Brocken aus Müdigkeit, Panik, Verlassensein wollte aus meiner Brust in meine Kehle, ich wollte Schluchzen, ich sah mich auf der Anklagebank sitzen, der Richter sagte zu mir: "Sie haben absichtlich das Haus ihres Vermieters verwüstet, weil er ihnen die Sonnenenergieanlage nicht ablösen wollte, stimmt's? Dafür zahlen sie jetzt den gesmaten Kaufpreis des Hauses, HAHAHA!" Ich begann das Wasser aus dem Zimmer ins Vorzimmer und dann in den Garten zu kehren. Ich dachte an die zenbuddhistischen Mönche. Als mir schon sehr heiß geworden war, dachte ich, zwanzig Mal noch, dann ist es draußen. So war es. Ich war froh, dass wir nicht mehr in dem Haus wohnten, wir hätten ausziehen müssen. Wasserschäden in einem leeren Haus sind praktischer. Die Sonne schien und der Boden trocknete rasch. Da ich bereits in Schwung war, schob ich auch noch ein paar Liter sich dort stauendes Regenwasser aus der Garage und hob zwei mumifizierte Mäuse in den Müllsack. Sie hatten, wie ich sehen konnte, eine rote Schaumstoffrolle zum Schwimmen im Meer halb aufgefressen. MM überlegt, ob wir diese Schaumstoffrollen jetzt als Mäusegift vermarkten.
Ich habe den Tag als schrecklichsten meines Lebens verbucht. Danach habe ich mit der Ausrede, dass Fasching sei, den Kindern täglich Popcorn gemacht oder sie mit Chips und Cola abgefüllt. Beim ersten Mal haben wir offiziell auf den Auszug aus dem alten Haus angestoßen, die anderen Male habe ich es niemandem gesagt, aber ich habe mir mit Prosecco zugeprostet und mir versichert, wie froh ich bin, nicht mehr hinfahren zu müssen, nichts mehr ein- und ausladen zu müssen und all mein Zeug hier zu haben, auch wenn ich im Moment nicht weiß, in welcher Kiste genau.

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