Sonntag, 4. September 2011

Zeit des Feuers

Italien ist ein Land der Pyromanen. Ich stehe dem skeptisch gegenüber, aber ich werde das Thema studieren und dann den Gegenbeweis antreten, denn es kann nicht sein, dass 98 Prozent aller Brände absichtlich gelegt wurden.
Seit drei Monaten regnet es nicht und wir sind an die permanenten Rauchwolken gewohnt. Unser Hügel, auf dem sich drei Ortsteile befinden, ist verkohlt und kokelt vor sich hin.
Heute nacht standen wir hinter dem Haus und beobachteten die meterhohen Flammen auf dem Brachland hinter unserer kleinen Straße. Ich hatte Angst. Ich rief den Nachbarn an.
Dann kam zuerst die Frau des Nachbarn, die Tochter mit dem Vierjährigen, der Sohn, sowie die Frau, die zum Abendessen zu Besuch war. Das fand ich tröstlich. Der Vierjährige hatte ein Spinnennetz in seinen Kopf frisiert oder in seine Frisur eingeschnitten. Das lenkte mich davon ab, mir zu überlegen, was passiert, wenn die Funken auf die Eiche fallen und von dort das Feuer weitergeht. Sicherlich hatte der Nachbar von oberhalb, dem das Land gehört, schon die Feuerwehr gerufen. Dann begannen seine Bohnenstangen zu brennen. Die sechzehnjährigen Zwillinge kamen auch noch angerannt. Die Menschen unter zwanzig giggelten vor Aufregung, nur mein Kind begann zu heulen. Das habe ich sehr menschlich an ihm gefunden. Wir gingen ins Haus und ich wusch Geschirr ab, da unsere Geschirrspülmaschine kaputt ist, aber das ist ein anderes Thema. Ich hieß das Kind Schuhe anziehen und hängte mir meine Tasche mit der Geldbörse und dem Notizbuch um. So wusch ich das Geschirr ab. Rauch war im Haus und man hörte das Feuer oberhalb von uns prasseln. Das Kind wollte wieder in Gesellschaft, es glaubte nämlich nicht, dass wir in dieser Nacht noch woanders hin gehen müssten, weshalb ich gezwungen war, mit einer Tasche an der Schulter Geschirr zu waschen. Ich hoffte, dass er recht behielt. Die Flammen hatten sich in der Zwischenzeit angenähert und hatten sich danach ihren Weg nach oben durchgfressen. Als die Flammen sehr nahe waren, hatte MM doch die Feuerwehr angerufen und erfahren, dass in drei Oststeilen unseres Orts bereits Feuerwehr zugegen war. Ich stieg auch wieder aus dem Fenster. Der Nachbar war nun höchtspersönlich da: "Dass wir uns immer diesen Schrecken mit dem Feuer holen müssen, das bleibt uns nicht erspart!" sagte er vertraulich. Wir hatten schon vor ein paar Monaten ein paar aufregende Stunden an genau diesem brennenden Ort verbracht, damals hatte ich die Feuerwehr angerufen. Ich war mir ein wenig hysterisch vorgekommen, aber besser pathologisch als tot.
Ich habe gelernt, dass eine Straße das Feuer abhalten kann und dass bebautes Land dem Feuer Feind ist. Und dass ich meine Dokumente nicht unbedingt in einer feuerfesten Box speichern muss, wie die Frauen der amerikanischen websites, die ich lese, da alte Steinhäuser nicht so leicht niederprasseln wie eine Blockhütte.
Ein Teil unseres Landes ist nicht bebaut und ich möchte sehr gerne dort das vertrocknete Gras abmähen oder mit dem Gartenschlauch ein bisschen spritzen, was ich aber niemandem sage. Kosmetik würde man das wahrscheinlich nennen. Heute morgen, als MM und ich einen Fernseher kaufen gehen (der alte war schon länger kaputt als die Geschirrspülmaschine), sehen wir die Feuerwehr an einer anderen Brandstelle geparkt. Rauch überall. Der Feuerwehrmann beim Auto sieht extrem gut aus. Der hat nicht die ganze Nacht mit dem Feuer gekämpft, denke ich, während MM von einem 24 Stunden Dauereinsatz fantasiert. Aber er war sicher auch nur die halbe Nacht hinter dem Haus, weil er auf das Löschflugzeug gewartet hat. In Wirklichkeit ist es nämlich so, dass die Feuerwehr das Feuer erstmal beobachtet. So lange kein Haus in Gefahr ist, greifen sie nicht ein. Deshalb musste ich nach meiner Rückkehr aus der großen Stadt auch sehen, dass die wunderbare Carruba, der Johannisbrotbaum auf meinem Weg, dort wo ich immer in den zweiten Gang schalten muss und wo ich immer an einem bestimmten Freund denken muss, welcher unter dem Baum sicherlich ein Foto vom Meer gemacht hätte, verkohlt auf dem Boden liegt.

Auch die Nachbarn fragten sich heute Nacht, wer so was anzündelt. Ich glaube ja noch immer, dass Dummheit die ärgste menschliche Perversion ist, aber vielleicht irre ich mich.
Die Natur wird jedenfalls in wenigen Wochen schon den schwarzen Boden mit intensivem Grün bedecken. Ich betrachte besorgt den Rauch unterhalb von uns und möchte das Haus nicht verlassen. MM erklärt mir, dass der Garten des Nachbarn Vincenzo und der Garten unseres 92-Jährigen Nachbarn das Feuer abhalten werden. Ich will es glauben.

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