Montag, 24. Juni 2013

kleine Silberfischerl

Wo ich jetzt grad bin, da rennt ein ganz kleines Silberfischerl im Klo über den Boden. Das kommt mir passend vor. Alles ist hübsch und die Frauen tragen Dirndln und der Boden ist so sauber, dass nur fast nicht sichtbare Silberfischerln herumflitzen, aber es gibt sie dennoch. Es gibt sie immer. So ein Glück. Irgendwie, oder?
Es geht schon wieder um die G'stätten glaub ich. Ich beneide die Leute in meinem Heimatland nicht, weil sie haben so wenig Freiraum. Die Orte unserer Erinnerung gibt es nicht mehr, dort, wo meine Brüder im Sand Fußball gespielt haben, stehen herzeigbare Gemeinde- oder Genossenschaftsbauten und wo ich alle wesentlichen Erkenntnisse einer 5 - 15 jährigen hatte, gehen jetzt Menschen gepflegt spazieren, aber zum Glück nicht so gepflegt, dass es alle Erkenntnisse mit einem Schlag auslöschen würde. Dort geh ich immer noch in den Hosen von meinen Brüdern herum, die mir damals besser gefielen, als die für mich vorgesehene Kleidung. Dort erhol ich mich von der gewaltigen Macht einer Schulausbildung, die mir eine besondere Last ist, wenn es sich um Häkeln und um Singen handelt. Ich brauche nur an das ungepflegte Gras denken, über das ich getrost trampeln kann und ich weiß wieder alles, das Gemeine, das hinter mir liegt und das Große, das vor mir liegt. Wer nicht häkeln und singen kann, kann am Nachmittag an der Donau sitzen, auf den Treppen, über die meistens das Wasser schwappt, viel zu nah, aber das weiß die Mama nicht, und in Gedanken auf einem der Lastschiffe nach Rumänien fahren. Mit einem Hühnerkäfig an Bord. Später trample ich über das Gras auf der Suche nach einer Antwort auf die Frage nach der Richtigkeit eines jungfräulichen Begehrens. Die G'stätten hat mir immer geantwortet, wenn auch immer g'stättenhaft und ich hätte mir vielleicht einiges erspart, wenn ich meine Entscheidungen in einem dem Gestaltungswillen mehr unterworfenen Ambiente gesucht hätte. Jetzt ist das wahrscheinlich eh bei allen so, dass es die kontemplativen Orte der Jugend oder der Kindheit nicht mehr gibt, außer einer ist zum Nachdenken auf einen Berg gekraxelt. Und es ist eine Frechheit, dass man da nicht mehr zurück kann. Bitte wo soll man heutzutage seine Angst bewältigen oder seine Wut auslassen? Die Bierflaschen kann man nicht mehr getrost gegen die Wände verlassener Fabriken werfen. Alles hat Konsequenzen heute.
Ich glaube, ich bin mein ganzes Leben lang auf der Suche nach der unverbauten unverplanten Fläche. Und in Kalabrien bin ich gut bedient. Es ist halt alles nur recht gebirgig. Die Schafhirten in unserer Umgebung stecken ihre leergetrunkenen Bierflaschen auf irgendwelche Holzstecken und Äste. Das Kind nimmt so eine Bierflasche und schleudert sie in die Natur. Weit weg, denn er ist ein guter Werfer. Ich frag ihn, ob er übergeschnappt ist und fange an, von der Halbwertszeit von Glas zu reden. Und dann mach ich mir lange Zeit Sorgen um die dunklen Seiten in meinem engelsgleichen Kind.
Hier und jetzt, bei den kleinen Silberfischerln im Klo denke ich an meine eigenen Untiefen, die, die auf der G'stätten sind, unter dem Zubetonierten. Und ich möchte das Mädchen in den abgeschnittenen Hosen, das nicht häkeln und nicht singen kann, zu mir holen, denn es fehlt mir.

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