Dienstag, 27. März 2012

Die zweite Rückkehr des Obermaurers

Zwei Dinge müssen vorausgeschickt werden: erstens - manche Leute kommen einfach immer zum falschen Moment, andere haben ihren Auftritt immer im richtigen Augenblick. Zweitens: Ich glaube, dass mein Freund, der Schriftsteller sich freuen wird, wieder etwas vom Obermaurer zu lesen.

Ich sitze ja hier auf meinem Elfenbeinhügel und mache komische Sachen und wenn ich rausgehe, überstürzen sich die Ereignisse. Am Dienstag ist break-dance-Tag und ich muss die Jungs von der Schule abholen und dorthin bringen, das macht Giuseppe, der nette Schulbusfahrer, der heute morgen wilden Spargel für uns gesammelt hat, einfach nicht. Ich fahre den Hügel runter und höre, wie mein Freund Christoph Waltz auf einer CD "Eine kurze Weltgeschichte für junge Leser" von Ernst Gombrich liest, und Christoph Waltz ist wirklich mein Freund, genauso wie der Schriftsteller, nur ist es schon ein paar Jahre her, dass ich mit Christoph Waltz Whisky (damals ganz ohne Kim Basinger) getrunken habe, während ich den Schriftsteller wieder gefunden habe und im letzten Sommer mit ihm Weißwein getrunken habe. Da komme ich an der ersten Todesanzeige vorbei. Hier in Süditalien ist es nämlich so, dass die Toten ziemlich rasch verscharrt werden und wenn sie den letzten Atemzug machen ist bereits ihre Todesanzeige in Druck. Das scheint am heißen Wetter zu liegen, dass das hier alles so schnell geht. Ratz fatz, kleben die Todesanzeigen auf den Mauern. Scheiße, nichts zu machen. Der Vorbesitzer unseres Hauses ist gestorben.

Der war aber nicht alt.

Ich hatte wenig mit ihm zu tun, ich habe ihn nur einmal gesehen, aber ich lebe mit dem, was er geschaffen hat, mit all den feinsinnig angelegten Obstbäumen, mit den Zitrusfruchtbäumen, die so reifen, dass wir vier Monate im Jahr Mandarinen und Orangen essen können. Mit den 28 Olivenbäumen, die uns in diesem Jahr 40 l Öl gebracht haben und den paar Weinstöcken, die 100 l Wein produziert haben. Fuck!

Ich habe mehr mit seiner Frau zu tun gehabt, in deren Haut ich jetzt nicht stecken möchte. Sie hat erzählt, damals, als wir den Kaufvertrag unterschrieben, dass es ihrem Mann jetzt gut ginge, denn dort, wo sie jetzt lebten, in der Nähe von Rom, könne er einen Garten bestellen und Tiere halten. Davor hätten sie diese Möglichkeit nicht gehabt und ihr Mann sei eingegangen wie ein Blümchen ohne Wasser. Sie waren nach Rom gegangen, weil er als Autobuschauffeur hier keine Arbeit mehr hatte, oder weil die Kinder nicht mehr hier leben wollten, ich weiß es nicht genau, aber das Haus, in dem wir jetzt leben, und das wir verändert und ausgebaut haben, stand seit mehr als siebzehn Jahren leer.

Ich wusste, dass er krank geworden ist und ich habe befürchtet, dass er sterben wird. Alle sterben wir, manche einfach zu früh. Lucio Dalla, Antonio Tabucchi und jetzt Peppino. Ich drehe Christoph Waltz ab. Ich fühle mich schuldig, obwohl ich weiß, dass ich ihm sein Haus nicht gestohlen, sondern für einen Haufen Geld abgekauft habe. Den Haufen Geld hat die Bank freundlicherweise auf das Konto seiner Frau überwiesen, während wir es in vielen Jahren zurückzahlen werden.

Ich versuche immer zu lächeln, wenn ich diesen Hügel hinunter fahre, denn ich begegne vielen Menschen und meine Reaktionszeit ist lange und um nicht unfreundlich zu wirken, lächle ich vom Anfang bis zum Ende, was mir heute unpassend scheint. Ich begegne dem Sohn des Obermaurers, der mich mit ausdruckslosem Gesicht grüßt, was heißt, das seine Hand sich leicht nach oben bewegt. MM hat mir versichert, dass er ein ganz lieber Mensch ist und ich will es ihm glauben, aber ich bin mehr fürs Direkte, und auf der Superstrada, auf der ich recht verwirrt und ein wenig unglücklich dahin fahre, kommt es, in Form des Vaters des Sohns des Obermaurers. Da fährt er he himself in seinem Fiat Fiorino, den er schon vor zwei Jahren hatte und anständigerweise hat er trotz der Unsummen, die wir ihm bezahlt haben, kein neues Auto gekauft, um es ostentativ zu fahren, es sind wahrscheinlich die Zähne, die seine Frau dezent im Mund verteilt hat, in die mein hart erarbeitetes Geld geflossen ist.  Das ist mir in diesem Moment aber ganz egal, was zählt ist, dass er da vorbei fährt, mit diesem Lächeln zur Begrüßung, mit diesem Bart, den er schon seit ein paar Tagen nicht rasiert hat und vor allem, dass er immer noch nicht gestorben ist, obwohl er sein Herz nicht operieren ließ. Als er vor zwei Jahren bei uns arbeitete, sagte er: in drei Monaten OP und ich dachte, na hoffentlich schaffen wir das mit den Arbeiten. Nein, seine Herzklappe ist immer noch seine und nicht die von einem Schwein, die viel besser wäre als seine. Sein Auto ist gleich und sein Lächeln ist gleich. Ich erinnere mich an die vielen Gespräche, die wir vor zwei Jahren auf unserer Baustelle führten und dass ich dann böse auf ihn war, weil ich so viel Geld zahlen musste und keines mehr hatte. Ich erinnere mich an eine Phase, als wir hier einzogen und ich mir mehrmals vorstellte, ich würde im Regen mit dem Gesichtsausdruck von Robert de Niro in Cape Fear vor seiner Haustür auftauchen und ihm eines meiner Küchenmesser ins ohnehin bereits angeschlagene Herz jagen. Das war, als der Kanal verstopft war. Ich erinnere mich aber auch, dass er vor mehr als einem Jahr, als der Sturm uns das Dach vom Kopf wehte, mit Mirko kam und sich über das Dach warf, um es festzubinden. Ich denke bei jedem Sturm daran und es gab einige. Das Haus ächzt und knackt, aber das Dach ist nie mehr weggeflogen. Seitdem er sich im Sturm auf das Dach gelegt hat, ist auch MM nicht mehr böse. Damit hat sich eine Situation bereinigt, die damit begonnen hat, dass alle sich suspekt waren (ich halte den Obermaurer für einen Verrückten, möglicherweise für einen Zeugen Jehovas), eine Zeit der Übereinstimmung erlebt haben (der Obermaurer kletzelt an unseren Steinwänden herum), welche dann Stück für Stück in Misstrauen umschlug (help, wo ist die Abrechnung!), was oft so ist, wenn es um Geld geht. Dann schmeißt sich der OM im Notfall ins Zeug, ergo aufs Dach und unsere Bauchmuskeln entspannen sich  wieder, die Küchenmesser werden in die Lade gelegt.
Mirko ist in Turin und macht irgendwas beim italienischen Heer. Er fehlt mir. Ich erinnere mich an die Rettungsaktion meines Autos, das ich den Graben runtergefahren habe, und ich weiß, dass wer ein paar Maurer im Haus hat, sein Auto sonst wo runtertreten kann, die holen es immer wieder rauf. Nein, nicht alle Maurer sind so, einer unserer Nachbarn, ebenfalls ein Maurer, ist anders, aber das ist auch eine andere Geschichte.

Meine heutige Geschichte endet aber so, dass sich das Lächeln des herzkranken Obermaurers über alles stellt, vor allem über den Tod.


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