Dienstag, 19. Dezember 2017

Ti regalo una rosa

Mein Titel hier ist der Titel eines Liedes von Simone Cristicchi, das 2007 beim italienischen Liederfestival in San Remo gewonnen hat. Es erzählt von einem Brief, den ein alter Mann, der 54 Jahre in einem Irrenhaus lebte, an seine Geliebte geschrieben hat. Schreiben würde, geschrieben hätte, ich weiß es nicht. Eigentlich heißt es: Ti regelerò una rosa. Ich werde dir eine Rose schenken. Ich muss seit gestern dauernd an das Lied denken, es schwirrt durch meinen Kopf.

In der nun folgenden kleinen Geschichte geht es um einen Jungen, der meinem Sohn eine Rose schenkt. Mein Sohn ist der einzige Beweis für mich, dass sich die Gesellschaft in den letzten 35 Jahren weiter entwickelt hat, denn mein Sohn wusste mit 15 Jahren, wen er begehrte und was er machen wollte. Hätte ich das in seinem Alter gewusst, dann hätte ich es garantiert nicht meiner Mutter erzählt. Aber mein wunderbares Kind, Ex-Tänzer, Ex-Harfespieler, Ex-Reluctant-Fußballer ist zu einem langbeinigen Herzensbrecher mit perfekt reguliertem Gebiss (dessen Geschichte hier in zahlreichen Einträgen, die nach endlosen Fahrten in die Zahnklinik entstanden sind, nachzulesen ist) und Bartanflug geworden.

Am Sonntag fragt er mich, was ich antworten würde, wenn mir jemand ein Geschenk machen wolle und ich wolle das nicht und der andere würde wissen wollen, warum nicht. Perchè? Ich schaue lange aus dem Fenster. Ich antworte: Du könntest sagen, es bedarf keiner Geschenke.
Er gibt einen Laut zurück, der mir signalsiert, dass ich nicht den Punkt getroffen habe.
Ich versuche es noch einmal: Du könntest sagen, es gibt keinen Grund, es gibt kein Perchè, du möchtest es einfach nicht.
Komischerweise wird das akzeptiert.

Ich denke nicht weiter über diese Episode nach, ich habe mich in den letzten 2 Jahren so ausgiebig mit Ringen und Geburtstagen und stundenlangen monotonen nächtlichen Telefonaten aufhalten müssen, dass ich über jede Beziehungskrise meiner Söhne, über die ich nicht informiert werde, dankbar bin.

Aber dann steigt das Kind gestern mit einer Rose aus dem Autobus, er hält sie in der Hand und schaut unangenehm berührt. Aber er hat sie nicht weggeworfen.
Ein Junge aus seiner Schule ist zu ihm in die Klasse gekommen und hat ihm, vor allen anderen, diese riesige rote Rose geschenkt. Aber mein Sohn empfindet nichts für ihn.
Der Junge hat meinen Sohn gefragt, ob er ihn umarmen wolle. Mein Sohn antwortete, dass er ihn nur wie einen Freund umarmen könne. Daraufhin hat der Junge gesagt, dann wolle er keine Umarmung und er hatte Tränen in den Augen. Ein paar Mädels aus der Klasse haben ihn dann umarmt. Zum Trost.

Ganz abgesehen davon, dass ich mich frage, was das für öffentliche Umarmungen zwischen zwei Jungs sein sollen, die über die Freundschaft hinausgehen, rührt mich die Vorstellung, dass ein Junge, der vielleicht auch 15 oder 16 ist, einem anderen eine Rose gibt. Er muss entweder verrückt sein, oder mutig. Vielleicht hat das eine mit dem anderen zu tun.

Ich sage: Ist aber mutig von ihm, oder ist er dumm?
Nein, er ist nicht dumm, antwortet mein zerknirschter Sohn. "Was soll ich tun, wenn ich nichts spüre, wenn ich an ihn denke?"
Der Junge hat ihn am Vortag gefragt, welche CD von Taylor Swift mein Sohn nicht besitzt, um ihm diese zu kaufen. Vor meinem inneren Auge eilt ein Junge in einen Multimediastore, wie ich annehme dass die Läden heute heißen, die zu meiner Zeit Plattengeschäfte waren. Dort gibt er sein Taschengeld für eine CD von Taylor Swift aus, um meinem Sohn eine Freude zu bereiten. Warum bewegt mich dieses Vorhaben so?

Als ich noch ein Vorschulkind war, sang mir meine Mutter manchmal ein Lied vor, in dem ein junger Mann seiner Geliebten ein Edelweiß pflücken wollte, auf einen Berg stieg, abstürzte und tot war. Ich war dabei sehr ergriffen und schluchzte in die Kleiderschürze meiner Mutter. Manchmal bat ich sie sogar, mir das Lied vorzusingen, weil ich Rotz und Wasser heulen wollte.

Ich habe aber noch nie über jemand anders weinen müssen, der bei einem Bergunfall ums Leben gekommen war. Es geht um die Liebe, die uns dazu bringt, unfassbare Dinge zu tun, auf Berge zu steigen, in Plattengeschäfte zu gehen, Playlists zu gestalten, Briefe zu schreiben, Rosen zu kaufen. Sich auszuliefern, Geständnisse zu machen, sich öffentlich zu blamieren. Die Liebe macht uns mutig, anders kann es nicht sein.

P.S.: Ich habe mir überlegt, ob diese Episode aus dem Leben meines Sohns zu privat ist, um so zugänglich gemacht zu werden, aber erstens hat mich das sowieso noch nie gekümmert, weil das Private ja eh politisch ist, zumindest war das einmal so, und zweitens kennt eh niemanden die Beteiligten, und wer meinen Sohn kennt, dem hätte ich die Geschichte auch persönlich erzählt.


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