Dienstag, 9. April 2013

Relativitätstheorie

Die Lehrerin meiner großen Kinder mag eine gute Lehrerin sein, für meine Kinder und für mich ist sie gänzlich ungeeignet. Das ist mein Beitrag zu ihrer Theorie, Herr Einstein. Nichts hat nur eine Seite. Wie man weiß wird der Priester geweiht und meine Kinder mussten ein Gebet schreiben. Das hat schon einiges Kopfzerbrechen bei uns hervorgerufen und bevor irgendjemand einen Anfall bekommen musste, habe ich im Internet ein Gebet für die Arbeit gefunden, das ich meinen hilflos verwirrten Kindern als passend präsentieren konnte. Denn man wusste nicht, ob man selbst ein Gebet erfinden sollte, vielleicht ein Gedicht, wie ich eifrig mehrmals nachfragte, nein, kein Gedicht, ein Gebet, oder ob man es von irgendwo (dem Internet) abschreiben sollte. Da wir aber keine Spezialisten auf dem Gebiet der Gebete sind, musste das Internet herhalten. Aber das muss ohnehin für alles herhalten und ich frage mich mindestens 2x wöchentlich wozu diese ganzen voluminösen und teuren Schulbücher dienen, wenn wir ohnehin dauernd alles auf Wikipedia nachschauen müssen. Wir haben zusätzlich zu 300 Euro Schulbüchern noch ein Tablet kaufen müssen, damit die Kinder, nein, damit ich an meinem Computer bleiben darf, obwohl man über den Rhein und die Donau recherchieren muss. RE-CHER-CHIEREN. Inflationäres Wort, inflationäre Beschäftigung. Erster Eintrag auf Google, bitte, danke.
Na gut, und jetzt das Gebet. Aus dem Internet. Ein paar Tage später zieht der Fußballer aus seinem Rucksack ein halb zerknülltes Blatt Papier aus seinem Rucksack, das erstens aussieht, als hätte es eine Kuh in der Schnurre gehabt, um hier mal einen schweizer Ausdruck zu benutzen und zweitens eine Bordüre am Rand hat, wie das mit dem Gebet für den Don. Der Fußballer muss auch ein Gebet schreiben, die Lehrerin wäre sehr verärgert gewesen, da er sich so seiner Verantwortung entzogen habe. Nicht ein Gebet gemeinsam, wie sie mir weigemacht haben, nein, jeder eines! Nun liegt der Ärger ganz und gar bei mir. Als erstes entzündet er sich an der äußeren Form dieses Papiers. Der Fußballer behauptet, die Lehrerin hätte es ihm so gegeben. Oh nein, das hätte er nicht tun sollen. Mein Zorn schwingt elastisch zwischen einer so schlampigen Lehrerin und einem sich für so schlau haltenden Kind hin und her. Das Wort Gebet wird von mir in einen vulgären Zusammenhang gestellt, ebenso der Fußballer, der mich ärgert, weil er sich nicht gegen so infame Anschuldigungen wehrt. Oder stimmte es etwa nicht, dass sie zu zweit ein Gebet schreiben mussten. Ich äußere laut (sehr laut) meine Gedanken, sie in zwei verschiedene Klassen zu geben, innerlich brodelt sogar der Gedanke an eine andere Schule, aber ein Rest Vernunft bleibt in meinem vom Klassenbewusstsein gerüttelten Ego: bitte nicht, nur dorthin, wo der Schulbus fährt.
Im Auto, als ich die Knaben zum Fußball bringe, nachdem ich 2 x MM angerufen habe, danke, dass er mich anhört, erkläre ich den Kindern in aller Seelenruhe wie ich meine, dass der Glaube eine individuelle Sache sei und dass ich niemanden verbieten könne, ein Gebet zu verfassen, aber auch mich niemand zwingen könne, ein Gebet zu schreiben, wenn die Anrufung Gottes für mich doch nicht in Frage käme. Weit entfernt von meinem vorigen: Soll sie sich ihr geschissenes Gebet doch selber schreiben. Der Fußballer schließt die Augen. Nach zehn Minuten sagt er, ob ich eigentlich wisse, dass man grün sehe, wenn man nach längerer Zeit die Augen wider öffne. Ich sage, ich dachte, es handle sich um orange. Kann auch sein, sagt der Fußballer. Er steigt aus dem Auto und sagt: Entschuldige wegen vorhin. Und ich weiß er meint es ernst.

Am Abend schreibe ich in sein Schultagebuch: Obwohl sich unsere Familie jeder Religion gegenüber enthält, war es unser Wunsch, in Form eines Gebets unsere Glückwünsche für die Weihe zum Priester des Don, dem unsere ganze Wertschätzung gilt, auszudrücken. Meine beiden Kinder haben gemeinsam das Gebet für den Beginn einer Arbeit als passende Botschaft ausgewählt. Mit freundlichen Grüßen Dattilografa.
Ich befürchte, sie wird es einfach vergessen haben, denn morgen ist der Tag des Sports und meine Kinder werden Volleyball spielen, statt Gebete vorzutragen. Aber MM sagt, ich hätte die Dinge mit Eleganz klar gestellt. Dafür bin ich ihm dankbar. Falls sie den Subtext nicht versteht, kann ich ihn ihr bei Gelegenheit ins Gesicht schreien: Ein Gebet ist mehr als genug.

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