Montag, 12. November 2012

Sind so kleine Hände

lautet der Titel eines Lieds von Bettina Wegener, das mir immer schon auf die Nerven gegangen ist. Musste man damals aber hören. Und jetzt musste ich das ganze Wochenende an dieses Lied denken, denn ich war wieder mal gefangen in der Tanzschule vom Kind. Ja, dort, wo ich immer so leide, wenn ich so lange warten muss und die Mütter reden höre. Der Mann, der mit mir in die Schule gegangen ist und der auf facebook immer die guten Sachen veröffentlicht, hat an diesem Wochenende ein schönes Foto gepostet und geschrieben: Komm wir lassen uns erschießen. Wie üblich hat er damit voll den Nerv (den ohnehin blankliegenden) getroffen und ich möchte mich viel lieber erschießen lassen als mit den kleinen Händen in der Tanzschule zu sein, aber: zu spät. Im Dezember wird es eine Tanzaufführung an der Universität geben, deren Reinerlös kranken Kindern zu Gute kommt (nein ich weiß nicht welche Krankheiten diese Kinder haben, und ob der erste Verdienst des Kindes nicht in die Hände der Mafia fällt, aber ich gehe jetzt mal davon aus, dass das in Ordnung ist). Nun muss das Kind viel mit vielen Mädchen tanzen und Frau Direktorin sagt, die Kinder müssten bei der Aufführung ein T-Shirt tragen, welches bedruckt wird und zwar mit den lieben kleinen Kinderhänden. Die Mütter machen das mit ihren Kindern, sagt sie, und ich versuche, außer die Augen weit aufzureißen, keine Reaktion zu zeigen. Meine Reaktion wäre nämlich, ihr an die Gurgel zu springen und zu schreien: "Hören Sie, mir geht das dermaßen auf den Arsch, dass alle glauben, die Eltern wissen nicht, was sie mit ihren Kindern machen sollen, und dass dauernd für ein kreatives Freizeitprogramm gesorgt wird und dass ich eh weiß, dass man mit Kindern basteln und backen soll, aber ich bin total unkreativ und will mit meinen Kindern vor dem Fernseher sitzen und mit ihnen Criminal Minds anschauen, das ist nämlich der gemeinsame Nenner des Fernsehgeschmacks und wenn wir schon beim gemeinsamen Nenner sind: Sie haben keine Ahnung, was ich alles tue den ganzen Tag und wieviele Recherchen ich für meine Kinder anstelle und ich habe keine Zeit, ihnen die Knöpfe an die Hosen zu nähen, deshalb fallen ihnen die Hosen in die Knie und nicht nur, weil es modern ist und sie wollen von mir, dass ich mit dem Kind Leiberln bedrucke? Wenn, wird das Kind das allein machen, es ist nämlich viel begabter und geschickter als ich in diesen Dingen." Ich bin sehr stolz auf mich, dass ich in all diesen Jahren Gratwanderung gelernt habe, nur meine Familienmitglieder anschzureien, die können mich nämlich nicht in eine Zwangsjacke stecken.

Ich denke, das wird man alles noch sehen, denn der Termin der Tanzaufführung ist weit entfernt, aber Frau Direktorin macht Druck und es stellt sich heraus, dass eine Mutter organisiert, dass die Mütter gemeinsam mit den Kindern die Leiberln bedrucken, und mit gemeinsam ist gemeint: alle gemeinsam. Die Frau, die das organisiert, ist die, die letztes Mal, als wir so lange warten mussten, erzählt hat, sie hätten ein Kind getauft. Heimlich, weil die Eltern das nicht wollten. Ob das so stimmt, weiß ich nicht, aber so hat sie es erzählt. Ein weiteres Mal reiße ich einfach die Augen auf: "Nein, das Kind möchte das selber machen." Und wieder vergesse ich das Ganze gleich, ich habe nämlich noch zwei andere Kinder, die zwar keine Leiberln bedrucken müssen, aber Comix für eine Veranstaltung mit einem leibhaftigen Autor zeichnen, Urinproben für den Fußballklub abgeben und meterlange Listen an Hausübungen abarbeiten. Abgesehen davon werden sie von Hormonräuschen geschüttelt und sind extrem anstrengend.

Dann treffe ich die Täuferin zufällig im Vorzimmer der Tanzschule, und sie rechnet mir vor, dass ich allein für die vier Farben, in denen die Hände auf das weiße Leiberl geklatscht werden sollen, neun Euro ausgebe, während es nur zwei Euro sind, wenn wir uns alle zusammentun. Na gut, ich kann jetzt nicht sagen: "Ich zahle lieber sieben Euro mehr, anstatt mit ihnen etwas zu tun zu haben." Ich versuche mir noch eine Hintertür offen zu halten und sage, ich weiß nicht, ob ich das T-Shirt dann schon gekauft haben werde, wenn sich die Mütter treffen, aber es klingt absurd. Für keine dieser Mütter ist es ein Problem, ein weißes T-Shirt zu kaufen, in Gegenteil, sie warten Monate untätig darauf, dass ihnen die Dirketorin der Tanzschule sagt, dass sie JETZT ein T-Shrt kaufen dürfen und dann preschen sie los. Ich weiß, dass klingt ungerecht, wenn ich das so schreibe, es ist aber nicht ungerecht, es ist wahr.

Der Samstag kommt, ich habe das T-Shirt, die Mütter treffen sich eine halbe Stunde vor dem Beginn der Tanzstunde, ich habe die zwei Euro schon gezahlt und ich habe vor, in der zwei Stunden dauernden Tanzprobe meinen wöchentlichen Einkauf an Lebensmitteln zu absolvieren. Ich habe zwar noch kurz den Gedanken, dass man in einer halben Stunde kein T-Shirt bedrucken kann, bin aber zu naiv, zu zerstreut, zu bescheuert, mir darüber im Klaren zu sein, was da auf mich zu kommt. Natürlich will keiner in einer halben Stunde das tun und während unsere lieben Kinder tanzen, knien wir in der Garderobe auf dem Boden und drucken. Da ich schnell wieder weg will, beginne ich gleich, mit einem Schneebesen die Farben anzurühren. Das Leiberl vom Kind ist das erste, ein Prototyp sozusagen, denn das Kind ist das einzige männliche Mitglied dieser Truppe und wird deshalb immer bevorzugt behandelt. Ok, die Farben sind angrührt, die Zeitung auf dem Boden ausgebreitet, im Leiberl steckt auch eine Zeitung, es sind etwa 12 Mütter im Raum, alle reden, die Täuferin und ich führen das Ganze an, es wird heiß, das Kind kommt, alles geht erschreckend langsam, denn vier Farben, und dazwischen die Hände abwaschen mit dem Kind, das sagt: "Mama, das ist das Damenklo, ich hab ein anderes." Ich reduziere innerlich die Einkaufsliste aufs Essenzielle und fahre in Gedanken bereits mit überhöhter Geschwindigkeit, während jetzt erst die Kreativität ausbricht. "Der Gedanke ist der des freien Spiels der Kinder mit den Farben!" sagt die Täuferin. Die Mutter der Direktorin kommt und sieht das halbfertige Leiberl und sagt: "Hier muss noch eine blaue Hand hin! Er ist doch der einzige Junge, hier muss er noch eine blaue Hand machen." "Willst du das nicht machen?" frage ich sie. Nein, das Kind, bereits auf dem Weg zurück zur Probe, wird noch einmal zurückgepfiffen, blaue Hand, das Kind ist sehr freundlich und zeigt gerne die teure Zahnspange, die sein grauenhaftes Gebiss hollywoodlike macht und zwar in echt, danke Dottoressa Francesca. Ich gehe mit ihm die Hände waschen, na gut halt aufs Herrenklo und sehe die Spritzer in der Farbe "Fuchsia", ein Wort, das mir schon die Schweissperlen auf die Strin treibt auf seiner Tanzuniform und schaue so, dass er sagt: "Mama, dass war die Dame, die mir die Farbe auf die Hand gestrichen hat." Später sagt mir eine Frau, dass die Farbe beim Waschen rausgeht, aber wozu bedrucken wir dann die T-Shirts? "Mono-Uso?" frage ich. Natürlich geht die Farbe nicht aus dem Tanzdress, das weiß ich jetzt. Andere Kinder kommen, andere Mütter reden. Die Mädchen dürfen nur eine Farbe auf die Hände streichen, sonst geht ja bei der Probe nichts weiter. Eh klar. Ab und zu will ich der Täuferin sagen, dass wir das Ganze ein wenig industrialisieren müssen. Dass ich noch zum Einkaufen komme, glaube ich ohnehin nicht mehr, aber langsam bekomme ich Angst, ich verbringe die halbe Nacht in der brütend heißen Garderobe, in der ich jetzt auch noch das Leiberl des Kindes föhne und ein paar andere auch. Es ist nämlich nicht klar, ob man das T-Shirt seines ureigenen Kindes macht oder alle und die meisten machen das eigene und alle, aber ein paar Mütter machen vor allem das eigene, was ja auch ok ist, zumal andere Mütter nur kritisch schauen. Auch das kann ich verstehen, kritisch schauen ist das, was ich am allerbesten kann auf der Welt, aber wenn ich sehe, dass die ehemalige Englischlehrerin des Kindes sehr besorgt schaut und sagt: "da werdet ihr nie fertig" und bei der Diskussion um die blaue Hand beiträgt: "da steht doch die Mutter, sie soll das entschieden!", dann denke ich nur, nein, nur kritisch dreinschauen ist auch zu wenig. Ich müsste ihr sagen: "Hören sie, sie dumme Kuh, ich habe keine Worte, um auszudrücken, wie wurscht mir diese blaue Hand ist, weder in italienischm noch in deutsch oder englisch!" Ich sage kurz, dass ich glaube, dass man das auf der Bühne beim Tanzen unter 20 Kindern nicht so genau nachvollziehen wird können, aber ich komme mir dabei ein wenig wie eine Spielverderberin vor.


Eine Mutter, die die nie was redet, was mir eigentlich sympathisch ist, sitzt zweieinhalb Stunden auf einem Schemel und schaut dem immer hektischer werdenden Treiben zu. Wir reißen die Fenster auf. Bruchteile von Sekunden empfinde sogar ich so was wie gute Laune. Die Rückseite der T-Shirts kann sein, wie sie will, sagt die Mutter der Direktorin. Aber die blaue Hand musste millimetergenau sein, das versteh ich nicht, drehen sich die nie, die Kinder. Schschtt, keine neuen Probleme aufwerfen. Die Täuferin kriecht ohnehin schon auf den Knien zu einer anderen Frau und sagt: "Hier sind Mütter, die ihre zwei Euro nicht bezahlt haben, parliamoci chiaro!" Ich war's nicht. Damit das alles schneller geht, beginnen einige Mütter ihre Hände zur Verfügung zu stellen, die Täuferin ist ohnehin schon die ganze Zeit dran. Eine Mutter, die etwa zwei Meter groß ist und von der ich keine geschmiert bekommen möchte, legt los. Am Ende hat sie dann beide Hände voller Farbe und lässt sich von den anderen Müttern die Hose, die ihr über den Hintern rutscht wieder hochziehen und ihre in Schamhaargegend angebrachte Tätowierung verschwinden. Eine andere Mutter hat die Namen ihrer Kinder auf dem Unterarm tätowiert und föhnt eifrig das T-Shirt ihrer Tochter, unglücklicherweise ist es die, die dem Kind gerade am besten gefällt in dieser reichlichen Auswahl. Weil die Lange mit den großen Händen so viel Farbe verwendet, muss die am Unteram Tätowierte besonders lang föhnen. Manchmal sagt eine: "Wir sind kindischer als die Kinder!", das kann ich von mir nicht behaupten, ich bin todmüde und versuche mich irgendwie noch nützlich zu machen in diesem Chaos, in dem dann doch auf wundersame Weise ein paar T-Shirts fertig werden und zum Trocknen aufgehängt. Besondere Freude bereitet den Müttern, dass sie auch das T-Shirt der Tanzschuldirektorin bedrucken können und mit ihren riesigen Pranken druckt die Lange zwei orange Hände dorthin, wo vielleicht einmal der Busen der Frau Direktorin untergebracht sein wird. Ein paar andere Mütter kommen, die der Täuferin zwei Euro in die Hand drücken wollen, was aber nicht geht, weil die Hand ja voller Farbe ist. So ist das nämlich. Manchen gelingt es, sich auszuklinken. Aber die Täuferin ist immerhin eiskalt: "Ihren Nachnamen und Vornamen!" Diesen Müttern nützt es jetzt auch nichts, wenn ihre Töchter den Katechismus besuchen. Am Ende, als die Kinder fertig mit der Probe sind, und über ihre Mütter steigen, die auf dem Boden herumrutschen, machen die Töchter dann Fotos von den Müttern mit den bunten Händen.

Ich rase nun mit dem Kind davon und kaufe immerhin noch zwei Liter Milch. Ich bin ein bisschen beleidigt, weil eine Mutter, eine Freundin der Täuferin, eine Dame mit birnenförmiger Figur zu mir gesagt hat, ich könne jetzt eh gehen, es sei besser, wenn weniger da seien. Hätte sie mir das zwei Stunden vorher gesagt, die Birne! Zu Hause rennen mir alle entgegen, weil sie mit den vollen Einkaufstaschen rechnen. Die Armen. Eine Stunde später habe ich geschafft, jeden einzelnen von ihnen zu verärgern, weil ich so frustriert bin. Am Ende hatte mich die Täuferin gefragt, ob ich mich amüsiert habe. Ja, so, dass ich meine Kinder um neun Uhr schlafen schicke, obwohl Samstag ist, damit ich lange sinnlos mit meinem Ehemann diskutieren kann. Das Kind hat aus lauter Ärger über mich mit seinen kleinen Händen an die Tafel im Kinderzimmer einen Gruß an mich gerichtet: "Brutta notte!" Schlechte Nacht, als hätte nicht schon der Nachmittag gereicht.

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