Samstag, 2. September 2017

Laster, Nr. 1 - Eifersucht

Ein langer Sommer mit vielen, nicht immer positiven Erfahrungen neigt sich dem Ende zu. Die Söhne kommen nach Hause. Über die Freundinnen wird berichtet.

Giovanna, naja. Die sowieso. Das wissen wir schon lange, dass in ihrem molligen Körper eine von Eifersucht getriebene arme Seele steckt. Aber auch die Freundin des anderen Sohnes meint, alles zu dürfen, während der gepeinigte Sohn (zumindest seiner Meinung nach) nichts darf.

Ist das der Stolz der italienischen Frauen, den Ulla Meinecke in den 1980er Jahren aus unerfindlichen Gründen besang?

In den 1970er Jahren habe ich als 13-jährige das erste Mal bewusst Eifersucht erlebt. Ich war auf einem Ferienlager, so nannte man damals Sommercamps ohne bösen Hintergedanken. Er war 13, ich war 14, sie war 15. Er war mit mir zusammen, er hatte SEX mit mir, was sich so manifestierte, dass wir miteinander auf dem Bett lagen und unsere nackten Füße sich berührten.
Und dann waren wir alle einkaufen, ich kam aus einem Laden, er wartete auf einem Mäuerchen auf den Autobus und sie saß neben ihm. Meine Söhne stellen ihre Freundinnen so dar, als würde diese Tatsache sie bereits zum Verlust jeder Kontrolle bringen. Nicht bei mir! Das kam mir nicht abartig vor. Aber als ich mich setzte, fragte ich mich, ob sein Knie da eigentlich ihr Knie berührte. Ich neigte den Kopf: Sein Knie lehnte an ihrem. Er hatte eine kurze Hose an, sie einen Rock. Kein Irrtum möglich. Fotogramm geht in Flammen auf. Herz hämmert. Dummdumm. Schweiß auf der Stirn. Kloß im Hals. Was sagen? Ich meine: soll man was sagen? Und wenn, was? Es ist die Scham über sich selbst. Ich gehe in einen Laden und der Junge, dessen Füße sich mit meinen auf erotische Art treffen, legt sein Knie an das Knie eines Mädchens, noch dazu eines so alten! Er betrügt mich mit seinem Knie. Ich bin seiner Füße nicht würdig.

Es ist die Scham über sich selbst. Ich bin es nicht wert. Ich bin so dumm, dass die beiden Knieaneinanderleger nicht einmal finden, sie müssen diese öffentlich ausgelebte Obszönität vor mir verstecken.

Ich weiß nicht mehr, wie ich in Folge auf dieses erstmals erlebte Gefühl reagiert habe. Habe ich ihn verlassen? Habe ich sie verprügelt? Habe ich ihn zur Rede gestellt? Nichts von dem ist mir in Erinnerung. Was wäre möglich gewesen?

Ich: He, du hast dein Knie an ihres gelegt.
Er: a) Stimmt gar nicht, das bildest du dir ein.
Ich: a) Was? Ich bin doch nicht blöd? Ich hab es doch gesehen.
Er: b) Das war ein Zufall.
Ich: b) Der hat aber lange gedauert.
Er: c) Na und? Ich kann machen, was ich will.
Ich: c) Ja, aber ohne mich.
Er: c) Was bist du altmodisch. Ich mag keine altmodischen Frauen.
Ich: c) Ich will nicht, dass du dein Knie an das anderer Frauen legst. Nein, hätte ich nie gesagt, hätte ich nie zugegeben.

Warum wollen wir, dass der Mensch unseres Herzens, unserer Füße, unserer Knie nur uns, uns, uns will?
Meine Freundin sagt: Wenn er nicht bei anderen Frauen beliebt wäre, würde ich ihn vielleicht auch nicht so toll finden.
(Ja, aber muss er deswegen sein Knie, seine Hand, seinen Penis auf andere Frauen legen?)
Meine Freundin hat eine Zeitlang neben dem Mann ihrer Füße, ihrer Knie und vor allem ihres Herzens ausgeharrt, während dieser die Gegenwart anderer Frauen genoss. (Also sein Knie, seine Hand, seinen Penis an diese presste.)
Was hast du während dieser Zeit gemacht, frage ich sie.
Ich war sehr belesen, lautet die Antwort.
Literatur als Antidot gegen Eifersucht.

Gibt es Menschen, die nicht eifersüchtig sind? Wenn ja, sind sie blöd? Oder blind? Nicht wirklich interessiert? Gibt es eine evolutionsbiologisch relevante Antwort auf diese Frage?

Aber gehen wir einen Schritt zurück. Das Knie neben dem anderen Knie war ja eine Tatsache. Eigentlich auch ein ccoler Typ mein 13-jähriger Fuß-Geliebter. Ich sollte ihn googeln. Vielleicht hat er seine Libido ja produktiv verwerten können.

Jetzt gibt es aber noch ganz andere Auslöser für dieses Gefühl von Dummdumm im Herzen und der Hitze im Brustkorb. Bei Giovanna waren es Fotos, die sie gesehen hat, Gesten, die sie beobachtet hat. Ich bin weit davon entfernt, meinen Sohn, den Rallyfahrer zu verteidigen. Es mag durchaus sein, dass er anderen Mädels gegenüber verbindlich wirkt. Ich finde auch, dass er anderen Menschen gegenüber netter ist, als zu mir.
Was passiert? Ein Moment rationalen Vakuums entsteht. Das Knie wird vergrößert, der Gruß einer anderen Person aufgebläht und mit einer Geschichte versehen, mit einer lebenslangen Parallelgeschichte, von der man bis jetzt keine Ahnung hatte. Betrug. Man ist ja so blöd und hat es bis jetzt nicht gemerkt.

Punkt 1: Ich bin es nicht wert.
Punkt 2: Ich habe es bis jetzt nicht gemerkt. Alles, was ich bis jetzt erlebt habe ist ein Zerrbild der Wirklichkeit.

Und dann. Reaktion.

Giftige Worte.
Schweigen.
Rückzug.
Auch: Handgreiflichkeiten, wie angeblich im Fall von Giovanna.

Aus der Ferne sage ich: Es kann nicht gut gehen.
Aus der Nähe sage ich: Es wird nicht gut werden.

So what the fuck can we do?
Zum Rationalisieren bleibt oft zu wenig Zeit. Wenn das Blut rauscht, kann man meistens nicht sagen:  Ich bin super, warum sollte er jemand anders wollen?

Muss man Eifersucht als Prinzip bekämpfen? Muss man eine monogame Beziehung an sich an den Pranger stellen? Was ist mit der Angst, verlassen zu werden? Und wieso drückt sich diese in dem aggressiven Gefühl der Eifersucht aus?

Sind das die Fragen, die sich Giovanna stellt?

Der Verdacht besteht, dass italienische Mädchen ihre Boyfriends als ihr Spielzeug betrachten, sonst würden sie nie auf die Idee kommen, ihnen am Strand Pickel auszudrücken. Sowas macht man mit seinen Brüdern, nicht mit seinen Lovern, girls! Distanz ist erotisch.

Woher kommt das Gefühl, dass von einem Moment auf den anderen alles aus sein könnte. Dass er eine andere lieben könnte, obwohl wir am Morgen noch ein glückliches Paar waren. Muss man tolerant sein? Kann der Teil eines glücklichen Paars sein Knie auf das Knie eines aussenstehenden Elements legen wollen?

Viele dieser Fragen interessieren mich nicht mehr. Als ich so alt war wie meine Söhne und Giovanna, hat man Bump getanzt. Naja, fast.
Knie haben für mich jetzt in erster Linie beim Laufen durchzuhalten. Dass man sie an jemand anderen pressen könnte ist nicht der Normalfall.

Kann man sich Eifersucht nur leisten, wenn man viel Zeit hat? Ist Eifersucht ein Laster, das man aus Mangel an Zeit ablegt? Sind Leute ohne manifestierte Eifersucht interessanter als andere? Hat jemand schon gesagt, ich liebe sie so, weil sie überhaupt nicht eifersüchtig ist?

In fortgeschrittenem Alter verwendet man den Ausdruck "Am Ende des Tages". Ich nehme an, dass für junge Menschen die Tage nicht enden. Für mich schon. An ihrem Ende bin ich müde. Es ist mir lieber, wenn man mich gern hat, aber wenn nicht - so what? Auch das Freundschaftsband von meinen jungen Kolleginnen erfreut mich.

Ich glaube nicht, dass die Laster im Alter geringer werden. Wobei die Verdauung wichtiger wird.
Und ja, am Ende des Tages gibt es keine Zeit mehr für Eifersucht.
Ein Knie am Knie eines anderen?
Es ist vorbei, bye bye Junimond. 1986. Eben.








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