Montag, 21. März 2011

Freitags Fisch

Was der Rallyefahrer gar nicht leiden kann, ist, wenn ich mich aufrege. Über ihn sowieso nicht, aber auch nicht, wenn ich mich über was anderes echauffiere. Einmal flog ich mit den Kindern in die nördlicheren Gefilde unseres Kontinents und blöderweise ging die Fluglinie gerade in Konkurs, was unsere Reise zu einer ziemlichen Strapaze machte. Als wir nach einem harten Tag und vielen vielen Stunden auf dem Flughafen von Neapel um ein Uhr morgens auf einem Flughafen ankamen, von dem aus wir mit einem Bus auf einen anderen Flughafen gebracht werden sollten, erklärte mir der Busfahrer, er werde nicht gleich los fahren, sondern auf die Fluggäste eines Flugzeugs warten, das erst landen müsse. Ich holte Atem und schrie. Ich deutete auf die Kinder. Die blickten beschämt zu Boden. Der Fahrer wartete auf die anderen Fluggäste. Ich war heiser. Der Rallyfahrer sagte: Ich mag nicht, wenn du herumschreist. Ich dachte, ich wäre mutig und würde meine Kinder durch meinen Überschuss an Zivilcourage beeindrucken. Ob ich da also übers Ziel hinausgeschossen habe oder ob meine Kinder schreiende Mütter nicht so toll finden, weil für sie auch Frauen mit Muskeln nicht toll sind und Linda Hamilton in "Terminator" nicht so großartig, wie für mich, ist mir noch immer nicht klar.

Aus diesem Grund erfahren wir von vielen Dingen, die in der Schule geschehen, nichts. "Ihr geht dann in die Schule und regt euch auf." sagt der Rallyefahrer zu MM. Dass ich mich auch darüber aufregen werde, dass er freitags in der Schulmensa ein trockenes Panino und einen Apfel isst, hat er wohl nicht angenommen und es mir unschuldig erzählt.Freitags gibt es nämlich Fisch in der Schulmensa. Den isst der Rallyefahrer nicht. Die Abneigung gegen Fisch teilt er sicherlich mit vielen Schulkollegen, aber die essen dann vielleicht Minestrone als Primo, die isst der Rallyefahrer auch nicht. Ich gebe zu, dass ein Kind, das Salat nur mit Salz isst (den angebotenen, mit Essig und Öl gewürzten Salat muss er zwangsläufig verschmähen), Pasta nur mit Tomatensauce oder Hülsenfrüchten, aber nicht mit Gemüse und keine Art Käse oder Fisch (außer in Fischstäbchen versteckt), in einer Schulmensa nicht die besten Karten hat, aber dass es regelmäßig nur Brot und Obst isst, rechtfertigt die Existenz einer Mensa auch nicht. Ich muss also etwas tun, sage ich mit so wenig bebender Stimme, wie möglich. Ich greife wieder einmal zum Telefon. MM, was soll ich tun, soll ich die Elternvertreterin, Frau Begünstigt, fragen, soll ich die Mensa anrufen, soll ich die Schuldirektorin behelligen? Alle drei, sagt MM. Ich lege los. Frau Begünstigt wirft sich ins Zeug. Sie wird mit den Mädels aus der Mensa reden, damit sie eine Alternative für den Rallyefahrer anbieten (da fällt mir auf, dass ich gehofft habe, jemand würde mit mir gemeinsam gegen den katholischen Fischterror zu Felde ziehen, aber nein). Die Mädels in der Mensa wüssten ja nicht, was gegessen wird und was nicht. Eben. Ich sage, ich werde die Direktorin anrufen, was ich dann aber vergesse, verschiebe und jedenfalls nicht tue. Da ruft sie wieder an. Sie hätte mit der Direktorin gesprochen, welche ihr gesagt habe, sie solle mir sagen (sie selbst sähe mich ja nicht, da ich meine Kinder nicht selbst in die Schule bringe - Unterton?), ich solle am besten ein ärztliches Attest bringen, welches betätige, dass mein Sohn allergisch auf Milchprodukte und auf Fisch sei, damit die Mensa sich nicht aufregen kann. Ich möchte etwas sagen, aber meine vielen Jahre Lebenserfahrung lassen dieses etwas in meiner Kehle ersticken und nur "Danke!" herauskommen. Ich öffne die Tür zur Terrasse und sage in verhaltenem Ton, damit der Hund nicht zu bellen beginnt: "Ich hasse euch, ich hasse euch alle."

Ein paar Tage später sehe ich Frau Begünstigt vor der Schule. Sie strahlt mich an. An ihrem Hals hängt ein interessantes, modern geformtes silbernes Kreuz. Stöpsel Begünstigt trägt eine beeindruckend große Zahnregulierung, die sich um seinen kleinen Kopf spannt. Das machen sie bestimmt, damit er einmal so schön wird, wie sein Vater. Oder damit er keine Schimpfworte mehr sagt. Ich gestehe ihr, dass ich noch nicht zur Kinderärztin gelaufen bin, aber nicht, dass ich es hasse, falsche Atteste ausstellen zu lassen. Dass es nicht meinem Lifestyle entspricht. Dass ich lieber in Hungerstreik gehen würde, als dieses System zu unterstützen, das mit kleinen Lügen beginnt und mit erpressten Attesten für die Frühpension endet.
Aber als der Rallyefahrer am darauffolgenden Freitag wieder ein trockenes Brot und eine Mandarine zum Mittagessen bekommt, denke ich, dass der Besuch bei der Kinderärztin vielleicht doch der schmerzloseste Weg ist.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen