Samstag, 18. November 2017

Humor bitte!

Ich habe auf vielen Seiten das Leben mit meinen Kindern beschrieben und habe dabei versucht, ehrlich zu sein. Mein Freund der Schriftsteller, der diese Seiten gelesen hat, war enttäuscht. Erstens ginge es allen Eltern so. Das hat mich überrascht. Wieso wusste ich das nicht? Zweitens könne man das, was ich da beschreibe, nämlich wie sich die aufführen, ja auch anders sehen, mit Humor zum Beispiel, dann wolle es jemand anders vielleicht auch lesen.

Heute Morgen habe ich im Radio gehört, dass die türkische Autorin Elif Shafak den vom Österreichischen Buchhandel gestifteten Preis für Toleranz in Denken und Handeln erhalten hat. Mit ihren Büchern hat sie sich in der Türkei alles andere als beliebt gemacht. Ihre Fotos wurden verbrannt und ihren Romanfiguren der Prozess gemacht. Das könne man ja schon wieder lustig finden, meinte der Gestalter des Beitrags. Doch  Frau Shafak, und nicht nur ihr, mangelt es am entsprechenden Humor. Wenn ein Land seine Demokratie verliere, verliere es auch seinen Humor, stellt sie im Interview fest.

Ich bleibe mit den Tellern, die ich gerade aus dem Geschirrspüler genommen habe, stehen. Ich glaube das auch. Auch wenn ich weiß, dass in Albanien, bevor das Land zu einer Demokratie wurde, viele Witze erzählt wurden. Vielleicht, weil man nach vorne schaute, und nicht zurück.

Eines Tages werden wir über all das lachen. Wirklich?

Was hat aber nun der folgenschwere Verlust der Demokratie in einem Land wie der Türkei mit dem Verlust meines Humors im Alltag zu tun?

Ich kann nicht mehr lachen, weil ich, um meine Kinder auf Schulen zu schicken, sehr viel arbeiten muss. Meine Kinder bekommen in Italien, seit sie 18 sind, keine Unterstützung vom Staat. Davor haben wir 70 € im Monat für sie bekommen, etwa die Summe, die ich für einen Sohn pro Monat für den Autobus zahle. Für jenen Sohn, der in der Provinzhauptstadt in die Schule geht, gebe ich über 100 € im Monat für Transportkosten aus. Seit 10 Jahren kaufe ich jeden Herbst um mehrere hundert € Schulbücher. Ich spreche von Pflichtschulen, nicht von Universität.
Na und? Italien ist schließlich eine Demokratie, mach dich nicht wichtig, Dattilografa.
Nein, Italien ist nur auf dem Papier demokratisch, denn ein demokratisches Land müsste aktiv für die Bildung ihrer Bewohner sorgen und diese nicht durch Gesetze vorschreiben, durch Taten aber verhindern. In einem demokratischen Land müssten die erwachsenen Menschen und vor allem die Lehrer, den jungen Menschen das Gefühl geben, dass ihre Anstrengungen etwas wert sind, dass Bildung ihnen die Welt öffnet. Dass ihnen die Welt prinzipiell offen ist und dass sie diese und natürlich ihr eigenes Leben kraft ihres Geistes gestalten könnten.
Meine Kinder sind jedoch mit wenig Instrumentarien zur Autonomie ausgerüstet worden und ich will mir nicht mehr die Schuld dafür geben. Vielleicht bin ich aber schuld daran, weil mir das Lachen vergangen ist.

Meine Kinder wollen weg, weil sie wissen, dass in Süditalien die Jugendarbeitslosigkeit extrem hoch ist. Aber sie ziehen keine Konsequenzen aus diesem Wissen. Sie setzen keine Schritte, wie beispielsweise Fremdsprachen lernen, seinen Führerschein als wertvolles Gut erhalten und ihn sich nicht bei Drogenkontrollen wegnehmen lassen.

In einem Land ohne Demokratie gibt es kein freies Denken mehr.

Natürlich kann ich nicht behaupten, ich würde von der Polizei abgeführt werden, wenn ich mich vor das Rathaus unseres Ortes stelle und schreie: "Ihr Arschlöcher habt mir den Humor geraubt und außerdem werde ich euch verklagen, weil ich hunderte von Euro für die Mülltrennung zahle, die überhaupt nicht stattfindet, ihr STRONZI!" Beim letzten Teil des Satzes wird meine Stimme überkippen und ich werde mich schämen, dass ich so grausliche Worte verwende und vielleicht wird ein Wachmann kommen und sagen: "Signora, beruhigen sie sich, machen sie sich keine Sorgen." Nein, er wird mich nicht schlagen. Vielleicht gehen wir sogar einen Kaffee trinken, denn solange ein Kaffee 80 Cent kostet, kann man noch großzügig sein und Einladungen aussprechen. Es wird ihm sehr leid tun, dass ich für alles so viel zahlen muss, weil mein Mann ein staatliches Einommen hat und wir keine eigene Steuererklärung abgeben können und nicht so arm und unterstützenswert sind, wie viele Anwälte und Ärzte, deren Mercedes auf Großtanten angemeldet sind.
Nein, das ist nicht erfunden, und es ist nicht lustig.

Der Verlust der Demokratie bedeutet den Verlust des Humors und der Verlust der Demokratie beginnt mit dem Glauben, nichts verändern zu können. Dieser Glaube herrscht in Süditalien seit über 100 Jahren und hat das Entstehen einer Parallelmacht ermöglicht. Das Wahlverhalten wird durch persönliche Bekanntschaften, Versprechungen und Einschüchterung beeinflusst.

Ich freue mich, dass es noch Preise gibt, in denen Toleranz im Denken und Handeln gewürdigt werden, ich freue mich, dass ich in der Früh Radio hören kann und ich bin dankbar über meinen Geschirrspüler. Ich werde die Teller in den Schrank stellen und mich den Rest des Tages mit Strategien zur Rückeroberung des Humors beschäftigen. Ich weiß jetzt, dass diese mit dem Bestehen auf demokratischen Strukturen zu tun haben müssen.


1 Kommentar:

  1. Wer unter Humor versteht, dass man sich wie im Kabarett auf die Schenkel klopft, entdeckt denselben in diesem Blog freilich nur schwer.

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