Montag, 29. April 2013

Out of the blue and into the black

Die Datti muss in die große Stadt fliegen, wo sie erschöpft ankommt. Ihr Koffer kommt nicht an. In der alten Wohnung sind zum Glück Zahnbürsten, alle von den Kindern, aber ist ja egal. Nur der Pyjama vom Kind passt nicht mal mehr dem Kind, wie soll der mir passen? Auf der Autobahn, der italienischen, auf dem Weg zum Flughafen, überhole ich einen kleinen Lastwagen, er transportiert Artischocken. Ich möchte mich an jeder einzelnen Artischocke festklammern und ja nicht dieses Land verlassen. In meinem Kühlschrank vergammeln immer noch 5 Artischocken, aber diese, diese hier, die würde ich jetzt gleich verarbeiten. Wenn man mich fragt, wie es mir gefällt in Italien, nach so vielen Jahren, antworte ich neuerdings: Immer weniger. Aber sobald ich mich aus Italien fortbewege, scheint mir sogar Enrico Letta, der neu erkorene Ministerpräsident, ein Grund zu bleiben. Im Flughafenbus haut mich der Biergeruch der Menschen, die den Pass desselben Landes wie ich haben, fast um und ich frage mich, wieso sie alle barfuss in ihren Sandalen stecken, obwohl doch erst Ende April ist. Ich finde sie peinlich, aber ich weiß, es gibt auch die schönen und guten und weil ich ja endlich einmal alleine bin, schaue ich auf Facebook nach, was sie machen.

Wenn ich in Italien bin, habe ich eine ganz genaue Vorstellung vom Frühling in der großen Stadt und von der Sehnsucht, die man hier verspüren kann und von der Gewissheit eines Neubeginns und vom Geruch der großen alten Bäume. Man muss es nur schaffen, auch wirklich neu zu beginnen. Wenn ich dann hier bin,  habe ich eine ganz genaue Vorstellung von dem, was ich eben verlassen habe, die wachsenden Weichseln, der Hund, der mich durch den täglichen Spaziergang hetzt, während ich David Copperfield auf dem Eierphone häre, vom Gras, das der große Sohn geschnitten hat mit dem Grasschneidegerät, das ich in der vergleichweise kleinen Stadt reparieren habe lassen und in der ein solches Verkehrstohuwabohu herrscht, dass MM sagt: diese Stadt versteht, aus dem Nichts ein Chaos zu machen.

In Deutschland muss ich einen Zwischenaufenthalt einlegen und auch wenn es ungerecht ist, denn es ist nur ein beliebiger tödlich langweiliger Flughafen: ich möchte sofort zurück, möchte mich mit meinem ganzen Körper auf die Halbinsel werfen, möchte sogar der ungeliebten Mathematiklehrerin zurufen: Ich finde Sie originell, Maestra! Ich finde ich finde ich finde ich finde mich wie Thomas Bernhard, der sich überall ein wenig unwohl gefühlt hat, aber im Unterschied zu ihm fühle ich mich auf dem Weg von einem zum anderen besonders unwohl. Und ich muss sagen, dass mein Leben von den fahrenden Gemüsehändlern bestimmt wurde. Nichts kann mein Herz ähnlich entflammen wie ein kleines Fahrzeug, aus dem heraus Saubohnen und Zwiebeln verkauft werden. In den ersten Monaten meines Aufenthalts in Italien bin ich mit MM, der damals ein geheimer Liebhaber und kein Ehemann und Vater war, nach Palermo gefahren und da hat diese Sucht nach den Gemüselambrettas begonnen. Einige Zeit später war ich in Reggio Calabria und habe angesichts der Artischocken in den kleinen Lastwägen beschlossen, für immer in Italien und noch dazu im versifften Süden zu bleiben. Das Begehren ist immer geordneter geworden und ich besuche selbst den wöchentlichen Gemüsemarkt in unserem Ort selten, aber MM baut mit Sorgfalt Gemüse auf unseren 5000 Quadratmetern Erde an, was ich kaum zu würdigen weiß, wenn ich wie ein Mahnmal des Fleißes an meinem Arbeitstisch vor meinem Computer sitze und schreibe.

Kaum aber bin ich in der großen Stadt begehre ich sinnlos. Keine Artischocken, keine Saubohnen, sondern das alte wilde Leben, das ohnehin keiner mehr führt und das ich auf keine Weise wiederbekommen kann.

Ich habe einen Roman von Lily Brett gelesen mit dem sprechenden Titel: Lola Bensky. Am Ende ist Lola, die ehemalige Rock-Journalistin froh, dass Mick Jagger lebt und gut drauf ist, denn Janis Joplin, Jimi Hendrix, Jim Morrison und viele andere sind bereits verstorben. This is it: Seien wir froh, dass wir am Leben sind. Mit Artischocken und Saubohnen oder mit gatschigen Schuhen und Kinderspielzeug, was auch immer, möglicherweise nicht dem Mercedes, den Gott Janis Joplin hätte kaufen sollen und den er mir auch nicht kauft.

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